Die Jugendbewegung ist ein Phänomen, das im 20. Jahrhundert ganz Deutschland ergriffen hatte. Die Bewegung erreichte nahezu alle Bevölkerungsschichten und Religionszugehörigkeiten. Dazu gehörte auch die Jüdische Bevölkerung.
Gegenstand dieser Arbeit ist es, die Bedingungen für das Entstehen der Jüdischen Jugendbewegung und deren Verlauf zu beleuchten. Dabei soll ein nachvollziehbarer Gesamtüberblick entstehen.
Inhaltsverzeichnis:
1 Einleitung
2 Die jüdische Jugendbewegung
2.1 Die deutsche Gesellschaft im 19. Jahrhundert
2.2 Die jüdische Bevölkerung am Ende des 19. Jahrhunderts
2.3 Die allgemeine deutsche Jugendbewegung
2.4 Entstehung der jüdischen Jugendbewegung
2.5 Die verschiedenen Gruppen der jüdischen Jugendbewegung
2.5.1 Der Wanderbund „Blau-Weiß“
2.5.1.1 Entstehung und Beweggründe des Wanderbundes Blau-Weiß
2.5.1.2 Publikationen
2.5.1.3 Inhalte
2.5.1.4 Die Mitglieder
2.5.1.5 Der Alltag im Blau-Weiß
2.5.1.6 Der Blau-Weiß im ersten Weltkrieg
2.5.1.7 Das Ende des Blau-Weiß Bundes
2.5.1.8 Symbolik
2.5.2 Kadimah
2.5.3 Haschomer Hazair
2.5.4 Kameraden, Deutsch-jüdischer Wanderbund
2.5.5 Schwarzer Haufen
2.5.6 Esra
2.5.7 Fazit zu den verschiedenen Jugendbünden
2.6 Entwicklung und Ende der jüdischen Jugendbewegung
2.7 Gemeinsamkeit und Abgrenzungen zur deutschen Jugendbewegung
3 Die Bedeutung der jüdischen Jugendbewegung
4 Quellen- und Literaturhinweise
4.1 Quellen
4.2 Literatur
1 Einleitung
Die Jugendbewegung ist ein Phänomen, das im 20. Jahrhundert ganz Deutschland ergriffen hatte. Die Bewegung erreichte nahezu alle Bevölkerungsschichten und Religionszugehörigkeiten. Dazu gehört auch die Jüdische Bevölkerung.
Gegenstand dieser Arbeit ist, die Bedingungen für das Entstehen der Jüdischen Jugendbewegung und deren Verlauf zu beleuchten. Dabei soll ein nachvollziehbarer Gesamtüberblick entstehen.
Das erste Kapitel gibt einen Abriss der allgemeinen deutschen Gesellschaft im 19. Jahrhundert. Daraufhin betrachtet das zweite Kapitel die jüdische Bevölkerung in Deutschland am Ende des 19. Jahrhunderts. Darauf folgend wendet sich das dritte Kapitel der allgemeinen deutschen Jugendbewegung zu, bevor eine konkrete Betrachtung der Jüdischen Jugendbewegung und der einzelnen Jugendbünde erfolgt. In diesem Zusammenhang wird vor allem exemplarisch auf den Wanderbund Blau-Weiß eingegangen. Andere Bünde werden nur kurz angesprochen, da ansonsten der Rahmen dieser Arbeit überschritten werden würde. Die Einwirkungen der Nationalsozialisten und das Ende der jüdischen Jugendbewegung werden anschließend thematisiert. Zuletzt wird ein Vergleich der Jüdischen Jugendbewegung zur allgemeinen Jugendbewegung gezogen.
In der Forschungsliteratur sind die Beiträge zur jüdischen Jugendbewegung im Vergleich zur allgemeinen Jugendbewegung eher spärlich. Meist wird dieses Thema nur als kleiner Teil des Gesamtkomplexes „Jugendbewegung“ behandelt. Eingehend mit der jüdischen Jugendbewegung beschäftigt, hat sich vor allem Jutta Hettkamp[1], die auch für diese Arbeit sehr hilfreiche Interviews mit ehemaligen Mitgliedern der jüdischen Jugendbewegung geführt hat.
Diese Arbeit bemüht sich neben zeitgenössischen Zeitschriften der jüdischen Wanderbünde, auch Aussagen und Berichte von ehemaligen Mitgliedern als Grundlage zu verwenden.
2 Die jüdische Jugendbewegung
2.1 Die deutsche Gesellschaft im 19. Jahrhundert
Die deutsche Gesellschaft durchlebte um die Jahrhundertwende eine Phase der Umbrüche und Neuerungen die mit Veränderungen weiter Teile der Gesellschaft einherging. Diese politisch unruhige Epoche begann 1870/1871 mit der Gründung des Deutschen Reiches und endete 1933 mit der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler. Die deutsche Bevölkerung war in dieser Zeit mit ständig wechselnden politischen und wirtschaftlichen Verhältnissen konfrontiert und reagierte im Allgemeinen mit stärkerer Verunsicherung. Die Euphorie der Nationalstaatsgründung verflüchtete sich schnell. Der Gründerkrach von 1873 ließ die Bürger die negativen Folgen der Modernisierung spüren. Wie so oft in der Geschichte wurden die jüdischen Bürger als Sündenböcke ausgemacht.[2]
Die Judenfeindschaft bekam eine neue Dimension. Im Prozess der „Verbürgerlichung der Juden“ hatten die Juden zwar 1871 eine rechtliche Gleichstellung erlangt, so dass sie sich weitgehend integriert fühlten, jedoch wurde dadurch der Antisemitismus noch zusätzlich geschürt. Große Hoffnungen wurden in den Kronprinzen Friedrich III. Gesetzt. Dieser hatte sich wiederholt gegen den Antisemitismus und für die Gleichberechtigung von Juden ausgesprochen. Er starb jedoch bereits drei Monate nach Amtsantritt. Sein Nachfolger Wilhelm II. war seinen jüdischen Staatsbürgern weit weniger zugetan. Er förderte die Judenfeindlichkeit mit antisemitischen Aussagen.[3]
2.2 Die jüdische Bevölkerung am Ende des 19. Jahrhunderts
Die jüdische Bevölkerung am Ende des 19. Jahrhunderts in Deutschland lässt sich in drei verschiedene Richtungen unterteilen. Die meisten deutschen Juden lebten bereits seit mehreren Generationen in Deutschland und fühlten sich kaum noch als Juden. Sie waren politisch liberal und strebten die Assimilierung an. Die assimilierten jüdische Bürger und Familien in Deutschland befanden sich in der Regel in guten finanziellen Verhältnissen und zeichneten sich durch eine hohe Verbundenheit mit Deutschland aus. Sie hatten die deutsche Kultur und Moral, die deutschen Werten und Normen bereits angenommen. Sie wollten Akzeptanz und Gleichstellung der Juden erreichen und sich möglichst gut zu integrieren.[4] Im Gegensatz dazu gab es die Juden, die den Zionismus befürworteten.
Zionismus bezeichnet eine politische Ideologie und die damit verbundene Bewegung, die auf Errichtung, Rechtfertigung und Bewahrung eines jüdischen Nationalstaats in Palästina abzielen[5] .
Zum Teil lag den Vertretern des Zionismus viel daran ihrer jüdischen Identität nachzugehen. Diese wollten sie in ihrer ursprünglichen Heimat, frei von jeglicher Abneigung von Nicht- Juden in ihrer Umgebung ausleben. Es befürworteten auch Juden den Zionismus, die zuvor der Gruppe der Assimilierten angehört hatten, jedoch erfolglos versucht hatten sich der deutschen Gesellschaft anzupassen und enttäuscht von der Ablehnung des ansonsten so fortschrittlichen Landes waren.[6]
Schlüssel- und Führungsfigur des modernen politischen Zionismus war Theodor Herzel, der mit seiner stolzen Haltung und seinem modernen Gedankengut ein Vorbild vor allem für junge Juden war.[7] Er war sich der Probleme des jüdischen Volkes bewusst und wollte die „Judenfrage“ mit der Gründung eines eigenen Staates lösen.[8] Für ihn war das ausschlaggebende Kriterium für einen „Judenstaat“, dem Antisemitismus zu entkommen und dem Juden seine ursprüngliche Identität, auf die er stolz sein konnte wieder zurückzugeben. Der „Abzug“ der Juden und die Gründung des eigenen Staates sollte „allmählich“ verlaufen und über Jahrzehnte dauern.[9] Letztendlich sollte dieser Plan zum langersehnten Traum, eines friedlichen Zusammenlebens, führen.
Die dritte Gruppe der jüdischen Bevölkerung waren die orthodoxen Juden. Sie distanzierten sich vom Zionismus, da es ihnen allein um die Ausübung ihrer Religion ging, nicht um politische Angelegenheiten. Sie legten viel Wert auf ihre jüdische Identität, wollte in Deutschland leben, sich aber nur so weit wie nötig anpassen.[10]
Die jüdische Bevölkerung muss zudem zwischen Ostjudentum und Westjudentum unterschieden werden. Im Ersten Weltkrieg begegnete man erstmals den osteuropäischen Juden in den von Deutschland Gebieten, die zum Teil auch nach Deutschland flohen.[11]
Durch die Einwanderung von Juden aus Osteuropa, begann in Deutschland ein Abgrenzungsprozess deutscher Juden. Man unterschied nun zwischen Ostjudentum und Westjudentum. Die Westjuden konnten sich nicht mit den Ostjuden identifizieren, da sich diese in der Ausübung ihrer Religion und von ihrer gesellschaftlichen Stellung unterschieden. Wie Dolf Michaelis in seinem Bericht „Mein Blau-Weiß Erlebnis“ berichtet, wollten die Westjuden möglichst wenig mit den Ostjuden zu tun haben, da dass Ostjudentum „einen Schritt zurück bedeutete“.[12] Die Westjuden waren bereits emanzipierter, da sie eine Zeit lang Gleichberechtigung und Assimilation erfahren hatten. Die Ostjuden wurden dagegen von einem antisemitischen Regime unterdrückt. Für sie war die Emanzipation in weiter Ferne und Ausübung ihrer religiösen Bräuche und Traditionen der nötige Halt, den sie brauchten.[13] Der Großteil der Ostjuden kann demnach am ehesten den religiösen orthodoxen Juden zugeordnet werden. Die jüdische Bevölkerung war folglich keine homogene Masse, die die selben Bedürfnisse hatte und die gleichen Ziele verfolgte. Die Lage der Juden in Deutschland am Ende des 19. Jahrhunderts und zu Beginn des 20. war von Unsicherheit, Angst und Selbstzweifel geprägt. Die größten Probleme waren der Kampf gegen den Antisemitismus, die Unstimmigkeiten untereinander und die Suche nach der eigenen Identität.
2.3 Die allgemeine deutsche Jugendbewegung
Die deutsche Jugendbewegung, die im Jahr 1896 als Schülerwanderbewegung im Berliner Stadtteil Steglitz begonnen hatte, breitete sich rasch in ganz Deutschland aus.[14] Bei dem berühmten Treffen auf dem Hohen Meissner entstand die „Meissner Formel“, an die sich alle Jugendgruppen halten wollten:
Die Freideutsche Jugend will aus eigener Verantwortung, mit innerer Wahrhaftigkeit ihr Leben gestalten. Für diese innere Freiheit tritt sie unter allen Umständen geschlossen ein. Zur gegenseitigen Verständigung werden Freideutsche Jugendtage abgehalten. Alle gemeinsamen Veranstaltungen der Freideutschen Jugend sind alkohol- und nikotinfrei.[15]
Im Zentrum der Jugendbünde stand das gemeinsame Wandern in der freien Natur.[16] Das Wandern gab den Jugendlichen die Gelegenheit, kurzzeitig den Kontrollen und dem Leistungsdruck aus Schule und Elternhaus zu entfliehen.[17] Die Jugendbewegung wandte sich gegen die Bevormundung durch die Erwachsenen gegen bürgerliche Werte und lehnte Erscheinungen wie Vereinsamung, die industrielle Gesellschaft und die Intellektualisierung des Menschen ab. Die Jugendlichen fühlten sich verbunden durch die verschiedenen Formen des Protests, des Kampfes, der Kritik gegen die herrschende Ordnung der Gesellschaft und erfuhren diese kollektiven Momente bei gemeinsamen Veranstaltungen. Ihre Aktivitäten richteten sich gegen Konventionen und Entfremdung, dabei waren Freiheit und Gemeinschaft in der Natur von höherer Bedeutung als häusliche Geborgenheit.[18]
[...]
[1] Hetkamp, Jutta: Die jüdische Jugendbewegung in Deutschland von 1913-1933, Dissertation (phil.), Universität Essen 1991.
[2] Vgl. Budde, Gunilla: Blütezeit des Bürgertums. Bürgerlichkeit im 19. Jahrhundert, Darmstadt 2009, S. 115.
[3] Vgl. Monika Richarz (Hrsg.), Bürger auf Widerruf. Lebenszeugnisse deutscher Juden. 1780 – 1945, München 1989, S. 254.
[4] Vgl. Bernstein, S.: Der Zionismus. Sein Werden und seine Organisation, Berlin 1919, S. 13 – 15.
[5] Maier, Johann und Schäfer, Peter: Kleines Lexikon des Judentums. Stuttgart 1981, S. 324.
[6] Vgl. Rubinstein, Ammon: Geschichte des Zionismus. Von Theodor Herzl bis Heute. München 2001. S. 36.
[7] Vgl. Rubinstein, Amnon: Geschichte des Zionismus. Von Theodor Herzl bis Heute. München 2001, S. 19.
[8] Vgl. Theodor Herzl: Der Judenstaat. Jüdischer Verlag. Berlin 1920. S. 11.
[9] Vgl. Ebd. S.21 – 22.
[10] Vgl. Hettkamp, Jutta: Die jüdische Jugendbewegung in Deutschland von 1913-1933, Dissertation (phil.), Universität Essen 1991, S. 24.
[11] Vgl. Friedländer, Saul: Die politischen Entwicklungen von der Mitte des Ersten Weltkrieges bis zum Beginn der Weimarer Republik und ihr Einfluss auf die Judenfrage (1917 – 1923), S. 81.
[12] Vgl. Michaelis, Dolf: Mein Blau-Weiss Erlebnis. In: Bulletin des Leo Baeck Instituts, 5. Jg., Nr 17, Juni 1962, S. 51.
[13] Vgl. Geschichte des Zionismus. Von Theodor Herzl bis Heute. München 2001. S. 37.
[14] Vgl. Budde, Gunilla: Blütezeit des Bürgertums. Bürgerlichkeit im 19. Jahrhundert. Darmstadt 2009. S. 113.
[15] Schatzker, Chaim: Jüdische Jugend im zweiten Kaiserreich, S. 245.
[16] Vgl. Raasch, Rudolf: Deutsche Jugendbewegung und deutsche Gegenwart. Forschungsergebnisse zur Jugendfrage, Frankfurt am Main 1984, S. 33.
[17] Vgl. Budde, Gunilla: Blütezeit des Bürgertums. Bürgerlichkeit im 19. Jahrhundert. Darmstadt 2009. S. 114.
[18] Vgl. Schatzker, Chaim: Jüdische Jugend im zweiten Kaiserreich, S. 245 – 247.