Der unsichere Mann. Die Rolle des Mannes in der gegenwärtigen Gesellschaft zwischen soziologischen Deutungsansätzen und biblischem Männerbild
Zusammenfassung
Leseprobe
GLIEDERUNG
I. Einführende Gedanken
A.Problembeschreibung
B. Problemspezifizierung
C. Der Zusammenhang von Identität und Rolle
D. Vorgehen und Aufbau
II. Hauptteil
A. Historische Hinführung
B. Fazit
C. Sinus Sociovision Studie: Rolle vorwärts, Rolle rückwärts
1. Der starke Haupternährer
2. Der Lifestyle-Macho
3. Der moderne „neue“ Mann
4. Der postmodern-flexible Mann
5. Der „durchschnittliche Mann“
6. Lebenswunsch und Wirklichkeit
D. Männer in Bewegung
1. Arbeitsteilung im Alltagsleben
2. Eigenschaften
3. Familie
4. Beruf
5. Religion
6. Fazit
E. Theoretische Sozialwissenschaftliche Ansätze
1. Pierre Bourdieu
2. Raewyn Connell
3. Sozialkonstruktivivmus
4. Gender Studies
5. Essentialismus/Biologismus:
III. Biblischer Befund
A. Hermeneutische Vorüberlegungen
B. Identität
C. Rolle
D. Altes Testament: Der Mann als Ebenbild Gottes
1. Die Gleichwertigkeit der Geschlechter in Genesis 1-
2. Die Verschiedenartigkeit der Geschlechter in Genesis 1-
E. Neues Testament: Der Mann als Grund der Existenz der Frau
1. Die Verschiedenartigkeit der Geschlechter im Neuen Testament
2. Epheser und Kolosser
3. Galater
4. Die Beziehung von Mann und Frau in der Gesellschaft
F. Fazit
IV. Synthese
A. Soziologische Ansätze und die Bibel:
B. Mann und Rolle
C. Ausblick
V. Bibliographie
I. Einführende Gedanken
Die Printmedien versorgen ihre Leser regelmäßig mit den neuesten Ergebnissen aus der Männerforschung. So erschienen in diesem Frühjahr eine Reihe von Artikeln mit Titeln wie: „Die Schmerzensmänner“[1] oder „Welcher Mann darf’s sein?“[2], die über die verweichlichte Männerwelt berichten. Sie zeigen auf teils humoristische Art und Weise die Problematik der Männer auf, die sich, wider den Erwartungen mancher Frauen, nicht entsprechend der traditionellen Rollenverteilung verhalten. So beschreibt auch Jenny Friedrich-Freksa in ihrem Artikel „Geschlechterrollen im Wandel - Küssen kann man nicht alleine“[3], anhand Nina Pauers „Die Schmerzensmänner“, den hyperreflektierten jungen Mann, der den Anforderungen, „Fordernder müssten die Männer wieder sein, zielstrebiger, wie früher halt. Männlich.“, nicht gerecht wird, sondern in seinem Strickpulli und Hornbrille da sitzt und abwartet, anstatt der Dame, die ihm in der Bar gegenüber sitzt, einen Kuss zu geben. Friedrich-Freksa befürchtet eine wachsende Population „unmännlicher Männer“, die zwar über Gefühle reden kann, sich aber soweit an die Frauen angleicht, dass der Reiz am Gegenüber verloren geht. Denn „Anziehungskraft kommt erst durch Unterschied“ behauptet die Autorin und beschreibt die Veränderung vieler Männer zu einer Rolle hin, mit der nichts anzufangen sei. „Sie sehnt sich nach einem Kerl, der weiß was zu tun ist“ und ist sich dabei wohl bewusst, dass dies ein rückwärtsgewandter Gedanke ist. Wahrscheinlich würde sie ihm am liebsten zu rufen: „Sei ein Mann!“ Aber was würde das für ihr Gegenüber bedeuten? Woher weiß er, in welchem Verhältnis er zur Frau steht und welche Verhaltensnormen er seinem Handeln zugrunde legen soll? Wer schafft diese Erwartungshaltung? Was sind Aufgaben der Männer? Wer bestimmt, was Männer zu tun haben? Sind es Lebensberater, Psychologen, Sozialwissenschaftler, Frauen, Tradition, Religion oder die Natur selbst? Je nachdem, wie man diese Fragen beantwortet, erhält man distinkte Verhaltensschemata. Lässt man Fragen offen, resultiert daraus Unsicherheit in Verhaltensmustern gegenüber seinen Mitmenschen und im Bezug auf das eigene Sein, die eigene Identität.
A.Problembeschreibung
In der Tat lässt sich feststellen, dass sich Männer in der heutigen Zeit ihrer Sache nicht mehr ganz sicher sind. Sogar Männlichkeitstraditionen, die sich nahezu überall und zu jeder Zeit finden, sind heute keine Selbstverständlichkeit mehr. Diese Aufgabenbereiche sind nach Gilmore das Erzeugen von Nachwuchs, das Versorgen/Ernähren der Familie und das Beschützen des sozialen und territorialen Umfelds.[4] Seit der Emanzipationsbewegung der Frauen, hat sich auch in diesen Bereichen vieles geändert. Durch Verhütungsmittel und die Möglichkeit der Abtreibung liegt die Geburtenkontrolle nicht mehr im männlichen Kompetenzbereich. Auch das Erzeugen von Nachwuchs kann mithilfe von Samenbanken und künstlicher Befruchtung ohne direkten Einfluss eines Mannes vorgenommen werden.[5] Durch einen funktionierenden Sozialstaat, die Möglichkeit zu studieren und einen, sich für Frauen immer weiter öffnenden Arbeitsmarkt[6], ist es Frauen möglich selbst für sich und ihren Nachwuchs zu sorgen. Den Schutz des sozialen und territorialen Umfelds gewährleisten eine funktionierende Justiz und Staatsverträge, sowie Bündnisse. Dazu gibt es Kindertagesstätten[7] und Frauenhäuser, Unterhaltsgeld und viele weitere Angebote, die den Frauen ein unabhängiges Leben ermöglichen. Immer mehr streben auch einen Hochschulabschluss an.[8] Die Einen tun dies aus Karrierestreben, andere um ihr Bedürfnis nach Sicherheit zu befriedigen. Bei einer Scheidungsquote von über 50 %[9], kann sich eine Frau in unserer Zeit nicht mehr darauf verlassen, dass ihr Partner sie versorgen wird. Die Moderne mit ihrer „Diskontinuität der eigenen Identität“[10] hat in der Gesellschaft tiefe Spuren hinterlassen. Die mangelnde Konstanz erschwert es auch, grundlegende Fragen wie: „Wer bin ich?“ oder „Was will ich?“ zu beantworten. Um eine stabile Persönlichkeit zu entwickeln ist dies jedoch essentiell wichtig. Jahrhundertelang lag die Beantwortung in der Hand der Großkirchen, denen im Laufe der Zeit die Wissenschaft den Rang abgelaufen hat. Während die Kirchen einen starken Mitgliederschwund zu verzeichnen haben[11], nehmen Disziplinen wie Psychologie, Kulturanthropologie, Soziologie immer mehr Einfluss. In dieser Arbeit wollen wir daher auch eine Auswahl an soziologischen Ansätzen zur Männerforschung mit dem biblischen Männerbild abgleichen und feststellen, ob die Ergebnisse divergieren. In diesem Zusammenhang sollen die Begriffe Identität und Rolle erklärt werden, sowie der gesellschaftliche Befund anhand von zwei Studien dargestellt werden. Die zu beantwortenden Fragen lauten also: Welche Rolle hatte und hat der Mann? Was ist typisch männlich? Welche philosophischen Ansätze beeinflussen das Bild des Mannes in der Gesellschaft? Was sagt die Bibel zu Mann und Männlichkeit? Wie passen Männerforschung und der biblische Befund zusammen?
B. Problemspezifizierung
Damit die Schlüsselbegriffe Identität und Rolle präzise verstanden werden können, sollen sie an dieser Stelle erklärt werden. „Identität ist eine Instanz der Persönlichkeit, die aktuelle gesellschaftlichen Anforderungen einerseits, mit den im Laufe der Zeit sich verändernden Anforderungen und Erfahrungen andererseits, zu koordinieren und integrierend zu organisieren hat. Damit diese Integration gelingt, sind zwei Voraussetzungen erforderlich: Die Kontinuität und die Konsistenz des Selbsterlebens.“[12] Kontinuität bedeutet dabei allgemein einen lückenlosen Zusammenhang der Erfahrungen des Lebens[13], Konsistenz die Tendenz von Menschen, an einer einmal getroffenen Entscheidung festzuhalten oder in Übereinstimmung mit früherem Verhalten zu handeln.[14] Man unterscheidet dabei die soziale Identität von der personalen Identität. Soziale Identität zu besitzen heißt „zu sein wie die anderen“. Man bindet sich dabei in entsprechende Erwartungen ein, versteht sich als Teil sozialer Kollektive, bspw. als „Deutscher“, „Student“, „Mann“. Personale Identität bedeutet „zu sein wie kein anderer“. Sie dient dazu, die Unverwechselbarkeit der eigenen Person herauszustellen.[15] Sprechen wir im Folgenden von einer männlichen Identitätskrise ist also vor allem die soziale Identität gemeint. Der wissenschaftliche Konsens geht davon aus, dass diese zu einem großen Teil im Jugendalter entwickelt wird. So wird in diesem Zusammenhang meist der Vater des Entwicklungsaufgabenkonzeptes, Robert J. Havighurst zitiert, der als Entwicklungsziele im Jugendalter angibt:
- Den eigenen Körper akzeptieren,
- Geschlechtsspezifische Rollen zu lernen,
- Eine Beschäftigung zu wählen und sich darauf vorzubereiten,
- Emotionale Unabhängigkeit von Eltern und anderen Erwachsenen zu erreichen,
- Eine Skala von Werten und ein ethisches System aufzubauen, mit dem sich leben lässt.[16]
An dieser Stelle stolpern wir über den Begriff Rolle, der hier in engem Zusammenhang zum Identitätsbegriff steht. Zunächst einmal ist der Rollenbegriff aber ein Lehnwort aus der Theatersprache und beschreibt einen Akteur, an den bestimmte Erwartungen bzgl. Werte, Handlungsmuster und Verhaltensweisen herangetragen werden.[17] Nach Parsons[18] soll das Erlernen von Rollen den Fortbestand und die Stabilität einer Gesellschaft sichern.[19] Dabei treten in unserer Gesellschaft Mann und Frau als Interaktionspartner auf. Indem sie ihre „Rollen möglichst optimal spielen, erfüllen sie die Erwartungen des anderen, befriedigen ihre eigenen Bedürfnisse und tragen zur Stabilität des sozialen Systems bei.“ Dafür ist erforderlich, dass das Umfeld/die Kultur das Individuum dahingehend prägt, dass die „gesellschaftliche Konformität […] zum subjektiven Bedürfnis und damit zur Quelle von Befriedigung [wird].“[20] Ist dies nicht der Fall, kommt es zu einem Konflikt zwischen einem Individuum/ einer Interessengruppe und der sozialen Ordnung. Das Rollenhandeln wird dabei von folgenden Aspekten beeinflusst:
- Die Normen, die eine Position determinieren,
- eine Reihe von fremden oder eigenen Erwartungen, die an einen Akteur in einer bestimmten sozialen Position gestellt werden, siehe auch Rollenerwartung,
- die positiven und negativen sozialen Sanktionen, mit denen andere Akteure einen Rollenspieler beeinflussen wollen und können.[21]
Die Kultur mit ihren Wertorientierungen schlägt sich in den „Spielregeln“, „Rollenerwartungen“, „Orientierungsmustern“ der Einzelnen in der Gesellschaft nieder.[22] Nach der 1968er Revolution und mit der Frauenbewegung haben sich in Westeuropa Regeln, Erwartungen und Muster relativiert. So sind Mann und Männlichkeit heute in der Gesellschaft nicht mehr eindeutig festgelegte Größen. Elisabeth Badinter schreibt dazu:
„Noch vor nicht allzulanger Zeit war die Frau der dunkle und unerschlossene Kontinent der Menschheit, und niemand wäre auf die Idee gekommen, den Mann in Frage zu stellen. Männlichkeit erschien als Selbstverständliches: strahlend, naturgegeben und der Weiblichkeit entgegengesetzt. In den letzten drei Jahrzehnten sind diese jahrtausendealten Selbstverständlichkeiten in sich zusammengebrochen. Indem die Frauen sich neu definierten, zwangen sie die Männer das gleiche zu tun.“[23]
Sich neu zu definieren ist bis heute für die Männer eine schwere und bisher nur ungenügend gelöste Aufgabe. Sie führte zu einer verbreiteten Unsicherheit im Bezug auf die Rolle und Identität des Mannes. Möller führt dazu aus:
„Das Hauptproblem, das Jungen und Männern bei der Gestaltung ihrer geschlechtsspezifischen Identität gegenwärtig zu bewältigen haben, besteht so gesehen zum einen darin, dass die herkömmlichen männlichen Geschlechtsstereotype in einer sich stetig modernisierenden Gesellschaft dysfunktional werden, ohne dass zum anderen lebbare Perspektiven „neuer“ Männlichkeit für sie erkennbar sind.“[24]
Die damit einhergehende Orientierungslosigkeit veranlasst einige Männer, zu experimentieren, wiederum andere in einer Art Schockstarre passiv zu verharren oder gar zu verzweifeln. Spannend ist die Frage nach den Auslösern dieser Tendenzen. Sind es Medien, Wirtschaft, Politik oder Lobbyisten? Hierzu äußert sich Möller, indem er drei Dimensionen hervorhebt:
„Die Dysfunktionalität wird dabei durch die Auflösung von tradierten Milieus samt ihren spezifischen Wohn- und Kommunikationsformen sowie politischen Werte- und Deutungswelten verstärkt. Dabei wird der Einzelne aus traditionellen Bindungen und Versorgungsbezügen herausgelöst (Freisetzungsdimension), traditionelle Sicherheiten in Gestalt von selbstverständlich erscheinenden Handlungsweisen, Glaubenssätzen und leitende Normen werden relativiert (Entzauberungsdimension) und neue Formen der sozialen Einbindung werden geschaffen. (Reintegrationsdimension).“[25]
Die so entstandene Optionsvielfalt bringt eine Verunsicherung der Individuen mit sich, weil intermediäre Instanzen wie Familie, Arbeitsgruppe, Nachbarschaft u.ä. in ihrer Bedeutung für die soziale, kulturelle und politische Orientierung ihren alten Stellenwert einbüßen.[26]
C. Der Zusammenhang von Identität und Rolle
Parsons setzt in seiner Sozialisationstheorie die beiden Begriffe Identität und Rolle in ein sehr enges Verhältnis: „Wenn ein Mensch vollständig sozialisiert sei, sei es nicht angemessen zu sagen, dass eine Rolle etwas sei, „was der Handelnde hat oder spielt, sondern etwas, was er ist“.[27] Damit sagt er, dass die beiden Begriffe unter Umständen zusammenfallen. Hat man also eine Krise in der Rolle, hat man gleichzeitig auch ein Identitätsproblem. Dies hängt wie oben beschrieben mit unserer sozialen Identität zusammen. Den eigenen Körper zu akzeptieren und geschlechtsspezifische Rollen zu erlernen ist ein Teil der sexuellen Identitätsfindung,[28] aber auch der sozialen Identitätsfindung. Der Heranwachsende erlernt, um „wie die Anderen zu sein“, den Habitus[29] der Männer und einen Beruf, der dem, anderer Männer gleicht. In diesem Rahmen erlernt er auch seine Rolle im Verhältnis zu Frauen, die er dann innerhalb der Gesellschaft einnimmt.
D. Vorgehen und Aufbau
Die vorliegende Arbeit stellt im ersten Teil die Entwicklung der Rolle des Mannes in der Gesellschaft dar. Einem kurzen historischen Überblick folgen zwei Studien, die aktuelle Männerbilder und Rollen zeigen. Hierzu werden die Studien „Männer: Rolle vorwärts, Rolle rückwärts“ von Carsten Wippermann und „Männer in Bewegung“ von Rainer Volz und Paul Zulehner herangezogen. Anschließend werden die Konzepte von Pierre Bourdieu (Männliche Habitus) und der kritischen Männerforscherin Raewyn Connell (Hegemoniale Männlichkeit) vorgestellt. Von ihrem Konzept ausgehend werfen wir einen Blick auf in den Sozialkonstruktivismus und die Genderforschung. Im Anschluss folgt eine kurze Darstellung des Essentialismus und des Biologismus. zusammen. Im zweiten Teil wird anhand von Werner Neuers Buch „Mann und Frau in christlicher Sicht“ und John Pipers/Wayne Grudems Werk „Zweimal einmalig – eine biblische Studie“, das biblische Verständnis vom Mannsein dargestellt. Hierfür werden zunächst die hermeneutischen Voraussetzungen der Herangehensweise im Bezug auf kulturelle Aspekte der biblischen Darstellung und der grundlegenden göttlichen Prinzipien geklärt, um dann anhand von Schlüsselstellen, wie dem Schöpfungsbericht, zum Verhältnis zwischen Mann und Frau zum biblischen Bild zu kommen. Dann wird der Schwerpunkt auf den Begrifflichkeiten „Hauptsein“ und „Verantwortung“ liegen. Im dritten Teil der Synthese gleichen wir dann ab, inwiefern die Wünsche der Gesellschaft, sowie die Forderungen der modernen, soziologischen Männerforschung zum biblischen Bild des Mannes kompatibel sind.
II. Hauptteil
A. Historische Hinführung
„Soziale Rollen kann man wechseln. Mal agiert man als Ingenieur, mal als Wähler, mal als Kunde, mal als Vereinsmitglied. Die Rollen sind wie Gewänder, man schlüpft hinein und hinaus. Doch für eine Rolle gilt das nicht: Die Rolle des Mannes und der Frau. Sie kann man nicht ausziehen wie ein Kostüm. Eine Frau oder ein Mann ist man mit Haut und Haaren.“[30]
Diese Tatsache und die äußeren Umstände wie Gesellschaftsform und der bis ins 18. Jahrhundert langsame Fortschritt in Wissenschaft, Technik und Kultur führten dazu, dass das Rollenverständnis zwischen Männern und Frauen über einen sehr langen Zeitraum konstant blieb. Der Mann kümmerte sich um die Dinge außerhalb des Hauses, indem er zur Jagd oder aufs Feld ging, während die Frau sich um den Nachwuchs kümmerte und somit in die Altersvorsorge des Ehepaares investierte. Außerdem gab es in den drei oder sogar vier Generationen Haushalten noch alte Familienmitglieder, die der Pflege bedurften. Der Generationenvertrag sah diesen Lauf der Dinge vor, der gesellschaftlicher Konsens wurde und demjenigen Missgunst einbrachte, der sich nicht daran halten wollte. Die hohe Kinderzahl machte es den meisten Frauen unmöglich einen Erwerbsberuf auszuüben. Daher wurden sie stets als Hilfsarbeiterinnen eingesetzt. Auch religiöse Traditionen und das patriarchale Verhältnis von Mann und Frau, sowie das Verständnis der Schöpfungsordnung verstärkte die gesellschaftliche Praxis. Effizienz und ökonomisches Handeln können mit als Triebfedern der Rollenverteilung verstanden werden. Im Zuge der Industrialisierung, der Aufklärung verändert sich das Bild. Der wachsende Wohlstand der Gesellschaft und die bessere medizinische Versorgung machen das Kinderkriegen für die soziale Absicherung für eine immer breiter werdende Schicht von Menschen überflüssig. Man bekam weniger Kinder und versucht ihnen eine gute Ausbildung zu ermöglichen. Ein Stammeshalter, der den Namen weiterträgt, ein Erbe durfte es sein.
Mit der Einführung von Absicherungen wie der Krankenversicherung (1883), der Unfallversicherung (1884), der gesetzliche Rentenversicherung (1889) und der Arbeitslosenversicherung (1927)[31], schaffte der Staat ein immer engmaschigeres System an Sozialleistungen, die vor Verarmung schützen. Durch technische Neuerungen und Erfindungen ist der Arbeitsaufwand der Hausfrauen schneller zu bewältigen, wodurch sie immer mehr Zeit haben eigene Interessen und Hobbies zu verfolgen. Durch die beiden Weltkriege, bei denen die Männer außer Haus und Landes waren, die Industrie aber mit erhöhter Leistung weiter laufen musste, wurden die Frauen als Arbeiterinnen eingestellt. So stellten sie fest, dass sie auch in Männerdomänen mitarbeiten können und schwere Arbeiten, wenn auch in anderen Organisationsformen[32], ebenfalls bewältigen konnten.
Nachdem die Männer wieder aus dem Krieg zurückkehrten und wieder ihre alten Arbeitsplätze einnehmen wollten und sollten, wurden die Frauen wieder an den Herd geschickt.[33] Viele von ihnen hatten aber entdeckt, dass es außer Haus Möglichkeiten gab sich selbst zu verwirklichen und Geld zu verdienen und mehr Unabhängigkeit zu erhalten.[34] Mit der Einführung von Verhütungsmitteln bekamen sie nun auch noch die Möglichkeit die Geburten zu kontrollieren und waren somit Arbeitskräfte, die es selbst in der Hand hatten, wie lange sie im Erwerbsleben bleiben wollten. In dieser Zeit entstanden auch immer mehr Frauenbewegungen, die mehr Rechte für Frauen forderten und überaus männerkritisch waren. Jahrhunderte lang wurde die Frau als Defizitwesen gesehen.[35] Dies änderte sich nun in der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts. Nun sah sich der Mann schweren Vorwürfen ausgesetzt.[36] Durch neue Gesetzesentwürfe wurden die Rechte der Frauen gestärkt und ihnen die Möglichkeit gegeben, sich und ihre Fähigkeiten zu entfalten. Der Mann sollte jetzt nicht mehr das Haupt sein, sondern gleichberechtigt und gleichgestellt eine Partnerschaft auf Augenhöhe führen.[37] Durch die stark sinkende Geburtenrate[38] und das Wirtschaftswachstum wurden viele Arbeitsplätze an Frauen vergeben. In unserer dienstleistungsorientierten Gesellschaft wurden die weiblichen Softskills auch für Männer, deren schwere Arbeiten mehr und mehr von Maschinen übernommen werden, immer wichtiger.[39]
B. Fazit
Die Veränderung der Männerrolle wird von vielen Faktoren aktiv als auch passiv forciert: Die soziale Absicherung durch den Staat schafft mehr Unabhängigkeit. Die Geburtenkontrolle durch Verhütungsmittel hält die Geburtenrate[40] in Schach und ermöglicht Frauen unabhängiger zu sein. Die Relativierung von Werten und die fortschreitende Säkularisierung in der Gesellschaft löst traditionelle Settings auf. Aber auch technische Neuerungen, sowie der Wunsch der Frauen nach mehr Bildung, beeinflussen das Rollenverhalten. Welche Rolle nimmt der Mann ein und welche soll er einnehmen?
C. Sinus Sociovision Studie: Rolle vorwärts, Rolle rückwärts
In seiner Studie „Männer: Rolle vorwärts, Rolle rückwärts?“ Geht Autor Carsten Wippermann genau auf diese Frage ein. [41] Auslöser der Studie ist die Suche nach dem „Neuen Mann“, die durch die Gesellschaft angestoßen wird. „Die Gesellschaft“ […] sind verschiedene institutionelle Akteure aus Politik, Medien, Erziehung, Bildung, Wirtschaft, Recht, Interessenverbänden und sozialen Bewegungen; das sind beim Thema Geschlechtergerechtigkeit natürlich Frauen, aber auch Männer.“[42] Dabei sind verschiedene Verhaltensweisen bei Männern erkennbar. Ein Teil beginnt sich zu reflektieren und sich solidarisch zu zeigen, ein anderer ist zu moderater Selbstveränderung bereit, andere wiederum sind nicht zu Veränderungen bereit. Die Frage nach den Männern und ihren Rollen hängt direkt nach der Frage der Rolle der Frau zusammen, mit „Optionen der Lebens-, Partnerschafts- und Familiengestaltung.“[43] Heute erleben wir Frauen als dynamisch, selbstbewusst, kämpferisch, zielstrebig, mit klaren Zielen. Männer hingegen als vorsichtig, nicht entscheidungsfreudig, defensiv und hin- und hergerissen, wie sie ihre Rolle in Partnerschaft, Beruf, Vereinen etc. ausleben sollen. Die Gesellschaft bewegt sich von der patriarchalischen Rolle weg und befindet sich auf dem Weg zum „Neuen Mann“. Die Richtung ist jedoch nicht klar vorgegeben, weswegen verschiedene Entwicklungen zu beobachten sind.
So entdeckt Wippermann zehn Milieus in denen sich Männlichkeit unterschiedlich konstituiert. Aus diesen Milieus hat er vier Basistypen herausgefiltert. Den starken Haupternährer der Familie, den Lifestyle Macho, den modernen „neuen“ Mann, und den postmodern-flexiblen Mann. Im Folgenden werden die vier Haupttypen näher erläutert. Eine weitverbreitete Tendenz ist die Partnerschaft auf Augenhöhe, die von vielen Frauen und immer mehr Männern angestrebt wird. Das traditionelle Männerbild wird uns aber wohl noch einige Zeit erhalten bleiben. Betrachtet man die Chefetagen der DAX Unternehmen in Deutschland oder den Frauenanteil unter Professoren oder die Elternzeit des Nachwuchses übernimmt, stellt man fest, dass es hier noch nahezu unveränderte Männerdomänen gibt. Insgesamt ist festzustellen, dass es auf Männer, wie auf Frauenseite „verschiedene Selbstbilder, Fremdbilder, Idealtypen und Lebensentwürfe gibt.“[44] Das Ziel des Sinus Instituts ist dabei mehrere Schlüsselfragen zu beantworten:
- Wie sehen Männer sich selbst? Wie sehen Männer andere Männer?
- Welche Eigenschaften finden Männer an anderen Männern sympathisch? Welche Eigenschaften finden Männer an Frauen sympathisch?
[...]
[1] Pauer, http://www.zeit.de/2012/02/Maenner, 13.08.2012.
[2] Thomann, www.faz.net/aktuell/gesellschaft/frauenversteher-welcher-mann-darf-s-sein-11629573.html.
[3] Friedrich-Freksa, http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/geschlechterrollen-im-wandel-kuessen-kann-man-nicht-alleine-11610870.html.
[4] Möller, Kids, 62.
[5] http://www.ivf-giessen.de/de/praxis/news.html#spendersamen.
[6] So viele Frauen wie derzeit haben noch nie in Deutschland gearbeitet. 2010 waren in Deutschland insgesamt 69,6 % der 20- bis 64-jährigen Frauen erwerbstätig. 45,6 % davon arbeiteten in Teilzeit, 54,4 % in Vollzeit. 2010 waren es noch 64,2 % gewesen.
https://www.destatis.de/DE/PresseService/Presse/Pressemitteilungen/2012/03/PD12_078_132.html.
[7] Laut dem Statistischen Bundesamt wurden im März 2011 25,2 % der unter 3 jährigen Kinder in Kindertagesbetreuung. Bis 2013 sollen die Plätze auf 35 % aufgestockt werden.
Statistische Ämter des Bundes und der Länder, Kindertagesbetreuung regional 2011, 7.
[8] Bildungsstand der Bevölkerung, 2011, Wiesbaden, 13.
[9] http://www.derwesten.de/nachrichten/scheidungsrate-in-deutschland-so-hoch-wie-nie-zuvor-id5057258.html, 14.08.2012.
[10] Illouz, Liebe, 190.
[11] www.ekd.de/download/Ber_Kirchenmitglieder_2010.pdf, 14.08.2012.
[12] Möller, Kids, 10.
[13] Konsistenz, in: Brockhaus 6, 18. Aufl. Wiesbaden 1979, 419.
[14] Kontinuität, in: ebd., 427.
[15] Möller, Kids, 10.
[16] Möller, Kids, 4.
[17] Rolle, in: Brockhaus 9, 18. Aufl. Wiesbaden 1979, 531.
[18] Talcott Parsons ist einer der bedeutendsten amerikanischen Soziologen des 20. Jahrhunderts. Seiner Ansicht nach ist die Gesellschaft ein komplexes System, das nach Selbsterhaltung in Auseinandersetzung mit ihrer natürlichen Umwelt und mit anderen Gesellschaftssystemen strebt. Parsons, Handeln, 85.
[19] Ebd. 85.
[20] Ebd. 93.
[21] Ralf Dahrendorf unterscheidet zwischen den durch negative Sanktionen bewehrten „Muss-Erwartungen“, den durch negative und positive Sanktionen charakterisierten „Soll-Erwartungen“ und den durch positive Sanktionen unterstützten „Kann-Erwartungen“ Dies ist für eine Einordnung von Eigenschaften des männlichen Rollenverständnisses eine hilfreiche Differenzierung.
[22] Parsons, Handeln, 83.
[23] Badinter: XY, 11f.
[24] Möller, Kids, 7.
[25] Möller, Kids, 13f.
[26] Ebd. 14.
[27] Parsons, Handeln, 93.
[28] Die Ausbildung einer Geschlechtsidentität prägt die gesamte Persönlichkeit von Geburt an, gerade auch in der Phase der Pubertät, so fundamental, dass sie adäquat nicht als eine Entwicklungsaufgabe unter anderen begriffen werden kann. Sie durchzieht vielmehr die genannten Aufgaben und gibt ihnen wie den auf sie bezogenen Bewältigungsversuchen spezifische Prägungen. Möller, Kids, 5.
[29] Damit sind erworbene Eigenschaften und Gewohnheiten gemeint. Habitus, in: Brockhaus 5, 115.
[30] Schwanitz, Männer, 23.
[31] Sozialversicherung, in: Brockhaus 5, 570.
[32] Storkey, Created, 29.
[33] Ebd. 29.
[34] Ebd. 29.
[35] Bernau, Mythos, 73.
[36] Hollstein, Übrig, 154.
[37] Um dies zu erreichen, wurde die Abteilung „Gleichstellung“ im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend eingerichtet. Wippermann, Vorwärts, 11.
[38] 1964 erblickten doppelt so viele Kinder das Licht der Welt als 2010. Statistisches Bundesamt Deutschland, Geburten in Deutschland 2012.
[39] Meuser, Geschlecht, 304.
[40] So sagt Wippermann, dass Kinder zu einer Retraditionalisierung der Rollenverteilung führen. Wippermann, Vorwärts, 64.
[41] Im folgenden Teil werden die Forschungsergebnisse der Studie Männer: Rolle vorwärts, Rolle rückwärts von Carsten Wippermann, Marc Calmbach und Katja Wippermann dargestellt. Soweit nicht direkt markiert und angegeben handelt es sich um Zusammenfassungen einzelner Abschnitte der Studie. Einige Fachtermini und Gruppenbezeichnungen werden notwendigerweise dabei übernommen ohne dies gesondert zu vermerken.
[42] Wippermann, Vorwärts, 7.
[43] Ebd. 9.
[44] Ebd. 10.