Die Versprechen der Genforschung sind gewaltig – ebenso sind es die Befürchtungen ihrer Gegner.
Seit der Entdeckung der DNS 1953 durch James Watson und Francis Crick hat die Wissenschaft einen regelrechten Quantensprung vollbracht. Spätestens seitdem das Humangenomprojekt 2001 die menschliche DNS vollständig entschlüsselte, rückte auch die medizinische Verwertbarkeit ins Zentrum des Interesses. Unter dem Stichwort der prädiktiven Medizin wird nun die Vorhersage der Krankengeschichte eines Menschen verstanden, beziehungsweise die Wahrscheinlichkeit des Auftretens einer erblich bedingten Krankheit im weiteren Lebensverlauf. Abgesehen davon, dass diese Aussagen meist nur sehr vage sind und viele Prozesse in der DNS noch lange nicht verstanden sind, ergeben sich andere ethische und soziologische Fragestellungen.
Insbesondere wird zu ergründen sein, wie sich aus der Möglichkeit eines Gentests eine soziale Erwartungshaltung entwickeln kann. Dabei werde ich das Paradigma der informellen Selbstbestimmung beleuchten und schleichende Tendenzen der "Genetisierung" aufdecken.
Zunächst werde ich mich generell mit der Bioethik-Debatte, dann verstärkt mit der Wechselwirkung von Gesellschaft und Individuum und schließlich mit dem Gendiagnostikgesetz und dem Krankenversicherungssystem auseinandersetzen.
In Kapitel eins geht es deshalb um eine Einordnung der bestehenden Risikoanalysen zur Gentechnik.
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
Kapitel 1: Dimensionen der Risikothematisierung
Kapitel 2: Das Recht auf informelle Selbstbestimmung
Kapitel 3: Die humangenetische Beratung
Kapitel 4: Gendiagnostikgesetz und Diskriminierungsverbot
Kapitel 5: Gendiagnostik und Krankenversicherungen
Schlusswort
Literaturverzeichnis
Eidesstattliche Erklärung
Einleitung
Die Versprechen der Genforschung sind gewaltig - ebenso sind es die Befürchtungen ihrer Gegner.
Seit der Entdeckung der DNS 1953 durch James Watson und Francis Crick hat die Wissenschaft einen regelrechten Quantensprung vollbracht. Spätestens seitdem das Humangenomprojekt 2001 die menschliche DNS vollständig entschlüsselte, rückte auch die medizinische Verwertbarkeit ins Zentrum des Interesses. Unter dem Stichwort der prädiktiven Medizin wird nun die Vorhersage der Krankengeschichte eines Menschen verstanden, beziehungsweise die Wahrscheinlichkeit des Auftretens einer erblich bedingten Krankheit im weiteren Lebensverlauf. Abgesehen davon, dass diese Aussagen meist nur sehr vage sind und viele Prozesse in der DNS noch lange nicht verstanden sind, ergeben sich andere ethische und soziologische Fragestellungen.
Insbesondere wird zu ergründen sein, wie sich aus der Möglichkeit eines Gentests eine soziale Erwartungshaltung entwickeln kann. Dabei werde ich das Paradigma der informellen Selbstbestimmung beleuchten und schleichende Tendenzen der "Genetisierung" aufdecken.
Zunächst werde ich mich generell mit der Bioethik-Debatte, dann verstärkt mit der Wechselwirkung von Gesellschaft und Individuum und schließlich mit dem Gendiagnostikgesetz und dem Krankenversicherungssystem auseinandersetzen.
In Kapitel eins geht es deshalb um eine Einordnung der bestehenden Risikoanalysen zur Gentechnik.
Kapitel 1 - Dimensionen der Risikothematisierung
Die Genforschung wird zu fundamentalen Veränderungen unserer Gesellschaft führen, das scheint unvermeidlich. Um sich der Problematik systematisch anzunähern, können bestehende Risikoanalysen und ihre gesellschaftlichen Ansatzpunkte betrachtet werden.
Lösch hat daraus drei grundlegende Thematisierungen abgeleitet, die im Folgenden vorgestellt werden.
Gemeinsamer Nenner aller Analysen ist dabei die Furcht vor sozialen Risiken als Folge wissenschaftlicher Experimente (vgl. Lösch 2000 S.38). Ebenso gemeinsam ist die Thematisierung von Politik, Wissenschaft und Gesamtgesellschaft als relevante Systeme, nur die Gewichtung variiert. Während die einen vor allem eine Begrenzung der Politik fürchten, ist für andere die Entgrenzung der Wissenschaft vordergründig. Zuletzt wird häufig eine Entsicherung der Gesellschaft thematisiert (ebd.). Aber lassen sich diese Prozesse überhaupt voneinander trennen, oder bedingen sie sich gegenseitig?
"Überall bleiben wir unfrei an die Technik gekettet, ob wir sie leidenschaftlich bejahen oder verneinen. Am ärgsten sind wir jedoch der Technik ausgeliefert wenn wir sie als etwas Neutrales betrachten". - Martin Heidegger
Die Begrenzung der Politik ist oft durch schiere Ratlosigkeit der politischen Entscheider geprägt.
Die Genforschung ist in ihren potenziellen Auswirkungen so ambivalent, dass sich die Politik nicht zu klaren Entscheidungen durchringen kann. Stattdessen werden Expertengremien befragt und Ethikkommisionen eingesetzt, die demokratisch nicht legitimiert sind und nicht öffentlich verhandeln, dafür aber der Politik die schweren Gewissensentscheidungen abnehmen (vgl. Wodarg 2004 S.16). Zu groß ist die Angst der politischen Entscheider, dass man den wissenschaftlichen Anschluss verliert, oder im Gegenteil die Büchse der Pandora öffnet.
Wer, wenn nicht die Wissenschaftler selbst, könnte diese schmale Gratwanderung sonst am besten abwägen? Allerdings werden Wissenschaftler in dieser Fragestellung nur schwerlich unparteiisch sein können, sind sie es doch, deren Aufgabe die Erschaffung des Wissens ist, über dessen Zukunft entschieden werden soll (vgl. Schmidtke 1995 S. 25). Es ist dabei ähnlich wie mit der Atomphysik: Einmal erlangtes Wissen ist nicht mehr aus der Welt zu schaffen und die politische Regulierung desselben ist ein nahezu aussichtsloser Kampf. Dennoch wird die Frage adäquater Wissenschafts- und Technikentwicklung in der Politik gar nicht erst gestellt. Stattdessen wird konsequent zwischen Grundlagenforschung und angewandter Forschung unterschieden und so eine Trennbarkeit vorgetäuscht (vgl. Lösch 2000 S.46). Zugegebenermaßen dürfte es in einer globalisierten Wissenschaft auch praktisch unmöglich sein, bestimmte Grundlagenforschung zu vermeiden. Dennoch fehlt eine Problematisierung der Wissensbildung an sich völlig.
Die Entgrenzung der Wissenschaft zeigt sich im Beispiel der Expertengremien sehr anschaulich:
Ein außerhalb der Gesellschaft generiertes und ausverhandeltes Wissen wird für die Gesellschaft normgebend. Dies gilt nicht nur für die rahmengebende Gesetzgebung, sondern auch für die generelle Lebensführung und die Gesundheitsfürsorge. Dies wird am Beispiel der Bewertung von "Behinderungen" deutlich. Während die Behindertenpädagogik versucht, Behinderung als soziales Phänomen und mögliche Variation der genetischen Vielfalt zu verstehen, wird die medizinische, vermeintlich objektive Definition von Behinderung als zu vermeidendes Übel in der Gesellschaft dominant (vgl. Wevelsiep 2001 S.23). Auf die Spitze getrieben wird diese Vorstellung von einigen Autoren als "Genokratie" bezeichnet (vgl. Lösch 2000 S.39).
Ganz nach Descartes Körper-Maschine-Modell kommt darin die Vorstellung zum Ausdruck, der Mensch ließe sich vollständig erklären, wenn man nur seine Teile und deren Funktionen kenne (vgl. SPIEGEL 1993 S.169). Die Bedeutung sozialer und physischer Bedingungen, die auch bei vererbbaren Krankheiten eine bisher ungeklärte aber bewiesene Rolle spielen, rückt dabei an den Rand (vgl. Lemke 2004 S.76).
Gleichzeitig findet eine Normierung dessen statt, was als gesund und was als ungesund zu interpretieren ist. Diese wahrnehmungsleitende Differenz zwischen gesund/ungesund , schädlich/nützlich und schließlich lebenswert/lebensunwert reduziert Menschen auf ihre ökonomische Verwertbarkeit. Der Rechtsstaat transformiert sich in dieser Dystopie zu einem Unterwerfungsapparat, der seine Bürger vom Subjekt zum Objekt degradiert (Wevelsiep 2001 S. 48f.).
Eine so geartete "Bio-Politik" nach Foucault , also "administrative Strategien zur Regulierung der organischen Lebensvorgänge" (ebd.), würde insbesondere zwei Bereiche umfassen:
Erstens die Dressur und Leistungssteigerung des menschlichen Körpers und entsprechende Integration in wirksame ökonomische Kontrollsysteme. Zweitens Regulierung der Fortpflanzung, der Geburten- und Sterblichkeitsrate, des Gesundheitsniveaus, der Lebensdauer etc. (vgl. Foucault 1998 S. 166f.).
Die von der Wissenschaft oft kommunizierte Prämisse der Aufklärung wird dabei von Foucault in ihr Gegenteil verkehrt, in dem er sie als Element der Rationalisierung von Herrschaft versteht (vgl. Wevelsiep 2001 S. 49). Im Zusammenspiel der Begrenzung von Politik und der Entgrenzung der Wissenschaft, die sich wie gezeigt gegenseitig bedingen, ist nun die dritte Dimension der Risikothematisierung begründet:
Die Entgrenzung der Gesellschaft meint "die gleichzeitige Zunahme individueller Verantwortung für Risiken und Abnahme rechts- und sozialstaatlicher Absicherung" (Lösch 2000 S.39).
Die Genforschung stellt das Schicksal in Frage, es wird Objekt menschlicher Eingriffe und Optimierungsversuche. Daraus resultiert die Frage, wer für dieses Schicksal Verantwortung zu tragen hat. So werden aus neuen Handlungschancen, die die moderne Medizin bereitstellt, schnell Handlungsimperative (vgl. Beck-Gernsheim 1995a S.18).
Dieser Zusammenhang ist im Fall der Pränataldiagnostik besonders offenkundig. Schon die mögliche Schuldzuweisung, erkennbare vorgeburtliche Schäden nicht ausgeschlossen zu haben, wird viele Eltern zur Pränataldiagnostik veranlassen (vgl. Schmidtke 1995 S.28). In diesem Zusammenhang wird auch vom "Diktat des Machbaren" gesprochen (ebd.).
Bezogen auf die eigene Gesundheit entwickelt diese Möglichkeit komplexere Fragestellungen, deren Erörterung Ziel und Schwerpunkt dieser Arbeit ist. Im folgenden Kapitel soll dabei auf das Dilemma zwischen Wissen und NichtWissen eingegangen werden.
Kapitel 2 - Das Recht auf informelle Selbstbestimmung
Die Frage, ob man sein eigenes genetisches Schicksal erfahren möchte, kann nur jeder für sich selbst entscheiden. Die einen erfahren es als Erleichterung, zu wissen worauf man sich einstellen muss und Gewissheit zu haben. Ein Patient, der mit hoher Wahrscheinlichkeit an Demenz erkrankt, kann sich zum Beispiel frühzeitig um einen Pflegeplatz kümmern. Andere dagegen verlieren durch eine Diagnose, insbesondere wenn die Krankheit, wie zum Beispiel Chorea Huntington, unausweichlich auftreten und zum Tod führen wird, ihren Lebensmut, da ihr Leben aussichtslos wird (vgl. Scholz 1995 S.42). Das deutsche Gendiagnostikgesetz verbietet deshalb jegliche Gendiagnostik ohne Einwilligung des Betroffenen (vgl. GenDG §8). Gleichzeitig verlangt das deutsche Gesetz umfangreiche Aufklärung und Beratung, sowohl vor einer möglichen Untersuchung als auch danach (vgl. GenDG §9 u. §10). Es steht also, zumindest momentan in Deutschland, jedem frei, sich genetischer Diagnostik zu unterwerfen. Es ist jedoch fragwürdig, ob diese Entscheidung wirklich frei ist oder inwieweit latente Umweltfaktoren einerseits und die Art der genetischen Beratung andererseits diese beeinflussen. In einer Gesellschaft, in der, wie oben beschrieben, Gesundheit zur Norm wird, und diese über die genetischen Information definiert wird, wird dieses Wissen früher oder später in Kosten-Nutzen- Kalkulationen einfliessen. Dabei sind zwei unerwünschte Szenarien vorstellbar: Entweder man beugt sich dem latenten psychosozialen Druck und handelt nach möglicherweise eugenischen Optimierungszwängen oder man fürchtet persönliche Diskriminierung durch unvollständigen Datenschutz und unterlässt Untersuchungen, die man eigentlich gern gemacht hätte (vgl. Schmidtke 1995 S.30f / Wevelsiep 2001 S. 27). Als Fallbeispiel vorzustellen ist der Patient mit bekannter familiärer Disposition zu Darmkrebs, der durch einen Gentest feststellen könnte, ob auch er an einem signifikant erhöhten Darmkrebsrisiko leidet oder eben nicht. Ohne Gentest wären durch die Familiengeschichte regelmäßige Vorsorgeuntersuchungen indiziert. Ein Gentest könnte diese überflüssig machen oder die Befürchtung in Gewissheit verwandeln. Ein Gentest führt also durchschnittlich zu einer Einsparung von Ressourcen. Ähnlich der sozialen Erwartungshaltung, dass man arbeiten geht, um der Gesellschaft nicht (unnötig) zur Last zu fallen, kann man hier einen sozialen "Zwang zur Gesundheit" beziehungsweise zur möglichst adäquaten Vorsorge vermuten (vgl. Schmidtke S.30).
Der umgekehrte Fall, dass ein Patient aufgrund befürchteter Diskriminierung auf eine Diagnose verzichtet, scheint dagegen ein eher juristisches Problem zu sein. Für beide Fälle gibt es Lösungsansätze, auf die ich in den folgenden Kapiteln eingehen werde.
Die genetische Beratung stellt dabei ein Konzept dar, dass eine möglichst unbefangene, mündige und persönliche Entscheidung ermöglichen soll. Diese soll im folgenden Kapitel thematisiert werden.
Kapitel 3 - die humangenetische Beratung
Genetische Beratung ist die Schnittstelle zwischen Arzt und Patient, sie soll sowohl dazu dienen, medizinische Zusammenhänge und die Bedeutung genetischer Faktoren zu erklären, als auch über Möglichkeiten der Prävention bzw. Therapie aufzuklären (vgl. Lösch 2000 S.263). Bis in die 1980er Jahre war die genetische Beratung vor allem durch ein paternalistisches Arzt-Patientenverhältnis gekennzeichnet, in dem der Arzt dem Patienten Anleitung zum richtigen Umgang mit seiner (potentiellen) Erbkrankheit gab. Seitdem hat sich die Praxis genetischer Beratung allerdings grundlegend geändert.
Es entwickelte sich das Konzept der nicht-direktiven Beratung, das dem Patienten weitestgehende Autonomie in seiner Entscheidung zusichern sollte (vgl.Wevelsiep 2001 S.21).
Dies geschah wohl auch mit Blick auf die Geschichte, in der die Eugenik eine bekanntermaßen grausame Rolle gespielt hat. Der Verzicht der humangenetischen Berater auf direkte Einflussnahme ist somit als bewusste Absage an den Versuch eines politischen Eingriffs zu verstehen (vgl. Beck- Gernsheim 1995b S.113).
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