In dieser Arbeit werde ich untersuchen, wie Alexander Scheer den Othello in Puchers Inszenierung verkörpert. Dazu werde ich Erika Fischer-Lichtes Ästhetik des Performativen und Hans-Thies Lehmanns Postdramatisches Theater nutzen, die zur Analyse von zeitgenössischen Theateraufführungen ein geeignetes Instrumentarium geliefert haben. Dabei wird mein Augenmerk vor allem auf den Szenen liegen, in denen man als Zuschauer weniger den Eindruck hat, einen Othello vor sich zu sehen, sondern die dramatische Rolle hinter dem individuellen, phänomenalen Leib Scheers verschwindet.
In einem Ausblick möchte ich mich dann noch kurz, soweit der Rahmen dieser Hausarbeit das zulässt, dem Blackfacing zuwenden. Hier werde ich zunächst unter Verwendung der erst kürzlich erschienenen Reflexion von ethnischer Identität(szuweisung) im deutschen Gegenwartstheater der Mainzer Theaterwissenschaftlerin Hanna Voss einen knappen Abriss über die Geschichte des minstrelsy liefern, und dann auf die Frage eingehen, inwiefern der Hamburger Othello in der Tradition dieser amerikanischen Kunstform steht. Zu guter Letzt möchte ich dann noch einige Überlegungen anstellen, welche Ziele Stefan Pucher mit seiner Inszenierung verfolgt haben könnte, als er sie als eine Art Nummernrevue anlegte.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Alexander Scheers Verkörperung des Othello
2.1 „Schlicht und ungeschminkt“
2.2 Musikalisierung: Othello/Scheer der Rockstar
2.3 Alexander Scheers Körperlichkeit
3. Ausblick: Blackfacing
3.1 Minstrelsy
3.2 Othello: eine Minstrel-Show?
4. Fazit
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg hatte im September 2004 William Shakespeares Dramenklassiker Othello unter der Regie von Stefan Pucher Premiere. Die Titelrolle des Stücks spielte der von Pucher häufig besetzte Alexander Scheer. Wie zu dieser Zeit an deutschen Bühnen noch vollkommen üblich, wurde dieser schwarz geschminkt, um die „schwarze“ Figur des „Mohren von Venedig“ zu verkörpern. Dieser Umstand erweckt also zunächst nicht so sehr die Aufmerksamkeit, wie die Spielweise Scheers. Ähnlich wie in anderen Pucher-Inszenierungen (zum Beispiel Faust I am Schauspiel Frankfurt) liegt der Fokus sehr stark auf Scheer, er wird in Szene gesetzt wie ein Rockstar, hat eine Musiknummer nach der anderen.
Was damals noch von der breiten Öffentlichkeit nicht weiter hinterfragt wurde, löste knapp acht Jahre später eine große, medienwirksame Debatte aus: Blackfacing. Die bis dahin übliche Praxis, weiße Schauspieler für vermeintlich schwarze Rollen zu schminken, wurde nun plötzlich von verschiedensten Parteien äußerst kontrovers diskutiert. Dabei hatte das Verfahren bereits eine sehr lange Geschichte und fand im 19. Jahrhundert bei den nordamerikanischen „Minstrel-Shows“ seine Hochzeit. Die Shows, die sich damals einer hohen Beliebtheit erfreuten und sogar als „ die nationale Unterhaltungskunst“1 der USA galten, werden hingegen heute größtenteils kritisch beurteilt und als Ausdruck rassistischer Vorurteile von Weißen gegenüber Schwarzen angesehen. Während das Blackfacing also in Ländern wie den Vereinigten Staaten heute undenkbar ist, wurde diese Technik in Deutschland noch sehr lange weitergeführt und erst in jüngster Vergangenheit ernsthaft in Frage gestellt.
In dieser Arbeit möchte ich zunächst anhand einer Fernsehaufzeichnung der Inszenierung Puchers untersuchen, wie Alexander Scheer den Othello verkörpert. Dazu werde ich Erika Fischer-Lichtes Ästhetik des Performativen und HansThies Lehmanns Postdramatisches Theater nutzen, die zur Analyse von zeitgenössischen Theateraufführungen ein geeignetes Instrumentarium geliefert haben. Dabei wird mein Augenmerk vor allem auf den Szenen liegen, in denen man als Zuschauern weniger den Eindruck hat, einen Othello vor sich zu sehen, sondern die dramatische Rolle hinter dem individuellen, phänomenalen Leib Scheers verschwindet.
In einem Ausblick möchte ich mich dann noch kurz, soweit der Rahmen dieser Hausarbeit das zulässt, dem Blackfacing zuwenden. Hier werde ich zunächst unter Verwendung der erst kürzlich erschienenen Reflexion von ethnischer Identität(szuweisung) im deutschen Gegenwartstheater der Mainzer Theaterwissenschaftlerin Hanna Voss einen knappen Abriss über die Geschichte des minstrel- sy liefern, und dann auf die Frage eingehen, inwiefern der Hamburger Othello in der Tradition dieser amerikanischen Kunstform steht. Zu guter Letzt möchte ich dann noch einige Überlegungen anstellen, welche Ziele Stefan Pucher mit seiner Inszenierung verfolgt haben könnte, als er sie als eine Art Nummernrevue anlegte.
2. Alexander Scheers Verkörperung des Othello
In diesem Kapitel soll anhand verschiedener Szenen aus der Othello -Inszenierung Puchers der Begriff der Verkörperung (embodiment) und der Körperlichkeit im Sinne von Erika Fischer-Lichte und Hans-Thies Lehmann erläutert werden. Fischer-Lichte bemerkt hierzu, dass im Theater lange Zeit der Schauspieler als perfekt galt, der möglichst komplett in seiner dramatis personae aufgeht und hinter ihr nicht mehr zu erkennen ist2. Während Edward Gordon Craig deswegen noch forderte, den unvollkommenen Menschen ganz von der Bühne zu verbannen und durch eine Art Übermarionette zu ersetzen, stellt Fischer-Lichte fest, im Gegenwartstheater stehe der Augenblick im Zentrum des Interesses, „in dem die Wahrnehmung des phänomenalen Leibes umspringt in die Wahrnehmung der Figur und umgekehrt [...]“3. Sie führt vier Verfahren an, die in diversen Aufführungen angewandt wurden und werden, und sich als besonders wirksam erwiesen haben:
1) Umkehrung des Verhältnisses von Darsteller und Rolle; 2) Hervorhebung und Ausstellung des individuellen Darsteller(körper)s; 3) Betonung von Verletzlichkeit, Gebrechlichkeit, Unzulänglichkeit des (Darsteller)Körpers; 4) Cross-Casting.4
All diese Verfahren finden - mehr oder weniger deutlich - Anwendung in Alex ander Scheers Verkörperung des Othello. Auf den folgenden Seiten sollen diese Verfahren in besonders auffälligen Szenen aufgezeigt und erklärt werden.
2.1 „Schlicht und ungeschminkt“
Das ganze Stück über kommt (aufgrund der Besetzung zwangsläufig) das CrossCasting zum Einsatz. Zwar nicht in dem Sinne, in dem Fischer-Lichte ihn gebraucht, die als Beispiel Frank Castorfs Inszenierung von Des Teufels General heranzieht, in der die männliche Hauptrolle von einer Frau gespielt wird5. Nichts desto trotz handelt es sich hier um Cross-Casting, da der „Mohr“ Othello zwar nicht von einer schwarzen Frau, wohl aber von einem weißen Mann verkörpert wird.
Auf diese Diskrepanz zwischen dramatischer Rolle und phänomenalem Leib wird schon bei Othellos/Scheers erstem Auftritt verwiesen: Während Brabantio sich beim Dogen beklagt, Othello hätte ihm seine Tochter Desdemona geraubt, tritt letzterer durch den Zuschauerraum kommend auf, nicht ohne vorher noch mit einem der anderen Darsteller abzuklatschen, die allesamt in Anzügen bekleidet im Publikum verteilt stehen und sitzen. In der Bühnenmitte angekommen stellt sich Scheer nun breitbeinig, mit den Händen in den Hosentaschen vor das Publikum, das Becken leicht nach vorn gedrückt und der Rücken krumm.
Zum ersten Mal kann der Zuschauer nun genau erkennen, was für eine Erscheinung ihm da gegenüber getreten ist: Scheer trägt einen Anzug mit Krawatte. Soweit sichtbar ist er komplett schwarz geschminkt (und, wie sich später weisen wird, trifft dies wirklich auf seinen ganzen Körper zu). Seine schulterlangen Haare, die ebenfalls schwarz gefärbt sind, sind mit viel Gel zurückgelegt. Besonders auffällig sind jedoch seine besonders dick geschminkten, roten Lippen, die ein so stereotypes Bild von einem schwarzen Mann vermitteln, dass er aussieht wie Al Jolson in Der Jazzsänger oder ein als „Mohr“ geschminkter Sternsinger. Als er aufgefordert wird, dem Dogen zu erklären, was an den Vorwürfen dran sei, zögert er zunächst noch, geht ein paar Schritte vorwärts, räuspert sich vernehmlich und beginnt dann seine Erklärung. Dass er dem alten Mann die Tochter geraubt habe, sei wahr, genauso auch, dass die beiden vermählt seien: „Wenn Ihr’s erlaubt, erzähl ich schlicht und ungeschminkt...“6 Daraufhin wartet er auf eine Reaktion (vermutlich des Publikums) und als keine kommt, schaut er erst verwundert und leicht hektisch umher, um dann ein beinahe grimassenhaftes Grinsen aufzusetzen, das dem einen oder anderen Zuschauer dann doch ein Lachen entlockt. Erst dann beendet er seinen Satz und fährt fort.
Es scheint, als wäre diese Stelle einzig dafür inszeniert, um die Zuschauer von Anfang an für dieses Cross-Casting zu sensibilisieren. Durch die Ironie, dass Scheer diese Worte äußert und sie durch seine übertriebene Grimasse - die wie schon seine Schminke stark an afroamerikanische Stereotypen der vergangenen Jahrhunderte erinnert - auch noch klar ausstellt, macht er selbst die Zuschauer in der letzten Reihe darauf aufmerksam, dass es sich hier um Blackfacing7 handelt und eben nicht um eine „schlichte“ und „ungeschminkte“ Darstellung einer dramatischen Figur.
2.2 Musikalisierung: Othello/Scheer der Rockstar
Wie viele andere Regisseure unterlegt auch Stefan Pucher sein „von Pop bestimmtes Musik- und Rhythmusempfinden auch Klassikertexten [...]“8. Doch scheint es Pucher hier nicht nur um eine Musikalisierung und Rhythmisierung der Inszenierung zu gehen, sondern vor allem, den Darsteller(körper) Alexander Scheer in Szene zu setzen und somit den phänomenalen Leib in den Vordergrund zu stellen.
[...]
1 Voss 2014, 99.
2 Vgl. Fischer-Lichte 2004, 131.
3 Fischer-Lichte 2004, 152.
4 Fischer-Lichte 2004, 139.
5 Fischer-Lichte 2004, 148ff.
6 Pucher 2004. Nachfolgende Zitate ohne Fußnote berufen sich ausschließlich auf Puchers Othello -Inszenierung in Hamburg.
7 Das Wort ist hier in seiner neutralen und unpolitischen Form gemeint und soll lediglich beschreiben, dass ein weißer Darsteller sich sein Gesicht oder auch andere Körperteile schwarz schminkt. Siehe dazu Kapitel 3.
8 Lehmann 1999, 155.