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Business Continuity Management in den Stadien einer Pandemie

©2007 Akademische Arbeit 59 Seiten

Zusammenfassung

Business Continuity Management (BCM) ist ein ganzheitlicher Managementprozess, welcher durch Planung präventiver Maßnahmen, gezielte Vorbereitung eines Notfall- und Krisenmanagements sowie unverzüglicher Wiederherstellung unterbrochener Prozesse die Stabilität einer Organisation in Notlagen gewährleisten und eine Unterbrechung des Geschäftsbetriebs trotz widriger Umstände vermeiden soll. Dabei muss ein Unternehmen auf verschiedene, mögliche Szenarien vorbereitet sein.
Die vorliegende Arbeit führt zunächst die Pandemie als Risiko ein und beschreibt die Wege ihrer Entstehung als Grundlage für internationale Einteilungen zur Einstufung der jeweiligen Gefährdung. Das Kapitel endet mit den aktuellen Annahmen zur Szenario-Entwicklung einer Pandemie in der Gegenwart.
Im anschließenden Kapitel wird ein „idealtypischer BCM-Planungsprozess“ ohne Beschränkung auf eine bestimmte Branche an allgemein gültigen Modellen konkretisiert. Besonderheiten, die im Bezug auf die im vorigen Kapitel gezeigten Annahmen als notwendig erscheinen, werden dabei entsprechend erläutert.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Inhaltsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

1 Einleitung

2 Pandemien
2.1 Zur Entstehung von Pandemien
2.2 Annahmen eines möglichen Pandemieszenarios

3 BCM in den verschiedenen Stadien einer Pandemie
3.1 Temporale Betrachtung
3.2 Präpandemische Phase
3.2.1 Analyse
3.2.1.1 Identifikation von kritischen Prozessen, Modulen und Bedrohungen
3.2.1.2 Demand Impact Analysis
3.2.2 Design
3.2.2.1 Maßnahmen zur Sicherung der Module
3.2.2.2 Krisenbedingte Initiativen
3.2.3 Implementierung
3.3 Pandemiephase
3.3.1 Phase 5 – Aktivierung
3.3.2 Phase 6 – Akute Krisensituation
3.4 Postpandemische Phase

4 Literaturverzeichnis (inklusive weiterführender Literatur)

A. Verzeichnis der nicht-elektronischen Quellen

B. Verzeichnis der elektronischen Quellen

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1 Einleitung

Business Continuity Management (BCM) ist ein ganzheitlicher Managementprozess, welcher durch Planung präventiver Maßnahmen, gezielte Vorbereitung eines Notfall- und Krisenmanagements sowie unverzüglicher Wiederherstellung unterbrochener Prozesse die Stabilität einer Organisation in Notlagen gewährleisten und eine Unterbrechung des Geschäftsbetriebs trotz widriger Umstände vermeiden soll.[1] Dieser Ansatz wurde in unternehmerischem Kontext Mitte der 1980er Jahre in den USA zum ersten Mal unter dem Namen „Disaster Recovery“ bekannt und sollte dem Risiko eines Ausfalls der Informationstechnologie, das mit zunehmender Abhängigkeit der unternehmerischen Prozesse zu einem schwer beherrschbaren Potential herangewachsen war, begegnen. Erst Mitte der 1990er Jahre führte eine Reihe von Katastrophen dazu, diese Notfallplanung auf weitere Risiken auszuweiten. Als am 11. September 2001 zwei Flugzeuge in die Zwillingstürme des World Trade Centers stürzten, hatte keines der dort ansässigen Unternehmen einen Notfallplan für ein solches Szenario entwickelt. Dass dennoch einige Unternehmen wie Morgan Stanley, Cantor Fitzgerald oder American Express innerhalb weniger Stunden wieder den Geschäftsbetrieb fortsetzen konnten, verdanken sie der Vorbereitung auf verschiedene Zwischenfälle, die neben einem Ausfall der IT beispielsweise auch den Verlust von Betriebsgebäuden als mögliches Szenario in Betracht zogen.[2]

Die vorliegende Arbeit führt zunächst die Pandemie als Risiko ein und beschreibt die Wege ihrer Entstehung als Grundlage für internationale Einteilungen zur Einstufung der jeweiligen Gefährdung. Das Kapitel endet mit den aktuellen Annahmen zur Szenario-Entwicklung einer Pandemie in der Gegenwart.

Im anschließenden Kapitel wird ein „idealtypischer BCM-Planungsprozess“ ohne Beschränkung auf eine bestimmte Branche an allgemein gültigen Modellen konkretisiert. Besonderheiten, die im Bezug auf die im vorigen Kapitel gezeigten Annahmen als notwendig erscheinen, werden dabei entsprechend erläutert.

2 Pandemien

2.1 Zur Entstehung von Pandemien

Krankheiten und Virusinfektionen, die sich weitläufig ausbreiten, werden ganz allgemein als Seuchen oder Seuchenzug bezeichnet.[3] Die Medizin unterscheidet tierische Seuchen, die sie als Epizootie bezeichnet (z.B. Kaninchenpocken), und Seuchen, die von Mensch zu Mensch übertragen werden. Eine Infektionskrankheit, die von Mensch zu Mensch übertragen wird und im statistischen Mittel genau eine Folgeinfektion bewirkt, wird als Endemie bezeichnet. Dabei verbleibt die Krankheit in der Bevölkerung, breitet sich jedoch nicht weiter aus. Besitzt eine Krankheit indes eine höhere Basisreproduktionsrate als eins, bewirkt also mindestens zwei oder mehr Folgeinfektionen, bezeichnet man sie als Epidemie. Hierbei steigt die Anzahl der Neuinfektionen innerhalb einer Population zunächst stark an und sinkt später durch das Verhältnis infizierter oder bereits immuner Personen zur Anzahl gesunder Personen wieder ab, bis die Krankheit schließlich ausstirbt.[4] Bis zu einer vollständigen Beendigung kann es zu mehreren Infektionswellen kommen, die im Abstand von mehreren Wochen auftreten.[5]

Der Begriff Pandemie ist aus dem griechischen pan (= alles) und demos (= Volk) abgeleitet und bezeichnet den überregionalen oder sogar globalen Ausbruch einer Krankheit, die Menschen betrifft.[6] Eine solche Krankheit kann sich auch durch Mutation eines tierischen Virus entwickeln, wie es international beispielsweise beim H5N1-Virus befürchtet wird. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) unterteilt die Entstehung einer Pandemie deswegen in sechs Phasen: von der Entdeckung eines Virus-Subtyps bei Tieren (Phase 1), der als gefährlich für den Menschen eingeschätzt wird (Phase 2), über die erste Infektion eines Menschen (Phase 3) und die Übertragung von Mensch zu Mensch (Phase 4) bis zur wachsenden Übertragung des Virus von Mensch zu Mensch (Phase 5) und seiner Ausbreitung in der gesamten Bevölkerung (Phase 6).[7]

Pandemien sind keine Phantomrisiken, sondern bereits seit der Antoninischen Pest (165/167 n. Chr.) tatsächlich belegt.[8] Auch gegenwärtig besteht mit den 38,6 Millionen Menschen, die weltweit mit dem HI-Virus infiziert sind, eine akute Pandemie, deren Verbreitungsgeschwindigkeit jedoch aufgrund des Übertragungsweges verhältnismäßig langsam ist.[9] Bekannte Pandemien der letzten hundert Jahre waren beispielsweise die Spanische Grippe (20-50 Millionen Tote von 1918-1919), die asiatische Grippe (1 Million Tote 1957), die Hong Kong-Grippe (700.000 Tote 1968) und die vielfältigen Formen der Pest mit insgesamt 40 Millionen geschätzten Todesfällen (541, 1347-1352, 1896-1945, 2006), deren Erreger ebenfalls heute noch aktiv sind.[10] Damit forderte allein die Spanische Grippe innerhalb eines Jahres mehr Todesopfer als der erste Weltkrieg in den knapp 5 Jahren zuvor.[11]

Auslöser für derartige Infektionskrankheiten können Bakterien, Viren, Pilze, Parasiten oder Prionen[12] sein, die den Organismus durch den Austausch von Körperflüssigkeiten, über die Atemluft (Tröpfcheninfektion), durch Nahrungsaufnahme, oder den Kontakt zu Tieren und Insekten erreichen und infizieren. Zu diesen Infektionskrankheiten zählen unter anderem Borreliose, Cholera, Milzbrand (Anthrax), Tuberkulose und Typhus, welche über Bakterien übertragen werden, sowie AIDS, Grippe, Pocken und SARS, die durch Viren übertragen werden. Je nach Art der Infektion ist mit einer Inkubationszeit von einem Tag bis zu mehreren Jahren zu rechnen, bis die ersten Symptome erkennbar werden. Der Erreger kann in dieser Zeit durchaus auf andere Personen übertragen werden. Bei vielen Virustypen wird der Patient, sofern er den Verlauf der Krankheit überlebt, immun gegen eine erneute Infektion des gleichen Typs, was jedoch für jede neue Form eines Erregers erneut zu verifizieren ist.

Infektionskrankheiten stellen weltweit die häufigste Todesursache dar.[13] Aktuell hat die WHO aufgrund des inzwischen in 37 Ländern aufgetretenen Grippeerregers H5N1 die Pandemiephase 3 ausgerufen.[14] Da zufällige Mutationen jedoch ebenso schnell auftreten können wie kriminell motivierte Verbreitungen („Bio-Terrorismus“), lässt sich über Wahrscheinlichkeit und Form einer potentiellen nächsten Pandemie keine verbindliche Aussage treffen.

2.2 Annahmen eines möglichen Pandemieszenarios

Das Ausmaß einer Pandemie lässt sich grundsätzlich anhand von wenigen Vektoren skizzieren. Die Ansteckungsgefahr und damit verbunden die Geschwindigkeit der Verbreitung, die räumliche Ausbreitung, die Mortalität und die Möglichkeit einer Einflussnahme in Form von Impfungen oder Behandlungen mit antiviralen bzw. antibakteriellen Medikamenten sind entscheidende Größen, die sich gleichwohl nach Art des Erregers grundlegend unterscheiden können.

Höchste Ansteckungsgefahr und Verbreitungsgeschwindigkeit bestehen bei der Übertragungsform der Tröpfcheninfektion, die als Worst Case die Grundlage für das Szenario darstellen soll. Für einen vollständig übertragbaren Erreger dieser Art rechnet die WHO am Beispiel von Influenza mit einer räumlichen Ausbreitung auf alle Kontinente innerhalb von drei Monaten.[15]

Das Robert-Koch-Institut (RKI) geht in Anlehnung an die beiden gemäßigten Grippe-Pandemien von 1957 und 1968 in seinen Hochrechnungen für eine neue Pandemie von einer Erkrankungsrate von 30 % der Bevölkerung aus.[16] Aus unternehmerischer Sicht müssen zusätzlich zu den tatsächlich erkrankten Mitarbeitern diejenigen gezählt werden, die aufgrund ähnlicher Symptome eine Infizierung vermuten, aus Angst vor einer Ansteckung am Arbeitsplatz oder auf dem Weg dorthin zuhause bleiben, wegen ausgefallener Verkehrsmittel den Arbeitsplatz nicht erreichen können, kranke Angehörige oder auch Minderjährige, die wegen Kindergarten- und Schulschließung unbetreut sind, versorgen oder wegen indirekter Folgen der Pandemie andere Aufgaben wahrnehmen müssen.[17] Zu letzteren zählen Mitgliedschaften bei THW und freiwilligen Feuerwehren genauso wie beispielsweise der Versuch, eine ausgefallene Heizung selbstständig zu reparieren, weil keine Notdienste verfügbar sind. Insgesamt kalkulieren Unternehmen deshalb im Worst Case-Szenario mit einer kumulierten Abwesenheit von bis zu 50 % der Belegschaft.[18] In der Regel kann für die meisten Infektionskrankheiten mit Ausnahme von AIDS und Tuberkulose von einer Inkubationszeit von wenigen Tagen ausgegangen werden, der ein Krankheitsverlauf von mehreren Tagen bis Wochen folgt.

Die Mortalität einer Pandemie hängt entscheidend vom Virustyp und der Möglichkeit einer medikamentösen Einflussnahme ab. Von den seit 2003 am H5N1-Virus erkrankten Patienten starben mehr als 50 %, was jedoch im Falle einer Verfügbarkeit von Medikamenten entscheidend verringert werden könnte.[19] Medikamente, die den Krankheitsverlauf positiv beeinflussen können, gibt es beispielsweise gegen bekannte Grippeviren oder Pesterreger, jedoch keineswegs in ausreichend produzierter Anzahl für die Größenordnung einer Pandemie. Impfstoffe, die einer Infektion vorbeugen können, müssen für nahezu jeden Virustyp individuell entwickelt werden (genetischer „shift“) und würden somit frühestens nach 2,5 bis 5,5 Monaten verfügbar sein.[20] Nach dem nationalen Pandemieplan würden in Deutschland allerdings etwa 7 Mio. Menschen zur Aufrechterhaltung der medizinischen Versorgung sowie der öffentlichen Infrastruktur und Sicherheit vorrangig mit Impfstoffen versorgt werden, was die Verfügbarkeit für private Haushalte und Unternehmen weiter verzögert.[21] Aktuell empfohlene Grippeimpfungen zur Vorbeugung einer durch H5N1-Erreger ausgelösten Pandemie beispielsweise schützen nachweislich nicht gegen H5N1, sondern sollen nur „Kapazitätserhöhungen bei den Impfstoff produzierenden Unternehmen (..) erreichen.“[22]

Die hohen Krankheitsraten würden global erhebliche Auswirkungen auf die Wirtschaft und das öffentliche Leben haben. Rettungsdienste und medizinische Einrichtungen wären durch die eigenen Personalengpässe und die große Anzahl von Erkrankten überlastet; und auch die Behörden könnten zeitweise Probleme haben, die öffentliche Sicherheit zu gewährleisten.[23] Eine Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln, Trinkwasser und anderen essentiell notwendigen Gütern und Dienstleistungen wäre erschwert.[24] Panik, Plünderungen und weiteres kriminelles Verhalten wären eine denkbare Folge.[25] Unternehmen müssten ebenfalls mit dem Ausfall von Zulieferern, Outsourcern, Dienstleistern und Kunden rechnen, wobei gerade die Nachfrage je nach Branche unterschiedlichste Entwicklungen nehmen kann, wie im Rahmen von Kapitel 3.2.1.2 aufgezeigt werden wird. Der gesamte Güter- und Warenverkehr wäre durch Kontrollen und Mobilitätseinschränkungen gestört, wenngleich Logistikunternehmen wie UPS und Fed Ex angeben, für dieses Szenario detaillierte BCP implementiert zu haben.[26] Längere Stromausfälle wären wahrscheinlich und in Verbindung mit dem zusätzlich erhöhten Telekommunikationsbedarf als Ersatz für die eingeschränkte direkte Kommunikation gleichermaßen ein Zusammenbruch von Mobil-, Festnetz- und Internet-verbindungen.[27]

Staatliche Interventionen zur Einschränkung der Infektionsausbreitung können die Situation für Unternehmen dabei zusätzlich verschärfen. So erwägen einige Staaten die temporäre Schließung ihrer Grenzen für den Waren- und Personenverkehr, was globale Lieferketten unterbrechen könnte.[28]

Gleiches ist vielerorts für Kindergärten und Schulen vorgesehen.[29] In Deutschland sieht das Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen, neben Einschränkungen der Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG), der Freiheit der Person (Art. 2 GG) und der Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 GG) auch die Schließung von Räumlichkeiten, die Anordnung von Quarantäne und ein berufliches Tätigkeitsverbot vor.[30] Ferner wäre mit erheblichen Auswirkungen auf internationale Kapital- und Devisenmärkte zu rechen, die wiederum Einfluss auf globalisierte Lieferketten und Absatzmärkte hätten.

3 BCM in den verschiedenen Stadien einer Pandemie

3.1 Temporale Betrachtung

Entscheidend für die Bewältigung der Auswirkungen einer Pandemie ist die Berücksichtigung ihrer temporalen Besonderheiten. Katastrophen, die aus Attentaten, Unfällen oder ähnlichen Notfällen resultieren, können meist nur in eine Zeit vor dem „Tag X“ und eine Zeit nach selbigem unterteilt werden. Eine Pandemie zeichnet sich jedoch durch eine Phase der Ankündigung in Form schwacher Signale und einen prolongierten Notfallzeitraum aus.[31] Durch die weltweiten Bemühungen der WHO und den Gesetzen zur Meldepflicht beim Auftreten bestimmter Krankheiten ist es sogar möglich, den Fortschritt der Pandemie sehr genau zu beobachten und in die bereits erwähnten Phasen der WHO einzuteilen.[32] Die „Zeit vor dem Notfall“ kann in Anlehnung an die Einteilung der WHO in vier voneinander abgegrenzte Phasen unterteilt werden, die in diesem Buch zusammengenommen als Präpandemische Phase bezeichnet werden. Diese beinhaltet sowohl den BCM-Planungsprozess als auch das laufende BCM vor Eintritt einer Pandemie. Die 5. Phase kennzeichnet die Infektion ganzer Cluster, wobei „die Ausbreitung von Mensch zu Mensch (..) jedoch weiter lokalisiert“ ist.[33] In der Folge wird sie von der WHO zur „Pandemischen Warnperiode“ gezählt, da zwar ganze Regionen schon infiziert sind, eine Pandemie jedoch per Definition erst bei einer überregionalen Infektion gegeben ist.[34] Für die Betrachtung einer Unternehmung ist diese Einteilung nur dann zu vertreten, wenn nach eingehender Untersuchung sämtlicher Lieferketten und Stakeholder internationale Verflechtungen vollkommen ausgeschlossen werden können. Ist beispielsweise ein bedeutender Absatzmarkt oder eine Schlüsselregion zur Rohstoffbeschaffung betroffen, kann dies Kernprozesse empfindlich stören, ohne dass in der lokalen Umgebung der Unternehmung Infektionen verzeichnet werden. Für die Mehrheit muss diese Phase folglich aufgrund ihrer direkten Auswirkungen auf die Geschäftsprozesse schon zur akuten Pandemiephase gerechnet werden, die in der Folge die WHO-Phasen 5 und 6 umfasst. Der erwartete wellenförmige Verlauf einer Pandemie und die daraus resultierenden notwendigen Reaktionen erfordern an dieser Stelle eine weitere Unterteilung dieser 6. Phase in akute Infektionswellen und die dazwischen liegenden Ruhephasen.

Nach einer offiziellen Entwarnung beginnt die Postpandemische Phase. Diese wird in den Einteilungen der WHO, des RKI und des Auswärtigen Amts wieder mit den WHO-Phasen 1 und 2 gleichgesetzt, welche die WHO als Interpandemische Periode bezeichnet.[35] Für eine betriebliche Sicht und die zeitliche Planung erst nach der Pandemie möglicher Maßnahmen wie der Wiederherstellung des Normalbetriebs ist die Erweiterung der Phaseneinteilung der WHO um eine explizite Postpandemische Phase, die sich klar von den ersten beiden Phasen unterscheidet, jedoch absolut notwendig.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Der gesamte BCM-Prozess in den verschiedenen Stadien einer Pandemie

Quelle: Eigene Darstellung [WHO-Einteilung in Anlehnung an WHO Phaseneinteilung (2005)]

Abbildung 1 zeigt noch einmal grafisch die auf den WHO-Phasen aufbauende Einteilung in Präpandemische Phase, Pandemiephase und Postpandemische Phase und gibt bereits einen Überblick über die Zuordnung des gesamten BCM-Prozesses zu den verschiedenen Abschnitten.

3.2 Präpandemische Phase

Die Phasen 1 und 2 der WHO beschreiben eine reine Infektion von Tieren mit einem Virustypen, der eventuell einmal für einen Menschen gefährlich werden könnte. Da dies für Unternehmen, deren Wertschöpfung nicht direkt mit der betroffenen Tierart verbunden ist, keine Gefahr darstellt, besteht auch kein Handlungsbedarf. Erst die Mutation eines solchen Erregers zu einem Virus, das sich auf Menschen übertragen lässt, muss als Bedrohung wahrgenommen werden und als Änderung der Unternehmensumwelt Einzug in den BCM-Prozess finden. Mit dem Erreichen dieser 3. Phase muss also eine neue Analyse angestoßen oder, sofern kein entsprechender Ansatz im Unternehmen besteht, mit der Initiierung eines solchen begonnen werden. Der nachfolgend beschriebene, aus Analyse, Design, sowie Implementierung bestehende, BCM-Planungsprozess sollte bis zum Erreichen der 4. Phase abgeschlossen sein, damit noch ausreichend Zeit besteht, um die Pläne und Maßnahmen noch ohne Komplikationen in der Praxis testen und üben zu können.

3.2.1 Analyse

3.2.1.1 Identifikation von kritischen Prozessen, Modulen u. Bedrohungen

Unternehmen unterscheiden sich je nach Branche und Art der angebotenen Produkte und Dienstleistungen meist grundlegend. Selbst konkurrierende Unternehmen, die eine nahezu identische Produktpalette anbieten, sind nicht in gleicher Form aufgebaut und weisen in der Folge unterschiedliche Prozesse und Wertschöpfungsketten auf.[36] Eine uniforme Darstellung der Organisations- und Prozessanalyse ist also prinzipiell nicht realisierbar. Michael Porter geht jedoch in seinem Modell zur „Value chain“ davon aus, dass es in jeder Branche fünf Kategorien primärer Aktivitäten und vier Kategorien sekundärer, unterstützender Aktivitäten gibt, die sich in Abhängigkeit von ihrer Branche und Unternehmensstrategie jeweils noch weiter unterteilen lassen.[37]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: Das Model einer Wertkette

Quelle: Porter, M. E. (1999), S.66

Die primären Aktivitäten sind die direkt auf den Kunden ausgerichteten Prozesse der Wertkette. Der Ausfall eines Teils des Produktionsprozesses, welcher bei Porter mit den Kategorien „Inbound Logistics“, „Operations“ und „Outbound Logistics“ bezeichnet wird, führt in jedem Unternehmen unweigerlich rasch zu hohem Schaden, weshalb diese Prozesse als „kritisch“ einzuordnen sind.

In der Kategorie „Marketing and Sales“ müssen die Prozesse differenziert werden in solche, die direkt am Absatz beteiligt sind, wie Verkaufsförderung und Außendienst, und solche, die aufgrund ihrer strategischen Ausrichtung über einen längeren Zeitraum zur Wertschöpfung beitragen, wie beispielsweise die Marktforschung. Während der Absatz als betriebswirtschaftliche Kernfunktion zwingend als kritisch anzusehen ist, können andere Marketingprozesse aufgrund ihrer strategischen Ausrichtung für gewisse Zeiträume ausgesetzt werden.

Kundendienst und weitere Serviceleistungen tragen meist nicht direkt zum Umsatz bei. In Abhängigkeit von den Produkten und Dienstleistungen kann jedoch auch der Kundendienst als „kritisch“ eingestuft werden, wenn bei Unterbrechung rasch mit hohen Schäden zu rechnen wäre. Dies wäre denkbar, wenn die Störung einer konstant durch das Unternehmen zu erbringenden Leistung „innerhalb einer angemessenen Frist“ zu einem außerordentlichen Kündigungsrecht bzw. dem Zurücktreten von einem bestehenden Vertrag führt wie beispielsweise bei Anbietern von Internetdiensten oder IT-Dienstleistern.[38] Auch auf kostenpflichtigen Kundendienst ausgelegte Wertschöpfungsketten oder stark vom Kundendienst abhängige Markenwerte können zu einer Einstufung als kritischer Prozess führen.

In der Praxis müssten die verschiedenen Abteilungen und Prozesse jeder Kategorie mit Hilfe von Workshops oder Prozesslandkarten identifiziert und ihre Kritikalität[39] für die Wertschöpfung einzeln bewertet werden. Die weiteren Auswirkungen der unterstützenden Prozesse auf die Primärprozesse sowie die gegenseitigen Abhängigkeiten lassen sich mit Hilfe einer vereinfachten Folgeschädenanalyse (BIA) identifizieren, die in der Praxis neben qualitativen Einschätzungen der Kritikalität auch eine quantitative Aussage zu MAO und RTO treffen müsste. Während in der Kette der primären, auf den Kunden ausgerichteten Kategorien jede Aktivität von der Erfüllung der vorangehenden abhängt, ist bei den unterstützenden Aktivitäten eine weit größere Verflechtung erkennbar. Ihre Aufgabe ist die Versorgung aller Prozesse mit speziellen, zu deren Ausführung notwendigen Ressourcen.

Die Beschaffung (Procurement) ist für den Einkauf sämtlicher im Produktionsprozess benötigter Inputs verantwortlich. Eine Unterbrechung dieses Supportprozesses, der als dritte betriebswirtschaftliche Kernfunktion gesehen wird, hätte direkte Auswirkungen auf die Wertschöpfungskette und muss gleichermaßen als kritisch eingestuft werden. Eine Verlängerung der Wiederherstellungszeit durch erhöhte Lagerbestände kann in Anbetracht des erwartungsgemäß langen Krisenzeitraums einer Pandemie vernachlässigt werden.

Die Technologieentwicklung (Technology Development) verbessert Produkte und die Verfahren zu deren Herstellung, indem sie Know-how, verbesserte Arbeitsabläufe und verfahrenstechnische Ausstattung in die Prozesse einbringt und weiterentwickelt.[40] Eine Unterbrechung der Forschungstätigkeiten würde vermutlich erst mit einiger Verzögerung zu finanziellem Schaden führen, nämlich dann, wenn die Konkurrenz durch ihre Forschung einen Wettbewerbsvorteil erreichen kann. Da diese im Rahmen einer Pandemie jedoch genauso eingeschränkt sein würde, sollte es zunächst genügen, den Status quo aufrecht zu erhalten. Ergo sind nur diejenigen Prozesse, welche die reine Verfügbarkeit von gegenwärtig verwendeter Ausstattung und Know-how gewährleisten, in dieser Kategorie als kritisch anzusehen und sicherzustellen.

Die Personalwirtschaft (Human Ressource Management) ist für die Auswahl, Einstellung und Weiterentwicklung von Mitarbeitern zuständig und unterstützt folglich auch jeden einzelnen Prozess sowie sich selbst. Für die Annahme eines „gewöhnlichen“ Notfalls wäre die Unterbrechung dieses Supportprozesses für eine bestimmte Zeit vielleicht unkritisch. Im Rahmen einer Pandemie und einer Infektion innerhalb der Belegschaft bilden die Disposition von Mitarbeitern und das Besetzen von Schlüsselpositionen einen integralen Bestandteil des Notbetriebs. Die Personalwirtschaft muss folglich in jedem Fall als kritisch eingestuft und aufrecht erhalten werden.

Die Unternehmensinfrastruktur (Firm Infrastructure) „besteht aus einer Reihe von Aktivitäten, wozu die Gesamtgeschäftsführung, Planung, Finanzen, Rechnungswesen, Rechtsfragen, Kontakte zu Behörden und staatlichen Stellen und Qualitätskontrollen gehören.“[41] Hier ist jeder Prozess einzeln zu bewerten im Hinblick darauf, ob eine Unterbrechung unmittelbar oder mit zeitlicher Verzögerung einen finanziellen Schaden bringen würde. So könnte auf die Kreditorenbuchhaltung vermutlich etwas länger verzichtet werden als auf die Debitorenbuchhaltung, da die Verzögerung der Zahlungseingänge schneller zu einer Verknappung der finanziellen Ressourcen führt, als die Nichtwahrnehmung von Skonti und Vermeidung von Mahngebühren. Darüber hinaus dürfte bei den ebenfalls von den Auswirkungen der Pandemie betroffenen Debitoren mit Zahlungsverzögerungen und uneinbringlichen Forderungen gerechnet werden, die den Arbeitsaufwand der Debitorenbuchhaltung zusätzlich erhöhen.

Für jeden der als kritisch eingestuften Prozesse müssen nun detailliert die benötigten Ressourcen und Infrastrukturen ermittelt und dokumentiert werden. In Abhängigkeit von der Branche muss jedes Unternehmen unter diesen auch die potentiellen Gewinntreiber ermitteln, die in besonderem Maße gesichert werden müssen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 3: Top Earnings Drivers by Industry

Quelle:, Monahan, S., Laudicina, P., Attis, D. (2003), “National Association of Corporate Treasurers and FM Global”, S. 11

Die Risikoanalyse wird im Falle der Pandemie ein wie in Kapitel 2.2 aufgezeigtes Szenario kreieren, aus welchem sich im Wesentlichen zwei Kategorien von Bedrohungen ableiten lassen. In direkter Form sind zunächst die Mitarbeiter als wichtigste und für jeden Prozess notwendige Ressource des eigenen Unternehmens bedroht. Mit einigen Mitarbeitern fällt auch Know-how (Intellectual Property) aus, das für die Abläufe der Prozesse benötigt wird. Aus dem Ausfall einer Schlüsselperson mit entsprechenden Entscheidungsbefugnissen kann darüber hinaus eine Handlungsunfähigkeit und damit Unterbrechung weiterer Prozesse resultieren.

[...]


[1] Vgl. Monahan, S., Laudicina, P., Attis, D. (2003), S. 11, HKMA (2002), S. 8, Basel Committee on Banking Supervision (2006), S. 1, BCI (2005), S. 5

[2] Vgl. Stohr, E.A. / Rohmeyer, P. (2004), S. 1

[3] Vgl. Wikipedia - Seuchenzug

[4] Vgl. Wikipedia - Epidemie

[5] Vgl. Cabinet Office (2006), S. 7

[6] Vgl. BMI (2005), S. 11, Wikipedia – Pandemie

[7] Vgl. WHO Phaseneinteilung

[8] Vgl. Popp, W. (2006), S. 1

[9] Vgl. UNAIDS (2006), S. 6

[10] Vgl. reuters (2006)

[11] Vgl. House of Lords (2005), S. 11

[12] Prionen sind Proteine, die bspw. die Creutzfeld-Jakob-Krankheit auslösen.

[13] Vgl. Bundesministerium für Bildung und Forschung (2006)

[14] Vgl. WHO Phaseneinteilung (2005)

[15] Vgl. WHO Influenza (2005) Nr.4

[16] Vgl. RKI (2006)

[17] Vgl. afp (2006), Cabinet Office (2006), S. 2 und 8

[18] Vgl. atradius (2006)

[19] Vgl. WHO (2006), S. 1

[20] Vgl. RKI (2006)

[21] Vgl. RKI (2005), S. 35-38

[22] Steinhoff, C. (2005), S. 150

[23] Vgl. Albrod, M. (2005), S. 131

[24] Vgl. Albrod, M. (2005), S. 131, Cooper, S. (2006), S. 14, Dorman, D. (2006)

[25] Vgl. Cooper, S. (2006), S. 14

[26] Vgl. Cooper, S. (2006), S. 15

[27] Vgl. Cooper, S. (2006), S. 3

[28] Vgl. Ministry of economic development New Zealand (2006)

[29] Vgl. The White House (2006), S. 194, Cabinet Office (2006), S. 2

[30] Das Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (IfSG) löste im Juli 2000 das Bundesseuchengesetz (BseuchG) ab. Die genannten Maßnahmen ergeben sich insbesondere aus den §§16, 17, 28, 30, 31 und 42 IfSG.

[31] Vgl. Treanor, J. (2006), S. 1

[32] Vgl. IfSG §§ 4-15

[33] Auswärtiges Amt (2005), S. 9

[34] Die WHO fasst die Phasen 1 und 2 zur „Interpandemischen Periode“ und die Phasen 3-5 zur „Pandemischen Warnperiode“ zusammen. Vgl. hierzu WHO Phaseneinteilung (2005)

[35] Vgl. RKI (2005), S. 15, Auswärtiges Amt (2005), S. 10

[36] Vgl. Porter, M.E. (1999) S. 67-68, Monahan, S., Laudicina, P., Attis, D. (2003), S. 13

[37] Vgl. Porter, M.E. (1999), S. 70

[38] §323 BGB „Rücktritt wegen nicht, oder nicht vertragsmäßig erbrachter Leistung“

[39] Der Begriff „Kritikalität“ beschreibt laut Wörterbuch (o.V., 1999, „Die neue Rechtschreibung“ BZ-Verlag, Köln) „ in der Kernphysik das Kritischwerden eines Reaktors, das Erreichen des gefährlichen Punktes, wonach eine Kettenreaktion nicht mehr abreißt “ und eignet sich somit auch zur Betrachtung allgemeiner Prozesse anderer Industrien.

[40] Vgl. Porter, M.E. (1999), S. 73

[41] Porter, M.E. (1999), S.74

Details

Seiten
Jahr
2007
ISBN (eBook)
9783656720195
ISBN (Paperback)
9783668137134
Dateigröße
1.2 MB
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2014 (August)
Note
1,0
Schlagworte
business continuity management stadien pandemie
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