In den Erziehungswissenschaften lassen sich hauptsächlich drei wissenschaftstheoretische Ansätze unterscheiden. Es gibt die geisteswissenschaftliche, die empirische und die kritische Erziehungswissenschaft. Jeder Ansatz hat eigene, unterschiedliche Vorstellungen davon, wie Wissen generiert wird, wie Fragen im Bereich der Erziehung beantwortet werden sollen und auf welche zu Grunde liegenden Annahmen und Theorien man sich stützen sollte. Aber nicht nur die drei Hauptansätze unterscheiden sich in ihren Ideologien, Annahmen und Methoden. Ebenfalls gibt es innerhalb eines Ansatzes unterschiedliche Konzepte und Strömungen. Die vorliegende Arbeit fokussiert hauptsächlich die empirische Erziehungswissenschaft. Die Begründung basiert einerseits auf persönlichem Interesse. Zusätzlich ist es auch so, dass beispielsweise durch die Ergebnisse der PISA-Untersuchung, die empirische Erziehungswissenschaft heute oft diskutiert wird und nicht selten im Zentrum der Öffentlichkeit steht. Bei all den Erkenntnissen und Ergebnissen aus den empirischen Untersuchungen muss sich die grundsätzliche Frage gestellt werden, ob es überhaupt möglich ist, menschliches Verhalten (oder erziehungswissenschaftliche Fragestellungen im Allgemeinen) durch empirische Methoden zu erklären. Können beispielsweise durch Beobachtungen oder Befragungen von Menschengruppen allgemeingültige Aussagen gemacht werden? Um Resultate von empirischen Untersuchungen besser verstehen und deuten zu können, scheint es sinnvoll, sich einmal näher mit dieser Thematik auseinanderzusetzten.
Die vorliegende Arbeit hat deshalb zum Ziel, die Absichten, Ziele und Methoden der empirischen Erziehungswissenschaft näher zu charakterisieren. Zusätzlich wird für ein besseres Verständnis der geschichtlichen Verlauf und die unterschiedlichen Strömungen der empirischen Erziehungswissenschaft zu beschreiben. Auch wird diskutiert, was die Unterschiede und Streitpunkte zwischen der empirischen und der geisteswissenschaftlichen Erziehungswissenschaften sind.
Im ersten Teil der Arbeit wird zuerst näher darauf eingegangen, wie sich die empirische Wissenschaft innerhalb des letzten Jahrhunderts entwickelt hat. Es werden zu Grunde liegenden wissenschaftstheoretischen Programme besprochen und die einzelnen Strömungen der empirischen Pädagogik näher beschrieben. In einem nächsten Schritt wird die geisteswissenschaftliche Pädagogik beschrieben, bevor die Streitpunkte der zwei genannten Ansätze diskutiert werden.
Inhalt
Einleitung
1 Überblick über die empirische Erziehungswissenschaft
1.1 Definition
1.2 Ziele
1.3 Geschichtlicher Verlauf
2 Wissenschaftstheoretische Programme
2.1 Empirismus/Positivismus
2.1.1 Induktionsproblem
2.2 Kritischer Rationalismus
3 Verschiedene Strömungen des Empirismus
3.1 Experimentelle Pädagogik
3.2 Pädagogische Tatsachenforschung:
3.3 Deskriptive Pädagogik
3.4 Erziehungswissenschaft als Integrationswissenschaft
3.5 Kritisch-rationale Erziehungswissenschaft
3.6 Methoden der empirisch Erziehungswissenschaft heute
4 Geisteswissenschaftliche Pädagogik
5 Richtungsstreit zwischen der geisteswissenschaftlichen und empirischen Erziehungswissenschaft
6 Schlusswort
Literatur
Einleitung
In den Erziehungswissenschaften lassen sich hauptsächlich drei wissenschaftstheoretische Ansätze unterscheiden. Es gibt die geisteswissenschaftliche, die empirische und die kritische Erziehungswissenschaften. Jeder Ansatz hat eigene, unterschiedliche Vorstellungen davon, wie Wissen generiert wird, wie Fragen im Bereich der Erziehung beantwortet werden sollen und auf welche zu Grunde liegenden Annahmen und Theorien gestützt werden sollte. Aber nicht nur die drei Hauptansätze unterscheiden sich in ihren Ideologien, Annahmen und Methoden. Ebenfalls gibt es innerhalb eines Ansatzes unterschiedliche Konzepte und Strömungen. Die vorliegende Arbeit fokussiert hauptsächlich die empirische Erziehungswissenschaft. Die Begründung basiert einerseits auf persönlichem Interesse. Zusätzlich ist es auch so, dass beispielsweise durch die Ergebnisse der PISA-Untersuchung, die empirische Erziehungswissenschaft heute oft diskutiert wird und nicht selten im Zentrum der Öffentlichkeit steht. Bei all den Erkenntnissen und Ergebnissen aus den empirischen Untersuchungen muss sich die grundsätzliche Frage gestellt werden, ob es überhaupt möglich ist, menschliches Verhalten (oder erziehungswissenschaftliche Fragestellungen im Allgemeinen) durch empirische Methoden zu erklären. Können beispielsweise durch Beobachtungen oder Befragungen von Menschengruppen allgemeingültige Aussagen gemacht werden? Um Resultate von empirischen Untersuchungen besser verstehen und deuten zu können, scheint es sinnvoll, sich einmal näher mit dieser Thematik auseinanderzusetzten.
Die vorliegende Arbeit hat deshalb zum Ziel, die Absichten, Ziele und Methoden der empirischen Erziehungswissenschaft näher zu charakterisieren. Zusätzlich wird für ein besseres Verständnis der geschichtlichen Verlauf und die unterschiedlichen Strömungen der empirischen Erziehungswissenschaft zu beschreiben. Auchwird diskutiert, was die Unterschiede und Streitpunkte zwischen der empirischen und der geisteswissenschaftlichen Erziehungswissenschaften sind.
Im ersten Teil der Arbeit wirdzuerst näher darauf eingegangen, wie sich die empirische Wissenschaft innerhalb des letzten Jahrhunderts entwickelt hat. Es werden zu Grunde liegenden wissenschaftstheoretischen Programme besprochen und die einzelnen Strömungen der empirischen Pädagogik näher beschrieben. In einem nächsten Schritt wird die geisteswissenschaftliche Pädagogik beschrieben, bevor die Streitpunkte der zwei genannten Ansätze diskutiert werden.
1 Überblick über die empirische Erziehungswissenschaft
In einem ersten Schritt soll der Begriff der „empirischen Wissenschaft“ definiert werden. Zusätzlich werden die Ziele dieses wissenschaftstheoretischen Ansatzes beschrieben, bevor näher auf den groben geschichtlichen Verlauf dieses Ansatzes eingegangen wird.
1.1 Definition
Wenn Wissenschaft auf die Erfahrung der menschlichen Sinne beruht, wird von empirischer Wissenschaft gesprochen (vgl. Kromrey, 2009, S. 27). Es wird davon ausgegangen, dass die klassischen Methoden der Naturwissenschaften (Experiment, Beobachtung) auch in den Erziehungswissenschaften angewendet werden können, um Erfahrungen zu gewinnen (vgl. Tschamler, 1983, S. 173).
1.2 Ziele
Die empirische Erziehungswissenschaft sieht ein pädagogisches Feld erst dann als korrekt beschrieben, wenn empirisch belegte Gesetzmässigkeiten vorgewiesen werden können (vgl. Lehner, 1994, S. 14). Andere wissenschaftstheoretische Ansätze kritisieren an der empirischen Wissenschaft oft, dass es nicht möglich sei, menschliches Verhalten in Gesetzten zu erklären. Denn wer das machen würde, würde sich zu sehr an den Naturwissenschaften orientieren (vgl. Lehner, 1994, S. 15). Auf diesen Vorwurfhin betont Lehner (a.a.O.)deutlich, dass es keinen klaren Unterschied zwischen naturwissenschaftlichen und pädagogischen Phänomenen gebe. Vielmehr würden beide versuchen, sich wiederholende und regelhafte Zusammenhänge ausfindig zu machen, um sie besser verstehen zu können. Schlussendlich ist es die Absicht jeder Wissenschaft, die Wirklichkeit zu erklären und beschreiben (a.a.O.). „Sie [die Wissenschaft] soll uns über die Erscheinungen der physischen und psychischen Realität in objektiver und zuverlässiger Weise informieren, vor allem aber sie erklären, sie verstehbar oder durchschaubar machen“ (a.a.O.).
Offensichtlich ist es allerdings so, dass der Mensch und sein Verhalten sehr komplex sind. Sein Verhalten wird durch zahlreiche Aspekte beeinflusst. Durch Empire entstandene Theorien sollten daher jeweils als vorläufiges Wissen betrachtet werden (vgl. Lehner, 1994, S. 16). Im Vergleich mit den Naturwissenschaften ist es für die Erziehungswissenschaft zwar möglich, Phänomene zu erklären und beschreiben. Eine derart präzise Antwort und genaue Voraussagen wie bei den Naturwissenschaften kann die empirische Erziehungswissenschaft auf Fragestellungen dann aber schlussendlich doch nicht geben. Dafür ist das menschliche Verhalten zu komplex.
Nach Lehner (vgl. 1994, S. 175) verfolgt die empirische Erziehungswissenschaft drei Ziele. Erstens soll sie dazu dienen, sinnvolle Erklärungen für Erziehungsphänomene zu finden. Als Beispiel nennt er die Entstehung von einzelnen Persönlichkeitseigenschaften oder die Wirkung verschiedener Erziehungsstile. Zweitens soll sie helfen, die Praktiker über Zweck-Mittel-Beziehungen zu informieren und sie soll ihnen wirkungsvolle und geprüfte Hilfsmittel für das Erreichen verschiedener Ziele anbieten. Drittens soll sie Erkenntnisse über Ziele und Normen von Erziehung geben und ihre Stimmigkeit mit anderen Zielen überprüfen. Das bedeutet, dass sie helfen soll, Konsequenzen möglicher Ziele und Vorgehensweisen zu erkennen. Bei allen genannten drei Aufgaben liegt der Schwerpunkt also auf dem Gewinnen von Informationen über Tatsachen.
1.3 Geschichtlicher Verlauf
Es kann nicht von DER empirischen Erziehungswissenschaft gesprochen werden. Vielmehr gibt und gab es zahlreiche verschiedene Richtungen und Strömungen. Allen ist allerdings gemeinsam, dass sie sich einem empirisches Erkenntnisprogramm zuordnen lassen (vgl. Raithel, Dollinger & Hörmann, 2009, S.187). In einem ersten Schritt soll nun die Geschichte der empirischen Erziehungswissenschaften in groben Zügen wiedergegeben werden, bevor dann näher auf die Erkenntnisprogramme und einzelnen Strömungen der Erziehungswissenschaften eingegangen wird.
„Seit dem Anfang dieses Jahrhunderts gab es zahlreiche Ansätze, die [empirische] Forschung zu einem festen Bestandteil der Erziehungswissenschaften zu machen“ (Wulf, 1983, S. 60). Den Ursprung findet das Konzept der Empirie in den Erziehungswissenschaften in der Psychologie. Inspiriert von der experimentellen Psychologie waren es W. August Lay und Ernst Meumann, welche um die Jahrhundertwende die experimentelle Überprüfung von Vermutungen in die Erziehungswissenschaften brachten (vgl. Tschamler, 1983, S. 176). Diese Strömung nannte sich die „experimentelle Pädagogik“. Lay und Meumannwaren Teil des szientifischen, wissenschaftlichen Flügel der Reformpädagogik und arbeiteten intensiv mit Lehrergruppen zusammen (vgl. Krüger, 1997, S. 38). Ernst Neumann hatte Philosophie studiert und in Tübingen promoviert. Zwischen 1893 und 1897 war er Assistent des Psychologen Wundt in Leipzig. In den Jahren zwischen 1907 und 1914 publizierte er die Vorlesung „Vorlesungen zur Einführung in die experimentelle Pädagogik“. Gemeinsam mit Lay gründete er die „Zeitschrift für experimentelle Pädagogik“ (a.a.O.). Wilhelm August Lay war Volksschullehrer. Später studierte er Philosophie, Pädagogik, Germanistik und Zoologie an der Universität Freiburg. Er promovierte 1903 an der Universität Halle und wurde anschliessend Professor in Karlsruhe am Lehrerseminar (a.a.O.). Die Publikationen von Lay und Meumann hatten jeweils mehrere Auflagen. Dies war ein deutliches Zeichen dafür, wie signifikant die Arbeiten über die empirische Forschung in der damaligen Zeit waren. Die ersten Methoden der experimentellen Pädagogik waren das Beobachten und das statistische Auswerten des Beobachteten (a.a.O.).Diese Methoden wurden allerdings eher als Bemühungen verstanden, um die geisteswissenschaftliche Erziehungswissenschaft zu ergänzen (vgl. Wulf, 1983, S. 60). Es gelang ihr allerdings nicht, etwas an der noch immer führenden Stellung der geisteswissenschaftlichen Erziehungswissenschaft ändern (a.a.O.).
Peter und seine Frau Else Petersen gingen im Vergleich zu Lay und Meumann im Jahre 1927 einen unterschiedlichen Weg, um die empirische Forschung weiterzuentwickeln. Ihr Ansatz wurde als die „pädagogische Tatsachenforschung“ bekannt (vgl. Wulf, 1983, S. 70). „Ziel der pädagogischen Tatsachenforschung war es, ohne die Übertragung von Methoden und Verfahren aus den anderen Wissenschaften wie Psychologie […]eine den Zielsetzungen der Erziehungswissenschaften entsprechenden Methodologie empirischer Forschung zu entwickeln“ (a.a.O.). Sie versuchten, hermeneutische und empirische Methoden zu verbinden, um Fragen der Erziehungswissenschaften besser erforschen zu können. Das Beobachten und das Protokollieren im Bereich des Schulalltags war ein Forschungsschwerpunkt von Petersen. Später in dieser Arbeit wird näher auf die Charakteristiken und Ziele dieser Strömung eingegangen.
Neben der pädagogischen Tatsachenforschung gab es eine zeitlich parallel aufstrebende Arbeitsrichtung. Es war die sogenannte deskriptive Pädagogik (vgl. Krüger, 1997. S. 39) Als Gründer der deskriptiven Pädagogik gilt Aloys Fischer (a.a.O.) Er hatte Philosophie und Psychologie an der Universität in München studiert. Nach erfolgreicher Promotion und anschliessender Habilitation wurde er 1918 ordentlicher Professor an der Universität München. Die deskriptive Erziehungswissenschaft wurde als reine Tatsachenforschung verstanden. Ohne Werturteil sollte sie nur das erforschen, was Theorien und Definitionen zu Grunde liegt. In den Erziehungswissenschaften fand sie nur mässig Beachtung. Die deskriptive Pädagogik wird ebenfalls im nachfolgenden Kapitel genauer erläutert.
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