Der Video Game Crash. Aufstieg und Fall einer Branche
Zusammenfassung
Doch was genau versteht man eigentlich unter einem „Videospiel“? Besonders in den Anfangstagen der kommerziellen Verbreitung von Videospielen kursierten eine Vielzahl unterschiedlichster Bezeichnungen, die auch unter den zeitgenössischen Fachleuten mitunter für Verwirrung sorgten. So wurden oftmals verschiedenste Geräte mit den Begriffen „Telespiel“, „Bildschirmspiel“,
„Konsolenspiel“, „Heimkonsole“ oder „Computerspiel“ versehen, ohne eine hinreichende Definition mitzuliefern. In der Regel fassten diese Bezeichnungen sämtliche elektronischen Spielgeräte zusammen, die entweder über einen eigenen, eingebauten Bildschirm verfügten, oder an
einen solchen angeschlossen werden konnten. Mitunter fielen aber auch Computer, deren Primärzweck nicht das Spielen war, sowie diverse andere Elektronikspielzeuge, die dem Spieler nicht die Möglichkeit zur aktiven Gestaltung des Spielgeschehens boten, in diese Kategorie.
Gleichwohl werden all diese Beschreibungen unter dem Oberbegriff „Videospiele“ hinreichend zusammengefasst.
Im Folgenden wird hauptsächlich von „Arcade-Automaten“, „Videospielkonsolen“ und „Homecomputern“ die Rede sein, weshalb eine klare Definition der Begriffe erforderlich scheint.
„Arcade-Automaten“ (oftmals auch einfach nur „Arcades“ genannt) sind diejenigen Geräte, die sowohl Hard- als auch Software, sowie sämtliche Bedienelemente und Bildschirme in einem Apparat vereinen. Die Software ist hierbei fest installiert und unabänderlich. Ihre Bedienung kann erst nach getätigtem Münzeinwurf erfolgen, weshalb sie auch nahezu ausschließlich in Spielhallen
(engl. „Arcades“) zu finden sind und daher in Deutschland, seit einer Änderung des Jugendschutzgesetzes von 1985, nur Erwachsenen Personen zugänglich sind.[...]
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
Die Entwicklung der Arcade-Automaten bis 1983
Die Entwicklung der Videospielkonsolen bis 1983
Der „Video Game Crash“ 1983/84
Fazit
Literaturverzeichnis
Einleitung
„Spielen heißt "so tun als ob", wobei Körper und Geist gefordert und geformt werden.“[1], so beschreibt Jürgen Berndt in seinem 2005 erschienenem Band „Bildschirmspiele. Faszination und Wirkung auf die heutige Jugend“ den Begriff des Spielens. Spielen bedeutet also so zu tun, als ob das im Spiel simulierte und erlebte Geschehen die Realität wäre. Dies gilt nicht nur für die frühesten Formen kindischen Spielens, wie etwa dem „Cowboy und Indianer“-Spiel, sowie jeglicher Art von Brett- und Gesellschaftsspielen, sondern auch für die Bildschirmspiele der Unterhaltungsbranche, von denen im Folgenden die Rede sein wird.
Doch was genau versteht man eigentlich unter einem „Videospiel“? Besonders in den Anfangstagen der kommerziellen Verbreitung von Videospielen kursierten eine Vielzahl unterschiedlichster Bezeichnungen, die auch unter den zeitgenössischen Fachleuten mitunter für Verwirrung sorgten. So wurden oftmals verschiedenste Geräte mit den Begriffen „Telespiel“, „Bildschirmspiel“, „Konsolenspiel“, „Heimkonsole“ oder „Computerspiel“ versehen, ohne eine hinreichende Definition mitzuliefern. In der Regel fassten diese Bezeichnungen sämtliche elektronischen Spielgeräte zusammen, die entweder über einen eigenen, eingebauten Bildschirm verfügten, oder an einen solchen angeschlossen werden konnten. Mitunter fielen aber auch Computer, deren Primärzweck nicht das Spielen war, sowie diverse andere Elektronikspielzeuge, die dem Spieler nicht die Möglichkeit zur aktiven Gestaltung des Spielgeschehens boten, in diese Kategorie. Gleichwohl werden all diese Beschreibungen unter dem Oberbegriff „Videospiele“ hinreichend zusammengefasst.
Im Folgenden wird hauptsächlich von „Arcade-Automaten“, „Videospielkonsolen“ und „Homecomputern“ die Rede sein, weshalb eine klare Definition der Begriffe erforderlich scheint.
„Arcade-Automaten“ (oftmals auch einfach nur „Arcades“ genannt) sind diejenigen Geräte, die sowohl Hard- als auch Software, sowie sämtliche Bedienelemente und Bildschirme in einem Apparat vereinen. Die Software ist hierbei fest installiert und unabänderlich. Ihre Bedienung kann erst nach getätigtem Münzeinwurf erfolgen, weshalb sie auch nahezu ausschließlich in Spielhallen (engl. „Arcades“) zu finden sind und daher in Deutschland, seit einer Änderung des Jugendschutzgesetzes von 1985, nur Erwachsenen Personen zugänglich sind.[2]
Unter „Videospielkonsolen“ sind all jene Geräte zusammengefasst, die an einen Fernseher angeschlossen werden und über austauschbare Spiele (Module oder auch „Cartridges“ genannt) verfügen. Die Konsole ist, im Gegensatz zum Computer, ausschließlich zum Spielen vorgesehen und ihre Hardware (die Konsole) ist jeweils nur mit der Software des eigenen Systems kompatibel.[3]
Der „Homecomputer“ schließlich ist ein „Hybrid“ aus Spielkonsole und PC. Vorrangig wurde er von vielen Käufern zum Spielen genutzt, jedoch konnten mit ihm auch Kalkulations- und Textverarbeitungsprogramme durchgeführt werden. Ein weiterer Vorteil gegenüber den Videospielkonsolen war die Tatsache, dass man auf einem Homecomputer eigene Programme programmieren konnte. Ebenso verfügten die Homecomputer im Allgemeinen über eine höhere Rechenleistung als die reinen Spielkonsolen.[4] Mit der zunehmenden Verbreitung des PC´s verloren die Homecomputer im Laufe der 1990er Jahre zunehmend an Bedeutung und sind mittlerweile vollständig vom Markt verschwunden.
Den Ursprung der Videospiele einem bestimmten Zeitpunkt oder gar Urheber zuzuschreiben fällt schwer. Sicherlich kann das 1958 von dem Physiker William Higinbotham auf einem Oszillographen entwickelte „Tennis for Two“ als „Urvater“ aller Videospiele angesehen werden. Anlässlich eines Tages der offenen Tür am Brookhaven National Laboratory (BNL) baute Higinbotham einen Oszillographen so um, dass eine vertikale Linie in der Mitte des Bildschirms ein Tennisnetz simulierte und ein leuchtender Punkt als Spielball diente, den man mittels einer drehbaren Skala und eines Knopfes auf die andere Seite des Netzes schleudern konnte.[5] Diese Konstruktion war jedoch nicht mehr als eine technische Spielerei, um den Besuchern die Leistungsfähigkeit der Geräte des Forschungszentrums zu zeigen. Zudem war das Spiel lediglich nur einem minimalen Kreis an Menschen zugänglich (nämlich den Besuchern des Forschungszentrums) und Higinbotham dachte nicht im Entferntesten daran von seiner Entwicklung finanziell zu profitieren, weswegen er auch nie ein Patent hierfür anmeldete. Der Forscher, der während des Zweiten Weltkrieges an der Entwicklung der Radar-Technologie und des elektronischen Zündmechanismus der ersten Atombombe beteiligt war, konstruierte das Spiel einzig und allein aus Spaß und um den Besuchern des BNL ein wenig Heiterkeit zu verschaffen.[6]
Der deutschstämmige Fernsehtechniker Ralph Baer hatte bereits Anfang der 1960er Jahre die Idee, elektronische Spiele auf den heimischen Fernsehschirm zu bringen und meldete 1966 schließlich ein Patent hierfür an. Sein damaliger Arbeitgeber, die amerikanische Militärtechnologiefirma Sanders, sah Baers Ideen jedoch nur als Zeitverschwendung an und versprach sich von dem Projekt auch keinerlei finanziellen Erfolg. Erst als das Patent 1970 an Magnavox, eine Tochterfirma des niederländischen Elektronikkonzerns Philips, fällt, wird das Potenzial von Baers Entwicklung erkannt. Schließlich kommt 1972 die erste Videospielkonsole für Zuhause auf den Markt, die „Magnavox Odyssey“, welche im Prinzip das gleiche Spielkonzept wie „Tennis for Two“ bietet. Ein großer kommerzieller Erfolg bleibt ihr jedoch vorerst versagt. Als Patentinhaber führte Magnavox in den 1970er Jahren mehrere Prozesse gegen Unternehmen der aufstrebenden Videospielbranche, an deren Ende Lizenzzahlungen für die Entwickler der ersten Heimkonsole standen.[7]
Als weiterer Meilenstein in der Entwicklung der Videospiele ist wohl „Spacewar“ von 1962 zu nennen. Der Informatik-Professor Steve Russell programmierte das Spiel, in dem sich zwei Raumschiffe im All duellierten, auf einem 8 Millionen Dollar teuren Computer der University of Utah. Auch dieses Spiel war zwar nur einem kleinen Kreis von Spielern zugänglich, jedoch hinterließ es bei dem jungen Studenten Nolan Bushnell einen bleibenden Eindruck und wurde schließlich zur Initialzündung bei der Gründung der Firma Atari.[8]
Mit der Gründung Ataris im Jahr 1972 beginnt auch die Zeit der Kommerzialisierung der Videospiele. Die anfänglichen technischen Spielereien erlangten Serienreife und verbreiteten sich im rasanten Tempo in Nordamerika und Westeuropa sowie Japan. Aus der „Zeitverschwendung“ erwuchs binnen weniger Jahre ein Multi-Millionen-Dollar-Business, das Millionen von Menschen in seinen Bann zog.
Im Folgenden soll nun die Entwicklung der Branche von ihren Anfängen 1972 bis hin zum „Video Game Crash“ im Jahre 1983 detailliert aufbereitet und hinsichtlich ihrer wirtschaftlichen Bedeutung untersucht werden. Dabei wird vor allem zu klären sein, welche Ursachen zum Niedergang der nordamerikanischen Videospielindustrie zu Beginn der 1980er Jahre führten und welche Folgen sich hieraus für die japanischen Anbieter, sowie den Homecomputermarkt ergaben.
Weiterhin werden die Beziehungen zwischen Videospielen und der zeitgenössischen Popkultur, sowie deren Rezeption in der Öffentlichkeit näher beleuchtet. In den frühen 1980ern drangen Computer auch immer mehr in den Arbeitsalltag der Menschen ein, wodurch sie allgegenwärtig wurden und nicht mehr nur einem kleinen Zirkel von Wissenschaftlern und Studenten zugänglich waren.
Die Entwicklung der Arcade-Automaten bis 1983
Die frühen Erfolge der Arcade-Videospiele sind vor allem mit dem Namen Atari verbunden. Nolan Bushnell, ein Ingenieur für Elektrotechnik, gründete das Unternehmen am 27. Juni 1972 mit einem Startkapital von 500 Dollar.[9] Den Namen für seine Firma entlieh er dem japanischen Brettspiel „Go“, wo der Ausdruck für die Androhung eines siegreichen Zuges, ähnlich dem „Schach“ beim Schachspiel steht.[10] So ist es auch nicht allzu verwunderlich, dass Ataris Firmenlogo eine stilisierte Form des Berges Fuji darstellt.
Der Firmengründung ging ein Engagement Bushnells bei Nutting Associates voraus, die es ihm ermöglichten ein Arcade-Spiel zu entwickeln, das von seiner Machart her nahezu eine Kopie von Steve Russells „Spacewar“ von 1962 war. Die Automaten fanden zwar eine weitreichende Verbreitung in Spielhallen und Bars der USA, jedoch war ihnen kein Erfolg beschert. Den meisten Spielern war die Spielmechanik zu kompliziert und um sein Raumschiff mittels verschiedener Schubregler, unter Berücksichtigung von Gravitationskräften, einigermaßen souverän über den Schwarz-Weiß-Bildschirm zu manövrieren war eine nicht unerhebliche Einarbeitungszeit vonnöten. Doch bei einem Spiel, das nur durch einen Münzeinwurf zu starten war und nur so lange andauerte bis das Raumschiff des Spielers von seinen Gegnern vernichtet wurde, überwog die Frustration den von vielen als zu kurz empfundenen Spielspaß.[11]
Doch Bushnell ließ sich von diesem Rückschlag keineswegs entmutigen, sondern erkannte den Fehler seines Spiels schnell. Anstatt komplexer Weltraumsimulationen, die trotz der Zukunftseuphorie der frühen 1970er Jahre, auch nur ein begrenztes Zielpublikum ansprachen, musste ein erfolgreiches Videospiel über sofort begreifbare Regeln verfügen, die sich am besten durch das Spiel selbst erklärten. Der Spielspaß musste sich für jeden gleich beim ersten Spielen einstellen, ohne dass man gezwungen war vorher unzählige Münzen zum Erlernen der Spielmechanik einzuwerfen. Allerdings sollte sich der Spielspaß kontinuierlich steigern, je öfter man spielte, um sich somit nach und nach die Feinheiten des Spiels anzueignen und das eigene Spiel zu perfektionieren.[12]
Der große Wurf gelang Bushnell schließlich ein Jahr später mit der Entwicklung und Vermarktung des ersten kommerziell erfolgreichen Videospiels „Pong“.
Die Idee zu diesem simpelsten aller elektronischen Bildschirmspiele dürfte ganz klar Higinbothams „Tennis for Two“ entliehen worden sein. Am linken und rechten Rand des schwarzen Bildschirms befand sich jeweils ein weißer Balken, der sich mittels eines Drehreglers auf und ab bewegen ließ. Ziel des Spiels war es, einen weißen Ball im Spiel zu halten, indem man verhinderte, dass er den Bildschirmrand hinter dem eigenen Balken (Schläger) erreichte.[13]
Dieses einfache Spielprinzip erwies sich als durchschlagender Erfolg. Innerhalb kürzester Zeit verbreiteten sich die Pong-Automaten in ganz Nordamerika und brachten ihren Käufern volle Münzschächte ein, die mehrmals täglich geleert werden mussten. Doch noch mehr lohnte sich das Geschäft für Atari. Die Herstellung eines Pong-Automaten kostete zwischen 300 und 400 Dollar, verkauft wurde er für rund 1200 Dollar. So erwirtschaftete Atari 1973, ein Jahr nach Firmengründung, bereits einen Umsatz von 3,6 Millionen Dollar und legte damit den Grundstein für ein Multi-Milliarden-Dollar-Geschäft, mit dem die Firma zehn Jahre später zwei Milliarden Dollar umsetzen sollte.[14]
Pong etablierte auch eine soziale Akzeptanz, die Flipper- und ähnliche Unterhaltungsautomaten in der Öffentlichkeit nie erreichen konnten. Videospiele waren plötzlich an allen möglichen öffentlichen Plätzen zu finden und wurden auch als Unterhaltungsautomaten akzeptiert.[15] So waren die Arcade-Automaten nicht nur in den namensgebenden Spielhallen, sondern unter anderem auch in Gaststätten und Eisdielen, Bahnhöfen, Betriebskantinen, Jugendheimen, Sportstätten oder Schwimmbädern zu finden.[16] Schnell entwickelten sich die Spielhallen zu beliebten Treffpunkten für Jugendliche und Videospiele zu einem wesentlichen Bestandteil der damaligen Jugendkultur.[17]
Ausgehend von „Pong“ entstanden schnell Adaptionen anderer Sportarten wie Hockey oder Fußball, die jedoch vorerst lediglich Varianten des beliebten Vorbilds waren und im Prinzip dem Spieler nichts Neues boten. Die „Bälle“ dieser Spiele waren mangels angemessener grafischer Darstellungsmöglichkeiten nichts weiter als Rechtecke, die über den Bildschirm flitzten.
Es folgten Videospielumsetzungen weiterer Sportarten wie Basketball, Golf und Autorennen, bis hin zu Simulationen mehrerer olympischer Disziplinen.[18] Atari brachte im Laufe des Jahres 1974 die ersten Renn- und Sportspiele auf den Markt, deren Realisierung erst durch die verbesserten grafischen Darstellungsmöglichkeiten möglich wurden.[19]
Entscheidend bei dieser Entwicklung waren die Fortschritte auf dem Gebiet der Mikrotechnologie. Bestanden die frühen Pong-Automaten noch aus von Hand verlöteten Platinen mit herkömmlichen Dioden und Kondensatoren, konnten auf Mikrochips viel komplexere Schaltkreise auf minimalem Raum untergebracht werden. Insbesondere der 8-Bit-Mikroprozesor 8080 der Firma Intel aus dem Jahre 1974 sollte die Entwicklung von grafisch immer komplexer werdenden Videospielen in den 1970er Jahren nachhaltig beeinflussen.[20]
Gerade in der Anfangszeit der Videospiele war die graphische Qualität der Spiele ein Spiegel ihrer Beliebtheit. Dies führte zu einem Innovationsdruck seitens der Hersteller, da Spiele schnell veralteten und dann nicht mehr gespielt wurden.[21] Ab Ende der 1970er wurde es auch möglich, durch die stetig fortschreitende Rechenleistung der Mikrochips, das Spielgeschehen auf mehr als nur die zur Verfügung stehende Bildschirmfläche auszudehnen. Das sogenannte „Scrolling“ ermöglichte es den Programmierern, die Hintergrundgrafik des Spiels horizontal oder vertikal mit der Spielfigur über den Bildschirm wandern zu lassen und so den Eindruck einer Spielwelt, die über den Bildschirmrand hinausgeht, entstehen zu lassen.[22]
Der erste Arcade-Automat, der das Bildschirmgeschehen farbig darstellte, war „Galaxian“, vom japanischen Hersteller Namco, der 1979 erschien. Bis dahin wurde Farbe in Videospielen durch farbige Overlay-Folien erzeugt, die das schwarze oder weiße Signal, welches das Spiel auf den Bildschirm projizierte, entsprechend einfärbten.[23]
Doch nicht nur auf dem grafischen Sektor schritt die Entwicklung der Arcade-Automaten kontinuierlich voran. Bestanden die Bedienelemente der Arcade-Automaten anfangs noch aus den bereits erwähnten Drehreglern, wurden diese, den neuartigen Spielmechaniken geschuldet, schnell von „Joysticks“ (ähnlich den Steuerknüppeln, die aus diversen Fluggeräten bekannt waren) und einem oder mehreren Funktionsknöpfen abgelöst. Als weitere Innovation führte Atari 1978 den sogenannten „Trackball“ ein, eine Kugel, die 360-Grad-Bewegungen ermöglichte und die Reaktionsgeschwindigkeit der Spielfiguren für den Spieler viel unmittelbarer machte. Das erste Spiel, das über den „Trackball“ verfügte, war „Football“.[24]
Ende der 1970er Jahre begann der Siegeszug japanischer Spielentwickler. In Japan existierte bereits eine lange Tradition von beliebten Münzspielautomaten, die Millionen Spieler in die Spielhallen lockte. Bei dem „Pachinko“ genannten Spiel erwirbt der Spieler eine Anzahl an kleinen Metallkugeln, die er in das Gerät einfüllt und mit einem Hebel bestimmt, wie schnell die Kugeln durch ein Labyrinth aus Nägeln durchfallen, wodurch er indirekt beeinflussen kann wohin sie fallen. Gelingt es dem Spieler die Kugeln in entsprechende Öffnungen zu manövrieren, gibt der Automat den Gewinn in Form neuer Kugeln aus. Dieser in allen Gesellschaftsschichten anerkannte und weit verbreitete Zeitvertreib ermöglichte es auch den Arcade-Automaten schnell in Japan Fuß zu fassen und begünstigte auch die dortige Entstehung einer eigenen Videospielindustrie.[25]
Die japanische Firma Taito, die zuvor hauptsächlich Pachinko-Maschinen hergestellt hatte, erkannte das Potential der Arcade-Automaten auf dem heimischen Markt und entwickelte ab Mitte der 1970er eigene Videospiele. 1978 gelang ihnen mit „Space Invaders“ ein internationaler Erfolg. Die Lizenz für die USA wurde von der Firma Midway erworben, die einige Jahre zuvor noch das Angebot Ataris ausgeschlagen hatte, den Vertrieb der Pong-Automaten zu übernehmen.[26] Offenbar hatte der Hersteller von Flipper- und Geldspielautomaten aber aus seinem Fehler gelernt und brachte die fernöstlichen Münzschlucker auch in die amerikanischen Spielhallen. Der Erfolg von „Space Invaders“ übertraf alle Erwartungen. Galt ein Spiel bereits als Erfolg wenn sich 15.000 Einheiten verkaufen lassen konnten, gelang es Taito 300.000 „Space Invaders“-Geräte weltweit zu verkaufen, davon alleine 60.000 in den USA.[27] Zeitweise kam es in Japan sogar zu Verknappungen von 100 Yen-Münzen, so dass massenhaft neue geprägt werden mussten um die Nachfrage zu stillen. Philipp Fust beschreibt den Reiz und die Motivation des Spiels wie folgt:
„Das Spielprinzip ist simpel wie genial: Sie steuern ein Geschütz und feuern auf extraterrestrische Angreifer. Diese sind anfangs in parallelen Linien angeordnet und verringern Stufenweise, sich dabei horizontal bewegend, den Abstand zum Objekt der Invasionsbegierde. Ihre Aufgabe ist es, die Invasoren an ihrer Landung zu hindern, ergo, zu vernichten. Zwischen der vom Spieler gesteuerten Pixelkanone und den feindlich gesinnten Außerirdischen befinden sich Blöcke, die als Schutzschild vor gegnerischen Projektilen dienen, bei Beschuss jedoch an Substanz verlieren. Je mehr Widersacher Sie vom Himmel pflücken, desto schneller schwirren jene durch den Raum.“[28]
Darüber hinaus traf das Szenario des Spiels um eine außerirdische Invasion genau den Nerv der Zeit. „Star Wars“ war im vorangegangenen Jahr in den amerikanischen Kinos angelaufen und Science-Fiction-Themen waren allgegenwärtig. „Space Invaders“ bot zudem auch erstmals die Möglichkeit, die erreichte Punktzahl eines Spielers in einer Bestenliste zu speichern. Dieses neuartige Feature begünstigte schließlich die Entstehung eines kompetitiven Wettbewerbs unter den Spielern. Das Erreichen eines „Highscores“, bzw. das Überbieten der Punktezahl eines anderen, wurde von der Spielergemeinde als großartige Leistung anerkannt und die besten Spieler behielten stets die Punktestände ihrer Konkurrenten im Auge.[29] Diese soziale Komponente des Spielens von Videospielen an öffentlichen Plätzen diente als zusätzlicher Ansporn, eine immer höhere Punktezahl zu erreichen. Gleichzeitig unterstrich sie den integrativen Charakter der Spielhallenszene, da den erreichten Leistungen der anderen Achtung und Respekt entgegengebracht wurde[30] und heterogene Gruppen auf diese Weise in Kontakt treten konnten. Es existierte keine Unterscheidung zwischen sozialer Herkunft oder Schicht. Vielmehr fungierten öffentliche Plätze an denen Arcade-Automaten aufgestellt waren als Kommunikationszentren der Jugendkultur.[31]
Spielhallen wurden somit zu einem angesagten Treffpunkt der Jugendlichen, wobei hierbei deutlich die soziale Komponente des Zusammentreffens im Vordergrund stand und nicht das Spielen an sich.[32] Armand Mergen beschrieb die Stimmung in einer Spielhalle in der BRD zu Beginn der 1980er Jahre wie folgt:
„Die Atmosphäre in einer Spielhalle ist eigenartig und spezifisch. Der Raum liegt in einem wohl abgestimmten Halbdunkel, das durch die farbenfrohen Lichter der Automaten optisch belebt wird. Es gíbt helle Lichtinseln z.B. über den Billardtischen. Die Wirkung der "Ambiance" auf den Spielhallenbesucher ist, trotz der vielen Sinnesreize, beruhigend. Das permanente Tackern und Tickern der Automaten unterlegt das als Gemurmel vernehmbare Miteinanderreden der Spieler und schafft eine monotone, aber als dynamisch erfühlte Geräuschkulisse. Der Atmosphäre kann eine gewisse, märchenhafte Faszination nicht abgesprochen werden. Es herrscht hektische Unruhe; sie ist in Ruhe eingebettet. Und die Geräusche sind derart verschieden zusammengesetzt, daß sie trotz aller Hektik und Bewegung eine unmerkbare Ruhe, eine Geborgenheit ausstrahlende, akustische Atmosphäre abgeben. Die Spielhalle hat etwas irreales, märchenhaftes an sich. Sie ist ein Platz, in den man aus der Realität heraus für einige Zeit flüchten kann, um sich von den Strapazen der Wirklichkeit zu erholen.“[33]
[...]
[1] Siehe Berndt, Jürgen, Bildschirmspiele. Faszination und Wirkung auf die heutige Jugend, Münster 2005, S. 20.
[2] Ebd., S. 35.
[3] Siehe Berndt, Jürgen, Bildschirmspiele, Münster 2005, S. 36.
[4] Ebd., S. 37.
[5] Ebd., S. 45-46.
[6] Vgl. Huff, Hartmut, Das grosse Handbuch der Video-Spiele, München 1983, S. 9.
[7] Vgl. Forster, Winnie, Spielkonsolen und Heimcomputer 1972-2009, Utting 2009, S. 11-12.
[8] Siehe Huff, Hartmut, Das grosse Handbuch der Video-Spiele, München 1983, S. 9.
[9] Vgl. Bertelmann, Andreas, Auf Ataris Spuren. Zurück in die Vergangenheit, zurück nach Sunnyvale (Teil 1), in: Retro - Das Kulturmagazin für Computer, Videospiele und mehr, 11 (Frühling 2009), S. 16-21, hier: S. 16.
[10] Vgl. Forster, Winnie, Spielkonsolen und Heimcomputer, Utting 2009, S. 12.
[11] Siehe Huff, Hartmut, Das grosse Handbuch der Video-Spiele, München 1983, S. 9.
[12] Vgl. Berndt, Jürgen, Bildschirmspiele, Münster 2005, S. 47.
[13] Siehe Berndt, Jürgen, Bildschirmspiele, Münster 2005, S. 46.
[14] Vgl. Lischka, Konrad, Spielplatz Computer. Kultur, Geschichte und Ästhetik des Computerspiels, Hannover 2002, S. 44.
[15] Siehe Loftus, Elizabeth F. Loftus Geoffrey R., Mind at play. The Psychology of Video Games, New York 1983, S. 7.
[16] Vgl. Gernert, Wolfgang; Stoffers, Manfred, Das Gesetz zum Schutze der Jugend in der Öffentlichkeit. Kommentar, Hamm 1985, S. 118-119.
[17] Siehe Berndt, Jürgen, Bildschirmspiele, Münster 2005, S. 38.
[18] Siehe Maaß, Jürgen Pachinger Karin, Computerspiele - Einstieg in die Bildschirmwelt?, in: Maaß, Jürgen Schartner Christian (Hrsg.), Computerspiele - (un)heile Welt der Jugendlichen?, München 1993, S. 11-24, hier: S. 13.
[19] Vgl. Huff, Hartmut, Das grosse Handbuch der Video-Spiele, München 1983, S. 10.
[20] Vgl. Fritz, Jürgen, Videospiele zwischen Faszination, Technik und Kommerz, in: Fritz, Jürgen (Hrsg.), Programmiert zum Kriegspielen. Weltbilder und Bilderwelten im Videospiel, Bon 1988, S. 70-92, hier: S. 77.
[21] Vgl. Greenfield, Patricia Marks, Kinder und neue Medien. Die Wirkungen von Fernsehen, Videospielen und Computern, München 1987, S. 94.
[22] Siehe Berndt, Jürgen, Bildschirmspiele, Münster 2005, S. 50-51.
[23] Siehe Fust, Philipp, Die Evolution der Shoot´em Ups. Von Space Invaders bis DoDonPachi Dai-Fukkatsu, in: Retro - Das Kulturmagazin für Computer, Videospiele und mehr, 14 (Winter 2009/2010), S. 36-52, hier: S. 36.
[24] Siehe Huff, Hartmut, Das grosse Handbuch der Video-Spiele, München 1983, S. 12, hier fälschlicherweise als „Trak Ball“ bezeichnet.
[25] Vgl. Meyer, Gust de; Malliet, Steven, The History of the Video Game, in: Goldstein, Jeffrey; Raessens, Joost (Hrsg.), Handbook of Computer Game Studies, Cambridge 2005, S. 23-46, hier: S. 28.
[26] Vgl. Siehe Huff, Hartmut, Das grosse Handbuch der Video-Spiele, München 1983, S. 12.
[27] Vgl. Wolf, Mark, The Medium of the Video Game, Austin 2003, S. 44.
[28] Siehe Fust, Philipp, Die Evolution der Shoot´em Ups, in: Retro - Das Kulturmagazin für Computer, Videospiele und mehr, 14 (Winter 2009/2010), S. 36-52, hier: S. 36.
[29] Siehe Turkle, Sherry, Die Wunschmaschine. Vom Entstehen der Computerkultur, Reinbek 1984, S. 83.
[30] Siehe Eymann, André, Please insert Coin. Das Verschwinden der Videospielautomaten in Deutschland, Retro - Das Kulturmagazin für Computer, Videospiele und mehr, 5 (Herbst 2007), S. 42-45, hier: S. 44.
[31] Vgl. Mergen, Armand, Grausame Automatenspiele. Eine kriminologische Untersuchung über Kriegsspiele und Kriegsspielautomaten, Weinheim 1981, S. 51.
[32] Vgl. Greenfield, Patricia Marks, Kinder und neue Medien, München 1987, S. 91.
[33] Siehe Mergen, Armand, Grausame Automatenspiele, Weinheim 1981, S. 52.