Soziale Konflikte als gesellschaftliche Gefährdung
Momente der Vergesellschaftung oder der Desintegration?
Zusammenfassung
Um meinem Anliegen gerecht zu werden, die Forschungsfrage möglichst objektiv zu beantworten, und um mir nicht die Möglichkeit zu nehmen, auch dem mikrosoziologischen Rahmen, der dieser Ausarbeitung zugrunde liegt, entsprechen zu können, wird Heitmeyers Desintegrationstheorie aus dem Grund Dahrendorfs und Simmels Konflikttheorie gegenübergestellt, weil sie ihr Augenmerk (unter anderem) auf das Individuum legt.
Die systemfunktionalistische Theorie Parsons, welche auf Konsens aufbaut, soll hierbei nur am Rande, aber gleichsam – trotz der geringen Rezeption in meiner Arbeit – als Gegenposition Erwähnung finden und über die Kritik an dieser in die Dahrendorfsche Theorie einleiten.
Einer definitorischen Einordnung und Begriffsbestimmung des sozialen Konflikts innerhalb meiner Verschriftlichung soll im Hauptteil die beschriebene theoretische Auseinandersetzung folgen und sich dieser ein Fazit anschließen, welches die Forschungsfrage nach Vergesellschaftungs- oder Desintegrationsmoment sozialer Konflikte ausreichend zu beantworten gedenkt.
Anhand der Beschreibung des Konflikts um die „Dresdner Waldschlösschenbrücke“ sollen die Schlussfolgerungen meiner Seminararbeit verdeutlicht werden.
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Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis:
1. Einleitung
2. Der soziale Konflikt
2.1 Das Beispiel „Waldschlösschenbrücke“
3. Theoretische Positionen “Pro-Konflikt“
3.1 Sozialer Konflikt als Motor sozialen Wandels
3.2 Sozialer Konflikt als Vergesellschaftung
3.3 Thematische Rezeptionen
4. Dissens als Herausforderung sozialer Ordnung
4.1 Sozialer Konflikt als Desintegrationsmoment
5. Konfliktregelung
6. Schluss
7. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
„Jede Niederlage beginnt damit, dass man den Standpunkt des Gegners anerkennt.“[1]
„Streit = Der Vater des Fortschritts“[2]
Zwei Zitate, die in ihrer Aussage unterschiedlicher kaum sein könnten.
Während Ersteres davon ausgeht, dass innerhalb eines Streits, einer Debatte, Diskussion oder eines Konflikts das Einlassen auf die Ansichten oder Meinungen der antagonistischen Partei dazu führt, in dem Konflikt zu “unterliegen“, geht Letzteres mit der Auffassung, dass im Konflikt ein positives Element enthalten ist, welches allgemein und damit in Konsequenz für beide Streitpole gilt, einen entgegengesetzten Weg.
Die beiden Anschauungen spiegeln gut die zur Diskussion stehende Forschungsfrage nach positiver oder negativer Wirkung von Konflikten wider.
Einerseits wird der Streit als etwas Degeneratives dadurch beschrieben, dass die eine Fraktion einen Rückschlag, eine „Niederlage“, erleiden muss, während die andere einen Sieg erringt, der demnach auf Kosten der Gegnerpartei erzeugt wird, und andererseits besteht die Intention darin, darzustellen, dass ein Disput gerade das nicht bedeutet, sondern vielmehr in seinem Ergebnis durchaus auch konstruktive Elemente enthalten sein können. Zeitigt der eine Ausspruch demnach eine Konstellation, bei der die eine Seite das gewinnt, was die andere Seite im Gegenzug verliert, so belegt die zweite Aussage eine Situation, in der alle Parteien gewinnen können[3].
Anspruch dieser Arbeit wird unter anderem sein, zu klären, welches der beiden Zitate als eher zutreffend charakterisiert werden muss.
Stellt der soziale Konflikt ein pathologisches Phänomen dar, bei dessen übermäßiger Existenz soziale Ordnung zerfällt bzw. nicht entstehen kann und Konsens das konstitutive Merkmal, wie das bspw. Parsons Ansicht war[4], oder liegt im sozialen Konflikt an sich eine den gesellschaftlichen Wandel und Gesellschaft als Ganzes konstituierende Wirkung. Eine solche Ansicht vertritt zum Beispiel Dahrendorf[5] oder Simmel, was im Folgenden näher dargelegt werden wird.
Um meinem Anliegen gerecht zu werden, die Forschungsfrage möglichst objektiv zu beantworten, und um mir nicht die Möglichkeit zu nehmen, auch dem mikrosoziologischen Rahmen, der dieser Ausarbeitung zugrunde liegt, entsprechen zu können, wird Heitmeyers Desintegrationstheorie aus dem Grund Dahrendorfs und Simmels Konflikttheorie gegenübergestellt, weil sie ihr Augenmerk (unter anderem) auf das Individuum legt.
Die systemfunktionalistische Theorie Parsons, welche auf Konsens aufbaut, soll hierbei nur am Rande, aber gleichsam – trotz der geringen Rezeption in meiner Arbeit – als Gegenposition Erwähnung finden[6] und über die Kritik an dieser in die Dahrendorfsche Theorie einleiten.
Einer definitorischen Einordnung und Begriffsbestimmung des sozialen Konflikts innerhalb meiner Verschriftlichung soll im Hauptteil die beschriebene theoretische Auseinandersetzung folgen und sich dieser ein Fazit anschließen, welches die Forschungsfrage nach Vergesellschaftungs- oder Desintegrationsmoment sozialer Konflikte ausreichend zu beantworten gedenkt.
Anhand der Beschreibung des Konflikts um die „Dresdner Waldschlösschenbrücke“ sollen die Schlussfolgerungen meiner Seminararbeit verdeutlicht werden.
2. Der soziale Konflikt
Soziale Konflikte sind allen Menschen bekannt. Jeder wird von klein auf mit ihnen konfrontiert, sieht sich diesen ausgesetzt und ist deren Teil. Ob in der Familie mit den Eltern oder Geschwistern, im Freundeskreis, in der Schule, dem Sportverein, am Arbeitsplatz, in Partnerschaft oder Ehe, mit den eigenen Kindern, Verwandten, Bekannten oder mit und in Institutionen und Organisationen etc. Sie sind zu gleichen Seiten Teil der Sozialisation, als die Sozialisation Teil des (sozialen) Konflikts ist.
Diese Feststellungen sind trivial aber nötig, um den Aktualitätsgrad ins Bewusstsein zu bringen, der sozialen Konflikten inhärent ist. Denn durch die Häufigkeit, in denen sie auftreten, und die hohe “Kunst“ des Konfliktmanagements, welches wir verinnerlicht haben, da wir Konflikten täglich als Beobachter oder Beteiligter begegnen und durch sie und in ihnen sozialisiert wurden und werden, gleicht der Umgang mit ihnen oftmals einem Handlungsskript, durch welches wir sie nur noch “beiläufig“ als solche wahrnehmen und aushandeln, zumindest solange wir in der Lage sind, sie schnell angemessen zu “lösen“[7] – und meistens ist das der Fall.
Soziale Konflikte sind allgegenwärtig, und dass in einer Größenordnung, die wir im alltäglichen Leben in dieser Dimension nicht mehr rekapitulieren.
Um den sozialen Konfliktbegriff nun für unsere Ausarbeitung brauchbar zu machen, ist es notwendig, ihn einzuschränken, ohne dass wir uns mit den ausgeschlossenen Weiterungen näher befassen können.
Unterscheidungen verschiedener Konflikttypologien werden bspw. in echten, naheliegenden, verlagerten, falsch zugeordneten, latenten oder falschen Konflikten getroffen.[8] Aktuellere Werke bemerken zusätzlich: „In der Konflikt-Literatur gilt heute die Grundeinteilung von Konflikten in Interessen- und Wertkonflikte als unumstritten.“[9]
Innerhalb meiner Hausarbeit soll sozialer Konflikt allerdings (lediglich) als gegenseitig wahrgenommener Interessengegensatz verstanden werden, bzw. als das jeder Partei bewusste „Aufeinanderstoßen nicht zu vereinbarender Handlungstendenzen“ (Deutsch 1976 S. 19).
Ich wende mich damit auch gegen die Unterscheidung zwischen latenten und manifesten Konflikten, um dem Bearbeitungsschwerpunkt meiner Arbeit gerecht werden zu können. Die gegenseitige subjektive Wahrnehmung des Widerspruchs als unabdingbare Voraussetzung für einen sozialen Konflikt gilt uns als konstitutives Merkmal. Der erfahrene Interessengegensatz muss dabei keineswegs wirklich verherrschen. Es ist hinreichend, wenn die gegenläufige Handlungstendenz als solche psychologisch existiert und durch das Individuum kommuniziert wird. Wenn die beteiligten Personen den sozialen Konflikt durch eine empirisch belegbare Reaktion veränderten Verhaltens als einen solchen kennzeichnen, wird dieser für die Konfliktmitglieder manifest und aktuell. Erst dann lässt er sich für eine soziologische Analyse erschließen und ist im Kontext dieser Ausarbeitung relevant.[10]
Mit dieser Bestimmung des sozialen Konflikts wird keinesfalls die Existenz innerpsychischer Konflikte negiert. Auch wird damit nicht falsifiziert, dass es psychische Konflikte gibt, die auf andere Individuen gerichtet sind oder aufgrund anderer Personen hervorgerufen werden. Nur bleibt an dieser Stelle wichtig, festzuhalten, dass ein solcher Konflikt kein Sozialer ist, denn an diesem müssen mindestens zwei Individuen in einer aufeinander bezogenen Wechselwirkung partizipieren und sich ihres Konfliktes beiderseitig bewusst sein. Insofern gelten für den Konflikt die gleichen Voraussetzungen wie für die Interaktion, wobei allerdings zu bemerken bleibt, dass es entweder keinen Konflikt gibt, oder die Interaktion Konflikt ist.
Sozialer Konflikt bezieht sich indes nicht nur auf Individuen, obgleich jene immer involviert sind. Unter diesen Begriff fallen Konflikte zwischen zwei und mehreren Individuen, zwischen und innerhalb von Gruppen, Institutionen, Organisationen und diese spielen sich unter als auch in ganzen Nationen ab.
2.1 Das Beispiel „Waldschlösschenbrücke“
Nachdem nun die Konfliktbegrifflichkeit geklärt ist, unter der in dieser Verschriftlichung Konflikte betrachtet werden, möchte ich zur Verdeutlichung einen Konflikt heranziehen, der inzwischen nicht mehr nur jedem Dresdner bekannt sein dürfte: der Streit um den Bau der sog. Dresdner „Waldschlösschenbrücke“.
Der Konflikt – kurz dargestellt – hat mittlerweile eine relativ lange Geschichte. Um ihr einen Startpunkt zu geben, legen wir uns auf den 15.08.1996 fest. An diesem Tag beschloss der Dresdner Stadtrat den Bau der Waldschlösschenbrücke an dem strittigen Standort zwischen den Dresdner Stadtteilen Johannstadt und Radeberger Vorstadt.[11] Bis 2004 kam es zu keinem Ergebnis. Ein Bürgerentscheid über den Bau der Brücke wurde im Sommer 2004 initiiert und am 27.02.2005 mit dem Ergebnis einer 2/3 Mehrheit für den Bau der Brücke durchgeführt. Bis zum August 2006 tat sich nichts, da zwischenzeitlich die UNESCO verlauten ließ, dass Dresden den Titel als „Weltkulturerbe“ verlieren würde, sofern die Brücke gebaut wird. Im August vorigen Jahres ordnete die sächsische Staatsregierung ihrerseits an, die Bauaufträge für den Bau der Brücke zu vergeben, woraufhin die Stadt Klage erhob. Am sächsischen Oberverwaltungsgericht erging im Eilgerichtsverfahren am 09.03.2007 letztlich der Beschuss, unverzüglich mit dem Bau zu beginnen, woraufhin die Stadt Dresden ihrerseits wieder juristische Schritte unternahm.
An dem gewählten Beispiel wird deutlich, dass ein sozialer Konflikt sich nicht zwischen zwei Individuen oder innerhalb kleiner Gruppen erschöpfen muss und, dass er vor allem in geregelten Prozessen verläuft. Instanzen wie Stadtratsbeschluss, Bürgerentscheid, Gerichtsverfahren etc. zeitigen hierbei verschiedene Arten dieser Konfliktregelung, die sich dabei auf ein und denselben Konflikt beziehen können.
Soziale Konflikte sind in unserer Gesellschaft institutionalisiert. Verschiedene Institutionen wie z.B. Gerichte sind eigens dafür geschaffen, sich mit Konfliktregelung auseinander zu setzten und Konflikte zu kanalisieren. Vor diesem Hintergrund bleibt allerdings offen, ob Konflikte als systemzerstörend oder als funktional für das Gesellschaftssystem erkannt werden, denn beide Konstellationen sind hier denkbar. Möglich ist einerseits, dass diese Konfliktregelungsinstanzen eigens deshalb entstanden sind, weil die Auswirkungen, die soziale Konflikte (ohne Kanalisierung über Institutionen) haben, ein dysfunktionales Moment bilden und deshalb aus dem Grund der Konsenssicherung existieren. Andererseits ist es vorstellbar, dass Vergesellschaftung vor allem über die Regelung von Interessengegensätzen erreicht wird und sich darum eine so große Vielzahl an Möglichkeiten gebildet hat, mit Konflikten umzugehen.
Diese Fragen werden im Folgenden theoretische Erörterung finden.
[...]
[1] Winston Spencer Churchill (1874 - 1965).
[2] Kurt H. Biedenkopf (*1930).
[3] Auch wenn der Konflikt, der auf der einen Seite Gewinn und auf der anderen Seite einen Verlust bedeutet, höher zu werten ist als ein Konflikt, bei dem alle Beteiligten verlieren, ist ein Konfliktausgang, in dem alle Parteien gewinnen, anzustreben und zu bevorzugen. Ob in einem Konflikt, in dem man nicht auf die Positionen des Gegenüber eingehen will, überhaupt eine angemessene Konfliktregelung erreichbar ist, kann hier nicht erörtert werden.
[4] Parsons legt bezüglich sozialer Ordnung vor allem darauf Wert, herauszustellen, dass soziale Ordnung ohne gemeinsam geteilte Norm- und Wertvorstellungen der Individuen nicht denkbar ist. Im Umkehrschluss lässt sich sagen, dass die sozialen Konflikte, die sich aus divergierenden Verhaltenserwartungen ergeben, zersetzend für das gesellschaftliche Zusammenleben sind. Vgl. Münch, Richard: Talcott Parsons (1902-1979). In: Kaesler, Dirk (Hrsg.): Klassiker der Soziologie 2. Von Talcott Parsons bis Pierre Bourdieu. C.H. Beck oHG, München, 1999 S. 24-46.
[5] Nach Dahrendorf liegt: „[...] der Sinn und die Konsequenz sozialer Konflikte darin, den Wandel globaler Gesellschaften und ihrer Teile aufrechtzuerhalten und zu fördern.“ (Seifert, Michael J.: Sozialer Konflikt. Eine Analyse der Entstehungsbedingungen politischer Bewegungen. Lang, Frankfurt am Main, 1978).
[6] Den untergewichteten Status dieser Theorie halte ich innerhalb dieser Seminararbeit aus dem Grund für gerechtfertigt, da die Theorie zahlreich als unzulänglich in der Hinsicht kritisiert worden ist, indem sie Konflikt lediglich als eine anti-funktionale Ausfallerscheinung wertet: „Wenn das eine immer funktional, weil systemerhaltend ist (Konsens), ist das andere (Konflikt) dann nicht immer dysfunktional und systemzerstörend?“ (Stark, Carsten: Die Konflikttheorie von Georg Simmel. In: Bonacker, Thorsten (Hrsg.): Sozialwissenschaftliche Konflikttheorien. Eine Einführung. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden, 2005. S. 93).
[7] Der Terminus der “Lösung“ eines Konflikts sei in Anlehnung an Erika Regnet nur unter Vorbehalten genutzt, da er vermeintlich etwas „Entgültiges“ und „Absolutes“ charakterisiert. Doch ein solcher Konfliktausgang entspricht nicht der Wirklichkeit. Je nachdem – und dieser Aspekt soll weiter unten noch nähere Erläuterung finden – in welcher Art und Weise ein Konflikt bearbeitet wird, bleiben immer bestimmte Erfahrungen, die sich aus dem Konflikt ergeben, weiterhin existent und bestimmen, mal mehr und mal weniger, die zukünftige zwischenmenschliche Beziehung und Interaktion der (vorherigen) Konfliktparteien. Vorurteile oder gar eine Wiederkehr des Konflikts sind nach der Konfliktregelung immer denkbar. Ein Konflikt hat demnach weiterführende Wirkungen, die auch nach dessen Lösung und durch diese bestehen bleiben. Vgl. Regnet, Erika: Konflikte in Organisationen. Formen, Funktionen und Bewältigung. Verlag für angewandte Psychologie, Göttingen, 1992 S. 45 ff.
[8] Deusch, Morton: Konfliktregelung. Konstruktive und destruktive Prozesse. E. Reinhardt, München, 1976 S. 19 ff.
[9] Feindt, P.H.; Gessenharter, W.; Birzer, M.; Fröchling, H. (Hrsg.): Konfliktregelung in der offenen Bürgergesellschaft. Röll, Dettelbach, 1996 S. 17.
[10] Zu diesem Thema E. Regnet S. 11 ff.
[11] Auch wenn dieses Datum nicht als die eigentliche Manifestation des Interessengegensatzes Bau oder Nicht-Bau der Brücke bestimmt werden kann, ist es nötig, ein solches Ereignis zu zeitigen.