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Die Ambiguität der Löwenfigur in Hartmann von Aues "Iwein"

©2009 Hausarbeit 17 Seiten

Zusammenfassung

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Proleptischer Befund - Das Wilde im ersten Handlungsteil
2.1. Einführung der Löwenfigur - Der Löwen-Drachen-Kampf
2.2. Die Tradition des Löwensymbols

3. Fundierung der Beziehung - Der Sturz ins Schwert

4. Resozialisation Iweins - »Der Ritter mit dem Löwen«

5. Schluss

Bibliographie

1. Einleitung

Die Löwenfigur in Hartmanns »Iwein« ist so prägnant als Erkennungszeichen des Protagonisten, wie mehrdeutig als handlungsgenerierendes Element der Erzählung. Seit jeher ist der Löwe, „König der Tiere“, als kultureller Symbolträger von emblematischer Eingängigkeit. Für was genau er jedoch steht, entscheidet freilich sein kontextueller Bezugsrahmen. Im Falle des Löwen im »Iwein« gehen seine Ausdeutungen viele Wege. Selbst die Richtung eines »symbolisme antisymbolique«[1] scheint vor dem Hintergrund dieser Polyvalenz als gangbar. Doch will man die Bedeutung des Löwen nicht auf das Symbol des Antisymbols reduzieren, sodann gilt dasselbe für die Figur innerhalb des Romans, was für die kulturelle Tradition des Löwensymbols gilt: Die Plausibilität einer spezifischen Ausdeutung wird allein durch den jeweiligen Bezugsrahmen bestimmt. Die Spannung der Mehrdeutigkeit muss so auch nicht zu widersprüchlichen Interpretationen führen. Denn gerade durch seine Ambiguität lässt sich der Löwe immer wieder als Figur mit eigentümlicher Scharnierfunktion lesen. Die »naturgegebenen« Attribute, und ein möglich tradierter Symbolgehalt, sowie das spezifische Erscheinen des Löwen innerhalb des Romans, bilden ein semantisches Feld, dass es ihm ermöglicht, einen breiten Platz im Handlungsgeschehen einzunehmen, ohne dabei eine allegorische Deutung herauszu­fordern.

Dabei ist insbesondere Hartmann darauf bedacht, den Löwen nicht allzu anthropomorph erscheinen zu lassen und beschränk dessen Kommunikationsfähigkeit, im Gegensatz zur altfranzösischen Vorlage, vielmehr auf das »tierisch« Mögliche. Freilich wird dadurch ein individueller Charakter des Löwen eher verhindert und das Profil der Figur als solches flach. Dies aber sollte nicht zu einem voreiligen Schluss auf dessen Symbolhaftigkeit führen. Denn der verhinderte Charakter stärkt nicht die symbolische Prägnanz, sondern ist allein auf die enge Verknüpfung mit dem Protagonisten in seiner Identitätsbildung zurückzuführen. Der Löwe hat in diesem Sinne gar keinen eigenen Charakter, sondern ist allein in Bezug auf Iwein als dessen Charakter allererst herausbildend zu lesen.

Im Folgenden soll das semantische Feld des Löwen und dessen identitätsbildende Funktion im Hinblick auf den Protagonisten präziser herausgearbeitet werden und dabei insbesondere die Ambiguität der Löwenfigur, die deren eigentümliche Mittlerfunktion ermöglicht, in den Blick genommen werden.

Die Arbeit wird sich am Aufbau des Romans orientieren und die aufeinander folgenden Passagen in ihrer Reihenfolge beachten. Zunächst soll dabei nach vorausweisenden Bezügen gefragt werden, um anschließend die erste Begegnung zwischen Löwe und Ritter zu untersuchen. Dabei wird unter 2.2. auch auf die möglichen Traditionsbezüge des Löwensymbols eingegangen und diese auf den Roman übertragen. Anschließend soll die spezifische Funktion der Löwenfigur im Hinblick auf die Identitätskrise des Protagonisten untersucht und zuletzt sein Wiedererkennungswert durch die Formel vom »Löwenritter« diskutieren werden. Dabei sollten sich drei Perspektiven eröffnen. Erstens trägt der Löwe als universelles Symbol Bedeutung in den Roman hinein, zweitens wirkt er durch seine Spiegelfunktion identitätsbildend auf Iwein und drittens stabilisiert er dessen Identität über seine Symbolizität, ohne dabei ein integrativer Bestandteil seiner Ritterpersönlichkeit zu werden. Allen drei Perspektiven ist dabei gemein, dass sie die generierende Aufgabe des Löwen erhellen und dabei gleichzeitig die Nichtigkeit seines eigenen Charakters betonen.

2. Proleptischer Befund – Das Wilde im ersten Handlungsteil

Die Position[2] der Löwenfigur innerhalb des Romans gibt ihr zunächst einmal eine Art strukturelle Mittlerfunktion. Auf eine nähere Aufbaulogik des Romans und die spezifische Stellung der Figur in ihr, soll hier jedoch nicht weiter eingegangen werden. Die Zweiteiligkeit der Gesamthandlung braucht indes nicht in Frage gestellt zu werden und es gilt deshalb zunächst, mit Blick auf den ersten Teil, den Roman auf proleptische Bezüge zum Löwen hin zu prüfen.

Da Hartmann, im Gegensatz zu Chrétien, auf eine Löwen-Metaphorik im ersten Teil verzichtet[3], beschränkt sich der vorwegnehmende Befund auf die Präsenz der Wildnis, als derjenige Raum, welcher den Löwen später aus sich hervorbringt. Diese lässt sich zwar auch topologisch quasi in der Mitte zwischen Artushof und dem Hof Laudines verorten, soll als semantisierter Raum aber keine Rolle spielen. Schon eher muss eine andere semantische Grenze, nämlich zwischen Artushof und Außenwelt gezogen werden, wobei zur letzteren dann sowohl die Wildnis als auch der Hof Laudines dazugehören. Was auch dabei noch an Verschiedenheit zutage tritt hat bereits Bruno Quast in seinem Aufsatz zur Repräsentation kultureller Differenz beschrieben.[4] Das Wilde im Gegensatz zum Höfischen wird aus dieser Perspektive schon zu Anfang, in der Binnenerzählung Kalogreants, thematisch. Die berühmte Frage des wilden Mannes nach »âventiure« gerät laut Quast damit zu einer »formelhaften Signatur kultureller Differenz«[5]. Das Wilde, womit auch der Löwe nicht nur »naturgemäß« sondern auch explizit ausgestattet ist[6], kommt in einer höfisch-kulturell aufgeladenen Situation, die Erzählung Kalogreants auf dem Pfingstfest am Artushof, als das Andere zur Sprache und wird innerhalb dieser Binnenerzählung in Bezug auf die höfische Vorstellung von »âventiure« hin abgeglichen. Dabei wird in Kalogreants Bericht, der gleichzeitig Handlungsauslösung für das weitere Geschehen ist, bereits der nach Quast übergreifende Konflikt des ersten Romanteils deutlich: das Anderssein von Hier und Dort, und ihre Spannung zwischen Annäherung und Abstoßung, welche über die Krise Iweins sodann im zweiten Handlungsteil zu einer Transformation des Protagonisten, seine Akkulturation über das Wilde zum Ideal des Höfischen führt. Quasts Untersuchungen gelten dabei vorwiegend der narrativen Logik des Romans. Damit lässt er insbesondere die Handlungslogik, sowie psychologische Betrachtungen bewusst im Hintergrund. Um den Löwen hier nicht allein als Repräsentant des Wilden, das es auf dem Weg zum Höfischen hin zu integrieren gelte, zu verstehen, soll im Folgenden die konkreten Bedingungen erhellt werden, die es dem Löwen ermöglichen seine unzweifelhaft integrative Funktion zu erfüllen und das Wilde vielmehr als das Natürliche bzw. Autonome zu verstehen.

2.1. Einführung der Löwenfigur - Der Löwen-Drachen-Kampf

Die erste Begegnung zwischen Iwein und dem Löwen generiert einen maßgeblichen Bedeutungsteil ihrer späteren Beziehung. Im Folgenden soll die Konstitution der Beziehung zwischen Iwein und dem Löwen, soweit sie bereits an dieser Stelle zum Ausdruck kommt, in den Blick genommen werden.

Nachdem Iwein auf den Kampf zwischen Drachen und Löwen aufmerksam geworden ist, sich ein erstes Bild von der Lage verschaffen hat, fühlt er sich sogleich als Beteiligter der Szene und damit genötigt, in irgendeiner Weise in den Kampf einzugreifen. Seiner Verfassung gemäß fällt es ihm jedoch nicht leicht sich sofort für das richtige d.h. ihm entsprechende Verhalten zu entscheiden. Der Erzähler betont nachdrücklich Iweins Skepsis im Hinblick auf sein Eingreifen in den Kampf:

»dem hern Îwein tet der zwîvel wê

wederm er helfen solde,

doch gedâhte er daz er wolde

helfen dem edlen tiere.

unde vorhte des, swie schiere

des wurmes tôt ergienge,

daz in daz niht vervienge,

der leu bestüende in zehant.«

(V 3846-3854)

Das eigentliche Zögern liegt dabei offensichtlich nicht in der Entscheidung begründet, wer von den Kämpfenden das edlere Tier sei, sondern vielmehr in der Angst, seinem eigenen Vorteil zuwider zu handeln. Dass es letztlich nicht das ebenso plausible Argument, der Drache als Geretteter könne Iwein mit gleicher Wahrscheinlichkeit ebenso angreifen, ist, sondern die Bevorzugung des Löwen auf dessen Edelmut gründet, bezeugt der Erzähler, wenn er Iwein in der Folge einen »vrum man« nennt:

»doch tet er als ein vrum man,

er erbeizte und lief den wurm an

unde sluoc in harte schiere

unde half dem edeln tiere.«

(V 3861-3864)

Wie zur Bestätigung des kulturellen Trugs, zieht die Rettung des Löwen genau das Gegenteil von dem nach sich, was Iwein in Anwendung einer nur allgemeinen Regel befürchtet:

»wan alsô ist ez gewant

als ez ouch under den luiten stât:

sô man aller beste gedient hât

dem ungewissen manne,

sô hüete sich danne

daz er in iht beswîche.«

(V 3854-3859)

Das sich als falsch erweisende Vorurteil gleicht hierin der ebenso trügerischen Empfehlung Gaweins, es nicht dem Ritter Erec gleich zu tun und sich zu sehr auf die »mînne« zu richten. Was daran deutlich wird, ist die Inkommensurabilität zwischen höfischer und außerhöfischer Logik, die bereits unter 1. angedeutet wurde. Doch beruht dies nicht auf böswillige Ignoranz seitens des Hofes, sondern vielmehr auf der Missachtung der Tatsache, dass die kollektiven Erfahrungswerte nicht uneingeschränkt auf jede Situation anwendbar sind, zumal es sich eben um außerhöfische Situationen handelt. Hier wird die eigene Erfahrung Iweins nötig und seine autonome Handlungsfähigkeit als verantwortlicher Ritter erfordert.

Weiterhin wird die Rettung des Löwen vor den Hintergrund der Selbstlosigkeit gerückt. Iwein überwindet die Befürchtungen um sein eigenes Wohl und stellt sie zu Gunsten seiner Hilfsbereitschaft zurück, die durch die Reaktion des Löwen scheinbar nachträglich als Heldentum geadelt wird.

Der Löwe bekommt nun darin sein charakteristisches Profil. Indem er sich zur Gänze in Iweins Pflicht begibt, stellt er zwischen dessen Rettungsaktion und seiner inszenierten Demut ein spiegelndes Verhältnis her:

»sich bôt der leu ûf sînen vuoz

unde zeiget im unsprechenden grouz

mit gebaerden unde mit stimme

âne aller slahte grimme

unde erzeicte im sîne minne

als er von sînem sînne

aller beste mohte

und einem tiere tohte. «

(V 3869-3876)

Soweit es die »tierischen« Möglichkeiten zulassen, sich menschenähnlich zu gebärden, vermag es auch der Löwe sich Iwein verständlich zu machen. Der im Vergleich zum altfranzösischen »Yvain« verminderte Anthropomorphismus hat jedoch, wie man vermuten könnte, keinerlei Kommunikationsschwierigkeiten zwischen Mensch und Tier zur Folge. Augenscheinlich liegt dies darin begründet, dass der Löwe auch gar nichts anderes zu vermitteln sucht, als seine Dankbarkeit gegenüber Iwein, die sich in unbedingter Loyalität als treuer »geverte« ausdrückt. Dass der Löwe dennoch nicht auf die Vorbildfunktion in Sachen »triuwe« zu reduzieren ist, die eine jegliche Kommunikation zwischen Iwein und dem Löwen überflüssig machen würde, liegt in der Spiegelfunktion dieser Szene begründet. Aus dieser Perspektive fällt der Löwe nicht allein der »triuwe« halber und allein, quasi aus sich heraus, auf die Pfoten, sondern macht den notwendig gewordenen Ausgleich geltend, der im Phänomen der Dankbarkeitsgeste zu Tage tritt. Iwein hat tugendhaft gehandelt und bekommt nun im Zeichen des Löwen eine äußerliche Bestätigung. Allein spricht diese Anerkennung eine andere Sprache als die »êre«, die sich Iwein beispielsweise durch den Sieg über Ascalon noch vom Hofe her erhoffte. Offensichtlich bekommt diese nun erlangte und eigentliche Tugend ihren individuellen Ausdruck in ihrer Bezogenheit auf Iwein. Die Ambiguität der Löwenfigur macht es ihr möglich, hier sowohl Mittel als auch Zweck der Tugend zu sein und diese im Symbol des Löwen an Iwein emblematisch zu fixieren.

[...]


[1] Die Deutung des Löwen als Scheinsymbol von Peter Haidu bezieht sich jedoch auf den Yvain Crétien de Troyes. Vgl. Peter Haidu: Lion-queue-coupée. L’écart symbolique chez Chrétien de Troyes. Gent 1972.

[2] Bei Hartmann ist im Vergleich zu Chrétien die Mittelstellung nicht exakt gegeben.

[3] Dietmar Rieger weist darauf hin, dass eine solche Metaphorik bei Chrétien zu finden ist: »Bei der Erzählung seines Quellenabenteuers vergleicht Calogrenant noch Escalos, Laudines Gemahl, mit einem Löwen […] nach dessen ‚Eliminierung’ durch Yvain, der ihn als Laudines Gemahl ersetzet, springt die Löwenmetapher – aber ins Positive gewendet – gleichsam auf Yvain über, der damit Escalos auch als Träger dieser Metapher ersetzt.« Dietmar Rieger: »Il est a moi et je a lui« Yvains Löwe – ein Zeichen und seine Deutung, 250.

[4] Bruno Quast: Das Höfische und das Wilde. Zur Repräsentation kultureller Differenz in Hartmanns Iwein. In: Beate Kellner ... [Hg.]: Literarische Kommunikation und literarische Interaktion: Studien zur Institutionalität mittelalterlicher Literatur. Frankfurt a. M. u.a. 2001, 111-128.

[5] Ebd., 120.

[6] Vgl. z.B. V 3921: »wilde leu«.

Details

Seiten
Jahr
2009
ISBN (eBook)
9783656724575
ISBN (Paperback)
9783656724544
Dateigröße
542 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Christian-Albrechts-Universität Kiel – Germanistisches Seminar
Erscheinungsdatum
2014 (August)
Note
1,0
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