Die Hamas. Eine Bewegung des politischen Islams in Palästina
Gab es innerhalb der Hamas hinsichtlich der Parlamentswahlen 2006 einen strukturellen Transformationsprozess?
Zusammenfassung
In diesem Zusammenhang müssen zwei zentrale Fragen gestellt werden. Warum entschied sich die Hamas an den Parlamentswahlen 2006 teilzunehmen? Ist die Teilnahme an den Wahlen das Resultat eines strukturellen Transformationsprozesses innerhalb der Hamas? Um tatsächlich feststellen zu können, ob es innerhalb der Hamas-Bewegung zu Strukturveränderungen gekommen ist, welche tendenziell weg von Gewalt und hin zu politischer Partizipation gingen, ist es notwendig, einen Rückgriff auf die Hamas-Charta aus dem Jahre 1988 herbeizuführen. Diese Charta soll dem Wahlprogramm der Hamas für die Parlamentswahlen im Jahre 2006 gegenüber gestellt werden. Dabei gilt es zu überprüfen, ob das Wahlprogramm von 2006 als Kontinuität der Charta von 1988 zu sehen ist. Danach soll die Frage beantwortet werden, warum sich die Hamas entschieden hat, auf die politische Bühne zu steigen und das herrschende System der Fatah auf demokratische Art und Weise herauszufordern? Eine zweite Frage stellt sich: Weshalb wurde die Hamas von der palästinensischen Bevölkerung gewählt? Abschließend soll ein Resümee die verschiedenen Punkte inhaltlich zusammenführen und die Fragestellung beantworten, ob es innerhalb der Hamas strukturelle Veränderungsprozesse gegeben hat. [...]
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Geschichtlicher Überblick der Hamas
2.1. Entstehungsgeschichte der Hamas
2.2. Die jüngere Geschichte der Hamas
3. Gegenüberstellung der Hamas-Charta und des Wahlprogramms
für die Parlamentswahlen
3.1. Hamas-Charta vom August
3.2. Wahlprogramm für die Parlamentswahlen
3.3. Das Wahlprogramm von 2006 als Kontinuität der Charta von 1988?
4. Gründe für die Teilnahme der Hamas an den Parlamentswahlen und für den Wahlerfolg der Hamas
4.1. Warum nahm die Hamas an den Wahlen teil?
4.2. Gründe für den Wahlerfolg der Hamas
5. Resümee
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Diese Seminararbeit beschäftigt sich mit der Hamas, einer Partei des politischen Islams in Palästina. Um detaillierter vorgehen zu können, wird das thematische Geschehen eingegrenzt und der Fokus auf das Jahr 2006 gerichtet, in dem die Parlamentswahlen im Gaza-Streifen und im Westjordanland statt fanden. An diesen Wahlen, welche selbst von kritischen westlichen BeobachterInnen als frei und fair eingestuft worden sind, beteiligte sich die Bewegung der Hamas. Obwohl die Partei erstmals an den Wahlen für den Palästinensischen Legislativrat teilgenommen hatte, konnte die Hamas einen eindeutigen und klaren Wahlsieg verzeichnen.
In diesem Zusammenhang müssen zwei zentrale Fragen gestellt werden. Warum entschied sich die Hamas an den Parlamentswahlen 2006 teilzunehmen? Ist die Teilnahme an den Wahlen das Resultat eines strukturellen Transformationsprozesses innerhalb der Hamas? Um tatsächlich feststellen zu können, ob es innerhalb der Hamas-Bewegung zu Strukturveränderungen gekommen ist, welche tendenziell weg von Gewalt und hin zu politischer Partizipation gingen, ist es notwendig, einen Rückgriff auf die Hamas-Charta aus dem Jahre 1988 herbeizuführen. Diese Charta soll dem Wahlprogramm der Hamas für die Parlamentswahlen im Jahre 2006 gegenüber gestellt werden. Dabei gilt es zu überprüfen, ob das Wahlprogramm von 2006 als Kontinuität der Charta von 1988 zu sehen ist. Danach soll die Frage beantwortet werden, warum sich die Hamas entschieden hat, auf die politische Bühne zu steigen und das herrschende System der Fatah auf demokratische Art und Weise herauszufordern? Eine zweite Frage stellt sich: Weshalb wurde die Hamas von der palästinensischen Bevölkerung gewählt? Abschließend soll ein Resümee die verschiedenen Punkte inhaltlich zusammenführen und die Fragestellung beantworten, ob es innerhalb der Hamas strukturelle Veränderungsprozesse gegeben hat. Als Einstieg in die Thematik dient ein kurzer geschichtlicher Abriss, der von der Entstehungsgeschichte der Hamas-Bewegung bis zur jüngeren Geschichte der Partei reicht.
In Bezug auf die Fragestellung kann man zwei Thesen aufstellen, die sich polarisierend gegenüberstehen. Die erste These lautet, dass die Hamas beabsichtigt hatte, die Institutionen der Fatah nur als Mittel zum Zweck zu benutzen, um weiterhin Terror auszuüben und radikale Hamas-Forderungen durchzusetzen. Wenn diese These zutreffend ist, dann kann man nicht von strukturellen Veränderungen innerhalb der Hamas sprechen. Die zweite These lautet, dass innerhalb der Hamas ein struktureller Transformationsprozess stattgefunden hat. Wenn diese These zutreffend ist, dann sollte das Wahlprogramm für die Parlamentswahlen des Jahres 2006 nicht immanent mit den radikalen Positionen der Hamas-Charta aus dem Jahre 1988 sein. Innerhalb der Hamas-Bewegung müsste es eine bewusste, überlegte und strategische Entscheidung gegeben haben für das Aufnehmen eines Weges der demokratischen Partizipation. Diese beiden sich gegenüberstehenden Thesen gilt es nun zu überprüfen.
2. Geschichtlicher Überblick der Hamas
Der Einstieg in die Thematik erfolgt anhand einer kurzen Darstellung zur Historie der Hamas-Bewegung, welche jedoch keinesfalls den Anspruch auf Vollständigkeit beansprucht. Zum einen soll die Gründung und Entstehungsgeschichte der Hamas beleuchtet, zum anderen die jüngere Geschichte der Bewegung begutachtet werden.
2.1. Entstehungsgeschichte der Hamas
Die Gründung der Hamas erfolgte am 9. Dezember 1987. Unter der Führung von Scheich Ahmad Yasin entstand in Gaza die Hamas, welche sich aus der Muslimbruderschaft herausgebildet hatte. Das Ziel der neu geschaffenen Organisation lag darin, politische Theorien in praktische Aktionen zu verwirklichen, was im konkreten Fall bedeutete, den Kampf gegen die israelische Besatzung aufzunehmen. In der Anfangsphase agierte die Bewegung vor allem dahingehend, Demonstrationen im Gaza-Streifen zu organisieren sowie Flugblätter in Gaza und im Westjordanland zu verteilen. Anfangs fungierte die Organisation unter der Bezeichnung „Bewegung des Islamischen Widerstandes“. Jedoch schon im vierten Flugblatt tauchten erstmals die arabischen Buchstaben ha-mim-sin auf, welche hara-kat al-muqawama al-islamiya bedeuten. Auf dem fünften Flugblatt von Mitte Februar 1988 wurde erstmals das Akronym Hamas verwendet, welches laut Ismail Abu Schanab entstand, indem er aus den Buchstaben ha-min-sin Hamas bildete, das auch die Bedeutung „Eifer“ beinhaltet (vgl. Baumgarten 2006: 37ff.).
Scheich Ahmad Yasin beschreibt die Entwicklung der Hamas-Bewegung in vier aufeinander folgenden Stufen. In der ersten Phase wurden Institutionen eingerichtet, die Sozialkomitees und Wohlfahrtseinrichtungen einbeziehen, um dadurch in der palästinensischen Bevölkerung Unterstützung beim Widerstand gegen die israelische Besatzung zu gewinnen. Die zweite Phase sah vor, die Wurzeln des Widerstandes in der ganzen Westbank und dem Gazastreifen zu stärken und die politische Glaubwürdigkeit zu verstärken. Die dritte Entwicklungsstufe war darauf ausgerichtet, die militärischen Kapazitäten von sehr einfachen Waffen auf hochwertigeres Material auszubauen. Als vierte und letzte Stufe der Entwicklung wurde angesehen, sich über die palästinensische Dimension hinaus zu bewegen und einen Dialog mit arabischen Nachbarn zu etablieren (vgl. Chehab 2007: 21f).
Das Ziel der Hamas-Bewegung liegt in der Beseitigung des Staates Israel und der Errichtung eines islamischen Staates an dessen Stelle. Als palästinensisches Gebiet werden all jene Gebiete angesehen, die einstmals zum britischen Mandatsgebiet zählten, also die West Bank, der Gazastreifen und das Gebiet des heutigen Staates Israel. Das Ziel der Errichtung eines islamischen Staates will die Hamas mit der verknüpfenden Anwendung von drei Ebenen erreichen. Die erste Ebene sind Aktivitäten im Bereich der sozialen Wohlfahrt, die Unterstützung auf unterster Ebene für die Hamas-Bewegung bezwecken soll. Die zweite Ebene zielt auf politische Aktivitäten ab. Auf dieser Ebene steht die Hamas demnach im Wettbewerb mit der PLO. Die dritte Ebene beinhaltet militärische Angriffe auf israelische SoldatInnen und Zivilisten (vgl. Levitt 2006: 8).
Die Hamas steht dem säkularen-nationalen Ansatz der PLO mit einem islamisch-nationalen Konzept gegenüber. Das Auftreten eines Gegenspielers in Form der Hamas-Bewegung führte bei der PLO nicht zu einer Abänderung von Strategien und Zielen, jedoch zu einer stärkeren Islamisierung, als es davor der Fall war. Die Hamas forderte somit bezüglich religiöser Vorstellungen, politischer Ziele und kommunaler Belange den Anspruch der PLO heraus, als einziger und exklusiver Akteur für die palästinensische Gemeinde zu fungieren. Die Hamas-Bewegung infudierte demnach Religion mit dem nationalen Anliegen, was den Anspruch auf die Islamisierung der palästinensischen Gesellschaft und den palästinensischen Staat beinhaltete (vgl. Mishal 2006: 15).
2.2. Die jüngere Geschichte der Hamas
Seit ihrer Gründung im Jahre 1987 hat die Hamas zahlreiche Angriffe gegen militärische und zivile Ziele begangen. Zwischen Februar 1989 und März 2000 kam es zu 27 Anschlägen durch die Hamas. Traurige Berühmtheit erlangte die Organisation vor allem durch ihre Selbstmordattentate. Mit dem Ausbruch der zweiten Intifada im September 2000 wurden bis März 2004 52 Selbstmordattentate ausgeführt, bei denen 288 Menschen getötet und weitere 1.646 Menschen verletzt wurden (vgl. Levitt 2006: 12). Neben der militärischen Seite der Hamas sind jedoch auch die sozialen Tätigkeiten in der palästinensischen Gesellschaft zu erwähnen.
„Hamas is a movement identified with Islamic fundamentalism and murderous suicide bombings. At the top of its agenda are liberating Palestine through a holy war against Israel, establishing an Islamic state on its soil, and reforming society in the spirit of true Islam. [...] Islamic and national zeal, bitter opposition to the Israeli-Palestinian peace process, and strategies of terror and violence against Israel have become the movement's hallmark. A close scrutiny of Hamas's roots and its record since its establishment at the outbreak of the Palestinian uprising (Intifada) in December 1987, however, reveals that contrary to this description, it is essentially a social movement. As such, Hamas has directed its energies and resources primarily toward providing services to the community, especially responding to its immediate hardships and concerns. As a religious movement involved in a wide range of social activities, Hamas is deeply rooted in the Palestinian society in the West Bank and Gaza Strip and thus is aware of the society's anxieties, sharing its concerns, expressing its aspirations, and tending to its needs and difficulties.“ (Mishal 2006: vii).
Die palästinensischen Parlamentswahlen am 25. Januar 2006 wurden von der Hamas-Bewegung, welche unter dem Namen „Wandel und Reform“ angetreten war, mit deutlicher Mehrheit gewonnen. Im Palästinensischen Legislativrat erreichte die Hamas eine absolute Mehrheit bei 74 von 132 möglichen Sitzen (vgl. Asseburg 2006: 1).
Die Regierung der nationalen Einheit unter dem palästinensischen Präsidenten Mahmud Abbas fand im Juni 2007 ihr Ende, nachdem die Hamas-Bewegung bei gewaltsamen Kämpfen im Gazastreifen die Oberhand gewonnen hatte. Eine Notstandsregierung wurde eingesetzt und eine weitere Kooperation mit der Hamas entschieden zurückgewiesen. Die direkte Folge aus diesen Ereignissen ist nun, dass in den palästinensischen Gebieten zwei Regierungen im Amt sind. Im Gazastreifen hält die Hamas die Macht in den Händen, im Westjordanland eine Fatah-Notstandsregierung (vgl. Asseburg 2007: 1).
Die Ursachen für die gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Hamas und Fatah sind direkt in der Zeit nach den Parlamentswahlen von 2006 zu suchen. Der Hamas gelang es damals nicht, die Fatah in eine Regierung der nationalen Einheit mit einzubeziehen. Daher stellte die Hamas bis Mitte März 2006 eine eigene Regierung unter Premierminister Ismail Haniyeh, der auch unabhängige Vertreter angehörten. Die darauf folgenden Kämpfe zwischen Fatah und Hamas haben ihren Grund in der Tatsache, dass sich die Fatah der deutlichen Wahlniederlage nicht beugen wollte. Gleichzeitig wurde die Hamas-Regierung von israelischer und westlicher Seite isoliert. Ab Mitte März 2007 wurde auf Grundlage des sogenannten Mekka-Abkommens eine Regierung der nationalen Einheit unter Premierminister Haniyeh gebildet, der neben Hamas und Fatah auch andere Parteien angehörten. Jedoch hielt diese nur bis Juni 2007, wie im letzten Absatz schon angesprochen wurde. Die Wissenschaftlerin Asseburg von der Stiftung Wissenschaft und Politik begründet das Scheitern der nationalen Einheitsregierung vor allem mit dem Machtanspruch der Fatah sowie der Isolationspolitik des Westens gegenüber den Hamas-Regierungsmitgliedern (vgl. Asseburg 2007: 2f).
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