Theodor Storm "Der Schimmelreiter". Zwischen phantastischem Stil und rationalistischer Erklärung
Zusammenfassung
Dieses Zitat beinhaltet wichtige Formulierungen für diese Arbeit. Im Mittelpunkt soll die Konflitklösung zwischen der rationalistischen Argumentation und dem starken Einfluss der Phantastik stehen. Insbesondere inwieweit die Erzählung des aufklärerischen Schulmeisters die Handlung und die Figur Hauke Haien inszeniert. Dabei sollen der Einfluss der anderen Dorfbewohner und vor allem der alternativen Erzählerin Antje Vollmers nicht ausgelassen werden. Ich möchte beweisen, dass die Erzählung um Hauke Haien durch verschiedene Aspekte stark subjektiviert wird und eine klare Trennung von der realen und der fiktiven Darstellung während des Lesens kaum möglich ist, sondern erarbeitet werden muss.
Dazu werde ich stark textanalytisch argumentieren und nur zu Beginn literatursoziologisch interpretieren. Dies soll ansonsten nur im Hintergrund geschehen und nur dort in Erscheinung treten, wo ein Verzicht unabdingbar ist, da die Textanalyse für diese Arbeit von deutlich höherer Wichtigkeit ist. Auch Informationen über den Autor und die Produktion des Textes werden dem Textanalytischen hintenangestellt.
Inhaltlich wird so vorgegangen, dass nach einem kurzen Blick auf Theodor Storms Bezug zur Phantastik speziell die Phantastik der Rahmenhandlung und getrennt davon, die der Binnenhandlung analysiert werden und mit den rationalistischen Aspekten des Textes in Verbindung gebracht wird. Dabei ist eine nähere Betrachtung des Schulmeisters, als einen der Erzähler, unumgänglich.
Leseprobe
Inhalt
EINLEITUNG
1. Literarische Phantastik zur Zeit Theodor Storms
2. „Der Schimmelreiter“ und die Phantastik
2.1 Das Phantastische in der Rahmenerzählun
2.2 Das Phantastische in der Binnenhandlun
Resümee
Quellen- und Literaturverzeichnis
EINLEITUNG
„Effektvoll inszeniert Storm in seiner letzten vollendeten, 1888 erstmals gedruckten Novelle den Auftritt des gespenstischen Reiters in der Schwebe zwischen Authentizität und Fiktion, halb Sagengestalt, halb Novellenfigur.“[1]
Dieses Zitat beinhaltet wichtige Formulierungen für diese Arbeit. Im Mittelpunkt soll die Konflitklösung zwischen der rationalistischen Argumentation und dem starken Einfluss der Phantastik stehen. Insbesondere inwieweit die Erzählung des aufklärerischen Schulmeisters die Handlung und die Figur Hauke Haien inszeniert. Dabei sollen der Einfluss der anderen Dorfbewohner und vor allem der alternativen Erzählerin Antje Vollmers nicht ausgelassen werden. Ich möchte beweisen, dass die Erzählung um Hauke Haien durch verschiedene Aspekte stark subjektiviert wird und eine klare Trennung von der realen und der fiktiven Darstellung während des Lesens kaum möglich ist, sondern erarbeitet werden muss.
Dazu werde ich stark textanalytisch argumentieren und nur zu Beginn literatursoziologisch interpretieren. Dies soll ansonsten nur im Hintergrund geschehen und nur dort in Erscheinung treten, wo ein Verzicht unabdingbar ist, da die Textanalyse für diese Arbeit von deutlich höherer Wichtigkeit ist. Auch Informationen über den Autor und die Produktion des Textes werden dem Textanalytischen hintenangestellt.
Inhaltlich wird so vorgegangen, dass nach einem kurzen Blick auf Theodor Storms Bezug zur Phantastik speziell die Phantastik der Rahmenhandlung und getrennt davon, die der Binnenhandlung analysiert werden und mit den rationalistischen Aspekten des Textes in Verbindung gebracht wird. Dabei ist eine nähere Betrachtung des Schulmeisters, als einen der Erzähler, unumgänglich.
1. Literarische Phantastik zur Zeit Theodor Storms
Im poetischen Realismus beherrscht Theodor Storm eine Vorrangstellung als phantastischer Erzähler. An seiner Seite wäre noch Theodor Fontane zu nennen, der streckenweise auch verschiedene phantastische Aspekte in seine Romane einbaut.
Storm hingegen vertieft den Realismus phantastisch und dringt in die Tiefe der Wirklichkeit und des Bewusstseins.[2] Er verfügt über ein exzellentes Verständnis der Wirklichkeit und betrachtet den Menschen nicht als grobes Äußeres, sondern ist in der Lage in ihn einzutauchen. Dies ist gerade für die Phase des Realismus sehr bemerkenswert. Dabei ist er aber absolut nicht darauf aus, das Schöne und Wirkungsvolle jedes einzelnen Menschen herauszufiltern. Storm sucht vielmehr nach den Gründen und der Motivation der Menschen die Welt zu verunzieren.
Wie in seiner Novelle „Der Schimmelreiter“ steht dabei oft der Egoismus des Menschen im Vordergrund. Dabei kann der Egoismus mehrfach gedeutet werden. Als eine Art „Aufnahme“ der phantastischen Motive oder jedoch gegensätzlich dazu als (versuchte) Distanz zum Okkulten.
„Phantastik, das ist die Überzeugung des realistischen Erzählers, liegt im einzelnen selbst begründet.“[3] Dies bedeutet, dass die Menschen, deren Bewusstsein selbst schon verzerrt ist, die Welt verunstalten. Der Glaube an den Machtwechsel hin zum Verstand kann dabei schnell untergehen.
Wichtig zu erwähnen, ist natürlich, dass Storms phantastische Novelle zur Zeit der großen Ausbreitung des Kapitalismus entstand. „Man hat […] die Frage gestellt, ob es sich hier um eine Kritik oder eine Idealisierung des gründerzeitlichen Übermenschen […] handle.“[4] Gerade hier beriefen sich die Menschen ja darauf, was ihre Sinne wahrnehmen. Übernatürliches und Illusionäres wird stark kritisiert bzw. gänzlich als unwahr bezeichnet. Daher ist dem Werk Theodor Storms eine noch größere Bedeutung zuzutragen.
2. „Der Schimmelreiter“ und die Phantastik
2.1 Das Phantastische in der Rahmenerzählung
Die Rahmenerzählung ist von großer Bedeutung für die Interpretation des Textes. Sie führt sehr schnell den Konflikt zwischen der Realwelt und dem Phantastischen ein. Der Leser bekommt hier eine Ahnung davon, wie er weiter mit den spukhaften und teilweise imaginären Geschehnissen umgehen muss. Storm legt nahe, dass er die Sage um den „Deichspuk“ in eine Novelle übertragen will. Dabei stand er vor der Aufgabe, das Phantastische ins Reale zu überführen.[5] Daher scheint der Unterschied zwischen dem Wunderbaren und dem Realen kaum zu erkennen bzw. kaum erklärbar.
Textanalytisch fällt auf, dass Storm von Beginn an eine unheimliche Atmosphäre schafft. Als Beispiel wären dort „die öde, bereits von allem Vieh geleerte Marsch“[6], die „wüste Dämmerung“[7], „der halbe Mond“[8] und „treibende(m) Wolkendunkel“[9] zu nennen. Storm bereitet so durch gezielte Einschübe das Treffen des einsamen Reiters mit dem sagenhaften Schimmelreiter vor. Während der Begegnung selbst fällt die spekulative Schilderung des Reiters auf. Der Reiter glaubte eine Gestalt zu sehen, er hörte nichts, es war ihm so, als sähe er weisen auf eine klare Verstrickung des Mythischen und des Realen hin. Dies wird unterstützt von der „konjunktivische Darstellungsweise“[10]. Obwohl das Treffen in seiner Gesamtheit sehr unscheinbar bleibt, irritiert, dass in der weiteren Lektüre des Textes die Schilderung der dunklen Gestalt kongruent zum Aberglauben der Bevölkerung ist. Dies wird vor allem beim ersten Treffen des Reisenden mit der Dorfbevölkerung im Gasthaus deutlich. Sein Bericht über das Geschehen löst großes Erschrecken aus.[11] Dem gegenüber steht der aufgeklärte Schulmeister, der versucht den Spuk und den Aberglauben nicht an sich herantreten zulassen. Der phantastische Glaube und das rationale Denken werden hier personal getrennt.[12] Obwohl der Schulmeister der Dorfbevölkerung alleine gegenüber steht, wird ihm das Erzählen der Geschichte überlassen. Doch auch er als verständiger, aufgeklärter Mann räumt ein, dass er die Geschichte nicht ganz ohne abergläubischen Einfluss erzählen kann und es sei „eine Kunst, es ohne diesen zu erzählen“[13]. Sehr wichtig an dieser Stelle ist, dass es mit Antje Vollmers eine Alternativerzählerin gäbe. Bei ihr seien „derlei Geschichten am besten in Verwahrung […].“[14] Der „Drachen“[15], wie sie der Schulmeister bezeichnet, würde die Geschichte mit deutlich mehr Aberglaube erzählen, da sie sich, ähnlich wie die Dorfbewohner, damit identifiziert. Die realistischen Argumente würden bei ihr wohl gänzlich untergehen. Sie würde also im starken Kontrast zu Storm selbst stehen. Mit Sicherheit ein Grund, warum er es dem Schulmeister überlässt, die Geschichte von Hauke Haien zu erzählen. Er schützt seine eigene Position.[16]
[...]
[1] Freund, Winfried: Heros oder Dämon? Theodor Storm: Der Schimmelreiter (1888). In: Deutsche Novellen: von der Klassik bis zur Gegenwart. Hrsg. von Winfried Freund. 2. Auflage. München: UTB 1998. S. 187 – 198.
[2] Vgl. Freund, Winfried: Literarische Phantastik: die phantastische Novelle von Tieck bis Storm. 1. Auflage. Stuttgart: Kohlhammer 1990. S.144.
[3] Ebd. S.145.
[4] Vincon, Hartmut: Theodor Storm. 1. Auflage. Stuttgart: Metzler 1973. S.65.
[5] Freund, Winfried: Theodor Storm. Der Schimmelreiter. Glanz und Elend des Bürgers. Paderborn: Schöningh 1984. S. 44.
[6] Storm, Theodor: Der Schimmelreiter. Stuttgart: Reclam 2001. S.3.
[7] Ebd. S.4.
[8] Ebd.
[9] Ebd.
[10] Freund, W.: Theodor Storm. S.45.
[11] Vgl. Storm, Theodor: Der Schimmelreiter. S.7.
[12] Vgl. Freund, W.: Theodor Storm. S.45.
[13] Storm, Th.: Der Schimmelreiter. S.8.
[14] Ebd.
[15] Ebd.
[16] Hildebrandt, Klaus: Theodor Storm, Der Schimmelreiter: Interpretation von Klaus Hildebrandt. Bd. 42. 2. Auflage. München: Oldenbourg 1999. S.30.