Die bewegte Pause. Eine empirische Untersuchung
Zusammenfassung
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Forschungsdesign
3 Theoretischer Hintergrund: Stand der Forschung und schulinterner Diskurs
4 Die bewegte Pause am Gymnasium ***
4.1 Analyse der Voraussetzungen und Rahmenbedingungen
4.2 Nutzung, Annahme und Zufriedenheit – eine empirische Analyse
4.3 Auswahl, Durchführung und Auswertung der Zusatzangebote
5 Offene Reflexionspunkte, Schlussfolgerungen und Empfehlungen
6 Zusammenfassung
7 Literaturverzeichnis
8 Anhang
I Fragebogen I zur bewegten Pause
II Fragebogen II zur bewegten Pause
III Auswertung Fragbogen I
IV Auswertung Fragebogen II
1 Einleitung
Die Schule im Allgemeinen und der Schulsport im Speziellen sind in den letzten Jahren in Bewegung geraten: Die zahlreichen Veränderungen und Reformen, die die Institution Schule besonders im vergangenen Jahrzehnt durchlaufen hat, sind auch am Schulsport nicht spurlos vorübergegangen. Neben einem inneren Reformbestreben und einem äußeren Legitimationsdruck kreisen in der Sportpädagogik und -didaktik bereits seit Längerem mehrschichtige Diskussionen „um die Gestaltung schulischen Lernens und Lebens sowie um die Bedeutung von Bewegung, Spiel und Sport“[1] in der Schulentwicklung. Diesem Thema stellt sich diese Arbeit im Feld der bewegten Pause. Die bewegte Pause eröffnet dem Schulsport Chancen, seine Teilhabe am überfachlichen Bildungs- und Erziehungsauftrag zu verdeutlichen und Bewegung, Spiel und Sport als profilbildende Elemente der Schule zu verankern.[2] Trotz der üblichen Meinungen zum Gesundheitszustand oder zur Motorik von Kindern und Jugendlichen hat Sport und Bewegung weiterhin einen großen Stellenwert in dieser Altersklasse.[3]
Kinder suchen insgesamt nach wie vor die Nähe ihrer Freunde und wollen mit ihnen draußen spielen und sich bewegen. Diese eigenständige Sozialwelt ist trotz zunehmender Terminisierung weiterhin ein zentraler, unverzichtbarer Ort der Entwicklung von Autonomie und Kompetenz.[4]
Dieses Zitat des Essener Sportpädagogen Werner Schmidt macht zum einem deutlich, dass Aufgabenfülle und institutionalisierter Druck bereits im Kindesalter zunehmen, zum anderen aber auch, dass im kindlichen Spiel und im Sich-Bewegen, wie es z. B. in einer bewegten Pause vorkommt, eine autonome Welt verborgen liegt, die einem Schatz gleicht, den es zu heben gilt (vgl. 3) und der als Gegenentwurf und Ausgleich in einer hektischen, postmodernen Welt neue bzw. alte – zu verlieren gehende – Perspektiven offen legen kann (vgl. 3). Wenn nämlich Schule eine dem Menschen zugewandte, sich öffnende und kooperative, eine reflexive und vor allem lernfähige Einrichtung sein will,[5] muss der innere Bewegungsdrang des Kindes besondere Beachtung in der Schulkultur finden. Denn in der Regel wollen sich viele Kinder und Jugendliche, wie diese Arbeit noch zeigen wird, auch in der Schule bewegen, wenn die richtigen, d. h. ansprechenden Arrangements getroffen werden. Dass dabei Synergieeffekte auftreten können und dieses innere Bedürfnis des Sich-Bewegen-Wollens pädagogisch genutzt werden kann, soll nicht verheimlicht werden (vgl. 3); Ansatzpunkt ist aber die Schülerin bzw. der Schüler als eigenständiges Individuum, was bedeutet, dass immer von den Bedürfnissen der SuS’[6] ausgegangen werden soll, diese aber durch verschiedene Impulse sensibilisiert werden können (vgl. 4). In diesem Zusammenhang bieten außerunterrichtliche Bewegungsangebote viel Potential, das es auszuschöpfen gilt und welche als Ergänzung – nicht aber als Ersatz – zum curricularen Schulsport gesehen werden sollten. Insbesondere ist eine Ganztagsschule, wie das Gymnasium ***, mehr noch als andere Schulformen darauf angewiesen, genügend Bewegungsräume zur Verfügung zu stellen und so den SuS’ Handlungs- und Entscheidungsspielräume zu geben, um sich ständig mit sich selbst und ihrer Umwelt auseinanderzusetzen. Neben AG-Formen, die in dieser Arbeit nicht untersucht werden, bietet die bewegte Pause vielversprechende Optionen, Bewegung stärker in der Schule zu implementieren, was auch das Gymnasium *** bereits erkannt hat. Es fördert laut Schulprogramm (u. a.) mit dem Projekt der bewegten Pause (vgl. 3) „eine gesunde Lebensweise und eröffnet […] konkrete Handlungsmöglichkeiten“ (vgl. 4).[7]
Ziel der Arbeit ist es, das bestehende Angebot der bewegten Pause am Gymnasium *** zu untersuchen und zu erweitern (vgl. 2, 4.1, 4.2, 4.3 und 5):[8] Neben den bereits etablierten Angeboten (vgl. 4.1 und 4.2) wurden für diese Examensarbeit über einen Zeitraum von insgesamt zwei Wochen zwei zusätzliche Angebote offeriert: Zum einen wurden in der großen Pause Kletterspiele und organisierte Turniere an der Boulderwand (vgl. 4.3) durchgeführt und zum anderen wurde in der Mittagspause ein Angebot zum Kistenklettern (vgl. 4.3) bereitgestellt. Im Mittelpunkt der Untersuchung stehen dabei zwei Leitfragen: 1. Wie wird die bewegte Pause von den SuS’ bzw. von einzelnen Gruppen und Altersstufen angenommen? 2. Kann mithilfe der zwei Zusatzangebote die Beteiligung an der bewegten Pause gesteigert werden bzw. haben diese Angebote Einfluss auf die Zufriedenheit der SuS’ bezüglich des Pausenangebots (vgl. 4.2 und 4.3)? Resultierend aus diesen Leitfragen erfolgt abschließend eine Reflexion mit potentiellen Ausbaumöglichkeiten und Optimierungsvorschlägen (vgl. 5).
2 Forschungsdesign
Ziel der hier folgenden Methodenexplikation ist Transparenz. Denn der Leser kann nur über die Aussagekraft bzw. Validität von Ergebnissen urteilen, wenn ihm die methodische Vorgehensweise und das wissenschaftliche Setting bekannt sind. Diese Untersuchung gelangt sowohl über Methoden der quantitativen als auch qualitativen Sozialforschung zu ihren Ergebnissen. So eine Methodentriangulation hat den Vorteil, dass etwaige Nachteile bei der Verwendung von nur einer Methode ausgeglichen werden können und zudem ein spezifischeres Bild vom Untersuchungsgegenstand gezeichnet werden kann. Triangulation ist heute kein ungewöhnlicher Vorgang mehr, wie auch Flick feststellt, denn die
Zeit der umfassenden „grand theories“ ist vorbei: und es gibt eine Vielzahl von Modellen und Erklärungsansätzen für alle möglichen Probleme, die mehr oder weniger auf Detailebene angesiedelt sind. Der Trend geht mehr in Richtung einer Diversifizierung als einheitlichen allgemeinen Modellen. Viele dieser Theorien und Modelle mit eher begrenzter Reichweite sind für die Analyse empirischen Materials in ähnlichen Fällen relevant.[9]
Zu den qualitativen Forschungsmethoden gehören die durchgeführten Leitfadeninterviews, die rezeptiven Interviews mit SuS’[10] und durchgeführte Beobachtungen (vgl. 3, 4.2, 4.3). Die Leitfadeninterviews wurden mit dem Schulleiter des Gymnasiums *** und mit dem FSJler (FSJ = Freiwilliges soziales Jahr) am Gymnasium ***, der für die bewegte Pause zuständig ist, durchgeführt. Diese Interviews dienten dazu, eine Ist-Analyse durchzuführen (vgl. 3 u. 4.2). Da der Fokus der Antworten bei dieser Art von Befragung durch die Befragten selbst gesetzt wird, kann durch eine nicht vollkommen prädeterminierte Vorgehensweise die Inhaltsvalidität erhöht werden.[11] Um auch die externe Validität zu erhöhen, wurden zusätzlich standardisierte Fragebögen (mit geschlossenen und zum Teil offenen oder halb offenen Fragen[12] ) zur Befragung der SuS’ eingesetzt (zur Größe des Samples, Rücklaufquote s. u.). Die hieraus gewonnenen Daten dienten der Feststellung der harten Fakten (welche Altersgruppen nutzen die bewegte Pause? Wie beurteilen verschiedene Gruppen einzelne Angebote? Wo besteht Optimierungsbedarf? etc.) und der Festlegung der weiteren Vorgehensweise, da die hieraus resultierenden Daten und Fragen direkt in die zweite Forschungsphase münden sollten (Entwicklung eines zweiten Fragebogens, s. u., Bestimmung der Zusatzangebote, vgl. 4.2 u. 4.3). Die Fragebögen wurden in jeweils zwei zufällig ausgewählten Klassen (Losverfahren) pro Jahrgang im Sekundarbereich I (inkl. Jahrgang 10!) eingesetzt, weil davon auszugehen war, dass diese Gruppe die Hauptakteure der bewegten Pausen seien und mit zwei Klassen pro Jahrgang repräsentative Ergebnisse entstehen. Der erste Fragebogen (März-Fragebogen) hielt den Ausgangszustand fest und sammelte, wie oben beschrieben, harte Daten. Der zweite Fragebogen (April-Fragebogen) eruierte die Zusatzangebote und stellt mögliche Veränderungen und Dispositionen zum ersten Fragenbogen fest. Insgesamt wurden in den Jahrgängen fünf bis zehn im ersten Durchgang 312 Schülerinnen und Schüler (ca. 40% der Sekundarstufe I), davon 158 Schülerinnen und 154 Schüler, befragt und im zweiten Durchgang 311 Schülerinnen und Schüler (162 Schülerinnen und 149 Schüler).[13]
3 Theoretischer Hintergrund: Stand der Forschung und schulinterner Diskurs
Die bewegte Pause ist ein Baustein der Bewegten Schule. Ideen zu diesem Konzept entwickelte der schweizer Pädagoge Urs Illi bereits in den 80er Jahren.[14] Im Laufe von etwa zwei Dekaden haben sich sehr heterogene Entwürfe zur Bewegten Schulen entwickelt, weil sehr viele unterschiedliche Akteure (Sportpädagogen, Psychologen, Mediziner, Schulverwaltung, Krankenkassen, Sportverbände etc.) versuchen, Einfluss zu nehmen. Die Literatur zur Bewegten Schulen ist schier unüberschaubar.[15] Das grundsätzliche Ziel der Bewegten Schule ist es, mehr Bewegung (hier wörtlich gemeint) in die traditionelle „Sitzschule“ zu bringen bzw. ein ständige Sitzen zu kompensieren und dadurch die Entwicklung und das Lernen von Kindern positiv zu beeinflussen, da Bewegungsarmut verschiedene Probleme mit sich bringe (s. u.).[16] Trotz der unterschiedlichen Realisierungsversuche[17], lassen sich gemeinsame inhaltliche Merkmale einer Bewegten Schule aufstellen; einzelne Bausteine sind: die bewegte Pause, Bewegungspausen (damit sind situativ angemessene Bewegungsanlässe im Unterricht gemeint; Bewegungspausen sind von der bewegten Pause, die zwischen den Stunden stattfindet, zu unterscheiden), bewegtes oder dynamisches Sitzen, bewegtes Lernen, bewegter Sportunterricht, außerunterrichtliche Sportangebote, Entspannung etc.[18] Das Gymnasium *** trägt zwar nicht das Prädikat der Bewegten Schule, es nutzt aber einen Baustein dieses Programms: die bewegte Pause.
Die Begründungmuster für eine Bewegte Schule oder auch nur für die Komponente bewegte Pause sind so mannigfaltig wie unübersichtlich.[19] Sie weisen z. T. erhebliche Redundanzen auf oder widersprechen sich auch. Je nach Autor werden verschiedene Argumentationslinien inklusive verschiedener Hintergrundtheorien (Piaget, Balz, Antonovsky, von Hentig u. a.) für mehr Bewegung in der Schule angeführt. Thiel et. al.[20] haben versucht, die einzelnen Begründungen in drei große Kategorien inklusive Unterkategorien zu klassifizieren: 1. in medizinisch-gesundheits-wissenschaftliche (medizinisch-orthopädische, gesundheitserzieherische Argumente), 2. entwicklungs- und lerntheoretische (betonen die Bedeutung von Bewegung für das Lernen und die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen) sowie 3. schulprogrammatische Begründungsmuster (Schule als Lebens-, Lern und Erfahrungsraum, Schule als Kulturträger). Sie kommen aber selbst zu dem Schluss, dass die einzelnen Argumentationsmuster „häufig subjektiven Theorien der Autoren entspringen und es […] an empirischen Nachweisen über die Effizienz“[21] fehlt. Zu den empirisch abgesicherten oder hermeneutisch stringenten Beweisführungen gehören u. a. medizinisch-gesundheits-wissenschaftliche Begründungsmuster, die vorwiegend auf Defizitanalysen, dem vermehrten Aufkommen von Zivilisationskrankheiten (Adipositas, Haltungsschwächen etc.) und Präventivmaßnahmen basieren.[22] Auch gesundheitserzieherische Argumente (die SuS’ sollen dazu befähigt werden, gesunde Lebensgewohnheiten auszubilden[23] ) oder die Perspektive der Unfallverhütung und Sicherheitserziehung („psychomotorisches Sicherheitstraining“, das zu einer sicherheitsbezogene Sach-, Selbst-, und Sozialkompetenz und als Folge zu mehr Bewegungssicherheit führen soll) sind einsichtig, im Gegensatz zur medizinischen Begründung allerdings kaum empirisch abgesichert. Auch die sozialökologischen Blickrichtung (entwicklungs- und lerntheoretische Muster), die betont, dass Kinder und Jugendliche durch Technisierung und Urbanisierung (fehlen von Bewegungsräumen) stetig immobiler werden und nach Ausgleich gesucht werden muss, ist plausibel.[24]
Insgesamt bleibt festzuhalten, dass viele sehr gute Gründe (die mehr oder minder empirisch abgesichert sind) dafür sprechen, verstärkt Bewegung in den Schulalltag zu bringen, wozu die bewegte Pause einen erheblichen Beitrag leisten kann. Wovor man sich allerdings hüten sollte, ist, Bewegung als „Therapeutikum mit Breitbandwirkung“ und „Allheilmittel gegen alle Übel dieser Welt“[25] zu verklären. Denn auf diese Weise werden Erwartungen geweckt, die nicht erfüllt werden können und der Sportpädagogik und damit auch dem Unterrichtsfach Sport mehr schaden als nützen.
Der schulinterne Diskurs zur bewegten Pause am ***er Gymnasium speist sich vorwiegend aus dem von der Schulleitung erarbeiteten Plan des „Gesundheitsmanagements“.[26] Unter dieser Überschrift werden bereits bestehende Maßnahmen und Projekte subsumiert und die Ziele des Schulprogramms und der Schulcharta näher bestimmt. Auch das Ganztagskonzept der Schule ist von den Ideen der Gesundheitserziehung geprägt und lässt sich daher (siehe sportwissenschaftliche Begründungsmuster) mit der bewegten Pause verbinden. Konkret eingebettet ist die bewegte Pause in das Projekt „Gesund Leben Lernen“ (GLL), das ebenfalls in den Bereich des Gesundheitsmanagement fällt. GLL ist ein Projekt zur Gesundheitsförderung an niedersächsischen Schulen, das hauptsächlich von der Landesvereinigung für Gesundheit und Akademie für Sozialmedizin Niedersachsen e. V., vom Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen und vom Kultus- sowie Sozialministerium Niedersachsen geführt wird. Es werden dabei sowohl gesundheitserzieherische, psychosoziale, ernährungswissenschaftliche, räumliche oder organisatorische Aspekte fokussiert: „In einem Zeitraum von zwei Jahren soll das Gesundheitskonzept unserer Schule mit Hilfe einer Steuerungsgruppe und einer zugeteilten Fachkraft der AOK optimiert werden“, so der Schulleiter.[27] Bisherige Maßnahmen des Projektes sind u. a. Projekte zur AIDS- und Drogenprävention, die Verlegung eines geräuschdämmenden Teppichbodens im Lehrerzimmer, eine Optimierung des Essens- und Getränkeangebots der Cafeteria und auch das Angebot der bewegten Pause, das nun in den nächsten Kapiteln näher betrachtet werden kann.
4 Die bewegte Pause am Gymnasium ***
4.1 Analyse der Voraussetzungen und Rahmenbedingungen
Die bewegte Pause besteht in *** aus drei Komponenten: Die SuS’ können sich aus einer (1) „Spielkiste“ verschiedene Materialien (Bälle, Schläger, Seile, Frisbees, Indiacazubehör, Balancierteller, Cubbspiele, Hackysacks etc.) ausleihen, sie können verschiedene (2) Außengeräte und Einrichtungen (drei Fußballfelder – zwei asphaltierte Flächen mit jeweils zwei 88 x 135 cm Aluminiumtoren und ein Rasenbolzplatz mit zwei Handballtoren sowie einer Torwand, eine ca. 3 m hohe Kletterpyramide, ein ca. 2,5 m hohe und 7 m breite Boulderwand, Hangel- und Balanciergeräte, mehrere Tischtennisplatten, ein Basketballkorb, ein Völkerballfeld) selbständig nutzen und es besteht vereinzelt die Möglichkeit, an verschiedenen (3) organisierten Aktivitäten (z. B. Tischtennisturnieren, Wurfwettbewerben etc.) teilzunehmen. Bewegungsmöglichkeiten in einer Regenpause oder im Winter bestehen kaum (vgl. 5). Zum Organisationsrahmen: Die Spiele- und Geräteausleihe in den großen Pausen (und in potentiellen Freistunden) wird von dem FSJler der Schule organisiert; ebenso fällt die Durchführung von Pausenturnieren in seinen Aufgabenbereich. Hierbei kann es allerdings zu Überschneidungen und Organisationsproblemen kommen (vgl. 4.2 und 5).
4.2 Nutzung, Annahme und Zufriedenheit – eine empirische Analyse
Nach Aussage des zuständigen FSJlers werden in der Pause hauptsächlich Fußbälle und Tischtennisschläger von den SuS’ ausgeliehen. Eine Zählung und durchgeführte Beobachtungen bestätigen dies. Im Zeitraum vom 21.03.-01.04.2011 wurden folgende Materialien (Anzahl der Ausleihungen) herausgegeben:
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Bereits hier ist der Trend festzustellen, dass Bewegung in den unteren Jahrgängen eine größere Rolle spielt, als in höheren Jahrgängen. Dass beispielsweise in einem Jahrgang sehr viele Tischtennisschläger (siehe Jahrgang 6) ausgeliehen werden oder in einem Jahrgang kaum Fußbälle (siehe Jahrgang 9), mag mit speziellen Interessen oder Desinteressen einzelner Klassen zusammenhängen. Dass Fußball insgesamt große Beachtung findet, ist aufgrund der Popularität und Einfachheit in Bezug auf die Organisation des Spiels nicht weiter verwunderlich.[28] Die Anzahl der Ausleihungen der Bälle für die großen Sportspiele muss höher gewichtet werden als die Ausleihungen von Tischtennisschlägern, weil die großen Sportspiele meist in größeren Gruppen als Tischtennis gespielt werden. Um aber ein differenziertes Bild zur Nutzung und Beliebtheit von einzelnen Geräten und Materialien, zu möglichen Wünschen und zur Bewertung der SuS’ (also auch geschlechtsspezifische Aussagen!) zu bekommen, wurden die SuS’ mittels Fragebogen (vgl. 2) zur bewegten Pause konsultiert. Im Folgenden werden die wichtigsten Ergebnisse der ersten Fragebogenerhebung zusammengefasst, exemplarisch vorgestellt und in Teilen reflektiert (weitere Reflexion siehe 5):[29]
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Frage 3: Wie oft leihst Du Dir Spielgeräte, Bälle, andere Materialien für die Pause aus oder wie oft tobst und spielst Du in der Pause draußen (zum Beispiel am Klettergerüst, Fußball etc.)?
Insgesamt (Jahrgang 5-10) nehmen etwa 17% der befragten SuS’ aktiv und regelmäßig an der bewegten Pause teil.[30] Dies mag auf den ersten Blick wenig erscheinen; wenn man das Ergebnis aber in absoluten Zahlen betrachtet, wird die Dimension deutlicher: Von 312 befragten SuS’ nutzen also 53 SuS’ regelmäßig das Bewegungsangebot der Schule. Da diese Zahl statistisch gesehen mehr als verdoppelt werden müsste (ca. 40% der SuS’ der Jahrgänge 5-10 wurden befragt, vgl. 2[31] ), indiziert dies bereits eine sehr hohe Auslastung der Sport- und Spielflächen. Zudem geben viele Jungen an, dass die Fußballplätze häufig belegt seien und daher eine Teilnahme oft an Platzkapazitäten scheitere. Weitere häufige Gründe für Passivität sind: „Weil ich lieber mit Freunden/innen rede“, „weil ich mein Brot essen möchte“, „weil es draußen zu kalt ist“ und Jahrgang 9 und 10 gibt vermehrt an, dass dies „mehr etwas für Jüngere“ sei. Interessent bei der Auswertung dieser Frage ist ein detaillierter Blick auf die Geschlechter; denn bei den Jungen geben insgesamt 29,2% der Befragten an, sich regelmäßig in der Pause zu bewegen (bis Jahrgang 8 sogar 35%), bei den Mädchen sind es insgesamt nur 5%. Ohne aufgrund des Umfangs dieser Arbeit in die Tiefe gehen zu können, gibt es hierfür mehrer Erklärungsansätze, die nur in aller Kürze und exemplarisch aufgegriffen werden können: Ab dem 11./12. Lebensjahr verstärken sich – wie neuere Studien zeigen[32] – die Unterschiede im Freizeitverhalten von Mädchen und Jungen sowohl in der Motivstruktur als auch im Umfang des Sportengagements, in der Wahl der Settings sowie in der Wahl der Sportarten.[33] Erklärungsrelevant sind in erster Linie sozialisationstheoretische Ansätze, die von der Ausdifferenzierung geschlechtstypischer Muster ausgehen: Die bedeutendste Theorie ist das konstruktivistische Prinzip des „doing gender“ Darunter ist zu verstehen, dass sich Mädchen und Jungen in einem kontinuierlichen Prozess immer wieder als „geschlechtliche Wesen inszenieren müssen, um sozial anerkannt“[34] zu werden. „ Doing gender [kursiv im Original] verläuft zumeist unbewusst und selbstverständlich“ und „ist in gewissem Sinne präreflexiv und daher umso wirksamer“[35]. Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass das Bewegungsengagement in der Freizeit bzw. in der Pause massiv vom Geschlecht und einzelnen Dispositionen abhängt, was verschiedene Studien und auch die hier durchgeführte Fragebogenerhebung bestätigen. Eine hieraus resultierende Frage lautet: Kann man Mädchen mit bestimmten Spielen und Organisationsformen dazu ermutigen, intensiver an der bewegten Pause teilzunehmen (vgl. 4.3 und 5)?
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Frage 4: Welche Angebote, Materialien oder Einrichtungen nutzt Du in der bewegten Pause am meisten?
Diese Frage eruiert die einzelnen Angebote mit Blick auf die Beliebtheit und kann so mögliche Erweiterungen und zukünftige Schwerpunktsetzungen aufzeigen. Im Ganzen wird deutlich, dass die Fußballplätze – speziell die asphaltierten Flächen mit den kleinen Toren – und die Tischtennisplatten von den SuS’ am meisten genutzt werden. Aber auch die Ausleihkiste wird relativ stark frequentiert, was sich mit den obigen Ergebnissen in Einklang bringen lässt, da sich viele Schüler(-gruppen) hier Bälle und Schläger ausleihen können. Warum gerade die Asphaltflächen zum Fußballspielen und nicht etwa die Wiese häufig genutzt werden, ist in den rezeptiven Interviews (vgl. 2) deutlich geworden: Die SuS’ vertreten die Meinung, dass man sich hier weniger dreckig mache, auch nach Regen gespielt werden könne und die Torwartfrage (kleine Tore!) keine große Rolle spiele. Am Fußballangebot partizipieren insgesamt ca. 28% der Jungen und nur 2,5% der Mädchen (vgl. Ergebnisse und Befunde von Frage 3). Für die Mädchen hat besonders in den unteren Jahrgängen das Klettergerüst die größte Bedeutung: In den Jahrgängen 5 und 6 erfreuen sich knapp 18% der Mädchen häufig am Klettergerüst und nur knapp 6% der Jungen nutzen die Kletterpyramide (vgl. 5). Andere Einrichtungen wie der Basketballkorb oder die Boulderwand werden nur von wenigen SuS’ (zwischen 3-5%) genutzt (die Boulderwand wird wiederum mehr von Mädchen als von Jungen genutzt, vgl. 5). Die Gesamtauswertung dieser Frage bestätigt die These, dass mit zunehmendem Alter (vgl. Jahrgang 9 u. 10, siehe Anhang S. 28) immer weniger Einrichtungen in Anspruch genommen werden, was mit einem abnehmenden Bewegungsdrang korreliert und damit verbunden mit einer veränderten Interessenslage. Abschließend soll der Befund festgehalten werden, dass noch zu wenig Fußballflächen existieren und hier nach Erweiterungsmöglichkeiten gesucht werden müsste und dass man für eine stärkere Aktivierung der Mädchen die Kletterangebote fokussieren könnte, weil die Mädchen hier eine starke Eigenmotivation aufweisen, diese Angebote zu nutzen. Neben der bereits oben aufgeworfenen Frage (vgl. Frage 3) resultiert aus Frage 4 eine weitere Problemstellung: Wie können ältere SuS’ verstärkt motiviert werden, Bewegungsangebote in der Pause wahrzunehmen (vgl. 4.3)?
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Frage 5: Nimmst Du gerne an organisierten Pausenaktivitäten wie Fußball- und Tischtennisturnieren oder Ähnlichem teil?
Die bewegte Pause soll einerseits Möglichkeiten zum selbstständigen und eigenverantwortlichen Bewegen und Lernen bieten, andererseits können aber durch Lehrer, anderes pädagogisches Personal oder durch SuS’ selbst kleinere, organisierte Spielformen und Pausenturniere (Dauer: eine Pause oder mehrere Pausen, Wochen- oder Schuljahresturniere) angeboten werden, ohne dass allerdings gelehrt wird. In *** fällt dies in den Aufgabenbereich des FSJlers, der aus verschiedenen Gründen bisher nur wenige solcher Aktivitäten angeboten hat. Das größte Problem in *** besteht in der Organisation: Der FSJler hat zum einem die Aufgabe, die Materialausgabe in der Pause zu betreuen, zum anderen soll er organisierte Pausenaktivitäten anleiten (vgl. 4). Dass diese Doppelfunktion nur bedingt funktionieren kann, ist allen Beteiligten klar (zur Optimierung vgl. 5). Der Wunsch der SuS’ nach organisierten Spielformen ist besonders in den Jahrgängen 5-8 relativ hoch: Hier wünschen sich ca. 68% der Jungen (in Jahrgang 5 und 6 sind es fast 90%) und immerhin ca. 23% (30% in Jahrgang 5 und 6) der Mädchen solche Pausenaktivitäten. Selbst in den Jahrgängen 9 und 10 können sich zusammengefasst knapp 19% der Jungen (nur 3,5% der Mädchen) vorstellen, an Turnieren o. Ä. teilzunehmen. Die wiederum höheren Werte der Jungen lassen sich ebenfalls mit den bereits beschriebenen Modellen (s. o.) erklären, wobei besonders der stärkere Wettkampfgedanke und das Kräftemessen leitend sein dürften. Bei den Begründungen für eine Nicht-Teilnahme sind neben den üblichen Begründungen, „weil ich keine Lust habe“ oder „ich rede lieber mit meinen Freunden/innen in der Pause“ vor allem die Begründungen „weil wir lieber für uns alleine spielen“ und der Zusatz „ich wusste gar nicht, dass es so etwas gibt“ interessant. Besonders der letzte Aspekt zeigt, dass die Informationspolitik zu verbessern ist. Hieraus resultierende Fragen sind: (1) Wie können Materialausgabe und angeleitete Pausenaktivitäten durch eine oder mehrere Personen organisiert werden? (2) Wie können die Informationen über solche Pausenaktivitäten stärker an die SuS’ herangetragen werden (vgl. 5)?
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Frage 6: Wie beurteilst Du das Angebot der bewegten Pause? Gib eine Schulnote (1-6) für das Angebot.
[...]
[1] Regensburger Projektgruppe. 1999. S. 3
[2] vgl. Stibbe. 2004. S. 10-11.
[3] vgl. Laging. 1997. S. 63.
[4] Schmidt. 2006. S. 42.
[5] Meyer.1998. S. 1-24.
[6] Für Schülerinnen und Schüler im Folgenden SuS’; grundsätzlich gilt: In Fällen, wo es epistemologisch unbedeutend ist, ob beide Geschlechter explizit genannt werden, wird aus Gründen der besseren Lesbarkeit das generische Maskulinum verwendet; dort wo es erkenntnisleitend ist, wird explizit zwischen den Geschlechtern unterschieden.
[7] Gymnasium ***: Schulprogramm. Fassung vom 01.11.2010. S. 2. Siehe auch: http://www.gym***.de/index.php?seite=schulprogramm
[8] Diese Arbeit ist dem Kompetenzfeld vier der APVO-Lehr vom 13.07.2010 (Nds. GVBL. S. 288) zuzuordnen; insbesondere dem Punkt 4.1: „Lehrkräfte im Vorbereistungsdienst nehmen Schule als sich entwickelndes System wahr“ sowie 4.1.1 „Sie wirken bei der Umsetzung des Schulprogramms mit und vertreten es aktiv.“
[9] Flick. 2009. S. 75.
[10] So genannte „Tür-und-Angel-Gespräche“ (oder auch „rezeptive Interviews“) sind Interviewformen, die sich vor allem für die Exploration eignen. Sie orientieren sich an der Alltagskommunikation der Akteure. Ziel ist es, einen authentischen Zugang zum Feld zu finden und nicht vorschnell einzelne Informationen aufzunehmen und zu bewerten. Diese Phase ist von größtmöglicher Offenheit geprägt. Vgl. Kleining. 1995. S. 123f.
[11] Solche Leitfadeninterviews zeichnen sich vor allem dadurch aus, dass sie als weniger künstlich empfunden werden und dass sie offen für Sinnbezüge und Interpretationen der Befragten sind. Ziel dieser qualitativen Befragung ist es, die empfundene Wirklichkeit anhand der subjektiven Sicht der relevanten Gesprächspersonen abzubilden, Hypothesen zu generieren, Ursachen und Verbesserungsvorschläge zur Problematik zu finden.
[12] Die Fragebögen können im Anhang eingesehen werden. Aufgrund der Platzkapazität dieser Arbeit werden auf Erklärungen und Hinweise zur Konzeption des entwickelten Fragebogens verzichtet.
[13] Die Fragebögen wurden von den Klassenlehrern verteilt und noch in derselben Stunde wieder eingesammelt, sodass die Rücklaufquote bei 100% lag. Lediglich die an dem jeweiligen Tag abwesenden SuS’ der befragten Klassen nahmen nicht an der Umfrage teil.
[14] vgl. Illi. 1995. S. 404. Balz. 1999. S. 418.
[15] vgl. u. a. Regensburgerprojektgruppe. 1999. S. 3. Stibbe. 2004. S. 179-250.
[16] Ursprünglich setzten Illis Überlegungen im Primarbereich an; mit der Verbreitung des Konzeptes, vor allem über die Schulprogrammentwicklung und dem vermehrten Aufkommen von Ganztagsschulen, fand die Bewegte Schule (oder Teile dieser) auch Eingang in weiterführende Schulen. Vgl. Aschebrock. 1997. S. 9-12
[17] vgl. zur Fülle der unterschiedlichen Konzepte u. a. Thiel et. al.: 2006. S. 15-18.
[18] vgl. Balz et. al. 2001. S. 47.
[19] vgl. u. a. ebd. S. 23-40. Balz et al.. 2001. S. 43. Hundeloh.1995. S. 8. Basse. 2011. S. 24.
[20] vgl. Thiel et. 2006. S. 23-40.
[21] ebd. S. 41.
[22] Ein Beispiel aus diesem Bereich: Durch langes Sitzen verkümmert die Muskulatur der Wirbelsäule, da die rhythmische Gleichgewichtsverlagerung des Gehens wegfällt und die Bandscheiben durch die statische Beanspruchung und dem gleich bleibenden Druck unterernährt werden. Kinder und Jugendliche sind von dieser Problematik besonders betroffen, weil die fehlenden Impulse für die Muskulatur gerade in Wachstumsphasen von entscheidender Bedeutung für eine gesunde Ausreifung der Wirbelsäule sind. Vgl. u. a. Gampp & Illi. 1995. S. 145f.
[23] Schule soll nach diesem Begründungsmuster im Sinne der WHO zu einem Ort des physischen, psychischen und sozialen Wohlbefindens werden (vgl. Hildebrandt-Stramann. 1999. S. 23.) Den theoretischen Hintergrund bildet das Salutogenesemodell von Antonovsky, bei dem der Grad der Gesundheit anhand des Spannungsverhältnisses zwischen Stressoren und Ressourcen verstanden wird (vgl. Faltmeier: 1994. S. 103-119.).
[24] vgl.: Hundeloh: 1995. S. 8. Pühse. 1995. S. 417. Balz. 1992. S. 22.
[25] Krüger.1999. S. 327.
[26] Die Informationen in diesem Absatz stammen aus dem Interview vom 13.04.2011 mit dem Schulleiter des Gymnasium ***. Weitere Informationen unter: www.gym***.de
[27] Mit dem Gesamtkonferenzbeschluss vom 29.01.2009 hat sich das Gymnasium *** erfolgreich zum 01.08.2009 für das GLL-Projekt beworben. Die Dauer des Kernprojektes an der Schule beträgt zwei Jahre; es läuft damit zum August 2011 aus, wobei die Konzeption in ein dauerhaftes Gesundheitsmanagement (s. o.) überführt werden soll bzw. überführt wird. Teilnehmende Schulen bekommen keine finanzielle Unterstützung, wohl aber Hilfen in Form von Beratungen (s. o.), Fortbildungen o. Ä. Siehe auch: http://www.gym***.de/index.php?seite=gll
[28] Fußball stellt bei Jungen nach wie vor die beliebteste Sportart dar. Vgl. Hartmann-Tews & Luetkens. 2006. S. 305.
[29] Einzelne Ergebnisse können im Anhang eingesehen werden.
[30] Für die Auswertung dieser Frage werden die Items „sehr oft“ und „häufig“ zu einer Kategorie („regelmäßig“) zusammengefasst und die Items „selten“ und „nie“ zur Kategorie „sporadisch/gar nicht“ (vgl. Anhang S. 23-25.)
[31] Für repräsentative Ergebnisse reicht diese Zahl aber vollends: „Der Auswahlfehler hängt von der Größe der Stichprobe in Relation zur Grundgesamtheit ab. Je größer das Sample, umso kleiner die wahrscheinliche Abweichung. Allerdings ist dieser Zusammenhang nicht linear. Erst eine Vervierfachung der Größe des Samples hat eine Halbierung der wahrscheinlichen Abweichung zur Folge“ (Heinemann. 1998. S. 191.).
[32] vgl. u. a. Hartmann-Tews & Luetkens. 2006. S. 297-317.
[33] vgl. ebd. S. 305/312. Jungen bevorzugen eher Spiel- und Mannschaftssportarten mit Wettkampfcharakter und direktem Gegnerkontakt. Mädchen favorisieren oft ästhetisch-kompositorische Individualsportarten.
[34] Hartmann-Tews & Luetkens. 2006. S. 314. Zum ersten Mal wird dieses Konzept ausführlich bei West & Zimmermann Anfang der 90er Jahre beschrieben, vgl.: West & Zimmermann. 1991. S. 13-37.
[35] ebd.