Basisdemokratische Demokratieansätze. Deliberative Demokratie und Rätedemokratie im Vergleich
Zusammenfassung
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Theoretische Begriffsklärung
2.1 Rätedemokratie
2.2 Deliberative Demokratie
3 Vergleich von Deliberativer Demokratie und Rätedemokratie (anhand verhaltensspezifischer Voraussetzungen der Rätedemokratie)
3.1 Homogenität
3.1.1 Die Homogenitätsvoraussetzung des Rätesystems
3.1.2 Homogenität in der Deliberativen Demokratie
3.2 Rationalverhalten
3.2.1 Die Rationalitätsvoraussetzung des Rätesystems
3.2.2 Rationalverhalten in der Deliberativen Demokratie
3.3 Partizipation
3.3.1 Die Partizipationsvoraussetzung des Rätesystems
3.3.2 Partizipation in der Deliberativen Demokratie
3.4 Informationsgleichheit
3.4.1 Die Voraussetzung von Informationsgleichheit im Rätesystem
3.4.2 Informationsgleichheit in der Deliberativen Demokratie
4 Fazit
1 Einleitung
Im folgenden Text sollen zwei basisdemokratische Demokratieansätze die Rätedemokratie und deliberative Demokratie verglichen werden. Ein Vergleich der unterschiedlichen Demokratieansätze ist insofern von Interesse, da beide Ansätze in der Vergangenheit als eher utopische Wunschvorstellungen abgestempelt wurden, die deliberative Demokratie dennoch unter anderem mit dem Aufkommen des Internets wieder an Aufmerksamkeit gewinnen konnte. Trotz nicht zu vernachlässigbarer inhaltlicher Überschneidungen der beiden Demokratieansätze, wird die Rätedemokratie hingegen als nicht realisierbar abgewertet. Daher ist es interessant zu klären, welche Gemeinsamkeiten die beiden Ansätze letztlich verbinden bzw. welche Unterschiede sie verbinden. Der Vergleich soll hierbei jedoch keinen ideengeschichtlichen oder systempolitischen Charakter haben. Vielmehr sollen im Fokus des Vergleichs die verhaltensspezifischen Voraussetzungen bzw. die verhaltenssoziologischen Bedingungen der oben genannten basisdemokratischen Demokratieansätze stehen. Im Verlauf des Textes soll der Frage nachgegangen werden wie viele Gemeinsamkeiten und Überschneidungen die Rätedemokratie und das Modell deliberativer Demokratie besitzen. Der Vergleich soll wie gesagt klären in wie weit die verhaltenssoziologischen Bedingungen der zwei Demokratieansätze übereinstimmen und sich somit auf das verhaltensspezifische handeln der Akteure konzentrieren. Um den verhaltensspezifischen Charakter des Vergleichs zu erreichen, soll die Untersuchung anhand der vier verhaltensspezifischen Voraussetzungen des Rätesystems (Homogenität, Rationalität, Partizipation, sowie Informationsgleichheit) erfolgen. Die vier Kriterien ermöglichen somit eine Untersuchung in Bezug auf die Verhalten und die Interaktion der Akteure innerhalb der Rätedemokratie und der deliberativen Demokratie.
In Punkt 2 soll kurz auf die zu vergleichenden Demokratieansätze der eingegangen werden und eine theoretische Begriffsklärung von Rätedemokratie (Punkt 2.1) und deliberativer Demokratie (Punkt 2.2) erfolgen. Im nächsten Abschnitt (Punkt 3) soll schließlich der Vergleich anhand der verhaltensspezifischen Voraussetzungen der Rätedemokratie durchgeführt werden, welche sich auf die Homogenität der Akteure im Rätesystem (Punkt 3.1), auf das Rationalverhalten (Punkt 3.2), auf die permanente Partizipation der Akteure (Punkt 3.3), sowie auf die Informationsgleichheit als Voraussetzung symmetrischer Kommunikationsprozesse im Rätesystem (Punkt 3.4) begrenzen.
2 Theoretische Begriffsklärung
2.1 Rätedemokratie
In der Geschichte wurden Räte immer dann konstituiert, wenn die herkömmlichen Parteien und Gewerkschaften gegenüber revolutionären bzw. sozialistischen Bewegungen versagten. Der basisdemokratische Charakter der Rätedemokratie ermöglicht einen permanenten und engen Kontakt mit den sogenannten revolutionären Massen. Ein wichtiger Pfeiler und Bestandteil direkter Rätedemokratie ist unter anderem das Prinzip der Öffentlichkeit der Verhandlungen der Räte, welches den Wählern ermöglicht, die politischen Entscheidungsprozesse basisdemokratisch zu kontrollieren.
Die revolutionäre Etablierung einer Rätedemokratie setzt sich aus drei Phasen zusammen. Die erste Phase ist der Kampf um die Ergreifung der Macht. In dieser Phase ist es das Hauptziel die sogenannte Arbeiterschaft von der bürgerlichen Dominanz zu befreien. In der zweiten Phase der Etablierung einer Rätedemokratie, soll die sogenannte Diktatur des Proletariats hergestellt werden. Die zweite Phase ist somit die eigentlich revolutionäre Phase, in der die Arbeiterklasse den Kapitalismus endgültig abschafft. In der dritten Phase wird dann letztendlich eine vollständige in Räten organisierte Herrschaft des Volkes errichtet (vgl. Hist 7186 910a s.S.32ff).
Das Hauptziel der Rätedemokratie ist es, Entscheidungsprozesse von unten, also von der Basis, nach oben, also zu den Delegierten und Mandatsträgern, zu strukturieren. Die Räte treffen basisdemokratische Entscheidungen abhängig von ihren jeweiligen Kompetenzen und delegieren Entscheidungen nach oben, sofern sie inhaltlichen Handlungsbedarf sehen. Die Mandatsträger werden direkt von der Basis delegiert und müssen ihr Abstimmungsverhalten mit dieser abstimmen, denn die gewählten Vertreter sind nicht frei und sind an die Aufträge der Wähler gebunden. Somit sind die Mandatsträger jederzeit kontrollierbar und abrufbar. (vgl. Text Geiling, Demirovic, s.S. 63).
Das grundlegende Prinzip eines Rätesystems ist wie bereits erwähnt, dass der Aufbau von unten nach oben erfolgt, denn somit wird sichergestellt, dass alle Akteure ihre Meinungen auf demokratische Weise mit in die Gestaltung des politischen Systems einbringen können (vgl. EF 294 8 s.S. 58). Die Voraussetzungen für das akteursspezifische Verhalten innerhalb des Rätesystems begrenzen sich auf das Prinzip Homogenität, Rationalität, Partizipation, sowie Informationsgleichheit. Diese vier Prinzipien sind wichtiger Bestandteil jeder Rätedemokratie.
2.2 Deliberativen Demokratie
Das Ziel der Verfechter der deliberativen Demokratie ist es politische Entscheidungen von öffentlichen Meinungen abhängig zu machen. Die Meinungen sollen hierbei im Rahmen einer rationalen Diskussion bzw. einer öffentlichen Auseinandersetzung, also einer Art Deliberation, entstehen. Nur indem Entscheidungen des politischen Systems an zivilgesellschaftlich artikulierte öffentliche Meinungen gebunden sind, kann die Legitimität der Entscheidung gerechtfertigt werden. Deliberative Demokratie ist dabei abhängig von einem aktiven und partizipatorischen Engagement aller BürgerInnen. (vgl. Bevc 2007: 30). „Deliberative democracy refers to the ideal of increasing citizen participation in public deliberation and making collective decision making responsive to public deliberation rather than to economic and social power (FD 50 117 s.S.2).
Deliberative Demokratie schafft also mit Hilfe eines öffentlichen Diskurses, der eine rationale Bildung der öffentlichen Meinung ermöglicht, die Grundlage einer partizipatorischen Gesellschaft. Der Diskurs zwischen den BürgerInnen bzw. die Schaffung von Öffentlichkeit, muss öffentlich stattfinden und für alle Akteure gleichermaßen offen sein und ohne die Beeinflussung durch dritte geschehen. Ein grundlegendes Prinzip der deliberativen Demokratie ist, dass die Interessen einzelner nicht ohne eine vorherige öffentliche Diskussion durchgesetzt werden können. Das bedeutet, dass im Modell der deliberativen Demokratie politische Entscheidungen durch einen „...Filter öffentlicher Diskussion...“ (Kost 2008: s.S.295) hindurch müssen. Die öffentliche Diskussion bildet somit die Brücke zwischen der institutionalisierten Öffentlichkeit und der Öffentlichkeit der pluralistischen Gesellschaft. Zusammenfassend kann man sagen, dass deliberative Demokratie auf informellen Netzwerken zwischen den BürgerInnen basiert und somit einen stark basisdemokratischen Charakter besitzt (vgl. Bevc 2007: 31). Das politische System im Modell der deliberativen Demokratie ist hierbei auf kollektive Entscheidungen ausgerichtet und folglich an die Netzwerke der Öffentlichkeit gebunden (vgl. EF 420 70s.S.16).
3 Vergleich von Deliberativer Demokratie und Rätedemokratie (anhand verhaltensspezifischer Voraussetzungen der Rätedemokratie)
3.1 Homogenität
3.1.1 Die Homogenitätsvoraussetzung des Rätesystems
In einer Rätedemokratie haben die Mitglieder der Gesellschaft die pluralistischen Interessenskonflikte mittels der sozialen Revolution überwunden. Somit kann man eine einheitliche Interessensstruktur innerhalb einer Gesellschaft mit Rätesystem voraussetzen. Mit der Emanzipation der Arbeiterschaft und der Errichtung einer sogenannten Diktatur des Proletariats sollen schließlich die Voraussetzungen für gesellschaftliche Konflikte entfallen.
In der klassenlosen und revolutionären Gesellschaft entsteht Homogenität durch die Abschaffung der Institutionen (wie z.B. Parteien), die einzelne Gruppeninteressen und Ideologien vertreten. Der homogene Volkswille geht somit mittels der Basisversammlungen vom Wähler aus. Letztendlich fordert der Grundsatz der Homogenität die Schaffung eines „neuen Menschen“, dessen Denken und Handeln sich am Wohl der Gemeinschaft orientiert.
Während die Anhänger des Rätesystems der parlamentarischen Demokratie den Vorwurf machen die Gesellschaft in politische Führungsebene und proletarische Masse zu spalten, sehen sie im Rätesystem ein Instrument zur Beseitigung dieser Ungleichheit (vgl. GC 860 21 s.S. 15ff). Die Rätedemokratie ist folglich als ein Modell, das den Volkswillen umsetzen soll und die politische Herrschaft von unten nach oben, also von der Basis zu den Mandatsträgern organisiert. Um dies zu erreichen sind die Mandatsträger lediglich mit einem imperativen Mandat ausgestattet. Wenn man nun den Volkswillen als homogenen Willen voraussetzt, so ist die Etablierung einer Rätedemokratie letztendlich die logische Konsequenz (vgl. Llanque s.S. 414). Die Wähler haben im Rätesystem eine unbeschränkte Kontrolle über die Mitglieder der Räte, die auf Grund der Möglichkeit jederzeit abgewählt werden zu können von sich aus einen engen Kontakt zur Bevölkerung bzw. der Basis suchen. Dies bewirkt zudem, dass die Verwaltungsorgane von unten aufgebaut werden.
Eine grundlegende Voraussetzung für die Handlungsfähigkeit einer Rätedemokratie ist wie bereits erwähnt die Ausschaltung von Konflikten. Diese Utopie einer homogenen und konfliktfreien Gesellschaft durchzieht alle verschiedenen Ausprägungen und Ansätze der Rätebewegung. Eine Folge der Homogenitätsannahme ist die strikte Ablehnung von Parteien und Fraktionen. Da in einer pluralistischen Gesellschaft kein allgemeiner Konsens über die Ziele der Politik besteht, funktioniert die Rätedemokratie folglich nur in einem sozial homogenen System. Die Funktionsfähigkeit eines Rätesystems ist jedoch abhängig von der ideologischen und demokratische Einstellung der Masse (vgl. GC 860 21 s.S. 15ff). Aus der neomarxistischen Sicht wird die soziale und politische Homogenität durch die Sozialisierung der Produktionsmittel ermöglicht. Während Rätesysteme in kapitalistischen Gesellschaftssystemen allenfalls in eigenen Subsystemen etabliert werden könnten, sind Rätesysteme in sozialistischen Gesellschaftssystemen vor allem deshalb funktionsfähig, da dort die Grundvoraussetzung der sozialen Homogenität gegeben ist (vgl Gottslach S.88).
3.1.2 Homogenität in der Deliberativen Demokratie
Das Konzept deliberativer Demokratie ist pluralistisch angelegt. In posttraditionalen Gesellschaften weicht die Homogenität der Gesellschaft jedoch einem hohen Maß an Pluralismus, der sich in Form von gleichberechtigten und miteinander konkurrierenden Lebensformen auswirkt. Im Gegensatz zu einer homogenen Gesellschaft ist in posttraditionalen Gesellschaften die Differenz zwischen den BürgerInnen die Regel.
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