Das Modell deliberativer Demokratie.
Basisdemokratie der 70er Jahre und des Internetzeitalters im Vergleich.
Zusammenfassung
anwendbar abgestempelt. In Deutschland wurde das Modell der deliberativen Demokratie insbesondere von dem renommierten Philosophen Habermas in die
Forschung eingebracht. Bei den internationalen Vertretern und Vertreterinnen deliberativer Demokratie sind unter anderem James S Fishkin und Seyla
Benhabib von großer Bedeutung. Der wohl bedeutendste Ansatz bei der Entwicklung der deliberativen Demokratie ist hierbei jedoch vermutlich Jürgen Habermas zuzuschreiben (vgl. Kost 2008: 30). Das Modell der deliberativen Demokratie entspricht dem von vielen Bürgern geäußerten Wunsch nach mehr Mitbestimmung und einer verstärkten Einbeziehung der Öffentlichkeit in politische Entscheidungen. Ein stetig wachsendes Unbehagen darüber wie etablierte Parteien Entscheidungen treffen, ohne dabei die Bevölkerung einzubeziehen, zeigt sich in Deutschland nicht nur
an Ereignissen wie Stuttgart 21. Auch das plötzliche Aufkommen der Piratenpartei, mit dem Versprechen politische Entscheidungen transparenter zu gestalten, ist ein Indikator für das Verlangen nach einer neuen Art der Politik.gestalten, ist ein Indikator für das Verlangen nach einer neuen Art der Politik.
Zwar diskutiert die etablierte Politik mittlerweile vordergründig über neue Formen der Beteiligung und Einbeziehung Betroffener in die politischen
Entscheidungsfindungen, jedoch wurden in den vergangenen Legislaturperioden kaum partizipative bzw. deliberative Komponenten in das politische
Tagesgeschäft integriert (vgl. Baus 2012: 5). Das Internet hat zunehmenden Einfluss auf das politische und gesellschaftliche Entscheidungsgeschehen. Dass gerade in den vergangenen Jahren der Ruf nach neuen Elementen der Mitbestimmung immer lauter wurde und BürgerInnen
immer öfter den öffentlichen Diskurs forderten, ist u.a. auf die starke Ausbreitung des Internets zurückzuführen. So bietet die digitale Welt neben
neuen Wegen der Mobilisierung des gesellschaftlichen Protests auch innovative Kommunikationsmittel wie z.B. Social Medias...
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Modell der deliberativen Demokratie
3. Die Neuen Sozialen Bewegungen und Öffentlichkeit
3.1 Charakteristika der Neuen Sozialen Bewegungen
3.1.1 Die neue Reichweite der Neuen Sozialen Bewegungen
3.1.2 Die alternativen Medien
3.1.3 Die Sozialisation der Akteure
3.2 Kriterien deliberativer Demokratie
3.2.1 Die räumlichen und organisatorischen Grenzen
3.2.2 Die Medien als „Gatekeeper“
3.2.3 Das Machtgefälle zwischen den Diskursteilnehmern
4. Das Internet und die Kriterien deliberativer Demokratie
4.1 Das World Wide Web
4.2 Die schwindende Macht der klassischen Massenmedien
4.3 Die digitale Spaltung der Gesellschaft
5. Fazit
6. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Das Modell der deliberativen Demokratie, welches in den 80er Jahren aufkam, wurde in der Vergangenheit in vielen Punkten auf Grund seines basisdemokratischen Charakters kritisiert und als idealistisch und nicht anwendbar abgestempelt. In Deutschland wurde das Modell der deliberativen Demokratie insbesondere von dem renommierten Philosophen Habermas in die Forschung eingebracht. Bei den internationalen Vertretern und Vertreterinnen deliberativer Demokratie sind unter anderem James S Fishkin und Seyla Benhabib von großer Bedeutung. Der wohl bedeutendste Ansatz bei der Entwicklung der deliberativen Demokratie ist hierbei jedoch vermutlich Jürgen Habermas zuzuschreiben (vgl. Kost 2008: 30).
Das Modell der deliberativen Demokratie entspricht dem von vielen Bürgern geäußerten Wunsch nach mehr Mitbestimmung und einer verstärkten Einbeziehung der Öffentlichkeit in politische Entscheidungen. Ein stetig wachsendes Unbehagen darüber wie etablierte Parteien Entscheidungen treffen, ohne dabei die Bevölkerung einzubeziehen, zeigt sich in Deutschland nicht nur an Ereignissen wie Stuttgart 21. Auch das plötzliche Aufkommen der Piratenpartei, mit dem Versprechen politische Entscheidungen transparenter zu gestalten, ist ein Indikator für das Verlangen nach einer neuen Art der Politik. Zwar diskutiert die etablierte Politik mittlerweile vordergründig über neue Formen der Beteiligung und Einbeziehung Betroffener in die politischen Entscheidungsfindungen, jedoch wurden in den vergangenen Legislaturperioden kaum partizipative bzw. deliberative Komponenten in das politische Tagesgeschäft integriert (vgl. Baus 2012: 5).
Das Internet hat zunehmenden Einfluss auf das politische und gesellschaftliche Entscheidungsgeschehen. Dass gerade in den vergangenen Jahren der Ruf nach neuen Elementen der Mitbestimmung immer lauter wurde und BürgerInnen immer öfter den öffentlichen Diskurs forderten, ist u.a. auf die starke Ausbreitung des Internets zurückzuführen. So bietet die digitale Welt neben neuen Wegen der Mobilisierung des gesellschaftlichen Protests auch innovative Kommunikationsmittel wie z.B. Social Medias, die den öffentlichen Diskurs verändern. Nicht zuletzt tun sich durch das Internet auch neue Möglichkeiten der politischen Partizipation und basisdemokratischen Abstimmungsverfahren auf. Es drängt sich daher die Frage auf, ob die Kritik am Modell der deliberativen Demokratie aus heutiger Sicht, im so genannten Internetzeitalter noch gerechtfertigt ist und inwiefern sich die Chancen für eine Demokratie mit deliberativem Charakter durch das Internet vergrößert haben. Deliberative Demokratie hätte demzufolge durch das Aufkommen des Internets mehr gesellschaftliche Relevanz denn je.
In meiner Bachelorarbeit werde ich daher folgender Frage nachgehen:
Haben sich die Grundvoraussetzungen für deliberative Demokratie durch das Internet grundlegend verbessert? D.h. es wird nicht Bestandteil der Untersuchung sein, ob und in welchem Maße deliberative Demokratie in Form von E-government, E-governance oder E-democracy im Internetzeitalter zur Anwendung kommt, bzw. wie deliberative Demokratie praktisch gestaltet werden könnte. Im Fokus meiner Analyse steht vielmehr die Frage, ob sich die grundlegenden Bedingungen für deliberative Demokratie durch das Internet wirklich derart verbessert haben wie oft angenommen.
Um feststellen zu können, ob es zu einer Verbesserung oder Verschlechterung der Grundvoraussetzungen kam, ist ein Vergleich des Internetzeitalters mit der Zeit vor der Entwicklung des Internets nötig. Für einen Vergleich bietet sich besonders die Zeit der aufkommenden Neuen Sozialen Bewegungen (NSB) an, da die Neuen Sozialen Bewegungen quasi äquivalent für die Forderung nach mehr politischer Mitbestimmung und einer deliberativen Öffentlichkeit stehen. Zu Beginn wird in Punkt 2 kurz die Theorie der deliberativen Demokratie vorgestellt, um im weiteren Verlauf der Arbeit deren diskurstheoretischen Charakter besser einordnen zu können.
Anschließend werde ich in Punkt 3 auf die NSB eingehen und dabei in Punkt 3.1 drei Charakteristika der NSB hervorheben: Die neue Reichweite der NSB (3.1.1), das Aufkommen der alternativen Medien (3.1.2), sowie die Sozialisation der Akteure (3.1.3). Anhand dieser drei Charakteristika der NSB werde ich drei grundlegende Kriterien für die Anwendbarkeit deliberativer Demokratie herausarbeiten.
Zu den drei Kriterien gehören erstens die Vermeidung bzw. der Abbau von räumlichen oder organisatorischen Grenzen (3.2.1), zweitens die Implementierung der Medien als gesamtgesellschaftliche „Gatekeeper“ (3.2.2), sowie die Vermeidung bzw. der Abbau von Machtgefällen zwischen den Diskursteilnehmern (3.2.3). In Punkt 4 wird schließlich das Modell der deliberativen Demokratie in den Kontext des Internetzeitalters gesetzt. Hierfür werden in den Punkten 4.1, 4.2 und 4.3 die drei o.g. Kriterien auf das Internet bezogen bzw. angewandt. Schließlich wird in den Punkten 4.1.1, 4.2.1 und 4.3.1 der eigentliche Vergleich der NSB mit dem Internetzeitalter vollzogen. D.h. es wird anhand der drei Kriterien überprüft, ob sich (im Vergleich zu den NSB) die Grundvoraussetzungen für deliberative Demokratie durch das Internetzeitalter grundlegend verbessert haben.
2. Modell der deliberativen Demokratie
Ein zentraler Aspekt der Theorie ist die Annahme, dass politische Entscheidungen ausschließlich legitimiert sind, wenn die Öffentlichkeit in den Entscheidungsfindungsprozess des politischen Systems in Form eines öffentlichen Diskurses eingebunden ist. Die deliberative Demokratie und der damit verbundene basisdemokratische Legitimationsanspruch basiert daher auf einer aktiven Partizipation und einem gewissen Maß an politischem Engagement aller Bürgerinnen und Bürger (vgl. Kost 2008: 30).
„ Deliberative democracy refers to the ideal of increasing citizen participation in public deliberation and making collective decision making responsive to public deliberation rather than to economic and social power “ (Rostboll 2008: 2).
Das Ziel der deliberativen Demokratie ist es, politische Entscheidungen von öffentlichen Meinungen abhängig zu machen. Die Meinungen sollen hierbei im Rahmen einer rationalen Diskussion bzw. einer öffentlichen Auseinandersetzung bzw. Deliberation entstehen. Denn nur wenn Entscheidungen des politischen Systems an zivilgesellschaftlich artikulierte öffentliche Meinungen gebunden sind, kann die Legitimität der Entscheidung auch gerechtfertigt werden (vgl. Kost 2008: 30). Deliberative Demokratie schafft also mit Hilfe eines öffentlichen Diskurses, der eine rationale Bildung der öffentlichen Meinung ermöglicht, die Grundlage für eine partizipatorische Gesellschaft. Der Diskurs zwischen den BürgerInnen bzw. die Schaffung von Öffentlichkeit, muss öffentlich stattfinden und für alle Akteure gleichermaßen zugänglich sein und ohne die Beeinflussung durch dritte erfolgen. Das grundlegende Prinzip der deliberativen Demokratie ist, dass die Interessen einzelner nicht ohne eine vorherige öffentliche Diskussion durchgesetzt werden können. Das bedeutet, dass im Modell der deliberativen Demokratie politische Entscheidungen durch einen „ ...Filteröffentlicher Diskussion... “ (Bevc 2007: 295) hindurch müssen. Die öffentliche Diskussion bildet somit die Brücke zwischen der institutionalisierten Öffentlichkeit und der Öffentlichkeit der pluralistischen Gesellschaft. Zusammenfassend kann man sagen, dass deliberative Demokratie auf informellen Netzwerken zwischen den BürgerInnen basiert und somit einen stark basisdemokratischen Charakter besitzt (vgl. Kost 2008: 31). Das politische System im Modell der deliberativen Demokratie ist hierbei auf kollektive Entscheidungen ausgerichtet und folglich an die öffentlichen Netzwerke gebunden und abhängig von einem aktiven und partizipatorischen Engagement aller BürgerInnen. (vgl. Fuchs 2008: 16).
3. Die Neuen Sozialen Bewegungen und Öffentlichkeit
Im folgenden Abschnitt sollen in Punkt 3.1 zuerst die drei bedeutendsten Charakteristika der NSB hervorgehoben werden. Mit Hilfe dieser drei Charakteristika der NSB werden anschließend in Punkt 3.2 drei grundlegende Kriterien für die Anwendbarkeit deliberativer Demokratie herausarbeitet.
Das Aufkommen der Neuen Sozialen Bewegungen geschah im Laufe der 60er bzw. 70er Jahre, hierbei unterschieden sich die Neuen Sozialen Bewegungen von vorherigen Bewegungen in Bezug auf die inhaltlichen Themenschwerpunkte, die Akteure, die räumliche Dimension, die Organisations- und Protestformen, sowie hinsichtlich ihrer Kommunikation und ideologischer Motivation (vgl. Ottersbach 2003: 95). In seinen Ausführungen zum deliberativen Politikkonzept führt Habermas auch an, dass vor allem die informellen Organisationen eine kommunikative politische Willensbildung gewährleisten.
„ Als beispielhaft für Akteure, die dem deliberativenöffentlichkeits verständnis entsprechen, sieht z.B. Habermas soziale Bewegungen an. Diese würden durch ihr agieren aktive deliberativeöffentlichkeitsstrukturen schaffen “ (Fuchs 2008: 186).
Die Neuen Sozialen Bewegungen, zu denen u.a. die Friedens, -Umweltschutz- und Frauenbewegungen zählen, gehören zu den wohl bedeutendsten sozialen Bewegungen in der politischen Forschung. Im Sinne des Models der deliberativen Demokratie basieren die NSB im Kern auf einer im Diskurs verankerten Meinungs- und Willensbildung.
3.1 Charakteristika der Neuen Sozialen Bewegungen
3.1.1 Die neue Reichweite der Neuen Sozialen Bewegungen
Ein Novum bzw. Merkmal der Neuen Sozialen Bewegung war die territoriale Reichweite, welche in dieser Form in vorherigen sozialen Bewegungen nicht vorzufinden war. So waren besonders die Friedens-, die Umwelt-, sowie die Frauenbewegung transnationale Bewegungen, die in zahlreichen Ländern untereinander vernetzt waren. Die transnationale Organisation und Kooperation innerhalb der verschiedenen Bewegungen wurde hauptsächlich durch eine zunehmende Mobilität der Akteure und durch neue technische Mittel des Informationsaustausches und der Kommunikation ermöglicht. Des Weiteren setzten die neuen Sozialen Bewegungen vermehrt auf eine transnationale Organisation, da die thematisierten gesellschaftlichen Probleme kaum auf der Ebene lediglich des Nationalstaates gelöst werden konnten, was besonders auf die Friedens- und für die Umweltbewegung zutrifft (vgl. Ottersbach 2003: 100). Spätestens mit der Bonner Friedensdemonstration im Oktober 1981, welche über 300.000 TeilnehmerInnen zu verzeichnen hatte, gewann die westdeutsche Friedensbewegung die Aufmerksamkeit der nationalen, aber auch internationalen Presse und gewann so an medienpolitischer Macht. Zwar wurden in den internationalen konservativen Medien die deutschen Friedensbestrebungen eher ins Lächerliche gezogen und der Bewegung ein gewisser Anti-Amerikanismus vorgeworfen, jedoch waren die Groß- demonstrationen in fast allen Hauptstädten Westeuropas ein Beweis für die Internationalität der Friedensbewegung. Die internationale Struktur und organisatorische Zusammenarbeit wuchs somit stetig an (vgl. Brand 1986: 216).
In Bezug auf die Neuen Sozialen Bewegungen hält die Kritik, dass ein basisdemokratischer Politikansatz lediglich auf kommunaler Ebene möglich sei, der Internationalität der Bewegungen nicht stand.
„ Allerdings haben die neuen sozialen Bewegungen nicht nur Themen von nationaler oder gar internationaler Reichweite und Relevanz auf die Medienagenda gesetzt, sondern analog ihrer lokalen und regionalen Orientierung auch und besonders solche Sachverhalte problematisiert, die vor Ort von Interesse waren “ (Roth 1991: 363).
Basisdemokratische Bewegungen, die bundesweit oder gar international agieren wollten und wollen, stehen im Prinzip immer vor dem Problem, dass ihnen die Mobilität und die Mittel fehlen, um schnell in geographisch entlegenen und kulturell fremden Gegenden konkreten Druck auf die Entscheidungsträger oder Regierungen vor Ort auszuüben und die Öffentlichkeit politisch zu mobilisieren. Das Problem dabei ist, dass die verschiedenen Formen des basisdemokratischen Protests einer sozialen Bewegung wie z.B. Demonstration, ziviler Ungehorsam, die Gründung von Bürgerinitiativen etc. darauf angewiesen sind, mit wenigen materiellen und finanziellen Ressourcen eine möglichst hohe Zahl Menschen zu mobilisieren. Soziale Bewegungen mobilisierten normalerweise direkt vor Ort die Menschen, die auch unmittelbar von einem bestimmten Thema oder Ereignis betroffen waren. Folglich waren Soziale Bewegungen hauptsächlich regional strukturiert (vgl. Vandamme 2000: 190). Die Milieus dieser Bewegungen waren im Prinzip meist lokal und regional organisiert. Das soziale Netzwerk einer Bewegung erstreckte sich über Kneipen, Zeitungen, Kultureinrichtungen, selbstverwaltete Betriebe und Projekte etc., die jeweils als Kommunikationsorte dem gemeinsamen, gegenseitigen Austausch und der basisdemokratischen Organisation dienten. Die einzelnen Milieus, aus denen sich eine soziale Bewegung zusammensetzte, gestalten sich von Ort zu Ort sehr unterschiedlich. So waren besonders zwischen städtischen und ländlichen Gruppen einer sozialen Bewegung soziale, strukturelle und organisatorische Unterschiede festzustellen (vgl. Roth 1994: 193).
Charakteristisch für die Neuen Sozialen Bewegungen war zudem, dass sie eine eher geringe organisatorische Struktur aufwiesen ohne Bürokratisierung, ohne Zentralisierung und ohne mächtige Führungspositionen. Die NSB gliederten sich somit in zahlreiche autonome und dennoch stark vernetzte Teilbewegungen.
Außerdem bestand eine große Vielfalt an Protestformen mit dem Schwerpunkt direkter Aktionen (vgl. Vandamme 2000: 50). In den Bewegungen wurden Zentralisierungsbestrebungen, welche vereinzelte Kräfte innerhalb der Bewegungen durchaus unterstützten, von der großen Mehrheit als Verletzung der Autonomie der lokalen Gruppen etc. gedeutet und bekämpft.
„ Der Verzicht aufübergreifende Einrichtungen oder ihre schwache und häufig revidierte Institutionalisierung bot den Vorteil, Leitwerte wie Autonomie, Selbsttätigkeit, Selbstverwaltung, direkte Aktionsformen vor Ort zu bewahren “ (Roth 1994: 191).
Zusammenfassend kann man erstens sagen, dass die NSB kein Überbegriff für eine übergreifende nationale oder internationale Organisationseinheit darstellt, welche in regionale und lokale Einheiten untergliedert ist. Vielmehr bezeichnet der Begriff NSB eine weit gefasste politische und ideologisch geprägte Strömung, die durch die Mobilisierung heterogener lokaler Bewegungsmilieus getragen wurde. Zweitens ist festzustellen, dass die unterschiedlichen internationalen, nationalen oder regionalen Themenschwerpunkte dennoch durchaus von Bedeutung für die relativ heterogen zusammengesetzten lokalen Bewegungsmilieus waren. Dennoch waren z.B. nationale Themenschwerpunkte nicht so bedeutend, als dass sie eine lokal vereinheitlichende Strukturierung erwirkten (vgl. Roth 1994: 199).
„ Was, wann und wie aufgegriffen, wofür und mit welcher Intensität mobilisiert wird, variiert lokal erheblich. Dasökologische Motto „ Think globally, act locally “ gilt auch in umgekehrter Richtung: lokale Orientierungen und die Beteiligung anüberregionalen Protesten [gingen] durchaus zusammen “ (vgl. Roth 1994: 199).
Drittens ist ersichtlich, dass für die NSB die national oder international übergreifenden Themen zwar eine wichtige Rolle spielten, lokalspezifische Ereignisse und Themen jedoch im Mittelpunkt der NSB standen. Besonders auch für überregionale, nationale oder internationale Themenschwerpunkte oder Mobilisierungen wurden häufig lokale Bezugspunkte gesucht. Übergreifende Bewegungsthemen wurden so lokal mit eingebunden (vgl. Roth 1994: 199).
3.1.2 Die alternativen Medien
Noch in den Anfängen der 80er Jahre konnte man die deutsche Alternativpresse als eigenständig gegenüber der etablierten Presse bezeichnen. Die exklusive Stellung der Alternativpresse ist auf die Studentenbewegung zurückzuführen. Da die Anliegen der Studentenbewegung in den etablierten Massenmedien kein Gehör fanden, hatte dies die Gründung zahlreicher Gegenprojekte im Bereich der Medien zur Folge (vgl. Oy 2001: 131). Diese stellten sich gegen die gegebene Divergenz von Angebot und Nachfrage an Informationen.
In freien, demokratischen Ländern entsteht die Bildung des Individuums vorwiegend durch die Informationsaufnahme, die Evaluation der Information und die anschließende Verbreitung. Die Diskrepanz zwischen Angebot und Nachfrage an Informationen kann nur dann überwunden werden, wenn eine beteiligte Gesellschaft Themen von allgemeinem Interesse öffentlich macht und vertritt (vgl. Vandamme 2000: 147). Diesen Schritt gingen auch die NSB. Durch die Etablierung einer Alternativ- bzw. Gegenöffentlichkeit pluralisierten sie zunächst die Medienlandschaft. Die Neuen Sozialen Bewegungen dienten somit als eine Art Plattform, welche gesellschaftliche Probleme öffentlich machte und als Sprachrohr marginalisierter Bevölkerungsgruppen agierte (vgl. Ottersbach 2003: 102). Die Schaffung dieser Gegenöffentlichkeit wurde folglich als Gegenmacht zu der dominierenden massenmedialen Kommunikation gesehen. Es wurde hierbei davon ausgegangen, dass die direkte Kommunikation der Alternativpresse eine „authentischere“ Form der Kommunikation darstellte, als dies durch die massenmediale Kommunikation möglich war (vgl. Oy 2001:OC 132).
Ein wichtiger Teilaspekt der direkten Kommunikation ist, dass die Wahl der relevanten Themen „von unten“ heraus entstand. Dies bedeutet, ein Thema wurde zunächst zwischen einzelnen AnhängernInnen bzw. SympathisantInnen der NSB in der Kneipe oder im Café diskutiert und daraufhin gegebenenfalls in sogenannten Kommunikationszentren aufgegriffen. In einem zweiten Schritt wurden die Themen dann durch sogenannte Gatekeeper-Redaktionen, die JournalistInnen alternativer Zeitungen und Medienproduzenten, aufgenommen und schließlich durch die Alternativpresse an die Öffentlichkeit herangetragen (vgl. Ottersbach 2003: 103). Die Vorgehensweise der Themenauswahl in den alternativen Medien ist allerdings auch kritisch zu betrachten. Obwohl die selektive Auswahl von Themen einen Hauptkritikpunkt an den etablierten Massenmedien darstellte, konnten die unabhängigen Medien dennoch keine vollständige Abdeckung aller Themen garantieren. So gelangten nur selektierte Themen in die Berichterstattung alternativer Medien, während andere schon im Vorfeld ausgeschlossen oder über gewisse ExpertInnenkreise hinaus nicht veröffentlicht und diskutiert wurden (vgl. Roth 1991: 363). Dessen ungeachtet wurde den alternativen Medien durch die Verbreitung und Kommunikation der politischen Inhalte der verschiedenen Bewegungen eine zunehmend wichtige Rolle zugeschrieben. Die Bewegungen schufen eine Art alternative Öffentlichkeit in Form von unabhängigen Radiosendern, Lokalzeitungen, sowie Infomagazinen des alternativen Milieus, welche letztendlich die permanente Auseinander- setzung der Öffentlichkeit mit den verschiedenen Protestthemen ermöglichte (vgl. Ottersbach 2003: 103).
Ein Beispiel für die alternativen Medien der Zeit ist der organisierte linke Buchhandel. Er gründete sich thematisch und inhaltlich auf die Neuen Sozialen Bewegungen und führte zu einer verstärkten Aktivität in linksalternativen Wirkungskreisen. Die Bezeichnung „linker Buchhandel“ steht für den Zusammenschluss vieler unabhängiger Verlage und Buchhandlungen, die größtenteils aus der Studentenbewegung der 60er Jahre entstammten. Ein Hauptanliegen des linken Buchhandels war es, eine Alternative zur etablierten Meinung zu bieten. Somit stellte der linke Buchhandel ab 1970 die unerlässliche Basis der Informationsgewinnung vieler Gruppierungen dar. Tatsächlich bedeutete dies, dass jegliche Informationen durch Zeitungen, Bücher oder Broschüren zur Weiterbildung in linksorientierten Zusammenstellungen durch die linke Buchhandlung unzensiert bereitgestellt wurden (vgl. Baumann 2011: 162ff).
Am Beispiel der linken Buchhandlung kann verdeutlicht werden, dass die NSB nicht nur eigene alternative Medien und somit eine gut informierte Gegenöffentlichkeit geschaffen haben, sondern auch etablierte Massenmedien stark beeinflussten. Dieser Einfluss hatte jedoch eine eher langfristige Wirkung und war nicht direkt an der tagespolitischen Berichterstattung der Massenmedien zu erkennen. Bemerkenswert ist auch, dass die etablierten Medien den NSB bzw. dem basisdemokratischen Protest gegenüber eher krtisch bis ablehnend eingestellt waren (vgl. Roth 1991: 359ff).
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