Die 1922 von Franz Kafka geschriebene Erzählung "Ein Hungerkünstler", welche auch im gleichen Jahr veröffentlicht wurde, erschien in der Zeitung „Die neue Rundschau“ und anschließend im gleichnamigen Sammelband, welcher noch drei weitere Prosatexte mit "Erstes Leid", "Eine kleine Frau" und "Josefine die Sängerin oder das Volk der Mäuse" enthält, 1924. "Ein Hungerkünstler" behandelt die Thematik des Künstlertums und dessen Abhängigkeit. Kafka spielt in der Erzählung "Ein Hungerkünstler" mit dem Stilmittel der Ironie. Ebenfalls lassen sich weitere Stilmittel der Rhetorik, mit Antithese und Paradoxon, festmachen, welche für diese Hausarbeit von Bedeutung sein werden. Zunächst sollen die Textstellen der oben genannten Stilmittel aufgezeigt werden, um so einen Zusammenhang herzustellen, der das bittere Ende des Hungerkünstlers prophezeit. Zudem soll der Frage nachgegangen werden, inwiefern sich die Erzählinstanz unzuverlässig verhält.
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1 Abschnitte
1.1 Die Glanzzeit des Hungerkünstlers (S. 333-341)
1.1.1 Abschnitt 1
1.1.2 Abschnitt 2
1.1.3 Abschnitt 3
1.2 Der Untergang des Hungerkünstler (S. 341-344)
1.2.1 Abschnitt 4
1.2.2 Abschnitt 5 und 6
1.3 Der Hungerkünstler als Hindernis (S. 344-347)
1.3.1 Abschnitt 7
1.3.2 Abschnitt 8
1.4 Dialogszene und Ende des Hungerkünstlers (S. 348-349)
1.4.1 Abschnitt 9
1.4.2 Abschnitt 10
2 Fazit
Literaturverzeichnis
Einleitung
Die 1922 von Franz Kafka geschriebene Erzählung Ein Hungerkünstler, welche auch im gleichen Jahr veröffentlicht wurde, erschien in der Zeitung „Die neue Rundschau“ und anschließend im gleichnamigen Sammelband, welcher noch drei weitere Prosatexte mit Erstes Leid, Eine kleine Frau und Josefine die Sängerin oder das Volk der Mäuse enthält, 1924. Ein Hungerkünstler behandelt die Thematik des Künstlertums und dessen Abhängigkeit. Kafka spielt in der Erzählung Ein Hungerkünstler mit dem Stilmittel der Ironie. Ebenfalls lassen sich weitere Stilmittel der Rhetorik, mit Antithese und Paradoxon, festmachen, welche für diese Hausarbeit von Bedeutung sein werden. Zunächst sollen die Textstellen der oben genannten Stilmittel aufgezeigt werden, um so einen Zusammenhang herzustellen, der das bittere Ende des Hungerkünstlers prophezeit. Zudem soll der Frage nachgegangen werden, inwiefern sich die Erzählinstanz unzuverlässig verhält.
1 Abschnitte
In den einzelnen Abschnitten, die sich durch einen Zeilenumbruch innerhalb der Erzählung in Teile zusammenfassen lassen, soll auf die humoristische und antithetische sowie paradoxe Gestaltung eingegangen werden. Es handelt sich insgesamt um 10 Abschnitte, welche sich wie folgt unterteilen lassen: Zu Beginn gibt es die Glanzzeit des Hungerkünstlers, welche in den Abschnitten 1, 2 und 3 repräsentiert wird. Es folgen die Abschnitte 4, 5 und 6, in denen der Untergang des Hungerkünstlers beschrieben wird. Die Abschnitte 7 und 8 Der Hungerkünstler als Hindernis geben einen Einblick des Hungerkünstlers in die Zirkuswelt und die letzten beiden Abschnitte 9 und 10 geben die Dialogszene und das Ende des Hungerkünstlers wieder.
1.1 Die Glanzzeit des Hungerkünstlers (S. 333-341)
1.1.1 Abschnitt 1
Es wird zu Anfang in geraffter Form der Erzählung eine Zeit zugunsten des Hungerkünstlers erzählt. Es handelt sich hierbei um die Glanzzeit des Hungerkünstlers und seine Kunst. Das Publikum war von der Hungerkunst erregt und bestaunt. Die ersten Sätze der Erzählung wirken recht neutral, als eine Art Berichterstattung einer unbeteiligten Person (heterodiegetische Erzählinstanz). Anschließend scheint sich jedoch ein Paradoxon1 bemerkbar zu machen, welches sich zuvor durch eine parenthetische Aufklärung festigt:
Damals beschäftigte sich die ganze Stadt mit dem Hungerkünstler; von Hungertag zu Hungertag stieg die Teilnahme; jeder wollte den Hungerkünstler zumindest einmal täglich sehn; an den späten Tagen gab es Abonnenten, welche tagelang vor dem kleinen Gitterkäfig saßen; auch in der Nacht fanden Besichtigungen statt, zur Erhöhung der Wirkung bei Fackelschein; an schönen Tagen wurde der Käfig ins Freie getragen […].2
Frey spricht hier von einem „aha-Erlebnis“.3 Dem Leser wird durch das „aha-Erlebnis“, das als Parenthese verstanden werden kann, bewusst, wie der Hungerkünstler haust, nämlich in einem Käfig, der zudem klein ist. Dies ist an sich schon außergewöhnlich für einen „verbrecherfreien“ Menschen und vor allem für einen Künstler. Interessant ist auch die Wortfolge von Käfig - Freie, die zueinander einen Wiederspruch erzeugt, da die Wörter an sich so nicht zusammen harmonieren können, es sei denn man spricht von einem Aufenthalt im Gefängnis, welcher es den Insassen erlaubt, Rundgänge zu absolvieren. Frey schreibt dazu: „[…] der antithetischer Kontrast Käfig - Freie […] weist auf den Gefängnischarakter des Käfigs [hin].“4
Erwähnenswert ist das zur „Schau-Stellen“ des Hungerkünstlers. Gewichtig ist auch die Tatsache, dass nur die Kinder vom Hungerkünstler bewundert zu sein scheinen. Die Erwachsenen sehen den Hungerkünstler eher als ein ‚Modeteil’, welches für sie nur interessant zu sein scheint, solange das Mainstream sich für dieses interessiert.
[…] während es für die Erwachsenen oft nur ein Spaß war, an dem sie der Mode halber teilnahmen, sahen die Kinder staunend, mit offenem Mund, der Sicherheit halber einander bei der Hand haltend zu […].5
Hier wird ein deutlicher Kontrast bzw. eine „Antithese“6 sichtbar, zumal und vor allem weil Kafka durch eine „dreistufige Klimax“7 die Bewunderung der Kinder darstellt.
1.1.2 Abschnitt 2
Es folgt der Abschnitt, der den Hungerkünstler in seinen „guten Tagen“ bei Nacht und in Konversation mit den Wächtern beschreibt. Besonders dieses Verhältnis zwischen dem Hungerkünstler und den Wächtern ist hervorzuheben, wie sich zeigt:
Nichts war dem Hungerkünstler quälender als solche Wächter; sie machten ihn trübselig; sie machten ihm das Hungern entsetzlich schwer; manchmal überwand er seine Schwäche und sang während dieser Wachzeit, solange er es nur aushielt, um den Leuten zu zeigen, wie ungerecht sie ihn verdächtigten. Doch half das wenig; sie wunderten sich dann nur über seine Geschicklichkeit, selbst während des Singens zu essen.8
Seltsam ist die Tatsache, dass die Erzählinstanz uns zu vermitteln versucht, dass dem Hungerkünstler das Hungern entsetzlich schwer fiele, sofern die Wächter die Bewachung lax durchführten, aber im Laufe des Abschnittes von „die leichteste Sache von der Welt“9 gesprochen wird. Handelt es sich hierbei um eine Unzuverlässigkeit? Zumindest habe ich als Leser das Gefühl, die Erzählinstanz bewertet die Situation unzutreffend. Antithetisch wirkt auch die folgende Passage mit der Wortfolge überhaupt nicht - immer:
Das grelle Licht störte ihn gar nicht, schlafen konnte er ja überhaupt nicht, und ein wenig hindämmern konnte er immer, bei jeder Beleuchtung und zu jeder Stunde, auch im übervollen, lärmenden Saal.10
Das Gefühl der Verheimlichung kommt auf, da es so wirkt, als ob die Erzählinstanz uns verschweigt, dass „der Hungerkünstler vielleicht insgeheim mehr unter dieser Schlaflosigkeit leidet, als er sich eingestehen will.“11 Die Szene, in der die Erzählinstanz uns versucht zu beschreiben, wie glücklich der Hungerkünstler angeblich darüber sei, als die Wächter Nahrung zu sich nehmen, erscheint zu alle dem sehr bizarr:
Am glücklichsten aber war er, wenn dann der Morgen kam, und ihnen auf seine Rechnung ein überreiches Frühstück gebracht wurde, auf das sie sich warfen mit dem Appetit gesunder Männer nach einer mühevoll durchwachten Nacht.12
Es werfen sich die Fragen auf, wieso der Hungerkünstler bei diesem Anblick am glücklichsten war und wieso er es genoss, wenn andere Menschen aßen? Vor allem, da im dritten Abschnitt erwähnt wird, dass bei ihm „schon allein die Vorstellung Übelkeiten verursachte“13. Ist der Hungerkünstler in Wirklichkeit gar kein ‚richtiger’ Künstler? Zumindest kann dies als Signal gewertet werden. Die Erzählinstanz könnte hier ihre Unzuverlässigkeit, bestätigen, weil sie nun angeblich der Meinung ist, der Hungerkünstler würde glücklich darüber sein, die Wächter beim Essen zu sehen. Diese Aussage erscheint gegenüber der Bewertung der Erzählinstanz im dritten Abschnitt unglaubwürdig.
1.1.3 Abschnitt 3
Die Abhängigkeit des Hungerkünstlers gegenüber dem Publikum und seinen Kritikern wurde im zweiten Abschnitt deutlich. Der dritte Abschnitt stellt den Hungerkünstler „als Opfer eines sensationslustigen Publikums“14 dar. Der geschäftstüchtige Impresario verkündet das Ende des Hungerns, nachdem die Begeisterung des Publikums abnahm, weshalb er eine Höchstzeit von vierzig Tagen ansetzte:
Als Höchstzeit für das Hungern hatte der Impresario vierzig Tage festgesetzt, darüber hinaus ließ er niemals hungern, auch in den Weltstädten nicht, und zwar aus gutem Grund. Vierzig Tage etwa konnte man erfahrungsgemäß durch allmählich sich steigende Reklame das Interesse einer Stadt immer mehr aufstacheln, dann aber versagte das Publikum, eine wesentliche Abnahme des Zuspruchs war festzustellen […].15
Schlingmann verweist auf „die Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit des Hungerkünstlers“.16 Er sieht in der Zahl vierzig ein Spiel, da vierzig im Alten und im Neuen Testament eine symbolische Größe darstellt.17 Schlingmann weiter: „Der parodistische Zug dieser biblischen Anspielung hat zur Folge, dass der Absolutheitsanspruch des Hungerkünstlers mehr komisch als tragisch wirkt.“18 Anschließend folgt das Spektakel, indem der Hungerkünstler aus seinem Käfig gelassen wird:
Dann also am vierzigsten Tage wurde die Tür des mit Blumen umkränzten Käfigs geöffnet, eine begeisterte Zuschauerschaft erfüllte das Amphitheater, eine Militärkapelle spielte, zwei Ärzte betraten den Käfig, um die nötigen Messungen am Hungerkünstler vorzunehmen […].19
Diese Passage wirkt lächerlich und ironisch, da die Wortfolge von Käfig - Blumen mehr als fremdartig wirkt, und dass zwei Ärzte für anschließende Messungen zuständig zu sein scheinen, lässt die Frage aufkommen, wieso denn Messungen nötig seinen? Frey beschreibt dies als wichtigtuerisch, als eine Art „Pseudowissenschaftlichkeit“.20 Paradox erscheint die Szene im Anschluss, als die Damen den Hungerkünstler „ein paar Stufen hinabführen“21 und er in die Augen dieser schaut:
Und er blickte empor in die Augen der scheinbar so freundlichen, in Wirklichkeit so grausamen Damen und schüttelte den auf dem schwachen Halse überschweren Kopf.22
Es wirkt schon stark paradox, da die Damen freundlich zu sein scheinen, aber in Wirklichkeit grausam sind. In der nächsten Passage lässt sich auch wieder eine bittere Ironie festmachen:
Der Impresario kam, hob stumm - die Musik machte das Reden unmöglich - die Arme über dem Hungerkünstler, so, als lade er den Himmel ein, sich sein Werk hier auf dem Stroh einmal anzusehn, diesen bedauernswerten Märtyrer, welcher der Hungerkünstler allerdings war, nur in ganz anderem Sinn […].23
So versucht die Erzählinstanz glaubhaft zu machen, der Künstler wäre nicht durch das Hungern zum Märtyrer geworden, was als zweifelhaft anzusehen ist. Die ganze Passage bekommt „durch die Einbeziehung des göttlichen Schöpfers plötzlich eine tiefe Ironie.“24
[…] unter dem entzückenden Gelächter des Saales in weinen ausbrach und von einem längst bereitgestellten Diener abgelößt werden mußte. Dann kam das Essen, von dem der Impresario dem Hungerkünstler während eines ohnmachtähnlichen Halbschlafes ein wenig einflößte, unter lustigem Plaudern, das die Aufmerksamkeit vom Zustand des Hungerkünstlers ablenken sollte; dann wurde noch ein Trinkspruch auf das Publikum ausgebracht, welcher dem Impresario angeblich vom Hungerkünstler zugeflüstert worden war; das Orchester bekräftigte alles durch einen großen Tusch […].25
Durch die antithetische Wortfolge Gelächter des Saales - weinenden Damen und der Parenthese, dass ein „längst bereitgestellten Diener“ die Damen ablöste, wirkt die Situation als abgekartetes Spiel.26 Frey beschreibt die Situation wie folgt:
Die Damen sind, wie das Publikum und der Hungerkünstler selbst, Marionetten des geschäftstüchtigen Impresarios. […] Die groteske Situation wird erhöht durch den Kontrast des ohnmachtähnlichen Halbschlafes mit dem lustigen Plaudern des Impresarios, während dieser seinem geduldigen Opfer Nahrung […] und durch den angeblich vom Hungerkünstler angeregten Trinkspruch, der in aller Form ausgebracht […] und vom Orchester nebst allem anderen durch einen Tusch bekräftigt […] wird.27
Frey deutet zudem an die Passion Christi hin, was jedoch nicht weiter aufgeführt werden soll, da es den Rahmen der Arbeit sprengen würde. Es sei jedoch erwähnt, die vierzig Tage, die, wie schon zuvor erwähnt im Neuen und im Alten Testament von Bedeutung sind, dem Impresario als Pilatus und das Publikum als sensationslüsterne Masse bei der Kreuzigung Jesu könnten „Anklänge an mittelalterliche Alltagszenen der Kreuzabnahme Christi“28 festhalten.
[...]
1 Es sei jedoch erwähnt, in der Überschrift „Ein Hungerkünstler“ lässt sich zuvor schon ein Paradoxon bestimmen. Grund hierfür ist die Definition von Hunger im allgemeinen Sprachgebrauch, die eher mit einem Leiden oder einer Not assoziiert wird. Kunst hingegen eher mit einer freiwilligen Leistungsfähigkeit eines Individuums oder einiger weniger Individuen.
2 Kafka, Franz 2002: Ein Hungerkünstler. In: Kittler, W., Koch, H.-G. & Neumann, G. (Hrsg.). Franz Kafka. Schriften Tagebücher. Kritische Ausagbe Franz Kafka. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag, S. 334.
3 Vgl. Frey, Eberhard 1973: Franz Kafkas Erzählstil - Eine Demonstartion neuer stilanalytischer Methoden an Franz Kafkas Erzählung "Ein Hungerkünstler". 2., verbesserte und vermehrte Auflage. Frankfurt/M: Peter Lang GmbH, S. 159.
4 Ebd., S. 159f.
5 Kafka 2002, S. 334.
6 Frey 1973, S. 160.
7 „[…] [eine dreistufige Klimax ist] eine progressive Steigerung desselben Gedankens durch inhaltliche Detaillierung der Beobachtung in einer dreifachen Aufzählung, die sich dazu noch von Stufe zu Stufe syntaktisch ausweitet und somit […] die Spannung […] erhöht.“ (Ebd).
8 Kafka 2002, S. 335.
9 Ebd., S. 337.
10 Ebd., S. 336.
11 Frey 1973, S. 178.
12 Kafka 2002, S. 336.
13 Ebd., S. 339.
14 Frey 1973, S. 196.
15 Kafka 2002, S. 337f.
16 Schlingmann, Carsten 1995: Literaturwissen. Franz Kafka. Stuttgart: Philipp Reclam, S. 139f..
17 Schlingmann erwähnt folgende Ereignisse: „Die Sinnflut kommt in 40 Tagen über die Erde; Moses wartet 40 Tage am Berg Sinai auf die Gesetzestafeln; die Stadt Ninive tut 40 Tage lang Buße; die Wüstenwanderung der Israeliten dauert 40 Jahre; Jesus fastet 40 Tage (!) und erscheint nach der Auferstehung den Jüngern noch während 40 Tage.“ (S. 140, H. i. O.).
18 Ebd.
19 Kafka 2002, S. 338.
20 Vgl. Frey 1973, S. 185.
21 Kafka 2002, S. 338.
22 Ebd., S. 339.
23 Ebd.
24 Frey 1973, S. 190.
25 Kafka 2002, S. 340f.
26 Vgl. Frey 1973, S. 193.
27 Frey 1973, S. 194, H. i. O.
28 Ebd., S. 354.