Vergleich der Individualisierungstheorien bei Simmel, Bauman und Beck
Zusammenfassung
Dazu wird zunächst Becks These der Risikogesellschaft in ihren wichtigsten Grundzügen erläutert. Danach folgen jeweils Einführungen zum Begriff der "flüchtigen Moderne" von Zygmunt Bauman sowie Simmels Analyse der Individualisierung und des Wandels der sozialen Kreise anhand der Ausgangsfrage, inwiefern man diese Aspekte soziologischer Theorie mit Becks Theorie verbinden und gemeinsam interpretieren kann, obwohl Simmel seine Ansichten in einer vollkommen anderen Zeit erstellte und Bauman und Beck unabhängig voneinander arbeiteten.
Anschließend wird dazu ein kurzes Resümee gezogen.
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
I: Vorwort
II: Ulrich Beck: Die Risikogesellschaft
III: Zygmunt Bauman und die „flüchtige Moderne“
IV: Der Prozess der Individualisierung bei Georg Simmel
V: Zusammenfassendes Fazit der Untersuchung
I: Vorwort
Diese Hausarbeit soll klären, inwiefern Ulrich Becks These von der modernen Risikogesellschaft schon von soziologischen Theoretikern aus früherer Zeit quasi vorweggenommen wurde bzw. ob sich Teile oder Andeutungen der Beckschen Risikogesellschaft bereits bei früheren Ansätzen wiederfinden oder dahingehend zu interpretieren sind.
Dazu wird zunächst Becks These der Risikogesellschaft in ihren wichtigsten Grundzügen erläutert. Danach folgen jeweils Einführungen zum Begriff der „flüchtigen Moderne“ von Zygmunt Bauman sowie Simmels Analyse der Individualisierung und des Wandels der sozialen Kreise anhand der Ausgangsfrage, inwiefern man diese Aspekte soziologischer Theorie mit Becks Theorie verbinden und gemeinsam interpretieren kann, obwohl Simmel seine Ansichten in einer vollkommen anderen Zeit erstellte und Bauman und Beck unabhängig voneinander arbeiteten.
Anschließend wird dazu ein kurzes Resümee gezogen.
II: Ulrich Beck: Die Risikogesellschaft
Becks wohl bekanntester soziologischer Ansatz soll kurz näher erläutert werden:
Er geht davon aus, dass sich in der modernen Welt alles in „riskante Freiheiten“ verwandelt hat, weil heute von den Menschen erwartet wird, dass sie ihr Leben selbst in die Hand nehmen[1]. Beck sieht diese Entwicklung ambivalent: Einerseits spricht er mit Wiesenthal von einem „dramatischen Absturz in die Moderne“[2], andererseits wertet er mit den Worten Friedrich Schorlemmers diese entstandene Bindungslosigkeit als Freiheit[3]. In der modernen Gesellschaft kommen auf den einzelnen neue institutionelle Anforderungen, Kontrollen und Zwänge zu. Über Arbeitsmarkt, Wohlfahrtsstaat und Bürokratie wird er in Netze von Regelungen, Maßgaben und Anspruchsvoraussetzungen eingebunden[4].
Diese Entwicklung hat laut Beck auch gravierende Auswirkungen auf die Biographie des Individuums: Die „Normalbiographie“ wird zur „Wahlbiographie“ und dadurch auch zur „Bastelbiographie“. Diese ist immer auch zugleich eine „Risikobiographie“, da in der selbst gebastelten Biographie nicht immer alles gelingen muss[5]. Man hat also die freie Auswahl, wie man seine eigene Biographie gestaltet, und diese Tatsache erhöht den Risikofaktor im eigenen Leben.
Beck analysiert sehr zutreffend, wie auch der Sozialstaat die Menschen zu einer individuellen eigenständigen Lebensweise erziehen will, da beispielsweise viele Rechte und Anspruchsvoraussetzungen eher auf Individuen als auf Familien ausgerichtet sind[6]. Es nimmt das zur Wahlfreiheit angehaltene Individuum in der Moderne die Stelle ein, welche früher Faktoren wie Gott, die Natur oder das System beanspruchten[7].
III: Zygmunt Bauman und die „flüchtige Moderne“
Zunächst soll Baumans soziologische Theorie von der „flüchtigen Moderne“ kurz näher erläutert werden, bevor sie in Verbindung mit Becks Individualisierungsthese interpretiert wird.
„Flüchtige Moderne ist ein beständiger Prozess des Relationierens von Interessen, Bedürfnissen und Beziehungen, ohne dass eine längerfristige Stabilität erreicht wird. Dadurch rückt der Vorgang des Relationierens, des Anordnens als Grundlage für eine Ordnung in den Mittelpunkt. Flüchtigkeit resultiert aus der reinen Prozessualität des Anordnens, des Relationierens.“[8]
Matthias Junge charakterisiert hier Baumans flüchtige Moderne als einen rastlosen, beständig sich im Fluss befindenden Prozess, der im Grunde nie sich an einem festen Punkt stabilisiert. Somit ist Flüchtigkeit im Baumanschen Sinne nur noch eine Ordnung, die, wenn überhaupt, nur noch in der Relation von Teilen und ihrer wechselseitigen Beweglichkeit aufgefunden werden kann[9].
Zwar behauptet Bauman, dass die flüchtige Moderne von einer Auflösung von Ordnung gekennzeichnet sei, jedoch scheint er gleichzeitig eine neuartige Form der Ordnung zu beschreiben, deren Hauptmerkmale Flüchtigkeit, Instabilität und Fragilität sind[10].
Hier sind auffällige Ähnlichkeiten zu Beck festzustellen: Eine Auflösung alter Ordnungsmodelle findet auch bei ihm statt, gleichzeitig tritt an die Stelle der alten Gewissheiten mit den postulierten „riskanten Freiheiten“, also den „Wahlfreiheiten“, eine Ordnung, die eigentlich keine ist, aber aufgrund des verlässlichen Rahmens, den dieser Risikofaktor stellt, eine begrenzte Ordnung bildet, in der sich das Individuum bewegt. Die flüchtige Moderne kennzeichnet die Eigenschaft, dass sie das Individuum einer verschärften Privatisierung aussetzt. Diese Privatisierung geht einher mit der endgültigen Durchsetzung der Risikogesellschaft[11], einem Begriff Becks. Bauman sieht somit eine zunehmende Tendenz einer ausgeprägten Individualisierung und Privatisierung von Risiken[12], welche man als Synonym für Becks „riskante Freiheiten“ interpretieren kann. Die postulierte verschärfte Privatisierung hängt sowohl eng mit der Wahlfreiheit des Individuums hinsichtlich der Konstruierung seiner Biographie zusammen als auch mit dem Zwang und der Aufforderung von institutioneller Seite an das Individuum, sein Leben selbstbestimmt zu gestalten[13].
Sowohl Beck als auch Bauman sehen die Tendenzen der Individualisierung als allumfassend an: Beck analysiert sie als Auflösung vorgegebener sozialer Lebensformen, beispielsweise Klasse und Stand, Geschlechterrollen, Familie oder Nachbarschaft[14]. Bauman bezeichnet seine flüchtige Moderne als ein Zustand der Instabilität, der sich in fast allen gesellschaftlichen Lebensbereichen auswirkt: Dazu gehören u.a. die Wahl der Lebensform, die Identität, aber auch die soziale Stellung in jener flüchtigen Gesellschaft[15].
Bauman thematisiert die Möglichkeit der freien Wahl in der Moderne: Er legt das Problem dar, die richtige Wahl unter unzähligen Wahlmöglichkeiten zu treffen, und zwar unter den Bedingungen der jederzeit möglichen Revidierbarkeit der eigenen Entscheidung sowie unter der Bedingung der Kurzfristigkeit[16]. Diese Sachverhalte sind bei Beck die „Bastelbiographien“, die aber auch schnell zu „Bruchbiographien“ werden können[17]. Bauman kommt daher zu dem Schluss, dass in der Moderne alles gegen lebenslange Entwürfe, dauerhafte Bindungen, ewige Bündnisse und unwandelbare Identitäten gerichtet ist[18]. Er bezeichnet diesen Zustand auch als „Landstreicher-Moral“[19], da ein Landstreicher nicht weiß, wie lange er dort, wo er gerade ist, noch bleiben wird[20]. Diese Rastlosigkeit und mangelnden Konstanten nennt Beck die Enttraditionalisierung der industriegesellschaftlichen Lebensformen, also die Auflösung tradierter Bindungen[21]. Beck sieht diese „Individualisierungsschübe“ sowohl als Quelle neuer Ungleichheiten als auch als Chance für neue Qualitäten der Selbstgestaltbarkeit menschlicher Verhältnisse[22],da diese Prozesse sowohl einen Verlust von Sicherheiten als auch das Anwachsen von neuen Gestaltungsmöglichkeiten bewirken[23], eine Ambivalenz, die auch Bauman als solche in Verbindung mit den neuen Handlungsmöglichkeiten bzw. Handlungszwängen des Individuums erkannt hat[24].
Während Beck als Kernthese seiner „Risikogesellschaft“ erkannt hat, dass die Menschen dazu angehalten werden, ein völlig selbstbestimmtes Leben zu führen[25], kommt Bauman zu ähnlichen Schlüssen: Er sieht die Voraussetzungen des individuellen Glücks aus der Sphäre der großen Politik ausgelagert, es wird als individuelles Projekt verstanden, das sich überwiegend, wenn nicht sogar ausschließlich, auf individuelle Ressourcen stützen muss[26]. In dieser Verlagerung spiegeln sich die veränderten Lebensbedingungen der flüchtigen Moderne, die geprägt sind von Prozessen der Deregulierung und Privatisierung sowie dem „Auslagern“ und der „Präkarisierung“ und sonstigen Formen, in denen sich der Staat aus seinen früheren Aufgaben zurückzieht[27]. Eben diese Privatisierung geht einher mit der endgültigen Durchsetzung der Beckschen Risikogesellschaft[28].
[...]
[1] Beck/Beck-Gernsheim: Individualisierung in modernen Gesellschaften, in: Beck/Beck-Gernsheim (Hrsg.): Riskante Freiheiten. Individualisierung in modernen Gesellschaften, S. 11
[2] Ebenda, S. 11
[3] Vgl. Ebenda, S. 10
[4] Vgl. Ebenda, S. 12
[5] Vgl. Ebenda, S. 13
[6] Vgl. Ebenda, S. 14
[7] Vgl. Ebenda, S. 20
[8] Junge: Zygmunt Bauman: Soziologie zwischen Moderne und flüchtiger Moderne. Eine Einführung, S. 110
[9] Vgl. Ebenda, S. 109
[10] Vgl. Ebenda, S. 110
[11] Vgl. Ebenda, S. 110
[12] Vgl. Ebenda, S. 111
[13] Beck beschreibt dahingehend den Sozialstaat als Instrument zur Erziehung des Menschen zum eigenständigen Individuum. Ferner wird der Druck zur zunehmenden Privatisierung durch Entstehung der „Risikobiographien“ verdeutlicht (siehe S. 2)
[14] Vgl. Beck/Beck-Gernsheim: Individualisierung in modernen Gesellschaften, in: Beck/Beck-Gernsheim (Hrsg.): Riskante Freiheiten. Individualisierung in modernen Gesellschaften, S. 11
[15] Vgl. Junge: Zygmunt Bauman: Soziologie zwischen Moderne und flüchtiger Moderne. Eine Einführung, S. 113
[16] Vgl. Ebenda, S. 115
[17] Vgl. Beck/Beck-Gernsheim: Individualisierung in modernen Gesellschaften, in: Beck/Beck-Gernsheim (Hrsg.): Riskante Freiheiten. Individualisierung in modernen Gesellschaften, S. 13
[18] Vgl. Ebenda, S. 13
[19] Vgl. Ebenda, S. 13
[20] Vgl. Bauman: Wir sind wie Landstreicher – Die Moral im Zeitalter der Beliebigkeit, in: Süddeutsche Zeitung, 16./17.11.1993, S. 17
[21] Vgl. Ronald Hitzler: Ulrich Beck, in: Dirk Kaesler (Hrsg.): Aktuelle Theorien der Soziologie, S. 269
[22] Vgl. Ebenda, S. 275
[23] Vgl. Ebenda, S. 269
[24] Siehe Fußnote 16
[25] Siehe Fußnote 1
[26] Vgl. Bauman: Leben in der flüchtigen Moderne, S. 117
[27] Vgl. Ebenda, S. 117/118
[28] Vgl. Junge: Zygmunt Bauman: Soziologie zwischen Moderne und flüchtiger Moderne. Eine Einführung, S. 110