Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
1.1. Zum Begriff Imperialismus
1.2. Gründe, Kennzeichen und Erscheinungen des Imperialismus
1.3. Imperialismus als Fortentwicklung des Kolonialismus
2. Die Kolonialfrage und -bewegung im Deutschen Reich
3. Deutsch-Südwestafrika
3.1. Die Geographie Südwestafrikas: Klima, Landschaft, Vegetation
3.2. Ethnien
3.3. Inbesitznahme und Festigung der deutschen Herrschaft
3.4. Verfassung und Verwaltung
3.5. Entwicklung der Städte und Aufbau der Infrastruktur
3.6. Wirtschaft und Wirtschaftspolitik
3.7. Bildungs- und Sozialpolitik
3.8. Der Aufstand der Herero und Nama
3.9. Kampf und Verlust im Ersten Weltkrieg
4. Die übrigen deutschen Kolonien
5. Nachwirkungen der deutschen Kolonialherrschaft
6. Literaturverzeichnis
7. Abbildungsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
1.1. Zum Begriff Imperialismus
1.2. Gründe, Kennzeichen und Erscheinungen des Imperialismus
1.3. Imperialismus als Fortentwicklung des Kolonialismus
2. Die Kolonialfrage und -bewegung im Deutschen Reich
3. Deutsch-Südwestafrika
3.1. Die Geographie Südwestafrikas: Klima, Landschaft, Vegetation
3.2. Ethnien
3.3. Inbesitznahme und Festigung der deutschen Herrschaft
3.4. Verfassung und Verwaltung
3.5. Entwicklung der Städte und Aufbau der Infrastruktur
3.6. Wirtschaft und Wirtschaftspolitik
3.7. Bildungs- und Sozialpolitik
3.8. Der Aufstand der Herero und Nama
3.9. Kampf und Verlust im Ersten Weltkrieg
4. Die übrigen deutschen Kolonien
5. Nachwirkungen der deutschen Kolonialherrschaft
6. Literaturverzeichnis
7. Abbildungsverzeichnis
1. Einleitung
1.1. Zum Begriff Imperialismus
Der Begriff „Imperialismus“ lässt sich aus dem Lateinischen von „imperium“, zu Deutsch „Reich“ oder „Weltreich“, und „imperare“, zu Deutsch „herrschen“, ableiten. Durch die Einigung Italiens und Deutschlands ausgelöst und mit dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges abgeschlossen, erstreckte sich das „Zeitalter des Imperialismus“ von 1871 bis 1914.
Generell lässt sich der Imperialismus als globaler Wettlauf um die letzten „freien“ Territorien der Welt definieren, der zwischen den „alten“ europäischen Mächten Großbritannien, Frankreich und Russland, den erst kurz zuvor zur Großmacht aufgestiegenen Nationen USA und Japan und den im Verlauf des europäischen Einigungsprozesses gegründeten Staaten Italien und dem Deutschen Reich stattfand und bei dem durch gewaltsame, rücksichtslose und aggressive Expansion der Aufstieg zur imperialen Weltmacht herbeigeführt werden sollte, was zur Entstehung komplizierter Bündnissysteme beitrug und schlussendlich den Ausbruch des Ersten Weltkrieges zur Folge hatte.
1.2. Gründe, Kennzeichen und Erscheinungen des Imperialismus
Bei der Frage nach der Hauptursache und auffälligsten Begleiterscheinung des Imperialismus ist die sehr ausgeprägte, intensive und zum Teil aggressive internationale Politik der einzelnen Staaten an erster Stelle zu nennen.[1] Während einige Nationen schon sehr früh eine derartige Außenpolitik verfolgten, waren es bei anderen vorerst deren begrenzte Möglichkeiten oder Interessen, die einer solchen Politik im Wege standen.
Die ausgeprägteste imperialistische Macht war zweifellos Großbritannien. Abgesehen von einer langen Kolonialgeschichte und der seit den beiden schwersten und verlustreichsten Niederlagen der spanischen Armada (1588 gegen Großbritannien und 1607 gegen die Niederlande) bestehenden Vormachtstellung zur See, wies die Außenpolitik Großbritanniens bereits in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts imperialistische Züge auf. Das zeigen vor allem Freihandels- und Freundschaftsverträge, die mit schwächeren Staaten wie Persien (1836 und 1857), der Türkei (1838 und 1861) und Japan (1858) geschlossen wurden. 1872 sprach sich der konservative Premierminister Benjamin Disraeli in seiner „Kristallpalastrede“ nun auch offiziell für eine imperialistische Außenpolitik Großbritanniens aus. In weiterer Folge wurden 1875 die ägyptischen Suezkanal-Aktien zur Sicherung des Seeweges nach Indien angekauft. In Indien, das inzwischen zur Schlüsselkolonie des Britischen Empires geworden war, wurde 1877 die englische Königin Victoria zur Kaiserin erhoben. Durch die Besetzung Ägyptens im Jahre 1882, den Gewinn Rhodesiens durch die Britisch-Südafrikanische Gesellschaft im Zeitraum von 1888 bis 1891 und die Eingliederung der beiden Burenrepubliken nach dem Burenkrieg (1899-1902) kam es in den darauffolgenden Jahren zudem zu wichtigen Gebietszugewinnen. Auch der Kap-Kairo-Plan, der eine Verbindung von Nord- und Südafrika auf britischem Territorium zum Ziel hatte, wurde unter Cecil Rhodes weiter vorangetrieben. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts erreichte das Britische Empire unter Cecil Rhodes und Kolonialminister Joseph Chamberlain schließlich seine größte Ausdehnung.
Abb. 1: Die Koloniale Aufteilung Afrikas
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Auch die alteingesessene Kolonialmacht Frankreich verfolgte schon früh eine sehr internationale Außenpolitik. Das Hauptziel bestand in erster Linie darin, im imperialistischen Machtkampf und insbesondere im „Wettlauf um Afrika“ mit Großbritannien mithalten zu können. Außerdem kam insbesondere nach dem Deutsch-Französischen Krieg (1870-1871) zu dem „alten“ Erzfeind Großbritannien, an den Frankreich nach dem Siebenjährigen Krieg (1756-1763) Gebiete in Nordamerika und Indien abtreten musste, mit dem Deutschen Reich ein weiterer hinzu. Gedemütigt durch den Verlust von Elsass-Lothringen und der Proklamation des deutschen Kaiserreiches im Spiegelsaal von Versailles diente fortan eine imperialistische Politik auch zur Wiederherstellung der verlorenen Weltgeltung. Diese beinhaltete unter anderem den ehrgeizigen Plan zur Schaffung eines West-Ost-Gürtels in Afrika. Da sich jedoch eine französische Verbindung von „Dakar bis Dschibuti“ und eine britische von „Kap bis Kairo“ nicht gleichzeitig durchsetzen ließen, war ein Konflikt zwischen den beiden Mächten schon vorhersehbar. 1898 kam es dann in dem kleinen sudanesischen Ort Faschoda zu einem Aufeinandertreffen von französischen und britischen Truppen, der sogenannten „Faschoda-Krise“. Wegen der militärischen Unterlegenheit und der Rivalität zum Deutschen Reich beschloss der französische Außenminister Théophile Delcassé schließlich, den Befehl zum Rückzug zu geben und dadurch einen Konflikt mit Großbritannien zu vermeiden. Dies führte zwar zur Kränkung des französischen Nationalstolzes, ermöglichte aber in weiterer Folge das Bündnis zwischen Frankreich und Großbritannien.
Auch in Italien kam schon einige Zeit nach der Einigung der Wunsch auf, als neugegründeter Nationalstaat international Präsenz zu zeigen und in das Weltgeschehen einzugreifen. Der Aufstieg zur imperialen Weltmacht sollte daher vorwiegend durch eine intensive Außenpolitik und der Beteiligung an dem „Wettlauf um Kolonien“ erreicht werden. So kam es nach einer kurzen Pause der Erschöpfung ab 1870 bereits 1878 zur Gründung des Bundes „Italia Irredenta“, der die „Befreiung“ der „terre irredente“, zu Deutsch der „unerlösten Gebiete“, zum Ziel hatte. 1885 besetzten italienische Truppen Massaua, das von 1887 bis 1890 zur Kolonie Eritrea ausgeweitet wurde. Als nun auch die Annexion Somalilands 1889 gelang, wurde neben einer durch überseeische Gebietszugewinne ausgelösten Euphorie auch die Neigung zur Selbstüberschätzung immer größer. Daher begann Italien in weiterer Folge im Jahre 1894 einen Krieg gegen Abessinien, das ebenfalls in das italienische Kolonialreich eingegliedert werden sollte. 1896 musste Italien nach der Niederlage von Adua im Vertrag von Addis Abeba dann endgültig auf seinen Plan zur Gründung einer abessinischen Kolonie verzichten.
Etwa zur gleichen Zeit wie Italien startete Japan seine Expansion. Das ehemals agrarisch geprägte Land mit seiner feudalen Gesellschaftsordnung erlebte nach der Öffnung im Jahre 1854 einen rasanten Wandel. Allein die Bevölkerungszahl konnte sich von circa 26 auf 52 Millionen Einwohner im Zeitraum von 1867 bis 1913 verdoppeln, was nicht nur eine enorme Industrialisierung zur Folge hatte. Da somit die Grundvoraussetzungen für eine Expansion erfüllt waren, forderten vor allem ab 1870 einzelne Bevölkerungsgruppen wie der Choshu- und Satsuma-Clan, die sich aus Armee und Marine zusammensetzten, eine internationale beziehungsweise imperialistische Politik. 1875 verzichtete Japan beispielsweise im Vertrag von St. Petersburg auf die Insel Sachalin und erhielt dafür von Russland die Kurilen. Um weitere Territorien zu erwerben, führte Japan von 1894 bis 1895 Krieg gegen China. Nach einigen Niederlagen gegen die besser ausgebildete und ausgerüstete japanische Armee musste China im Frieden von Shimonoseki schließlich Formosa und die Pescadores-Inseln abtreten, die Unabhängigkeit Koreas anerkennen und sich zu Kriegsentschädigungszahlungen bereit erklären. Rund zehn Jahre nach dem Chinesisch-Japanischen Krieg gaben russische und japanische Hegemonialbestrebungen über das Gebiet der Mandschurei erneut Anlass zu einer kriegerischen Auseinandersetzung. Im Russisch-Japanischen Krieg (1904-1905) besiegte Japan Russland bei Mudken zu Land und bei Tsushima zur See und erhielt im Frieden von Portsmouth Süd-Sachalin und Port Arthur sowie das Protektorat über Korea und die Süd-Mandschurei.
Anders als die japanische setzte die russische Expansion schon früh ein und hatte in erster Linie das Ziel, Zugang zur Ostsee und dem Schwarzen Meer zu gewinnen. Durch eine Unterwerfung des sich im Zerfallsprozess befindenden Osmanischen Reiches, das die Propaganda als „den kranken Mann am Bosporus“ bezeichnete, erhoffte sich Russland, die Meerengen Dardanellen und Bosporus unter seine Kontrolle bringen zu können. Österreich, das sich ohnehin durch den Panslawismus bedroht fühlte,[2] und Großbritannien verhinderten jedoch eine russische Intervention in Kleinasien und auf dem Balkan. Außerdem entwickelten sich, insbesondere durch die Annexion von Turkestan im Jahre 1864 und dem Verkauf von Alaska an die USA im Jahre 1867, Spannungen zu Großbritannien. 1898 schloss Russland mit China einen Pachtvertrag über die strategisch wichtige Hafenstadt Port Arthur ab, die jedoch, wie bereits erwähnt, nach dem Russisch-Japanischen Krieg neben Korea und Süd-Sachalin an Japan fiel. Im Jahre 1907 legten Russland und Großbritannien ihren Konflikt um Persien schließlich bei und einigten sich auf ein Abkommen, das eine Teilung des Landes in eine russische, eine neutrale und eine britische Zone vorsah. Dieser Kompromiss ermöglichte in weiterer Folge auch das Bündnis zwischen den beiden Mächten und der damit verbundenen Erweiterung der Entente Cordiale zur Triple-Entente.
Die USA konnten sich erst schrittweise zu einer imperialistischen Macht entwickeln, da vor allem innenpolitische Herausforderungen eine internationale Politik anfangs nicht ermöglichten. Allgemein lässt sich diese Entwicklung in drei Phasen gliedern: Ausgelöst durch Washingtons „Abschiedsbotschaft“ (1797) wendeten sich die USA in der Folgezeit von Europa ab und intensivierten ihre Bemühungen zur Beschleunigung der inneren Konsolidierung. So konnten beispielsweise neben Florida im Jahre 1819 und Texas im Jahre 1845 auch Kalifornien, Neu-Mexiko und Arizona nach dem Mexikanisch-Amerikanischen Krieg (1846-1848) erworben werden. Die zweite Phase stimmt zeitlich mit dem Amerikanischen Bürgerkrieg überein und dauerte folglich von 1861 bis 1865. Diese Auseinandersetzung zwischen dem Norden und Süden der USA hatte nicht nur die politische Wiedervereinigung des Landes zur Folge, sondern ermöglichte auch den Aufbau einer amerikanischen Großindustrie. Außerdem wendeten sich die Vereinigten Staaten allmählich von den Grundsätzen der Monroe-Doktrin, einem im Jahre 1823 verfassten Entwurf des amerikanischen Präsidenten James Monroe zu einer langfristigen Außenpolitik, ab, mischten sich vermehrt in internationale Angelegenheiten ein und traten fortan als imperialistische Großmacht auf. Grundsätzliches Ziel der amerikanischen Expansion war es weniger, große Gebiete hinzuzugewinnen oder Rohstoffquellen in den Kolonien zu erschließen, sondern in erster Linie strategisch gut gelegene Stützpunkte aufzubauen. Speziell durch den Sieg im Spanisch-Amerikanischen Krieg (1898) konnten die USA ihren Einflussbereich weiter vergrößern und durch den Verzicht Spaniens auf Kuba, den Kauf der Philippinen um 20 Millionen Dollar und den Erwerb von Puerto Rico, Guam und einigen anderen Inseln in der Karibik und im Pazifischen Ozean festigen.[3]
Obwohl es sich bei Belgien, verglichen mit der Größe der übrigen imperialistischen Mächte, um einen Kleinstaat handelte, dessen Existenz beispielsweise durch Annexionspläne Frankreichs gefährdet war, verfolgte es eine durchaus imperialistisch geprägte Außenpolitik. Verantwortlich hierfür waren in erster Linie die ehrgeizigen Pläne des belgischen Königs Leopold II., der im Jahre 1885 die Kolonie Kongo im Anschluss an die „Kongokonferenz“ in Berlin (1884-1885) errichtete und als seinen Privatbesitz betrachtete. Um die Kolonie größtmöglich auszubeuten, wurde die Bevölkerung versklavt und hauptsächlich zur Kautschukgewinnung eingesetzt. Die sogenannten „Kongogräuel“ umfassten mitunter auch die systematische Zerstörung der Dörfer und Lebensräume kongolesischer Einwohner oder sämtliche Bestrafungen wie das „Hände-Abhacken“, wobei schwarze Soldaten für jede verschossene Kugel die Hand des Getöteten vorlegen mussten. Um verschossene Munition zu rechtfertigen, wurden oftmals Lebende verstümmelt. 1908 musste Leopold II. schließlich dem großen Druck Großbritanniens, einiger anderer Kolonialmächte und der eigenen Bevölkerung nachgeben und die Kolonie Kongo an den belgischen Staat abtreten.
Das Deutsche Reich war neben Italien die einzige imperialistische Macht, die erst verspätet eine internationale Politik verfolgte und die letzte, die sich auf eine solche festlegte. Da Otto von Bismark das Deutsche Reich nach der Gründung für saturiert,[4] also nicht expansionswillig, erklärte, wurden von deutschen Kaufleuten erworbene Immobilien in Afrika vorerst nicht unter staatlichen Schutz gestellt. Die deutsche Außenpolitik und die Entwicklung des Deutschen Reiches zur imperialistischen Macht soll später noch ausführlich behandelt werden.
Neben der intensiven internationalen Politik der einzelnen imperialistischen Mächte können durchaus auch wirtschaftliche Veränderungen als Wegbereiter und Begleiterscheinung des Imperialismus angesehen werden. Vor allem Erfindungen wie die Eisenbahn, das Dampfschiff, das Flugzeug oder das Telefon trugen maßgeblich dazu bei, dass weltweit die Entfernungen „abnahmen“ und die Kontinente immer näher „zusammenrückten“. Ferner kam es zu einer zunehmenden Industrialisierung, zu deren Auswirkungen mitunter ein erhöhter Bedarf an Rohstoffen zählte. Allen voran der Kohleabbau, die Erdölproduktion und die Schwermetallindustrie konnten von 1890 bis 1914 ein enormes Wachstum verzeichnen. Grundsätzliches Ziel der Kolonialmächte war der billige Import von Rohstoffen aus den Kolonien, die im eigenen Land zu Fertigprodukten verarbeitet und dann teuer exportiert werden sollten. Jedoch ermöglichte die oftmals schlechte wirtschaftliche Lage den Kolonien kaum den Import derartiger Produkte, weshalb diese wiederum – anders als von den Industriestaaten erhofft – nicht als neue Absatzmärkte erschlossen werden konnten. Die Antwort der Industrienationen war ein Neomerkantilismus, der speziell durch eine intensive Schutzzollpolitik zu einer Abwendung von den Prinzipien des Freihandels führte.
Ein weiteres wesentliches Kennzeichen des Imperialismus ist der stark ausgeprägte Militarismus, der ein Wettrüsten zur Folge hatte, das oftmals die volkswirtschaftlichen Möglichkeiten der einzelnen Staaten überschritt und zu sozialen Missständen führte. Diesem derart umfangreichen Militarismus lagen in erster Linie nationalistische und rassistische Strömungen zugrunde: So neigten die imperialistischen Mächte zur Selbstüberschätzung, priesen die Idee des „Herrenmenschen“ und setzten die Leistungen anderer Nationen herab. Beispiele hierfür sind der italienische Irredentismus, der Panslawismus unter dem Schutz Russlands, das unter dem Deckmantel des „Schirmherrn der Slawen“ auf Kosten des Osmanischen Reiches einen Meerzugang erlangen wollte, oder die „Greater-Britain“-Bewegung, die eine noch stärkere Bindung der Kolonien an das Mutterland Großbritannien zum Ziel hatte.
Zuletzt soll noch kurz dargestellt werden, in welcher Form sich unterdrückte Völker und Stämme gegen die imperialistische Fremdherrschaft auflehnten. Speziell der Boxeraufstand (1900-1901) zeigt, wie Einheimische Widerstand leisteten und mit welcher Konsequenz solche Erhebungen niedergeschlagen wurden. Der Anlass zu einer Strafexpedition gegen die Boxer, bei denen es sich um chinesische Faustkämpfer handelte, war in erster Linie – abgesehen von kleineren Unruhen in der Vergangenheit – die Ermordung des deutschen Gesandten Baron Clemens von Ketteler. Neben deutschen Truppen, bei deren Verabschiedung Kaiser Wilhelm II. seine sogenannte „Hunnenrede“ hielt, sendeten auch Großbritannien, Russland, die USA, Japan, Frankreich, Österreich und Italien Streitkräfte zur Bekämpfung der Boxer nach China. Die Einnahme Pekings durch alliierte Truppen führte zu einer Verständigung mit der chinesischen Kaiserin Cixi, die fortan die Boxer nicht mehr unterstützte, sondern mit Regierungstruppen bekämpfte. Nach der endgültigen Niederwerfung des Aufstandes kam es im September 1901 schließlich zur Unterzeichnung des „Boxerprotokolls“, das neben Reparationszahlungen die Bestrafung der Aufständischen (häufig mit der Todesstrafe), Beamtenprüfungen, die Errichtung eines befestigten Gesandtschaftsviertels für Ausländer in Peking und einem Waffeneinfuhrverbot auch zahlreiche Demütigungen der einheimischen Bevölkerung vorsah.
1.3. Imperialismus als Fortentwicklung des Kolonialismus
Der Begriff Kolonialismus lässt sich aus dem Lateinischen von „colere“, zu Deutsch „anbauen“, „bewirtschaften“ oder „aufrechterhalten“, ableiten und wird allgemein mit dem „Modernen Kolonialismus“ in Verbindung gebracht, der das Zeitalter zwischen dem Beginn der Neuzeit, die in der Mitte des 15. Jahrhunderts einsetzte, und der Entkolonialisierung ab 1945 umfasst. Beispiele für frühere Kolonialperioden sind unter anderem die Kolonialisierung des Mittelmeers durch die griechischen Poleis oder das römische Kolonialreich.
Sowohl der Kolonialismus als auch der Imperialismus können als Erscheinungen der Vergangenheit angesehen werden, wobei es sich bei der des Kolonialismus um eine in den letzten drei bis vier Jahrtausenden immer wieder auftretende und bei der des Imperialismus um eine einmalige, weniger als fünfzig Jahre andauernde, handelt.
Das kurze Andauern dieser imperialistisch geprägten Epoche lässt es wiederum zu, dass diese heute als „Zeitalter des Imperialismus“ bezeichnet werden kann. Die Tatsache, dass der Begriff „Imperialismus“ oftmals im Zuge der sogenannten „Imperialismustheorie“ unter anderem auch auf antike oder mittelalterliche Ausformungen wie das Alexanderreich, die römische Expansion auf Kosten Karthagos, die Kreuzzüge oder die Ausbreitung des Islam ausgeweitet wird, ändert nichts an der Bezeichnung und Datierung des imperialistischen Zeitalters, vor allem, da derartige Theorien als sehr umstritten gelten.
Am wesentlichsten unterscheiden sich der Imperialismus und der Kolonialismus dadurch, dass der Kolonialismus, der den Besitz von Kolonien und die damit verbundene Beherrschung von Völkern und Stämmen durch eine in Hinblick auf Kultur und Zivilisation fremde Macht beschreibt, im Imperialismus nur einen Teilaspekt darstellt. Schließlich dienen im Imperialismus Kolonien lediglich als Mittel und Ressourcen im globalen Wettstreit nach Geltung und Einfluss.
Anfangs erschien es als eher unwahrscheinlich, dass das Deutsche Reich nach der Einigung im Jahre 1871 noch eine imperialistische Politik verfolgen und sich um den Erwerb von Kolonien bemühen würde, da der deutsche Reichskanzler Otto von Bismarck dieses im Anschluss an den Deutsch-Französischen Krieg für saturiert erklärte und als Ziel die Beibehaltung des Status quo erklärte. Bismarcks Zweifel am Nutzen und der Sinnhaftigkeit von kolonialen Besitzungen führte letztlich auch dazu, dass er die französischen Kolonialbestrebungen stets ermunterte.[5] Erst nach der Gründung des „Deutschen Kolonialvereins“ im Jahre 1882 sowie der „Gesellschaft für deutsche Kolonisation“ durch Carl Peters im Jahre 1884 und dem Erwerb von Territorien in Afrika und der Südsee durch private Verträge begann Bismarck langsam, Gebiete in Übersee unter staatlichen Schutz zu stellen. Im Zuge dessen kam es in der Zeit von 1884 bis 1885 zu Protektoraten in Deutsch-Südwestafrika, Kamerun, Togo, Deutsch-Ostafrika und den pazifischen Kolonien Kaiser-Wilhelmsland, Bismarck-Archipel und Marshall-Inseln.
Bedingt durch die Machtübernahme Wilhelms II. im „Dreikaiserjahr“ 1888 und die Entlassung des Reichskanzlers Bismarck im Jahre 1890 kam es in den darauffolgenden Jahren – bis auf den Pachtvertrag über Kiautschou mit der Hafenstadt Tsingtao im Jahre 1898 – zu keinen nennenswerten Gebietszugewinnen mehr. Außerdem trug die populistische und prahlerische Außenpolitik des „säbelrasselnden“ Kaisers maßgeblich zur Verschlechterung der deutsch-britischen Beziehungen bei und half Frankreich dadurch aus der Isolation. Die „Damaskus-“ und „Hunnenrede“, etliche nationalistische, populistische und propagandistische Äußerungen, Orientbesuche und eine durch Admiral Alfred von Tirpitz angeregte intensive Flottenpolitik, bei der die Stärke der deutschen Seemacht vor allem durch den deutschen Flottenverein repräsentiert werden sollte und die Großbritannien nun parallel zum Deutschen Reich zu Flottenaufrüstungsprogrammen veranlasste, sind beispielhaft für den stark ausgeprägten deutschen Nationalismus auf der einen und das ungeschickte diplomatische Verhalten Wilhelms II. auf der anderen Seite. Auch der unter deutscher Leitung stehende Bau der Bagdad-Bahn ab 1903 wurde von Großbritannien und Russland als ein direktes Eindringen in deren unmittelbaren Interessensbereich aufgefasst. Nachdem das Deutsche Reich über die Deutsche Bank die Eisenbahnkonzessionen im Osmanischen Reich erworben hatte, diente diese Intervention auf türkischem Territorium insbesondere zur Errichtung eines strategisch wichtigen Stützpunktes in diesem Gebiet und trug schlussendlich maßgeblich zum deutsch-türkischen Bündnis im Ersten Weltkrieg bei.
Unterstützung erhielt Wilhelm II. unter anderem vom „Alldeutschen Verband“, der sich aus „Männern der Öffentlichkeit, Parlamentariern, Schriftstellern, Gelehrten und Gewerbetreibenden“ zusammensetzte und trotz seiner eher geringen Mitgliederzahl von durchschnittlich zehn- bis zwölftausend großen Einfluss im Staat ausübte. Ziel der Alldeutschen war es, neben der Entfaltung der deutschen Kriegs- und Seemacht auch „die Gegenden außerhalb des Reiches, in welchen Deutsche wohnten, Österreich, die Schweiz, Holland sogar mit dem Reich zu verbinden, sodass endlich ein Staat aller Deutschen entstünde“. Zu den nationalistischen Zielen dieser Gruppierung zählte einerseits der Gedanke, „über solche minderwertigen Völkchen, wie Tschechen, Slowenen und Slowaken“[6] zu herrschen, und andererseits die Auflösung des polnischen Staates.
Obwohl sich das Deutsche Reich während des imperialistischen Zeitalters zur stärksten europäischen Industrienation entwickelte, schaffte es Wilhelm II. nicht, dessen wirtschaftliche Stärke auch weltpoltisch zur Geltung zu bringen. Das deutsch-britische Verhältnis und die zunehmende Isolation des Deutschen Reiches wurden hierbei zum Hauptproblem, aus dem schlussendlich notgedrungen ein lockerer Dreibund mit Österreich-Ungarn und Italien resultierte.
3. Deutsch-Südwestafrika
3.1. Die Geographie Südwestafrikas: Klima, Landschaft, Vegetation
Mit einer Fläche von etwa 835.100 Quadratkilometern war Deutsch-Südwestafrika nach Ostafrika die zweitgrößte deutsche Kolonie. Im Norden grenzte Südwestafrika an Angola, das als einzige Nachbarkolonie nicht unter britischer sondern portugiesischer Herrschaft stand, und Rhodesien, im Osten an Betschuanaland, im Süden an die Südafrikanische Union und im Westen an den Atlantischen Ozean. Der höchste Berg des Landes ist der Königstein mit einer Höhe von 2.568 Metern über dem Meeresspiegel.[7] Südwestafrika, das sich in der subtropischen Zone befindet, weist vor allem heiße und aride Klimaverhältnisse auf. Die Niederschläge nehmen in Südwestafrika von Norden nach Süden ab, wobei diese am häufigsten im Gebiet des Caprivi-Zipfels und am seltensten in den Wüstengebieten, etwa in der Namib oder Omaheke, auftreten. Charakteristisch für die südwestafrikanischen Wüsten sind hohe Temperaturschwankungen zwischen Tag und Nacht.
Die Landschaft Südwestafrikas kann in sechs verschiedene Zonen unterteilt werden:[8] Der felsige nördliche Küstenstreifen umfasst das Gebiet von der Skelettküste bis nach Swakopmund, der südliche die Sandwüste Namib. Im Südwesten erstrecken sich sowohl weite Ebenen als auch mächtige Bergketten und gewaltige Schluchten. Eine für diese Region typische Pflanze ist der Köcherbaum, der seinen Namen den Buschmännern verdankt, die aus seinen Zweigen die Köcher ihrer vergifteten Pfeile herstellen.[9]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 2: Deutsch-Südwestafrika
Abb. 3: Deutsch-Südwestafrika
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Die zentrale Hochebene, in der die Vegetation der dornigen Savanne, die von verschiedenen Arten der Akazie dominiert wird, vorherrscht, wird im Süden vom Hochland um Windhuk, im Osten von der Omaheke und im Nordwesten vom Brandbergmassiv begrenzt. Nordwestlich der zentralen Hochebene liegt die sogenannte „Etosha-Pfanne“, eine weitläufige Salzwüste mit einer Ausdehnung von über 8.000 Quadratkilometern,[10] die durch die Austrocknung eines riesigen Sees entstand und in der nun eine Vielzahl verschiedener Pflanzen und Tiere beheimatet sind. Im Norden Südwestafrikas existieren die wasserreichsten Regionen des Landes. Beim Caprivi-Zipfel handelt es sich um das einzige südwestafrikanische Gebiet, das Anteil an der tropischen Klimazone hat.
[...]
[1] vgl. Mann, G. (1992): Deutsche Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, S. Fischer Verlag (Sonderausgabe), S. 508 f.
[2] vgl. Haffner, S. (2001): Von Bismarck zu Hitler, Knaur, S. 72
[3] vgl. Mann, G. (1992): Deutsche Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, S. Fischer Verlag (Sonderausgabe), S. 508
[4] vgl. Haffner S. (2001). Von Bismarck zu Hitler. Knaur. S. 66
[5] vgl. Mann, G. (1992): Deutsche Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, S. Fischer Verlag (Sonderausgabe), S. 507
[6] Mann, G. (1992): Deutsche Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, S. Fischer Verlag (Sonderausgabe), S. 510 f.
[7] vgl. Cubitt, G. (1981): Namibia – The untamed land, Don Nelson, S. 85
[8] vgl. ebd., S. 23
[9] vgl. Cubitt, G (1981): Namibia – The untamed land, Don Nelson, S. 32
[10] vgl. ebd., S. 106