Diese Hausarbeit beschäftigt sich mit dem System der Jugendhilfe und den Heimen der DDR. Es soll an das erlittene Unrecht der Kinder, Jugendlichen und deren Familien erinnert werden, deren Menschenrechte mit Füßen getreten wurden. Die Hausarbeit beschäftigt sich mit einem dunklen Teil der DDR-Sozialgeschichte, die schon fast wieder in Vergessenheit geraten ist. Heutzutage wird in Ostalgie-Fernsehshows die Geschichte der DDR verklärt und schön geredet bzw. werden wieder Stimmen laut, die eine härtere und schärfere Bestrafung von Jugendlichen fordern. Die Schicksale der Einzelnen werden dabei völlig außer Acht gelassen und sind nicht im öffentlichen Bewusstsein vorhanden. Erst seit 2009 beschäftigt sich ein Runder Tisch des Deutschen Bundestages mit den Menschenrechtsverletzungen in konfessionellen und staatlichen Heimen, das verdrängte Schicksal wird nun aufgearbeitet. Diese Hausarbeit soll ein kleiner Beitrag zur Aufarbeitung über die Jugendhilfe in der DDR sein und soll gegen das Vergessen erinnern.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
1.1. Problemaufriss1
1.2. Zentrale Fragestellung.
1.3. Methodische Vorgehensweise
2. Der Mensch und das sozialistische System
2.1. Die Rolle des Menschen im sozialistischen Weltbild der DDR
2.2. Merkmale einer sozialistischen Persönlichkeit
3. Jugendliche und das sozialistische System
3.1. Definitionsversuche abweichendes Verhalten in der DDR
3.2. Ursachen von deviantes Verhalten und Jugendkriminalität aus Sicht der DDR
3.3. Formen der Devianz bei Jugendlichen in der DDR
3.3.1. Die Rowdys.
3.3.2. Die Eckensteher
3.3.3. Hippies und Gammler
3.3.4. Punks und Skinheads.
4. Die Jugendhilfe in der DDR
4.1. Die Entwicklung der Jugendhilfe in der DDR
4.2. Aufbau der Jugendhilfe in der DDR
4.3. Das Heimsystem in der DDR.
4.4. Die Maßnahmen der Jugendhilfe und ihr rechtlicher Hintergrund.
5. Die Jugendwerkhöfe (JWH) in der DDR
5.1. Die Entstehung der JWH und ihre Aufgaben
5.2. Der Geschlossene Jugendwerkhof Torgau (GJWH) - ein Haus der Jugendhilfe
6. Schlussfolgerung für die Soziale Arbeit .
7. Zusammenfassung
8. Quellen- und Literaturverzeichnis
9. Anhang
1 Einleitung
1.1 Problemaufriss
Diese Hausarbeit beschäftigt sich mit dem System der Jugendhilfe und den Heimen der DDR. Es soll an das erlittene Unrecht der Kinder, Jugendlichen und deren Familien erinnert werden, dessen Menschenrechte mit Füßen getreten wurden. Die Hausarbeit beschäftigt sich mit einem dunklen Teil der DDR-Sozialgeschichte, die schon fast wieder in Vergessenheit geraten ist. Heutzutage wird in Ostalgie-Fernsehshows die Geschichte der DDR verklärt und schön geredet bzw. werden wieder Stimmen laut, die eine härtere und schärfere Bestrafung von Jugendlichen fordern. Die Schicksale der Einzelnen werden dabei völlig außer Acht gelassen und sind nicht im öffentlichen Bewusstsein vorhanden. Erst seit 2009 beschäftigt sich ein Runder Tisch des Deutschen Bundestages mit den Menschenrechtsverletzungen in konfessionellen und staatlichen Heimen, das verdrängte Schicksal wird nun aufgearbeitet. Diese Hausarbeit soll ein kleiner Beitrag zur Aufarbeitung über die Jugendhilfe in der DDR sein und soll gegen das Vergessen erinnern.
1.2 Zentrale Fragestellung
Mit welchen Maßnahmen reagierte die DDR auf jugendliche Devianz in Bezug auf das sozialistische Menschenbild; wie war das System der Jugendhilfe organisiert und wie gestaltete sich die Heimunterbringung, speziell in den Jugendwerkhöfen?
1.3 Methodische Vorgehensweise
Um einen Einstieg in die Thematik zu ermöglichen, wird zunächst die Ideologie der DDR und ihr sozialistisches System vorgestellt, in dem sich die Bürger und die Jugendlichen befanden. Anschließend wird auf das deviante Verhalten von Jugendlich eingegangen, welche Erscheinungsformen es laut der SED-Regierung gab und wie sie versucht hat diese einzuordnen. Der vierte Punkt befasst sich speziell mit der geschichtlichen Entwicklung, der Struktur, den Maßnahmen und Zielstellungen der Jugendhilfe. Dabei wird genauer auf das System der Kinder- und Jugendheime eingegangen. Der fünfte Punkt beschäftigt sich mit der Entstehungsgeschichte und den Aufgaben der Jugendwerkhöfe. Hierbei wird insbesondere auf die Zustände des Geschlossenen Jugendwerkhof Torgau eingegangen.
2 Der Mensch und das sozialistische System
2.1 Die Rolle des Menschen im sozialistischen Weltbild der DDR
Das Staatssystem wurde anhand der marxistisch-leninistischen Ideologie konzipiert und war ein sozialistischer Staat. Das auf Kollektivismus beruhende Menschenbild spiegelte sich in sämtlichen Bereichen des Alltages wider (Verfassung der DDR 1968, Art.1). Die Menschen in der DDR sollten zu sozialistischen Bürger erzogen werden und ein funktionierendes Mitglied in diesem System sein. Ein kollektives Bewusstsein sollte herausgebildet werden um sich der Gesellschaft besser anzupassen. Seine/Ihre gesellschaftlichen Verbindungen sind mehr als die Summe von Einzelwesen und erlangen eine höhere, überindividuelle Eigenpersönlichkeit. Der Staat und die Gesellschaft stehen über den Einzelnen. Das Individuum hat sich den Prinzipien des Staates unter zu ordnen. Das Einzelinteresse deckt sich im Kollektivismus nicht mit dem Gesamtinteresse der Gesellschaft (Nolte 2009, 61 f.).
2.2 Die Merkmale einer sozialistischen Persönlichkeit
Die sozialistische Persönlichkeit galt schon bald als Idealbild. Die wichtigsten Eigenschaften waren neben der Vaterlandsliebe, die volle Einsatzbereitschaft im Privat- und Arbeitsleben, eine strenge Selbstdisziplin, Kameradschaftlichkeit, Opferbereitschaft für die sozialistische Gemeinschaft und Verantwortungsgefühl gegenüber der Gesellschaft, wonach man sein eigenes Handeln ausrichten sollte (Jugendhilfe 1972, 139 f.). Gesunde, starke, angepasste, gut ausgebildete, arbeitsame, kollektivbewusste und staatstreue Menschen waren also die Idealbilder einer sozialistischen Persönlichkeit .
Ein davon abweichendes Verhalten wurde als soziale Fehlentwicklung bzw. als asozial gedeutet. Um dagegen vorzubeugen, wurden die Familien angehalten, ihre Kinder nach den Vorgaben der SED-Regierung so zu erziehen, dass sich die oben genannten Eigenschaften entwickeln (ebd.).
3 Jugendliche und das sozialistische System
3.1 Definitionsversuch abweichendes Verhalten in der DDR
Eine einheitliche Definition des Begriffes abweichendes Verhalten gab es nicht. In der DDR wurden eher die auftretenden Erscheinungsbilder und deren unangepassten Verhaltensweisen im Kontext von gesellschaftlich erwarteten Normen gesehen. Dadurch entwickelte sich eine Vielfalt von Begrifflichkeiten, welche das abweichende Verhalten umschrieben. Es ist von Verwahrlosung, Schwererziehbarkeit, sozialer Fehlentwicklung, Delinquenz, Entwicklungsgefährdung oder Dis- bzw. Asozialität die Rede. (Zimmermann 2004, 72). Arbeitslosigkeit trotz Arbeitsfähigkeit, mangelnde Arbeitsdisziplin und ständiger Alkoholkonsum gehörten zu den Verhaltensweisen, welche unmittelbar mit einer kriminellen und asozialen Lebensführung gleichgestellt wurden (Jugendhilfe 1972, 47 f.).
Im pädagogischen Wörterbuch der DDR wird Schwererziehbarkeit wie folgt definiert: „Störung in der Persönlichkeitsentwicklung bestimmter Kinder und Jugendlicher, derentwegen die üblichen Erziehungsmittel und –praktiken zum Erzielen normgerechten Verhaltens im schulischen und außerschulischen Bereich und dem Leistungsvermögen angemessener Lernergebnisse versagen. S. ist keine irreparable Störung, die notwendig zur Asozialität führt, sondern kann in den meisten Fällen durch grundlegende Veränderung der sozialen Situation und durch erhöhten und gezielten Erziehungsaufwand über längere Zeit abgebaut werden.“ (Pädagogisches Wörterbuch 1987, 340). Der ostdeutsche Psychologe Otma Schütze definierte abweichendes Verhalten wie folgt: „Ein von der gesellschaftlichen Norm abweichende individuelle Entwicklungstendenz, die sich vor allem in einer Abweichung von der Norm im Leistungsbereich und vor allen Dingen im Bereich des Sozialverhaltens zeigte.“ (Schütze 1969 in Zimmermann 2004, 73). Der sowjetischer Pädagoge Anton Semjonowitsch Makarenko, auf dessen pädagogischen Ansichten sich die DDR immer berufen hatte, definierte Schwererziehbarkeit als „...Defektivität der sozialen Beziehungen...“, als „...Störung der Beziehung zwischen Persönlichkeit und Gesellschaft...“ (Makarenko 1956 in Zimmermann 2004, 72). Seiner Ansicht nach bestand der Konflikt darin, dass es eine Verletzung der gesellschaftlichen Disziplin gab. Abweichendes Verhalten war dann gegeben, wenn eine Verhaltensweise nicht der gesellschaftlichen Anforderung entsprach.
3.2 Ursachen von deviantes Verhalten und Jugendkriminalität aus Sicht der DDR
In der DDR wurde die Ansicht vertreten, dass es offiziell keine Kriminalität gäbe, da das sozialistische System allen anderen Systemen überlegen sei. Mann ging davon aus, dass kriminell verhaltene Menschen sich außerhalb der Gesellschaft bewegten. Die SED-Regierung war der festen Überzeugung, dass von den zur staatstreuen und zu Kollektivismus erzogenen Individuen, kein eigennütziges und auch kein deviantes Verhalten ausgehen könne. Dennoch war man der Ansicht das es für deviantes Verhalten von Jugendlichen drei Hauptursachen gab.
Zunächst wurde Kriminalität als ein Überrest der kapitalistischen und bürgerlichen Vergangenheit betrachtet. Eine andere Ansicht betrachtete Devianz und kriminelles Verhalten Jugendlicher als das Ergebnis von schädlichen Einwirkungen aus Westdeutschland und den USA (Grundfragen des neuen Strafgesetzbuches der DDR 1963, 99). Dieser Einfluss wurde in seiner Wirkung als jugendgefährdend eingestuft. Ein anderer Erklärungsansatz begriff Unmoral als Ursache. Ein unmoralischer Mensch hätte das Wesen eines antisozialen Menschen und demzufolge auch dessen asoziale Lebensweise. Nach der Logik der DDR führte ein antisoziales Wesen auch antisoziale Handlungen gegenüber der Gesellschaft aus und stellte dadurch eine Gefährdung für die Allgemeinheit und die öffentliche Ordnung dar. Solch ein Verhalten wurde als Ursache für weitere Straftaten angesehen (Grundfragen des neuen Strafgesetzbuches 1963, 103 ff.). Hierbei suchte man die Ursachen außerhalb des Systems. Man gab den Eltern die Hauptverantwortung für ein kriminelles Verhalten ihrer Kinder. Aufgrund der falschen Erziehung würde man die Herausbildung eines asozialen Wesens mit kriminellen Potential begünstigen (Zimmermann 2004, 128).
3.3 Formen der Devianz bei Jugendlichen in der DDR
Unter der Begrifflichkeit des abweichenden Verhalten wurde auch die jugendliche Subkultur erfasst. Die Funktionäre der DDR wünschten sich eine Staatsjugend, die linientreu ist und den Normvorstellungen der SED-Regierung entsprach. Es wurde versucht eine eigene sozialistische Jugendkultur aufzubauen, die Staatskonform war. Die Ostdeutsche Jugend orientierte sich jedoch an der westdeutschen Kultur. Sie hörten lieber Westmusik und kleideten sich nach westlichem Vorbild.
Die Jugendlichen wollten ihr Verlangen nach einer Jugendkultur stillen, die nicht durch politische Indoktrination beeinflusst war (Zimmermann 2004, 79 ff.). Sie entzog sich den staatlichen Einflüssen und stand deswegen unter ständiger Beobachtung von staatl. Institutionen und Organisationen. Das Verhalten von Jugendlichen, die sich in dieser Subkultur aufhielten, wurde als schwererziehbar oder asozial erfasst und teilweise kriminalisiert. Dazu gehörten die sogenannten „Eckensteher“ und „Rowdys“ in den 1950er Jahren, die „Hippies“ und „Gammler“ in den 1960er und 1970er Jahren und die „Punks“ und Skinheads“ in den 1980er Jahren (Krausz 2010, 5).
3.3.1 Die Rowdys
Für die DDR war das Rowdytum eine Erscheinungsform der Jugendkriminalität. Jegliches auffälliges Verhalten wurde als Rowdytum erfasst. Darunter zählten typische Jugendstreiche, kleinere Diebstähle und Lärm in der Öffentlichkeit. Die DDR sah hier anarchische Tendenzen und befürchtete einen Autoritätsverlust (Zimmermann 2004, 82). Daher wurde dieses Verhalten als Gefährdung für die öffentliche Ordnung und Sicherheit gesehen und konnte mit einer Haftstrafe bis zu fünf Jahren sanktionert werden (StGB der DDR 1986, § 215).
3.3.2 Die Eckensteher
Unter den Begriff Eckensteher verstand man das Herumstehen und das Treffen Jugendlicher in Cliquen auf öffentlichen Plätzen und Straßen. Die Eckensteher bildeten zwar keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit, jedoch wurde dieses Verhalten als Vorstufe zum Rowdytum gewertet. Nach der Auffassung der SED wäre von hier aus der nächste Schritt zu einer kriminellen Handlung nicht weit gewesen. (Zimmermann 2004, 88).
3.3.3 Hippies und Gammler
Das Verhalten von Hippies und Gammler wurde mit folgendem Eigenschaften beschrieben: Sie gingen keiner geregelten Arbeit nach. In ihrer Freizeit leisteten sie keinen Beitrag für die Gesellschaft sondern, hörten lieber Musik, gingen Tanzen und beschäftigten sich überwiegend mit philosophischen Fragen.
Vor allem hätten sie keine gefestigten Grundüberzeugungen und identifizieren sich nicht mit dem sozialistischen Vaterland. Sie hätten eine Neigung zu Asozialität.
Besonders ihr unangepasstes Aussehen stiftete bei vielen Verwirrung. Sie trugen lange Haare und waren anders gekleidet (ebd.).
3.3.4 Punks und Skinheads
In den 80er Jahren traten in der DDR auch Punks und Skinheads zum Vorschein. Die Ursachenforschung beschränkte sich darauf, dass das rechtsextremistische Gedankengut aus der BRD in die DDR herübergeschwappt sei. Nach einer sozialbedingten Ursache innerhalb des Landes wurde jedoch nicht gesucht (Zimmermann 2004, 92). So würden auch Skinheads aus asozialen Familienstrukturen kommen und die sozialistische Lebensführung ablehnen. Punks und Skins unterschied man darin, dass Skinheads im Gegensatz zu den Punks berufstätig sind. Punks hätten eine niedrige Arbeitsmoral, sind in größeren Städten anzutreffen und seien verwahrlost (Zimmermann 2004, 92 f).
Oft wurde das Verhalten Jugendlicher schnell kriminalisiert oder als asoziales Er-scheinungsbild eingeordnet. Die sozialistische Moralvorstellung duldete keine Abweichungen. Jugendliche, die durch ihr Verhalten negativ auffielen, passten nicht in das Bild der sozialistischen Gemeinschaft. Wer durch das gesellschaftliche Raster viel, sollte durch die richtige Erziehung umgeformt werden, notfalls mit Zwang und Strafe.
4 Die Jugendhilfe in der DDR
4.1 Die Entwicklung der Jugendhilfe in der DDR
Die Jugendhilfe gab es bereits in der Weimarer Republik und wurde durch das Reichsgesetz für Jugendwohlfahrt (RJWG) von 1922 garantiert. Aufgrund der Notlage von Kindern und Jugendlichen nach den II Weltkrieg war eine unverzügliche Reaktion nötig. Deshalb knüpfte man unmittelbar an die Gesetze Weimarer Jugendwohlfahrtspflege an. Unter der Entfernung von nationalsozialistischen Elementen galt das RJWG bis 1947 in der sowjetischen Besatzungszone. 1947 erfolgte die Ausgliederung der Jugendhilfe aus dem Sozialwesen und wurde dem Bildungswesen zugeordnet. 1950 wurden die Jugendämter aufgelöst (Krausz 2010, 24).
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