Das absehbare Scheitern des Doha-Prozesses, mit einer bestenfalls minimalen Konsenslösung, zeigt derzeit die Grenzen für multilaterale Lösungen bei der Handelsliberalisierung auf. Im Gegensatz dazu erleben bilaterale und regionale Präferenzhandelsabkommen ein starkes Wachstum. Diese beiden Phänomene sind ihrer Gesamtwirkung umstritten. Der Diskurs dreht sich um die Frage, wie der zunehmende Regionalismus in das multilaterale Handelssystem eingebettet werden kann. Die vorliegende Arbeit setzt sich dabei mit einem Fokus auf Ostasien mit dieser Diskussion auseinander. Die Region ist angesichts seiner starken und wachsenden Verknüpfung mit der Weltwirtschaft von essentieller Bedeutung für das Funktionieren des Welthandels.
Die Arbeit vollzieht im 2. Kapitel zunächst die Entwicklung des Regionalismus in Asien nach. Kapitel 3 widmet sich dann den Gründen für das starke Wachstum der Regionalisierung in Ostasien. In Kapitel 4 wird die daraus erwachsende Problematik diskutiert, um im 5. Kapitel mögliche Lösungswege hin zu einer stärkeren Kompatibilität mit der multilateralen Verhandlungslösung zu skizzieren. Das 6. Kapitel schließt die Arbeit mit einem nüchternen Fazit ab.
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
1. Einleitung
2. Die Entwicklung des Regionalismus in Asien
2.1 Die unilaterale Liberalisierung im GATT/WTO System
2.2 Liberalisierung durch Freihandelsabkommen in Asien
2.3 Integrationsinstitutionen in Asien
3. Theoretische Begründung der asiatischen Regionalisierung
3.1 Asien als Produktionsnetzwerk
3.2 Polit-Ökonomische Erklärungsansätze
4. Problematik der derzeitigen Form des Asien-Regionalismus
4.1 Qualität der FTAs
4.2 Hub and Spoke Bilateralismus
4.3 Unterminierung des multilateralen Systems
5. Lösung durch stärkere Einbettung ins multilaterale System
5.1 „Multilateralizing Regionalism“
5.2 Unilaterale Lösungen
6. Fazit
Literaturverzeichnis
Anhang
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Anteil der Liberalisierungstypen an der Zollreduzierung in Entwicklungsländern
Abbildung 2: Netzwerk der bilateralen Freihandelsabkommen in Ostasien
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1. Einleitung
Das nach gängiger Meinung absehbare Scheitern des Doha-Prozesses, mit einer bestenfalls minimalen Konsenslösung, zeigt derzeit die Grenzen für multilaterale Lösungen bei der Handelsliberalisierung auf.[1] Im Gegensatz dazu erleben bilaterale und regionale Präferenzhandelsabkommen ein starkes Wachstum.[2] Diese beiden Phänomene sind ihrer Gesamtwirkung umstritten. Der Diskurs dreht sich um die Frage, wie der zunehmende Regionalismus in das multilaterale Handelssystem eingebettet werden kann. Die vorliegende Arbeit setzt sich dabei mit einem Fokus auf Ostasien mit dieser Diskussion auseinander. Die Region ist angesichts seiner starken und wachsenden Verknüpfung mit der Weltwirtschaft von essentieller Bedeutung für das Funktionieren des Welthandels.
Die Arbeit vollzieht im 2. Kapitel zunächst die Entwicklung des Regionalismus in Asien nach. Kapitel 3 widmet sich dann den Gründen für das starke Wachstum der Regionalisierung in Ostasien. In Kapitel 4 wird die daraus erwachsende Problematik diskutiert, um im 5. Kapitel mögliche Lösungswege hin zu einer stärkeren Kompatibilität mit der multilateralen Verhandlungslösung zu skizzieren. Das 6. Kapitel schließt die Arbeit mit einem nüchternen Fazit ab.
2. Die Entwicklung des Regionalismus in Asien
2.1 Die unilaterale Liberalisierung im GATT/WTO System
Die ökonomische Integration der asiatischen Staaten ist unweigerlich mit deren Liberalisierung des Handels verbunden. Das Wachstumsmodell mit einer starken Exportorientierung der heimischen Wirtschaft wurde in den 60er Jahren von Japan vorexerziert, später von Südkorea und Taiwan nachempfunden und in den 70ern von den südostasiatischen Staaten und China in den 90ern angewandt. Eine Untersuchung der Weltbank zur Methode bei der Handelsliberalisierung konstatierte, dass zwischen 1983 und 2003 66% der Zollsenkungen in Entwicklungsländern unilateral, d.h. ohne die Forderung nach Reziprozität, realisiert wurden (World Bank 2005). Abbildung 1 im Anhang illustriert den Anteil, der in diesem Kapitel beschriebenen Liberalisierungstypen, bei der Zollreduzierung in Entwicklungsländern. Angesichts der Fortschritte in China, die im Zuge des Beitritts zur WTO erzielt wurden, darf freilich auch der Beitrag des multilateralen Ansatzes, d.h. des Verpflichtungscharakters des WTO-Beitritts, nicht unterschätzt werden.[3] Auch für Vietnam lassen sich große Fortschritte konstatieren, als es 2007 der WTO beitrat.[4]
In den 90er Jahren wandelte sich die Situation und der Regionalismus brach sich auch in Asien Bahn. Dieser wird im weiteren Sinne als Präferenzhandelsabkommen zwischen Ländern und Ländergruppen definiert und weicht damit vom Prinzip der Gleichbehandlung ab, das durch den Grundsatz der unbedingten Meistbegünstigung (MFN) und den der Inländerbehandlung abgesichert wird, da gegenüber Nicht-Mitgliedern unterschiedliche Regeln angewandt werden[5](Bhagwati 1993). Deren Ausformungen in Asien sollen in den nachstehenden Kapiteln untersucht werden.
2.2 Liberalisierung durch Freihandelsabkommen in Asien
Noch im Jahre 2000 lag die Anzahl an beschlossenen Freihandelsabkommen (FTAs) in Asien bei drei. Im Januar 2008 hat sich deren Zahl auf 38 erhöht. Weitere 40 wurden zu diesem Zeitpunkt verhandelt und 28 wurden als Vorschlag unterbreitet (Kawai und Wignaraja 2009). Diese Zahlen beschränken sich auf Ostasien. Die 2. Abbildung im Anhang gibt einen Eindruck von der daraus resultierenden Unübersichtlichkeit des FTA Netzwerks in Ostasien. Sehr aufschlussreich ist eine Aufschlüsslung der Abkommen auf die einzelnen Länder und deren inhaltliche und geographische Ausrichtung.[6]
China hat zu diesem Zeitpunkt neun FTAs abgeschlossen. Dabei nehmen die Abkommen mit Hongkong und Macau (CEPAs) sicherlich eine Sonderrolle ein.[7] Die beiden Abkommen beinhalten starke Verpflichtungen und gehen über die von der WTO vorgesehenen deutlich hinaus, indem sie nicht-tarifäre Handelshemmnisse beseitigen, Dienstleistungen abdecken und Investitionen erleichtern sollen (Antkiewicz und Whalley 2005). Das erste Abkommen hatte China jedoch 2002 mit ASEAN (CAFTA) unterzeichnet. Dieses FTA soll innerhalb von 10 Jahren, von seiner ökonomischen Werthaltigkeit her, nach der EU und NAFTA das drittgrößte regionale Abkommen der Welt werden. Bis zum 1. Januar 2010 strichen die sechs „alten“ ASEAN-Mitglieder für 90% aller Produkte die Handels- und Investitionshindernisse. Den vier „neuen“ weniger entwickelten ASEAN-Mitgliedern wurde für diesen Schritt eine verlängerte Zeitspanne bis 2015 eingeräumt. Allerdings werden in bilateralen Verhandlungen zwischen den ASEAN-Mitgliedsstaaten und China noch Listen von Produktgruppen erstellt, die von der Zollfreiheit ausgenommen werden sollen. (Whalley 2011)Die ebenfalls unzureichende Konkretisierung der institutionalisierten Streitschlichtung legt nahe, dass der Integrationsgrad der NAFTA oder gar der EU nicht erreicht werden. Weiterhin hat China mit Pakistan, Chile, Neuseeland, Singapur, Peru und Costa Rica FTAs abgeschlossen (Ministry of Commerce 2012).
Für Südostasien sollen zunächst die Bemühungen der ASEAN, der Assoziation der Südostasiatischen Nationen, betrachtet werden. Diese hat Freihandelsabkommen mit Australien und Neuseeland, China, Indien, Japan und Südkorea (ASEAN +1) abgeschlossen. Ein Vergleich der Freihandelsabkommen durch die EU und die Vereinigten Staaten weist zunächst für die Vereinbarungen durch die EU eine tiefergehende Handelsintegration auf. Korrigiert man deren Ausmaß jedoch um diejenigen Regelungen, die nicht rechtlich durchsetzbar sind, weisen die Vereinigten Staaten ernsthaftere und weitergehende Abmachungen auf. Die Autoren der Studie führen diesen Effekt auf die Kompromissfindung zwischen den EU-Mitgliedsstaaten zurück (Horn, Mavroidis und Sapir 2009). Es steht zu befürchten, dass diese Aufblähung von FTAs bei ASEAN sehr viel stärker ausgeprägt ist, da die Assoziation keine Zollunion darstellt und über eine sehr viel heterogenere Mitgliedschaft verfügt. Tatsächlich suchen die Mitglieder der ASEAN mithilfe bilateraler Abkommen die schwachen Regelungen zu ergänzen.
In Südostasien nutzt der Stadtstaat Singapur jede sich bietende Möglichkeit und hat bereits zwölf FTAs abgeschlossen. Diese reichen vom FTA mit Jordanien, mit geringen Abmachungen, bis zum Abkommen mit den USA, Korea, Japan und Australien, die sehr weitreichende Gebiete umfassen. Diesem Vorbild sind Thailand, Malaysien, die Philippinen, Indonesien und auch Vietnam gefolgt. 69% aller ostasiatischen FTAs verfügen über „WTOplus“ Vereinbarungen[8](Kawai und Wignaraja 2009). Kritiker sehen in diesen Freihandelsabkommen nur oberflächliche Maßnahmen, die kaum über die bereits existierenden WTO-Liberalisierungen hinausgehen (Sally 2008). Insbesondere die häufige Ausnahme der Landwirtschaft, die fehlende Liberalisierung der Dienstleistungen, die fehlende gegenseitige Anerkennungen von regulativen Standards, oder der weiter beschränkte Personenverkehr werden bemängelt.[9]
Japan hat am längsten gezögert, sich bei der Knüpfung des Netzes an FTAs in Asien zu beteiligen. Mittlerweile sucht das Land mithilfe bilateraler Verhandlungen in Südostasien Fuß zu fassen. Seine Freihandelsabkommen bezeichnet Japan als wirtschaftliche Partnerschaftsabkommen (EPA).[10] Bisher konnten sie diese in Asien mit Singapur, Malaysien, Thailand, den Philippinen und Indonesien abschließen.[11] Die FTAs mit ASEAN-Staaten werden aufgrund der arbeitsteiligen Verknüpfung in der Exportproduktion am ehesten von den japanischen Unternehmen genutzt. Am häufigsten werden nach einer Umfrage von JETRO (Japanische Außenhandelsorganisation) die japanischen FTAs mit Thailand und Malaysien in Anspruch genommen. Dadurch konnte 2007 im Vergleich zu 2006 die sehr niedrige Nutzungsrate von FTAs durch japanische Unternehmen von nur 5,1% auf 11.9% gesteigert werden. Wobei weiterhin knapp 40% der Unternehmen angaben, diese auch in Zukunft nicht zu verwenden[12](Hirastuka, Sato und Isono 2009). Verhandlungen laufen derzeit mit Korea, Vietnam, Indien und Australien. Die postulierten hehren Ziele der EPAs stimmen nur bedingt mit der Realität überein. Die sensiblen Themen wurden in den Abkommen mit den Philippinen und Malayen ausgelassen.[13] Die Aufnahme der Verhandlungen von Japan mit der EU gestaltet sich zum einen ob des exzessiven Schutzes seines Agrarsektors (Reis, Rind- und Schweinefleisch) und zum anderen durch die vielen nichttarifären Handelshemmnisse schwierig.[14]
[...]
[1] Bei der im Dezember 2011 stattfindenden 8. WTO-Ministerkonferenz in Genf konnten sich die Minister nur darauf verständigen, den ärmsten Mitgliedsländern (LDC), Auflagen bei Dienstleistungen in den Industrienationen zu erlassen (WTO 2011).
[2] Bereits 2006 lagen 400 regionale oder bilaterale Vereinbarungen vor. Die WTO geht davon aus, dass schon 2008 ein nicht unerheblicher Anteil seiner Mitglieder bei über 30 unterschiedlichen Abkommen teilnimmt. (Whalley 2006)
[3] So führten die strengen Verpflichtungen im Vorfeld des WTO-Beitritts dazu, dass China 2004 seinen durchschnittlich erhobenen Zollsatz für nicht-agrarische Güter auf das Niveau von Malaysien in Höhe von 9.5% gesenkt hatte. Taiwan („Chinese Taipeh“) hatte zum Vergleich einen durchschnittlichen Zollsatz von 5.5%, während Thailand 13.3% erhob (Lawrence 2008).
[4] 2009 erhob Vietnam einen durchschnittlichen Zollsatz für nicht-agrarische Güter in Höhe von 8.7%, der dem Chinas im gleichen Jahr entspricht (WTO 2011).
[5] Generell wird zwischen Präferenzhandelsabkommen (PTAs), die nur für spezifische Güter eine Senkung der Zölle zwischen den Mitgliedern eines PTAs vorsehen, Freihandelszonen (FTAs) , die die vollständige Beseitigung der zwischenstaatlichen Zölle verfolgen und der Zollunion unterschieden. (Siebert 2002) Letztere ist mit seinem hohen Integrationsgrad, der für die Festlegung eines gemeinsamen Außenzolls erforderlich ist, ähnlich wie die Konzepte eines Gemeinsamen Marktes und eines Gemeinsamen Wirtschaftsraums für Asien nicht von aktueller Bedeutung.
[6] Eine sinnvolle Unterscheidung bei der inhaltlichen Ausrichtung ist die Untergliederung der zusätzlichen Abdeckung, über die WTO hinaus, in WTO+ und WTO-X. „WTO+“ beschreibt Politik-Bereiche (durch WTO-Mandat abgedeckt), die durch bilaterale Abkommen verstärkt und bestätigt werden sollen. „WTO-X“ Bereiche hingegen sind nicht vom WTO-Mandat abgedeckt (bspw. Zusammenarbeit bei Arbeitsmarkt, Industrie- und Konsumentenpolitik) (Horn, Mavroidis und Sapir 2009).
[7] Hongkong soll als marktwirtschaftlicher Musterstandort ein „Brückenkopf“ für China sein. Es ist daher nur konsequent, dass die Sonderverwaltungszone in China alle bilateralen Zölle mit dem Festland beseitigt (Frühauf 2011).
[8] Anders als Horn et al. (2009) unterscheiden Kawai und Wignaraja (2009) nicht zwischen WTO+ und WTO-X Vereinbarungen. WTOplus bezeichnet generell Abkommen, die über das WTO-Mandat hinausgehen.
[9] Hinzukommt, dass die einzelnen Länder spezifische Wirtschaftssektoren unter starken Schutz stellen. Ein Beispiel dafür ist Malaysien, das bspw. in seinen Verhandlungen stets Ausnahmen bei der Zollerleichterung beim Import von Automobilteilen fordert, Indonesien, das seine Zucker- und Petrochemie-Industrie gefährdet sieht und die Philippinen, die den Zement- und Reissektor bewahren wollen (Rothacher 2007).
[10] EPAs sollen nach Ansicht des METI (japanisches Wirtschaftsministerium) Dienstleistungen, Investitionen, Arbeitsmärkte und die Wirtschaftspolitik umfassen. Das Abkommen mit Singapur wurde als „New Age Economic Partnership“ bezeichnet. Angesichts der in Kapitel 4.1 beschriebenen niedrigen Qualität des FTAs (hohe Ausnahmequote bei landwirtschaftlichen Erzeugnissen) zwischen Japan und Singapur kann dies als Euphemismus bezeichnet werden.
[11] Die Strategie der Japaner ist es dabei, die Abkommen mit den wichtigen ASEAN-Mitgliedsstaaten später auf die gesamte ASEAN-Region zu übertragen. Damit würden die umständlichen Verhandlungen mit der ASEAN vermindert, die selber eine Position im Konsens mit allen Mitgliedern finden muss (Sutton 2005).
[12] Die Umfrage wurde von JETRO durch den Versand eines Fragebogens an 2537 Mitgliedsunternehmen durchgeführt. In den Jahren 2006 und 2007 antworteten jeweils 729 bzw. 733 Unternehmen (Hirastuka, Sato und Isono 2009).
[13] In den Verhandlungen mit den Philippinen sind keine Regelung bzgl. der Anzahl philippinischer Krankenschwestern in Japan vorgesehen, die ein Streitpunkt zwischen den beiden Ländern darstellt (Sutton 2005).
[14] Die Europäische Kommission bemängelt insbesondere die langen Genehmigungsverfahren und den schwierigen Zugang zur öffentlichen Auftragsvergabe für ausländische Unternehmen. Die Ernsthaftigkeit der japanischen Verhandlungen, tatsächliche Reformen zu implementieren, wird daher ausschlaggebend sein, ob bspw. die Zölle der EU auf japanische Autos beibehalten werden (Kafsack und Ruhkamp 2011).