Libertador, Padre de la Patria – dies sind nur zwei der Titel, die Simón Bolívar bereits zu Lebzeiten gegeben wurden. Er ging als der Befreier Lateinamerikas in die Geschichte ein, als einer der größten Heerführer der Menschheitsgeschichte. Doch Bolívar war mehr: Sein politisches Handeln reichte weit über das Erringen der Unabhängigkeit hinaus. Er war einer der führenden Köpfe beim Aufbau staatlicher Strukturen in den zu Beginn des 19. Jh. neue entstandenen lateinamerikanischen Staaten.
Im Rahmen des Seminars „Befreiung und Neuordnung im lateinamerikanischen Gesellschaftsdiskurs des 19. Jahrhunderts“ habe ich mich mit Simón Bolívar als Libertador und Vordenker einer hispanoamerikanischen Konföderation sowie seinen Ideen vom Aufbau eines Staates auseinandergesetzt. Um sein politisches Denken vorzustellen, gebe ich im zweiten Kapitel zunächst einen kurzen Überblick über Faktoren, die Bolívar in seiner Zeit vor dem Unabhängigkeitskampf entscheidend geprägt haben. Im dritten Kapitel, dem Hauptteil meiner Arbeit, folgt die Darlegung der Ansichten des Libertador über das Staatswesen – untergliedert in seinen Traum von einer Konföderation Amerika, seine Haltung gegenüber anderen sozialen Schichten, wobei ich besonders auf die indigene Bevölke-rung und die Sklaven eingehe, und schließlich seine Vorstellungen vom Staatsaufbau allgemein, unterteilt nach besonders bedeutenden Schriften bzw. Reden Bolívars. Das vierte und letzte Kapitel beschreibt den Niedergang des Libertador und sein Ende.
Bolívars politisches Gedankengut ist von großer Bedeutung für den lateinamerikanischen Gesellschaftsdiskurs zu Beginn des 19. Jahrhunderts, da Bolívar als Befreier den Grundstein vieler der neu entstehenden Staaten legte und entscheidend am Aufbau einer neuen Gesellschaftsordnung beteiligt war. Zudem ist sein Einfluss ungebrochen. Selbst fast 200 Jahre nach seinem Tod ist sein Name in aller Munde und wird von vielen führenden Politikern Lateinamerikas gern zur Rechtfertigung ihrer Politik herangezogen. Doch ist es vor allem der Befreier Bolívar, auf den Bezug genommen wird, während seine Vorstellungen vom Aufbau eines Staatsapparates dabei eher in den Hintergrund geraten. Ziel dieser Ar-beit ist es, eben diese Ansichten Bolívars über Staat und Gesellschaft in Lateinamerika genauer zu beleuchten und die seiner Politik zu Grunde liegende Weltanschauung herauszuarbeiten.
Inhalt
1. Einleitung
2. Die Geburt des Libertador
3. Bolívars Ideen zur politischen Ordnung Lateinamerikas
3.1 Der Traum einer Konföderation Amerika
3.2 Ansichten über soziale Schichten
3.2.1 Indigene Bevölkerung
3.2.2 Sklaven
3.3 Vorstellungen vom Staatsaufbau
3.3.1 Manifiesto de Cartagena (1812)
3.3.2 Carta de Jamaica (1815)
3.3.3 Rede von Angostura (1819)
3.3.4 Bolivianische Verfassung (1826)
4. Das Ende des Libertador
5. Schlussbemerkung
6. Bibliographie
6.1 Printquellen
6.2 Elektronische Quellen
1. Einleitung
Libertador, Padre de la Patria – dies sind nur zwei der Titel, die Simón Bolívar bereits zu Lebzeiten gegeben wurden. Er ging als der Befreier Lateinamerikas in die Geschichte ein, als einer der größten Heerführer der Menschheitsgeschichte. Doch Bolívar war mehr als ein Befreier und Soldat – sein politisches Handeln reichte weit über das Erringen der Unabhängigkeit hinaus. Er war einer der führenden Köpfe beim Aufbau staatlicher Strukturen in den zu Beginn des 19. Jahrhunderts neue entstandenen lateinamerikanischen Staaten.
Im Rahmen des Seminars „Befreiung und Neuordnung im lateinamerikanischen Gesellschaftsdiskurs des 19. Jahrhunderts“ habe ich mich mit Simón Bolívar als Libertador und Vordenker einer hispanoamerikanischen Konföderation sowie seinen Ideen vom Aufbau eines Staates auseinandergesetzt. Um sein politisches Denken vorzustellen, gebe ich im zweiten Kapitel zunächst einen kurzen Überblick über Faktoren, die Bolívar in seiner Zeit vor dem Unabhängigkeitskampf entscheidend geprägt haben. Im dritten Kapitel, dem Hauptteil meiner Arbeit, folgt die Darlegung der Ansichten des Libertador über das Staatswesen – untergliedert in seinen Traum von einer Konföderation Amerika, seine Haltung gegenüber anderen sozialen Schichten, wobei ich besonders auf die indigene Bevölkerung und die Sklaven eingehe, und schließlich seine Vorstellungen vom Staatsaufbau allgemein, unterteilt nach besonders bedeutenden Schriften bzw. Reden Bolívars. Das vierte und letzte Kapitel beschreibt den Niedergang des Libertador und sein Ende.
Bolívars politisches Gedankengut ist von großer Bedeutung für den lateinamerikanischen Gesellschaftsdiskurs zu Beginn des 19. Jahrhunderts, da Bolívar als Befreier den Grundstein vieler der neu entstehenden Staaten legte und entscheidend am Aufbau einer neuen Gesellschaftsordnung beteiligt war. Zudem ist sein Einfluss ungebrochen. Selbst fast 200 Jahre nach seinem Tod ist sein Name in aller Munde und wird von vielen führenden Politikern Lateinamerikas gern zur Rechtfertigung ihrer Politik herangezogen. Doch ist es vor allem der Befreier Bolívar, auf den Bezug genommen wird, während seine Vorstellungen vom Aufbau eines Staatsapparates dabei eher in den Hintergrund geraten. Ziel dieser Arbeit ist es, eben diese Ansichten Bolívars über Staat und Gesellschaft in Lateinamerika genauer zu beleuchten und die seiner Politik zu Grunde liegende Weltanschauung herauszuarbeiten.
2. Die Geburt des Libertador
¡Juro delante de usted; juro por el Dios de mis padres; juro por ellos; juro por mi honor, y juro por mi Patria que no daré descanso a mi brazo, ni reposo a mi alma, hasta que haya roto las cadenas que nos oprimen por voluntad del poder español! (Bolívar 1983: 28)
Diese bekannten Sätze gelten als die Geburtsstunde des Libertador. Bolívar deklamierte sie vor seinem Lehrer und Mentor Simón Rodríguez auf dem Monte Sacro in Rom, am 15. August 1805. Doch wie kam Bolívar an diesen Punkt, an dem er sich dem Freiheitskampf verschrieb? Es lag natürlich an der Zeit: Revolution lag in der Luft. Die Vereinigten Staaten waren vor kurzem gegründet worden, die Französische Revolution lag wenige Jahre zurück und überall auf dem lateinamerikanischen Kontinent regten sich Unabhängigkeitsbestrebungen. Vieles hatte auch mit Bolívars Erziehung zu tun – mit Simón Rodríguez, der ihn mit den Gedanken der Aufklärung vertraut machte und ihn auf seiner Europareise begleitete, aber auch mit seinem Aufenthalt in Paris. Dort fand 1804 ein Ereignis statt, dem Bolívar beiwohnte und das ein einschneidendes Erlebnis für ihn werden sollte: die Kaiserkrönung Napoleons. Bolívar selbst beschreibt viele Jahre später den unauslöschlichen Eindruck, den diese Zeremonie in seiner Seele hinterließ:
Ví en París, en el último mes del año de 1804, el coronamiento de Napoleón : aquel acto o función magnífica me entusiasmó, pero menos su pompa que los sentimientos de amor que un inmenso pueblo manifestaba al héroe francés; aquella efusión general de todos los corazones, aquel libre y espontáneo movimiento popular excitado por las glorias, las heroicas hazañas de Napoleón, vitoreado, en aquel momento, por más de un millón de individuos, me pareció ser, para el que obtenía aquellos sentimientos, el último grado de aspiración, el último deseo como la última ambición del hombre. La corona que se puso Napoleón en la cabeza la miré como una cosa miserable y de estilo gótico: lo que me pareció grande fue la aclamación universal y el interés que inspiraba su persona. Esto, lo confieso, me hizo pensar en la esclavitud de mi país y en la gloria que cabría al que lo libertase; pero ¡cuan lejos me hallaba de imaginar que tal fortuna me aguardaba! Más tarde, sí, empecé a lisonjearme con que algún día pudiera yo cooperar a su libertad, pero no con que haría el primer papel en tan grande acontecimiento. (de Lacroix 2008: 89f.)
Von diesem Moment an liegt ihm nicht nur das Schicksal seines „versklavten“ Landes auf dem Herzen, sondern dies ist ebenso der Beginn seiner Sehnsucht nach Ruhm. Alles, was er tat, war stets auch der Versuch, sich selbst ein Denkmal zu errichten. Das Streben nach Ruhm und Macht durchzog sein politisches Handeln. 19 Jahre sollten vergehen bis zum endgültigen Sieg über die Spanier in Ayacucho; den Verlauf des Unabhängigkeitskriegs zu erklären, würde hier allerdings zu weit führen und ist zudem für diese Arbeit nicht von Bedeutung. Es genügt zu wissen, dass die Befreiung Venezuelas, des Landes Bolívars, nicht im ersten Anlauf gelang, sondern die ersten beiden Versuche des Aufbaus einer unabhängigen Republik Venezuela scheiterten. Dies hinterließ einen tiefen Eindruck in der Seele Bolívars und hatte entscheidende Auswirkungen auf sein politisches Gedankengut. Mit dem Sieg in Ayacucho 1824 war Lateinamerika schließlich endgültig frei. Doch dies war nicht das Ende. Hier begann die zweite Phase in Bolívars Karriere.
3. Bolívars Ideen zur politischen Ordnung Lateinamerikas
Die spanischen Truppen waren nun also besiegt – die Unabhängigkeit war erkämpft. Doch mit dem Zusammenbruch der Kolonialherrschaft begann die schwierige Arbeit des Aufbaus eines Staatsapparates in den neu entstandenen lateinamerikanischen Staaten. Viele Fragen kamen auf: Welche politische Struktur, welches Regierungsmodell sollten die neu-en Staaten anwenden? Wer sollte regieren, wer sollte das Wahlrecht erhalten? Wie würde die weiße Oberschicht mit anderen Teilen der Bevölkerung umgehen? Bolívar war ein großartiger Redner und äußerte sich in einer Vielzahl von Ansprachen und auch in Briefen bzw. Manifesten zu diesen Themen. Im Folgenden soll näher auf seine Vorstellungen von einer politischen Neuordnung Lateinamerikas eingegangen werden.
3.1 Der Traum einer Konföderation Amerika
Bolívar kämpfte für die Befreiung ganz Amerikas. Nie beschränkte er sich auf einzelne Gebiete und das nicht nur in Bezug auf den Unabhängigkeitskampf: Bolívars Traum war eine Konföderation Amerika, ein Kontinent vereint wie zu Zeiten der spanischen Kolonial-herrschaft, doch nun unter einer lateinamerikanischen Zentralregierung. Das erste Mal verlieh er diesem Gedanken 1814 Ausdruck. Im Januar berief er in Caracas eine Volksversammlung ein, vor der sein im Sommer 1813 eingesetzter Staatssekretär Antonio Muñoz Tébar eine Erklärung verlas, die Bolívar zuvor verfasst hatte. Dieser beschwor darin zu-nächst die geplante Vereinigung Venezuelas mit Neugranada, ging dann jedoch darüber hinaus. Seine Forderung: “por qué toda la América meridional no se reuniría bajo un gobierno único y central?” (Bolívar 1983: 84) Diese Idee der Vereinigung ganz Lateinamerikas unter eine Zentralregierung erschien Bolívar durchaus nicht abwegig – schließlich war es dem Mutterland Spanien über Jahrhunderte gelungen, den Kontinent mit eiserner Faust aus der Ferne zu regieren. Mit diesem Konföderationsplan verfolgte Bolívar ein ein-faches Ziel: Stärke. Stärke, so seine Meinung, könne nur durch Einheit entstehen und die Bildung von Nationalstaaten wirke jeglichem Bestreben nach Einheit automatisch entgegen. Als abschreckendes Beispiel in dieser Hinsicht führte er Europa an:
Las lecciones de la experiencia no deben perderse para nosotros: el espectáculo que nos ofrece la Europa, inundada en sangre por restablecer un equilibrio que siempre está perturbado, debe corregir nuestra política, para salvarla de aquellos sangrientos escollos; si nuestro continente se dividiera en naciones, como en la Europa; si guiaran al gobierno americano los principios que generalmente dirigen los gabinetes de aquélla, nosotros tendríamos también las oscilaciones del equilibrio continental y derramaríamos la sangre que ella inmola al pie de este ídolo de su política. (Bolívar 1983: 84)
Die Vereinigung Lateinamerikas unter einer Zentralregierung hätte, so Bolívar, noch eine weitere positive Auswirkung: Ein starkes Amerika wäre ein Ausgleich zur Macht Europas, das so nicht mehr die alleinige Vormachtstellung in der Welt innehätte. Bolívar bezeichnete dies als die Balance des Universums, die man in der Politik berücksichtigen müsse. Dieser Gedanke der Stärke durch Einheit zieht sich wie ein roter Faden durch die Reden des Libertador. Das Gleiche gilt jedoch auch für ein anderes Motiv: Bolívars Streben nach Ruhm. Die Worte, die er seinem Minister in den Mund legt, sind bezeichnend:
V. E. a quien la América contempla victorioso, que es la admiración y la esperanza de sus conciudadanos, es el más propio para reunir los votos de todas las regiones meridionales, y ocuparse desde ahora en hacer a un tiempo la gran Nación Americana y preservarla de los males que ha traído a la Europa el sistema de sus naciones. (Bolívar 1983: 84)
Bolívar sah sich als Hoffnung des Kontinents und als Einzigen, der alle Regionen Süd-amerikas als eine einzige amerikanische Nation vereinen konnte. Es gelang ihm, diktatorische Vollmachten zu erhalten, indem er die Niederlegung seiner Ämter ankündigte, woraufhin ihn die Versammlung vom Gegenteil zu überzeugen versuchte. All dies erinnert deutlich an die Ernennung Napoleons zum Ersten Konsul auf Lebenszeit und diese Parallele war auch durchaus gewünscht (vgl. de Madariaga 1986: 334f.). Schließlich, wie bereits erwähnt, bewunderte Bolívar den Franzosen sehr und war von seiner Selbstkrönung tief beeindruckt. In ihrer Sehnsucht nach Ehre waren sich beide sehr ähnlich.
Diese zwei Prinzipien – Stärke durch Einheit und das Streben nach Ruhm – sollten Bolívars politisches Handeln bestimmen. Seine Reden und seine Politik weisen jedoch auch noch eine andere bedeutende Charakteristik auf: einen gewissen Pragmatismus, eine Anpassung seiner Ideale an die Wirklichkeit – vielleicht eines der grundlegenden Elemente jeglicher Politik. Erwiesen sich seine Ideen als nicht umsetzbar, wandelte er sie der Realität vor Ort entsprechend ab. Man könnte dies als Opportunismus bezeichnen und womöglich war es das teilweise auch, doch hatte Bolívar nur zu oft keine andere Wahl als Kompromisse zu schließen und seine Ideale anzupassen. Dieses Prinzip zeigt sich bereits im Traum von der Konföderation Amerika. Im September 1815 verfasste Bolívar seine berühmte Carta de Jamaica. Nicht einmal zwei Jahre waren seit der Erklärung vor der Volksversammlung in Caracas vergangen, doch hatte sich die Situation Venezuelas in dieser Zeit radikal verändert. Die Zweite Republik war gescheitert – einmal auf Grund der Übermacht der Spanier, aber auch durch die mangelnde Einheit der unterschiedlichen Regionen und Bevölkerungsschichten Venezuelas. Bolívar musste sein Land verlassen und fand sich im Exil auf Jamaica wieder. Nach langen düsteren Monaten der Verbitterung über sein Scheitern erkannte er, dass der Unabhängigkeitskampf noch nicht verloren war, sondern nur anders angegangen werden musste. Seine Vorstellungen legte er in der Carta de Jamaica dar, einem Brief an den Briten Henry Cullen. Die Hauptaussagen dieses Briefs sollen später noch behandelt werden, doch äußerte Bolívar sich darin auch über die Möglichkeiten einer Vereinigung ganz Lateinamerikas – allerdings in deutlich verändertem Ton gegenüber der Erklärung in Caracas 1814. Der Pessimismus, den das Scheitern der Zweiten Republik in ihm ausgelöst hatte, ist in der Carta spürbar. So schreibt Bolívar:
[...]