Die Entwicklung des militärstrategischen Konzepts der NATO und ihre Verflechtung mit Grundzügen der amerikanischen Außenpolitik
Zusammenfassung
Die strategische Konzeption der NATO stand von Beginn an auf der Grundlage der Ost-West-Polarisierung. Von daher war das strategische Denken stets geprägt von Feindbildern. Dem potentiellen Gegner im Osten wurden die schlimmsten Absichten unterstellt zumindest von den ‚Falken‘ im Bündnis und das stets im Sinne des worst-case-Denkens. Dabei spielte das Prinzip der Abschreckung seit der Gründung der NATO eine fundamentale Rolle. So sollte der Gegner durch Androhung kaum mehr kalkulierbarer Verluste von einem Angriff abgehalten werden.
Für den Fall eines Versagens der Abschreckung zielten alle militärischen Konzepte immer schon darauf ab, den Gegner so weit östlich wie möglich aufzuhalten.
[...] Zweifellos stellt die Nixon-Doktrin eine realistische Antwort auf die veränderte geopolitische Situation zu Beginn der 70er Jahre dar.
Leseprobe
Die strategische Konzeption der NATO stand von Beginn an auf der Grundlage der Ost-West-Polarisierung. Von daher war das strategische Denken stets geprägt von Feindbildern. Dem potentiellen Gegner im Osten [1] wurde, zumindest von den ‚Falken‘ im Bündnis, stets im Sinne des worst-case-Denkens, die schlimmsten Absichten unterstellt (vgl. Senghaas, 1969, S.71ff.).
Dabei spielte das Prinzip der Abschreckung seit der Gründung der NATO eine fundamentale Rolle. So sollte der Gegner durch Androhung kaum mehr kalkulierbarer Verluste von einem Angriff abgehalten werden.
Für den Fall eines Versagens der Abschreckung zielten alle militärischen Konzepte immer schon darauf ab, den Gegner so weit östlich wie möglich aufzuhalten (vgl. Rosenkranz, 1979, S.91).
Das Prinzip der Vorneverteidigung unterstreicht dabei sowohl das Feindbilddenken – die Aggression geht nicht von der NATO aus – als auch den offiziell defensiven Charakter des Bündnisses. [2]
Dazu heißt es im NATO-Nordatlantikvertrag vom 4.4.1949 (zit. nach Geschichte in Quellen, 1980, S.386):
„Die Parteien vereinbaren, dass ein bewaffneter Angriff gegen eine oder mehrere von ihnen in Europa oder Nordamerika als ein Angriff gegen sie alle angesehen wird; sie vereinbaren daher, dass im Falle eines solchen bewaffneten Angriffs jede von ihnen in Ausübung des in Artikel 51 der Satzung der Vereinten Nationen anerkannten Rechts der individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung der Partei oder den Parteien, die angegriffen werden, Beistand leistet, indem jede von ihnen unverzüglich für sich und im Zusammenwirken mit den anderen Parteien die Maßnahmen, einschließlich der Anwendung von Waffengewalt, trifft, die sie für erforderlich erachtet, um die Sicherheit des nordatlantischen Gebiets wiederherzustellen und zu erhalten. Von jedem bewaffneten Angriff und allen daraufhin getroffenen Gegenmaßnahmen ist unverzüglich dem Sicherheitsrat Mitteilung zu machen. Die Maßnahmen sind einzustellen, sobald der Sicherheitsrat diejenigen Schritte unternommen hat, die notwendig sind, um den internationalen Frieden und die internationale Sicherheit wiederherzustellen und zu erhalten.“
Der Abwurf der Atombomben auf Nagasaki und Hiroschima bestätigte bereits die immense militärstrategische Bedeutung dieser Waffen. Allerdings ging das amerikanische Atomwaffenmonopol 1949 zu Ende.
Zum ersten Mal fußte das Abschreckungsprinzip in der amerikanischen Doktrin der massiven Vergeltung (massive retaliation) in erster Linie auf nuklearer Gewaltandrohung. Im Falle eines sowjetischen oder chinesischen Angriffs wurden in dieser Doktrin empfindliche nukleare Vergeltungsschläge im Hinterland des Gegners angedroht (vgl. Schneider, 1987, S.271).
In dieser etwas später zur ersten offiziellen NATO-Militärdoktrin erhobenen Strategie wurde versucht, den militärischen und politischen Gegebenheiten der frühen 50er Jahre zu entsprechen.
Einmal trug diese militärstrategische Konzeption dem militärischen Kräfteverhältnis in Ost und West Rechnung. So war man auf amerikanischer Seite der Auffassung, der konventionellen Überlegenheit des Ostens durch eine klare nukleare Überlegenheit zu begegnen (vgl. Walpuski/ Wolf, 1979, S.20).
Darüber hinaus wurde diese Doktrin von einer großen Mehrheit der US- Administration getragen und zwar unabhängig davon, ob man den alten Kurs des containment oder die roll-back [3] - Linie vertrat (vgl. Pütz, 1974, S.151).
Dazu K.A. Pütz (ebd.):
„Die Vereinigten Staaten sollten damit in die Lage versetzt werden, unmittelbar mit Mitteln und an Plätzen eigener Wahl zurückzuschlagen. Dulles erkannte zwar die Notwendigkeit ‘lokaler Verteidigung’, war jedoch davon überzeugt, dass es aber keine lokale Verteidigung gibt, die allein die mächtige Landmacht der kommunistischen Welt eindämmen kann. Die lokale Verteidigung muss durch die weitere Abschreckung einer massiven Vergeltungsmacht verstärkt werden.“
Überhaupt lebten die NATO-Länder in den 50er Jahren „im Vollgefühl der atomaren Überlegenheit“, so der spätere Bundeskanzler Schmidt (vgl. Walpuski/Wolf, 1979, S.21).
[...]
[1] Bis zur Kulturrevolution musste man im Bündnis von einer chinesisch- sowjetischen Kooperation im Konfliktfall ausgehen.
[2] Allerdings ist die Strategiediskussion der NATO eigentlich immer auch durch offensive Kriegsführungsoptionen geprägt. Auf den beiden Grundpfeilern Abschreckung und Verteidigung baute das Bündnis in den 50er Jahren seine Kräfteverteilung auf, wobei die Abschreckung im zunehmenden Maße auf der Drohung basierte, nukleare Waffen einzusetzen.
[3] Roll-back meint die Zurückdämmung kommunistischer Macht und die Befreiung unterdrückter Völker. „An die Stelle der bloßen Defensive für die er, Dulles, offenbar die containment- Politik verantwortlich machte, sollte eine Befreiungsstrategie, ein roll-back des Kommunismus treten „ (Desson, 1964, S.182). Tatsächlich ist diese so genannte Eisenhower-Doktrin ihrem Anspruch eigentlich nie gerecht geworden. Insofern bestand die Truman-Doktrin fort (vgl. Guggisberg, 1975, S.249).