Die Kongokonferenz, die vom 15. November 1884 bis zum 26. Februar 1885 auf Einladung des deutschen Reichskanzlers Bismarck in Berlin stattfand, traf sich unter dem Zeichen der Zivilisation und des Fortschritts in Afrika.
Wie ist diese humanitäre Motivation zu verstehen? Heute scheint es offensichtlich zu sein, dass andere Interessen im Vordergrund standen. Doch war die Konferenz einzig ein Forum, um die kolonialen Bestrebungen Europas in Afrika mit humanitären Argumentationen zu legitimieren?
Inhaltsverzeichnis:
Einleitung
1. Humanitäre Mission kolonialer Bestrebungen
1.1. Europas Selbstbildnis und die Wahrnehmung Afrikas
1.2. Das europäische Konzept von Souveränität
2. Zielsetzungen der Kongokonferenz
2.1. Okkupation oder Protektorat?
2.2. Handelsfragen
2.3. Sklavereiverbot
2.4. Likörimport
2.5. Der „Freistaat Kongo“
3. Anspruch und Wirklichkeit der Kongokonferenz – Ein Fazit
Literatur
Quellen
Anhang
Das 19. Jahrhundert ist das Zeitalter des aufstrebenden Humanitarismus und des humanitären Völkerrechts: So ist der Lieber Code zur Kodifizierung des Kriegsvölkerrechts im amerikanischen Bürgerkriegs eine wichtige Etappe des humanitären Völkerrechts. Die Haager Konventionen wiederum stellen einen Meilenstein der Etablierung kriegsvölkerrechtlicher Regelungen auf internationalem Niveau dar. In das 19. Jahrhundert fällt auch der Beginn humanitärer Interventionen: So schreibt der belgische Universitätsprofessor Égide Arntz, an Gustave Rolin-Jacquemyns, dem Mitbegründer des Institut de droit international in einem, in der renommierten Revue de droit international et de législation comparée veröffentlichten, Brief (ebd.: 675):
Lorsqu'un gouvernement, tout en agissant dans la limite de ses droits de souveraineté, viole les droits de l'humanité, soit par des mesures contraires à l'intérêt des autres États, soit par des excès d'injustice et de cruauté qui blessent profondément nos mœurs et notre civilisation, le droit d'intervention est légitime. Car, quelque respectables que soient les droits de souveraineté et d'indépendance des États, il y a quelque chose de plus respectable encore, c'est le droit de l'humanité, ou de la société humaine, qui ne doit pas être outragé.
Dieser Auszug spiegelt die humanitäre Argumentation wider, die im Glauben an die europäischen Werte, die in andere Gesellschaften exportiert werden sollten, begründet lag (und hier eine militärische Intervention legitimierte).
Im Zusammenhang mit humanitären Einsätzen im weiteren Sinn soll auch von Kolonialisierung gesprochen werden. In der Tat hatte sich diese in vielerlei Hinsicht verändert.
Die Kongokonferenz, die vom 15. November 1884 bis zum 26. Februar 1885 auf Einladung des deutschen Reichskanzlers Bismarck in Berlin stattfand, traf sich unter dem Zeichen der Zivilisation und des Fortschritts in Afrika. Insofern setzte sich die Kongokonferenz mit „colonisation in evolution“ auseinander (De Courcel: 1988).
Wie ist diese humanitäre Motivation zu verstehen? Heute scheint es offensichtlich zu sein, dass andere Interessen im Vordergrund standen. Doch war die Konferenz einzig ein Forum, um die kolonialen Bestrebungen Europas in Afrika mit humanitären Argumentationen zu legitimieren? Ich zeige in dieser Arbeit, wie auf der Konferenz humanitäre, politische, wirtschaftliche und rechtliche Fragen miteinander verbunden waren und frage, ob sie letztendlich nur „a collection of humanitarian banalities“ (Louis 2006: 60) behandelte oder ob sie tatsächlich neue internationale Standards bezüglich des Umgangs mit Eingeborenen gesetzt hat.
In Kapitel Eins werden theoretische Prinzipien des europäischen Handelns in Afrika dargelegt. Hier wird insbesondere auf die humanitäre Motivation und die westliche Souveränitätskonzeption eingegangen. Im zweiten Teil werden konkrete Zielsetzungen der Kongokonferenz durchleuchtet, um am Ende ein Résumé über Anspruch und Wirklichkeit der Konferenz zu ziehen.
Da in den englischen und französischen Quellen sowie in der Literatur die Begriffe ,humanitarian´ bzw. ,humanitaire´ gebraucht werden und mangels eines geeigneteren Begriffs, soll hier ,humanitär´ benutzt werden – auch wenn Humanitäres Völkerrecht eher das Kriegsvölkerrecht umfasst. In dieser Arbeit soll es nicht um die Begrifflichkeit des Humanitarismus gehen, sondern um den Anspruch der Kongokonferenz, humanitäre Ziele (nach westlicher Definition) zu erfüllen. Im Allgemeinen soll der Begriff daher in Anlehnung an die Präambel der Kongo-Akte synonym zu „moral and material well being of the indigenous populations“ verwendet werden.
1. Humanitäre Mission kolonialer Bestrebungen
1.1. Europas Selbstbildnis und die Wahrnehmung Afrikas
Neben deutschen Völkerrechtlern, die die Kolonialisierung gewissermaßen als „natural drive“ betrachteten (Koskenniemi 2004: 109), befürworteten auch Missionare und Forschungsreisende wie David Livingstone die europäischen Bestrebungen. So glaubte Livingstone an den fortschrittlichen Motor des Kolonialismus. Für ihn konnte Missionsarbeit nur in Verbindung mit wirtschaftlicher Entwicklung erfolgreich sein, Europäer müssten den Afrikanern daher neue Produktionstechniken lehren (Gann 1988: 322-323). Optimistisch schreibt er zwei Jahrzehnte vor der Kongokonferenz: „[...]as regards the future, the first white man cannot but feel [a peculair interest] in a continent whose history is just beginning[...]“ (Livingstone zitiert nach Chamberlain 1999: 94).
Auch Intellektuelle aus anderen Bereichen, wie Victor Hugo, hielten die Kolonialisierung Afrikas für gerechtfertigt. Hugo, der sich als Schriftsteller für die sozial Schwachen engagierte, sah die Legitimation der europäischen Expansion vor allem in der zivilisatorischen Überlegenheit Europas: „La Méditerranée est un lac de civilisation; ce n’est certes pas pour rien que la Méditerranée a sur l’un de ses bords le vieil univers et sur l’autre l’univers ignoré, c’est-à-dire d’un côté toute la civilisation et de l’autre toute la barbarie.“ Gar sprach Hugo Afrika als einzigen Kontinent eine eigene Geschichte ab: „Quelle terre que cette Afrique! L’Asie a son histoire, l’Amérique a son histoire, l’Australie elle-même a son histoire; l’Afrique n’a pas d’histoire.“ Die europäischen Großmächte waren in dieser Logik Wohltäter, die dem Schrecken ein Ende bereiten würden: „Eh bien, cet effroi va disparaître. Déjà les deux peuples colonisateurs, qui sont deux grands peuples libres, la France et l’Angleterre, ont saisi l’Afrique; […]“ (ebd.: 124-125).
Auch Begriffe, die im Zuge der Kolonialisierung gebraucht wurden, wie ,Protektorat´, ,Schutzgebiete´ und später in der Satzung des Völkerbunds das ,Mandat´ für Völker der vom Deutschen Reich abzutretenden Kolonien, „which are inhabited by peoples not yet able to stand by themselves under the strenuous conditions of the modern world “ (Art. 22) implizierten eine gewisse Verantwortung gegenüber den „natives“ (Ndahinda 2011: 304).
Dieses Bewusstsein gegenüber den Eingeborenen findet man auch bei Jules Ferry, dem französischen Außenminister von 1883-85. In einer Ansprache an die Abgeordnetenkammer am 28.07.1885 insistierte er: „Je répète qu'il y a pour les races supérieures un droit, parce qu'il y a un devoir pour elles. Elles ont le devoir de civiliser les races inférieures.“ Zudem grenzte er die neuen Aufgaben von früherer Kolonialpolitik ab: „Ces devoirs, messieurs, ont été souvent méconnus dans l'histoire des siècles précédents, et certainement, quand les soldats et les explorateurs espagnols introduisaient l'esclavage dans l'Amérique centrale, ils n'accomplissaient pas leur devoir d'hommes de race supérieure.
Unter den Völkerrechtlern war selbst Joseph Hornung, der sich als „humanitarian radical" (Koskenniemi 2004: 130) den Rechten der Eingeborenen verschrieb und deren Ausbeutung unter christlichem Deckmantel kritisierte (Hornung 1885: 554-555) von dem Potenzial, humanitäre Motive im Zuge der Kolonialisierung umzusetzen, überzeugt. Für ihn kam dieser menschliche Antrieb auf der Konferenz zutage (ebd.: 14):
Donc, un principe nouveau a été posé au congrès de Berlin, celui de l'intervention des États les plus civilisés en faveur des nationalités opprimées et du droit violé. Il ne reste plus qu'à généraliser l'idée, en l'élevant au-dessus des considérations de religion ou de race en lui donnant une portée vraiment humanitaire. C'est ce qui aura lieu inévitablement. La logique gouverne le monde, et il n'est loisible à personne de poser un principe en stipulant que c'est seulement pour tel ou tel cas. Les principes ont une valeur absolue et produisent nécessairement leurs conséquences.
Auch Hornung sah also Kolonialisierung als unterstützenswert an und glaubte, aus humanitärer Sicht und ausgehend von einem universellen Wert des Völkerrechts, an ihre Legitimität.
Zivilisatorische Motive kommen auch in Bismarcks Eröffnungsrede der Berliner Konferenz zum Ausdruck. So stellt er zu Beginn seiner Ansprache heraus, „[...] dass alle eingeladenen Regierungen den Wunsch teilen, den Eingeborenen Afrikas den Anschluss an die Zivilisation zu ermöglichen, indem das Innere dieses Kontinents für den Handel erschlossen wird, indem man seinen Bewohnern Bildungsmöglichkeiten verschafft, indem man Missionen und Unternehmen dazu ermutigt, die notwendigen Kenntnisse zu verbreiten, [...]“. In der Präambel General-Akte der Konferenz hieß es dann, dass alle unterzeichnenden Staaten auf die Verbesserung der „conditions most favorable to the development of commerce and of civilization in certain regions of Africa“ und des „moral and material well being of the indigenous populations“ bedacht wären.
[...]