Jeremy Benthams Utilitarismus
Eine kritische Würdigung für eine Ethik in der Medizin
Zusammenfassung
Der Utilitarismus hat augenscheinlich gerade hier seine Grenzen, da er die Ethik und die Humanität nicht ausreichend betrachtet und einbezieht.
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Abkürzungsverzeichnis
1. Einleitung
2. Der Utilitarismus nach J. Bentham – Überblick
3. Der Utilitarismus in Bezug zur medizinischen Ethik
4. Schlussbetrachtungen
Literaturverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1. Einleitung
Spätestens seit Jeremy Bentham (1748-1832) ist die ethische Theorie des Utilitarismus‘ in der angelsächsischen Welt vertreten und wird in den heutigen Tagen zunehmend heftig – im Hinblick auf die gegenwärtige Bedeutung - diskutiert.[1] Auch Werke von John Stuart Mill[2], als ein Schüler Benthams, erhalten nun eine gewisse Wertschätzung.
In Benthams Werk findet sich kein definitives Utilitaritätsprinzip wieder, sondern es gibt mehrere, ja konkurrierende Versionen.[3] Bei Bentham ist der Utilitarismus weniger eine Ethik als vielmehr eine kritische Gesellschaftstheorie und in gewisser Weise ein Produkt des revolutionären Geistes in England am Ende des 18. Jahrhunderts.[4] So war er ein entschiedener Gegner der britischen Kolonialpolitik und brachte sich in die öffentliche politische Diskussion ein.[5]
Der Utilitarismus kann als ethische Theorie des richtigen Handels mit zweierlei Bedeutung definiert werden. Zum einen beurteilt er die menschlichen Handlungen in der Weise, ob sie sittlich richtig oder unrichtig (unsittlich) sowie erlaubt oder unerlaubt sind. Dabei spielt eine Rolle, ob jemand sie ausführen oder nicht ausführen sollte und wiederum eine Pflicht (Verpflichtung) für den Menschen darstellt. Damit ist der Utilitarismus eine Theorie der „Verpflichtungsurteile“.
Zum zweiten beschäftigt sich der Utilitarismus mit dem ethisch richtigen Handeln, wobei hier die ethisch-normative Frage, nach welchen Prinzipien die Menschen ethisch handeln sollten, im Vordergrund steht. Die ethische Richtigkeit bzw. Unrichtigkeit von Handlungen hängt im Rahmen der Theorie des Utilitarismus‘ von der positiven bzw. negativen Qualität ihrer Konsequenzen ab. Handlungen sind dann richtig, wenn sie „Utilität“ besitzen und durch ihre Folgen nützlich sind. Damit wird der Utilitarismus zu einer teleologischen Theorie und steht im Gegensatz zu allen deontologischen Theorien des richtigen Handelns.
Der Utilitarismus unterscheidet sich von den anderen teleologischen Theorien dadurch, dass er alle Konsequenzen der betreffenden Handlung in Betracht zieht. Für ihn zählen alle Menschen. Dabei spielt es keine Rolle, in welcher Beziehung sie zu dem Handelnden stehen, sofern sie nur von der Handlung betroffen sind.
Darüber hinaus sieht der Utilitarismus voraus, dass es eine Kenntnis gibt über die guten bzw. schlechten Konsequenzen des Handelns. Dadurch sind die nicht-moralischen Werturteile im normativen Bereich (z.B. „die Sache ist gut“) im Utilitarismus fundamental. Hiervon werden die Verpflichtungsurteile (z.B. „diese Handlung ist richtig“) abgeleitet; hiervon wiederum können moralische Werturteile geschehen (z.B. „dieser Mensch ist gut“).
Der Utilitarismus ist als Theorie der Verpflichtungsurteile mit jeder beliebigen Theorie nicht-moralischer Werturteile vereinbar.[6]
Bentham hat sich nicht einer utilitaristischen Theorie der Gerechtigkeit verschrieben, sondern propagierte liberale Werte von Freiheit, Gleichheit und persönlicher Eigenständigkeit.[7] Nicht auf die individuellen Handlungen des Privatmannes („Bourgeois“) sollte das Prinzip der Utilität als Kern des Utilitarismus angewendet werden, sondern aus seinen Handlungen als Bürger („Citoyen“) heraus. Darüber hinaus sollten die Handlungen des Gesetzgebers und der Regierenden hier einbezogen sein.[8]
Es ist das besondere Verdienst Benthams durch seine „Nützlichkeitslehre“ gleichsam ein politisches System begründet zu haben. Denn er machte seine Lehre der Nützlichkeit (besser: Nutzen) zur Grundlage der Gesetzgebung und identifizierte Vernunft und Nützlichkeit. Seine Ablehnung des Naturrechts resultierte aus dem vermeintlichen Gegensatz der „natürlichen Gesetze“ zu jenen der Gesetzgeber. Bentham war zugleich der Auffassung, dass die Gefühle der Lust und Unlust der Menschen sich nicht in Gesetzen abbilden lassen; die Gesetze hätten eher die Aufgabe, diese Gefühle zu unterdrücken. Die Gesetze seien daher ein Übel.[9]
Vor diesem Hintergrund soll die Theorie J. Benthams in dieser Arbeit im Hinblick auf die brennenden Fragen einer medizinischen Ethik bewertet werden.
2. Der Utilitarismus nach J. Bentham - Überblick
Jeremy Bentham lebte in Zeiten großer Umwälzungen in England: an die Stelle des auf die Einhaltung und Erfüllung der „von Gott gesetzten“ ständisch–hierarchischen Ordnung wird der frei bestimmte und selbst tätige Menschen in der Wirtschaft, Wissenschaft und Philosophie gesetzt.[10]
Zunehmend setzt sich der Diesseitsgedanke durch und verdrängt die bisherige Einstellung mittelalterlicher Herkunft, dass der Mensch in einen bestimmten Stand geboren sei, dem er nicht mehr bis zu seinem Ableben entrinnen kann. Durch die Standeszugehörigkeit waren die Menschen auch gezwungen, die ihnen zugedachte Stellung im Wirtschaftsleben einzunehmen. Die Wirtschaft wird aber nun durch die neuen Zeiten zum Selbstzweck, da man nicht nur bereit ist, für seinen Lebensunterhalt zu arbeiten, sondern auch um der Wirtschaft willen und dem Eigennutz dienend.
Das ökonomische Handeln des Menschen löste sich somit von der kirchlich-religiösen Ethik und erfährt durch den puritanischen Calvinismus und den Rationalismus eine neuartige Verschmelzung von christlich-religiöser Ethik und einem kommerziellen Denken. Mit dem wirtschaftlich erzielten Gewinn und Erfolg wird der sichtbare Ausdruck eines „Gott wohlgefälligen Lebensstils“ bewertet. Die Arbeit und der Fleiß sind somit Tugenden, welche mit dem Erfolg wirtschaftlicherseits gekrönt werden.[11]
Als kritische Gesellschaftstheorie in diesem Zusammenhang allein vermag die Theorie des Utilitarismus` nicht gelten. Sie muss zugleich als kritische Rechtstheorie - Bentham war ausgebildeter Jurist und hat in seinem Werk „Of Laws in General“ eine analytische Theorie erarbeitet, was Gesetze denn sind – bewertet werden. Bentham sah in dem Rechtssystem ein System sozialer Kontrolle. Die kritische Rechtstheorie baut auf einer analytischen Vorgehensweise auf und sichert sie somit wissenschaftlich ab.
Neben der kritischen Gesellschaftstheorie und der kritischen Rechtstheorie gibt es einen theoretischen konstruierten Zusammenhang sozialer Ethik und sozialer Reformpolitik. Bentham hatte sich politisch engagiert und galt als Kopf der „Philosophischen Radikalen“ (auch „Benthamites“ genannt).[12]
Dabei ist zu erwähnen, dass Benthams utilitaristische Lehre die Bedeutung vornehmlich auf dem sozial-philosophischen Gebiet und nicht auf dem ökonomischen Bereich findet. Einer seiner Lehrsätze lautet nach Kraus – zitiert bei A. Müller: „Unter allen Umständen sollst Du als Ziel Deines Verhaltens die Herbeiführung jenes Wertes anstreben, der unter den, mit irgend welcher Wahrscheinlichkeit durch Dich erreichbaren Werten, unter Berücksichtigung seiner Vorzüglichkeit sowohl, als auch der Chancen seiner Erreichbarkeit, der p r a k t i s c h w e r t-v o l l s t e – das h ö c h s t e p r a k t i s c h e G u t ist.“[13]
Auch hier stehen die Wirtschaftslehre und die Ethik eng zusammen, wobei sich wirtschaftliche, kapitalistisch orientierte Gesichtspunkte im Vordergrund befinden. Durch diese Lehre übt Bentham einen großen Einfluss auf die Richtungen des Liberalismus‘ und die wirtschaftliche Lehren seiner Zeit aus.[14]
Eine dieser Lehren ist unter dem Begriff der „New Welfare Economics“ bekannt.
Im Vergleich der New Welfare Economics (NWE) zum Utilitarismus Benthams ist deutlich, dass die NWE als Zweig der angelsächsischen Wirtschaftslehre versucht, die Grundsätze der utilitaristischen Gesellschaftsphilosophie Benthams mit den Begriffsinstrumenten der ökonomischen Theorie umzuinterpretieren und anzuwenden versucht hat. Damit muss geklärt sein, inwieweit die neuere Wohlfahrtstheorie der ursprünglichen Intention des Utilitarismus` gerecht werden kann.
Benthams Grundsatz beschrieb als höchstes Ziel menschlichen Handelns die Summe der Glücksgrößen aller Individuen einer Gesellschaft zu maximieren. Das Glück des Einzelnen wird laut Bentham nicht allein durch die Versorgung des Individuums mit Konsumgütern abhängig gemacht, sondern das Glück wird durch alle Gegebenheiten und Vorgänge beeinflusst, die aus der Beziehung des Menschen zu seiner sozialen Umwelt resultieren. Die kann auch durch Freundschaft, Neid, Ansehen etc. geschehen.
Die New Welfare Economics hat sich dieses Begriffs angenommen und ihn präzisiert, aber auch eingeengt. Dabei beschreibt die NWE das Glück oder den Nutzen eines Menschen im Hinblick auf die Gütermengen, über die ein Individuum verfügen kann. So wird Benthams Begriff des maximalen Glücksmaximums umgedeutet. Bentham bezeichnete ihn als den bestmöglichen sozialen Zustand, der alle Arten menschlicher Aktivitäten umfasst. Die NWE reduziert sich letztlich auf die wirtschaftspolitischen Zielsetzungen, die durch optimale Produktions- und Tauschverhältnisse gekennzeichnet sind.
[...]
[1] vgl. Hoerster, N.: (Ethik), S. 5
[2] siehe hierzu auch: Ulrich, Peter/ Michael S. Aßländer (Hrsg.): Der vergessene politische Ökonom und Philosoph, in:
St. Galler Beiträge zur Wirtschaftsethik, herausgegeben vom Institut für Wirtschaftsethik der Universität St.
Gallen (Leitung: Prof. Dr. Peter Ulrich), Band 37, Bern/ Stuttgart/ Wien 2006
[3] vgl. Köhler, W. R.: (Geschichte) S. 69
[4] vgl. Köhler, W. R.: (Geschichte) S. 14; siehe hierzu auch: Crimmens, James E.: Secular Utilitarianism. Social
Science and the Critique of Religion in the Thought of Jeremy Bentham, Oxford 1990
[5] vgl. Pitts, J.: (Bentham), S. 62ff.
[6] vgl. Hoerster, N.: (Ethik), S. 9ff.
[7] vgl. Kelly, P.J.: (Ulitarianism), S. 7
[8] vgl. Köhler, W. R.: (Geschichte) S. 14f.
[9] vgl. Müller, A.: (Bedeutung), S. 67
[10] vgl. Köhler, W. R.: (Geschichte) S. 15
[11] vgl. Müller, A.: (Bedeutung), S. 32f.
[12] vgl. Köhler, W. R.: (Geschichte) S. 15
[13] zit. Kraus, Oskar: (Theorie), S. 71, in: Müller, A.: (Bedeutung) S. 34
[14] vgl. Müller, A.: (Bedeutung), S. 34