Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit der Entwicklung des Haber-Bosch-Verfahrens zur Gewinnung von synthetischem Stickstoff, während des ersten Weltkrieges. Binnen kürzester Zeit wurde aus einem, bis dato, nur experimentellen und als unwirtschaftlich geltendem Verfahren, eine Industrie und das Deutsche Reich, das noch bei Kriegsausbruch fast völlig auf den Import von, für die Landwirtschaft und die Munitionsproduktion wichtigen, Salpeters als Stickstoffquelle setzte, von allen Importen unabhängig.
Daher stellt sich die Frage, welche Institutionen, Personen und äußeren Faktoren den ersten Weltkrieg zu eben diesem Katalysator in der technischen Entwicklung machten. Dies soll exemplarisch am Haber-Bosch-Verfahren geschehen, da gerade dieses ein Beispiel für die Beschleunigung einer Entwicklung durch den Krieg und seine besonderen Umstände ist.
Inhalt
1. Einleitung
2. Die äußeren Umstände
2.1. Anwendungsgebiete und die Versorgung mit Stickstoff bis 1914
2.2. Der Erste Weltkrieg, die Seeblockade und der Importstopp von Salpeter
3. Die institutionelle Seite
3.1. Die Kriegsrohstoffabteilung und die Kriegsrohstoffgesellschaften – zwischen Kriegsgewinn in der Wirtschaft und planwirtschaftlicher Steuerung
3.2. Die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft – Forschen für den Krieg
4. Die Protagonisten
4.1. Fritz Haber – Ein Wissenschaftler im Kriegsdienst
4.2. Carl Bosch – Der Geschäftsmann und Pragmatiker
5. Die Entwicklung bis 1918 – Das Haber-Bosch Verfahren setzt sich durch
6. Ein Blick über den Tellerrand – Die Alliierten und der Stickstoff
7.Fazit
8. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit der Entwicklung des Haber-Bosch-Verfahrens zur Gewinnung von synthetischem Stickstoff, während des ersten Weltkrieges. Binnen kürzester Zeit wurde aus einem, bis dato, nur experimentellen und als unwirtschaftlich geltendem Verfahren, eine Industrie und das Deutsche Reich, das noch bei Kriegsausbruch fast völlig auf den Import von, für die Landwirtschaft und die Munitionsproduktion wichtigen, Salpeters als Stickstoffquelle setzte, von allen Importen unabhängig.
Während des Krieges traten Wissenschaft, Wirtschaft und Staat in ein Naheverhältnis, das in Friedenszeiten so sicher nicht denkbar gewesen wäre.1 Der Erste Weltkrieg war dabei ein Katalysator, der Entwicklungen beschleunigte, die bereits um die Jahrhundertwende sichtbar geworden waren.2 Dies wurde nur möglich, da während des ersten Weltkriegs eine bis dahin noch nie dagewesene institutionelle Vorkehrungen geschaffen wurden, um zielgerichtet eine Lösung auf technische Probleme, wie dem Mangel an kriegswichtigem Stickstoff, zu entwickeln.3
Daher stellt sich die Frage, welche Institutionen, Personen und äußeren Faktoren den ersten Weltkrieg zu eben diesem Katalysator in der technischen Entwicklung machten. Dies soll exemplarisch am Haber-Bosch-Verfahren geschehen, da gerade dieses ein Beispiel für die Beschleunigung einer Entwicklung durch den Krieg und seine besonderen Umstände ist.
Hierzu sollen zunächst die äußeren Umstände geklärt werden. Für die Fragestellung ist es wichtig, welche Anwendungsgebiete es für Stickstoff gab, und in welchem Zusammenhang diese mit dem Krieg standen. Daneben soll näher erläutert werden, welche Faktoren zur Verknappung von Stickstoff in Deutschland führten und es alternativlos machten, sich um einen Ersatz für Importe zu bemühen. Danach sollen die Institutionen vorgestellt werden, die einerseits von staatlicher Seite die Verteilung des knappen Stickstoffs regeln sollten, aber auch die wissenschaftlichen Einrichtungen, in denen an einer Lösung gearbeitet wurde. Da auch die beiden Namensgeber, durch ihre engen Bindungen zu Wissenschaft und Regierung entscheidend für den Erfolg ihres Projekts waren, sollen auch diese und ihre Rolle bei der Entwicklung und Durchsetzung des Verfahrens nachgezeichnet werden. Schließlich soll in einem weiteren Schritt die weitere Entwicklung der Stickstoffproduktion in Deutschland dargestellt werden um den Einfluss des neu entwickelten Verfahrens auf den Kriegsverlauf aufzuzeigen, bevor in einem letzten Schritt, im Kontrast zu den Entwicklungen in Deutschland, gezeigt werden soll, wie bei den Alliierten, bei denen all diese Faktoren fehlten, keinerlei Anstrengungen unternommen wurden, synthetischen Stickstoff herzustellen.
2. Die äußeren Umstände
2.1. Anwendungsgebiete und die Versorgung mit Stickstoff bis 1914
Stickstoff wurde bis 1914 vornehmlich als Dünger verwendet, alle Lebewesen, Tiere wie Pflanzen benötigen zum Überleben gebundenen Stickstoff.4 Bereits im 19. Jahrhundert stellte sich heraus, dass bei der Intensivierung der Landwirtschaft Dünger aus Stickstoff eine immer größere Rolle spielen würde und daher die bisherigen Quellen von Stickstoff aus der Verbrennung von Pflanzenresten und Tierkot, welche recht ineffizient und auch nicht unbegrenzt vorhanden waren, nicht zur Bedarfsdeckung ausreichen würden.5 Der Import von Guano und vor allem von Sodiumnitrat, dem sogenannten Chilesalpeter stellte eine kurzfristige Lösung für dieses Problem dar, doch durch den massiven Abbau dieser Vorkommen, war schon zur Jahrhundertwende klar, dass perspektivisch der Bedarf der europäischen Landwirtschaft auf andere Art und Weise gedeckt werden müsste.6
Man ging damals davon aus, dass um etwa 1940 der Zeitpunkt erreicht sein würde, an dem der Salpeter in Chile knapp werden würde.7 Es gab daneben noch Möglichkeiten, Stickstoff etwa als Abfallprodukt bei der Kohleverarbeitung oder aus Phosphor und Kali-Vorkommen zu gewinnen, jedoch reichten diese für die Deckung des Bedarfs der Landwirtschaft bei weitem nicht aus.8 Verschiedene Chemiker und Physiker machten sich an die Erforschung unterschiedlicher Verfahren, um den in der normalen Atemluft in großem Anteil vorhandenen Stickstoff für die chemische Produktion nutzbar zu machen. Zeitgenossen, wie Alwin Mittasch, einer der Beteiligten an den Experimenten Fritz Habers sollten später von der Chemie als „Retterin“ sprechen, die eine sichere Versorgung der Bevölkerung durch synthetischen Stickstoff erst möglich machen sollten.9 Zunächst taten sich deutsche und norwegische Forscher in der Entwicklung eines Verfahrens zur Erzeugung synthetischen Stickstoffs zusammen. Allgemein war bekannt, dass Stickstoff bei elektrischer Entladung, etwa bei Blitzen, frei wird.10 Aus dieser Idee entwickelte sich das nach ihren Erfindern benannte „Birkeland-Eyde-Verfahren“, das bis etwa 1911 auch von der BASF mitentwickelt wurde.11 Dieses erwies sich recht schnell als ineffizient, da es, aufgrund der verwendeten sehr hohen elektrischen Spannungen, einen extrem hohen Energieverbrauch hatte, der es unwirtschaftlich, fast schon technisch unmöglich machte. Damals wollten verschiedene Forscher den gewaltigen Energiebedarf des Verfahrens durch Wasserkraft aus den Alpen decken, den man für unerschöpflich hielt. Eine Deckung des gesamten deutschen Salpeterbedarfs durch das Birkeland-Eyde-Verfahren hätte etwa 661950 kW erfordert, jedoch könnte in den bayrischen Alpen selbst bei Erschließung aller vorhandenen Wasserkraft lediglich eine Energie von 357750 kW, also etwas mehr als die Hälfte der benötigten, produziert werden.12
Ein weiteres, für die Fragestellung wichtiges Anwendungsgebiet für Stickstoff ist, neben der Düngemittelproduktion, die Herstellung von Sprengstoff und Munition. Seitdem im Mittelalter das Rezept für Schwarzpulver, welches zu 75 % aus Salpeter bestand, aus Asien nach Europa kam und wohl 1354 zum ersten Mal in einer europäischen Schlacht eingesetzt wurde, waren Sprengstoff und Pyrotechnik aus der Kriegsführung nicht mehr wegzudenken.13 Seit dem 17. Jahrhundert wurden Sprengstoffe aus Salpeter auch im Bergbau eingesetzt.14 Trotz der enormen Bedeutung des Stickstoffs für die Produktion von Sprengstoff und Munition wurden jedoch im Vorfeld des Krieges keine Maßnahmen getroffen, größere Mengen Salpeter zu lagern, man setzte auch hier, trotz der Blockade zunächst auf Importe oder improvisierte.15 Die Wichtigkeit von Salpeter war jedoch allgemein bekannt, wie es in einem Artikel von 1915, der allerdings erst 1919 veröffentlicht wurde, heißt:
„Ohne salpetrige Säure kann kein Krieg geführt werden.“16, oder wie es Sandro Fehr in einem aktuelleren Werk ausdrückt:
„Stickstoff ist […] als eine militärische Schlüsselressource zu bezeichnen.“17
Praktisch die gesamte Vorkriegsproduktion von Explosivstoffen basierte auf Stickstoffverbindungen und die dafür benötigte Salpetersäure wurde aus importiertem Chilesalpeter hergestellt.18
Im Gegensatz zur verstärkten militärischen Aufrüstung im Vorfeld des Krieges stand die wirtschaftliche Vorbereitung. Militärs und Politiker wussten zwar von der Wichtigkeit der Wirtschaft für die Schlagkraft des Heeres, gingen jedoch von einem sehr kurzen Krieg aus, bei dem es nicht erforderlich schien, die Wirtschaft in einem größeren Maße vorzubereiten.19 Noch bis zum Ende des ersten Weltkrieges waren die Waffen- und Munitionsproduktion zum größten Teil staatlich organisiert, es gab nur wenige private Betriebe, die sich der Rüstungsproduktion widmeten.20
Man war also sowohl im zivilen, wie auch im militärischen Bereich auf Stickstoff angewiesen. Den Bedarf konnte man fast ausschließlich durch den Import von Chilesalpeter decken, da andere Quellen nur begrenzt vorhanden waren und die technischen Möglichkeiten, synthetischen Stickstoff herzustellen, erst in den Kinderschuhen steckten.
2.2. Der Erste Weltkrieg, die Seeblockade und der Importstopp von Salpeter
Die Gefahr einer Blockade gegen das Deutsche Reich war bereits seit einem französischen Blockadeversuch im Krieg von 1871 hinreichend bekannt.21 Es gab dennoch beim Chilesalpeter keine ernstzunehmende Vorbereitung auf die Folgen einer Blockade. Es wurden keine größeren Vorräte angelegt und auch mit der Industrie gab es lediglich einige Lieferverträge, wie etwa mit den Badischen Anilin und Soda-Fabriken, wobei das Ziel dieser Vereinbarungen wohl eher die Regelung der Inlandsverteilung war.22 So traf die Seeblockade der Alliierten das Deutsche Reich trotz allem recht unerwartet und hatte weitreichende Konsequenzen in allen Bereichen der Rohstoffversorgung.
Bereits 1912 hatte die britische Admiralität den Gedanken an eine „enge Blockade“ der direkten Nordseeküste aufgegeben und sich dazu entschlossen die günstige Lage der britischen Inseln auszunutzen und die Nordseeausgänge am Ärmelkanal, sowie zwischen Schottland und Norwegen abzusperren. Durch diese Maßnahme konnten die britischen Küsten gesichert werden und der eigene Seehandel aufrechterhalten werden. Die Briten und ihre europäischen Alliierten konnten so nahezu unbeschränkt auf die industrielle Produktion und auf Rohstoffe aus Übersee, den USA sowie den britischen Kolonien zugreifen, dabei aber das Deutsche Reich vom Seehandel fast komplett vom Seehandel ausschließen.23 Durch die Blockade wurde der Import von Chilesalpeter weitgehend unterbunden. In dieser Ausnahmesituation einer Importblockade von so großem Ausmaß und weitreichenden Konsequenzen waren viele strategisch wichtige Materialien für das Deutsche Reich, egal zu welchem Preis, nicht mehr zu beschaffen.24 Es waren nur noch einzelne, illegale Importe möglich, oder man konnte einen kleinen Teil des Bedarfs durch Kriegsbeute, etwa im eroberten Belgien und Nordfrankreich decken. Zu Beginn des Krieges funktionierten die Importe von Stickstoffverbindungen, etwa Kali- und Norgesalpeter, noch in gewissem Umfang, doch auch diese wurden schnell knapp. Der stark gestiegene Stickstoffbedarf der Munitionsindustrie brachte die gesamte Stickstoffverteilung durcheinander.25
Bereits im Dezember 1914 war klar, dass der ursprünglich geplante Munitionsbedarf von Kanonen um das Vierfache, der von Haubitzen gar um das Fünffache überschritten wurde.26 Es wurde klar, dass man mit in der gegebenen Situation den Krieg nur noch etwa ein halbes Jahr würde fortführen können, bis keine Munition mehr produziert werden konnte.27 So wurde klar, dass es nicht mehr nur ausreichte, sich um neue Importquellen für Salpeter oder Stickstoff zu bemühen und es auch kein gangbarer Weg war eine Ersatzchemikalie zu erfinden, vielmehr musste ein komplett neues Verfahren zur Produktion gefunden werden.28 Von staatlicher Seite aus wurde man auf das, von Fritz Haber bereits 1908, patentierte Verfahren zur Ammoniaksynthese aufmerksam und so beauftragte der Leiter der Kriegsrohstoffanstalt, Walther Rathenau, den damaligen Chef der BASF, Carl Bosch, gemeinsam mit Haber, dieses Verfahren weiter zu entwickeln, um im industriellen Maßstab künstlichen Stickstoff produzieren zu können. Das Projekt bekam die höchste Priorität im Kriegsministerium.29 Bis dato gab es nur wenige kleine Anlagen, etwa auch die Zeche Lothringen, in Bochum Gerthe, die in der Lage waren Ammoniakgas herzustellen, die für den vollständigen Ersatz von importiertem Salpeter notwendigen Produktionsanlagen mussten erst noch gebaut werden.30 Dennoch bildete die Ressourcenknappheit einen Ansporn, sich neuen Techniken zu widmen.31
Das Haber-Bosch-Verfahren war bereits 1908 patentiert worden, jedoch hatten die Beteiligten zunächst keine Lösung für die benötigten zu hohen Drücke und Temperaturen gefunden. Daher wurde mit verschiedenen Katalysatoren experimentiert, darunter teure Materialien wie Platin, Osmium und Uran, schließlich entdeckt wurde, dass eine recht simple Eisenverbindung der ideale Katalysator war und das Entstehen von Stickstoff bei einer niedrigeren Temperatur und beherrschbaren Drücken möglich machte. Carl Bosch entwickelte dabei den doppelwandigen Konverter, der eine Reaktion unter Hochdruck und damit einen größeren Ausstoß von Stickstoff ermöglichte. Da die BASF bei Kriegsbeginn durch die Seeblockade fast ihren gesamten Exportmarkt im Bereich Farben verloren hatte und gleichzeitig der Import von Chilesalpeter unterbunden war, ergaben sich viele freie Produktionskapazitäten.32
Von staatlicher Seite bekam die Weiterentwicklung des Verfahrens und die Produktion von synthetischem Stickstoff höchste Priorität, so dass Carl Bosch, zum Schutz seiner Aktionäre, staatliche Subventionen für den Aufbau einer Produktionsanlage im badischen Oppau fordern konnte und diese auch bekam.33 Die dortige Fabrik nahm, trotz der problematischen Versorgung mit Baumaterialien, bereits nach 4 Monaten Bauzeit ihre Produktion auf.34 Dabei spielte Geld nur eine untergeordnete Rolle, was in einem in einem Brief des Chemieprofessors und Mitgründer der Chemisch-Technischen Reichsanstalt Emil Fischer an Fritz Haber deutlich wird:
„So anerkennenswert auch die Bemühungen des Kriegsministeriums sind, billig zurecht zu kommen, so sehr ist der dadurch bedingte Zeitverlust zu beklagen. Wer übernimmt dafür die Verantwortung, […], wenn durch zu langes Zögern von einer Stelle die richtige Zeit verpasst wird?“35
Auch in einer Denkschrift des Kriegsministeriums aus der Zeit heißt es:
„Bei allem Streben nach Sparsamkeit […] darf doch der Kostenpunkt nicht entscheidend sein, wenn Eile geboten ist und nur durch eine höhere Ausgabe die rechtzeitige Beschaffung gesichert ist.“36
Durch den kompletten Wegfall fast sämtlicher Importe von Chilesalpeter stand man also vor dem Problem, dass man sowohl zur Versorgung mit Düngemitteln, wie auch zur Munitionsherstellung keinen Stickstoff mehr zur Verfügung hatte und dieser auch zu keinem Preis mehr zu bekommen war. Es mussten also neue Möglichkeiten gefunden werden, Stickstoff herzustellen. Aufgrund der dringenden Notwendigkeit eine Lösung für die Stickstoffversorgung und damit die Sicherstellung der Munitionsproduktion, sowie den Nachschub von Düngemitteln, zu finden, spielte Geld bald keine Rolle mehr. Daneben hatten sich durch kriegsbedingte Umstellungen in der Wirtschaft zahlreiche Kapazitäten freigeworden.
3. Die institutionelle Seite
3.1. Die Kriegsrohstoffabteilung und die Kriegsrohstoffgesellschaften – zwischen Kriegsgewinn in der Wirtschaft und planwirtschaftlicher Steuerung
Es lassen sich zwei Phasen der Kriegswirtschaft in Deutschland im Ersten Weltkrieg unterscheiden. In der ersten Phase von 1914 bis 1916 war die Wirtschaft noch relativ frei. Die Rohstoffversorgung von Industrie und Militär sollte durch die Gründung spezieller Gesellschaften gewährleistet und reguliert werden, wobei die privatwirtschaftliche Organisation der Wirtschaft zum größten Teil bestehen bleiben sollte. Dies sollte sich erst mit dem Hindenburg-Programm von 1916 zur Rüstungsförderung ändern, als der Arbeitsmarkt geregelt wurde, der Staat auch Löhne und Preise festlegte und die Wirtschaft mehr und mehr zur Planwirtschaft wurde.37
Daher entstanden in der ersten Phase eine Reihe neuer Institutionen um die neu entstandenen Probleme aus großer Nachfrage an Rüstungsgütern und den Auswirkungen der Seeblockade zu lösen. So wurde am 13. August 1914 die Kriegsrohstoffabteilung (KRA) gegründet, die allgemein Verteilungs- und Beschaffungsfragen lösen sollte.38 Dabei waren die Militärs zunächst recht ablehnend, wollten nicht in größerem Maße in die freie Wirtschaft eingreifen und verschlossen weitgehend die Augen vor dem gestiegenen Materialbedarf für den Krieg. Die Industriellen Walther Rathenau und Wichard von Moellendorf ergriffen bei der Gründung die Initiative, wobei die Sicherung der Versorgung ihrer eigenen Betriebe eine entscheidende Rolle spielte.39
Die KRA zeichneten drei Aspekte aus. Zum Ersten die Expansion, sie wuchs stetig und hatte schon im Sommer 1915 200 Mitarbeiter, was mehr war, als viele Ministerien der Zeit. Zweitens eine Verwissenschaftlichung. Mit der Zeit wurde immer mehr wissenschaftliches Personal eingestellt und eine spezielle wissenschaftliche Kommission gegründet, so dass das Aufgabenfeld in die Forschung erweitert wurde und nicht mehr nur Verteilungsfragen betraf. Da auf diese Weise jedoch die Personalstruktur für ein so kriegswichtiges Amt sehr von Zivilisten geprägt war, sogar von einem geleitet wurde und dies immer wieder zu Problemen führte, kam noch ein dritter Aspekt zum Tragen. die KRA wurde militarisiert um diesen Problemen zwischen den Ansprüchen der Wirtschaft und denen der Militärs gerecht zu werden.40
Für die Versorgung mit einzelnen Rohstoffen wurden von den Unternehmen, zunächst von der AEG, die Sorgen um ihre Kupferversorgung hatte spezielle gemeinnützige Aktiengesellschaften gegründet, die als geschlossene Partei für die daran beteiligten Unternehmen in Verhandlungen, etwa mit den staatlichen Stellen, auftraten.41 Im Bereich der Chemie wurde die Kriegschemikalien AG am 28. September 1914 gegründet.42 An dieser Gesellschaft waren zahlreiche Unternehmen aus der chemischen Industrie beteiligt, jedoch gab es ein klares Übergewicht der Stickstoff- und Sprengstoffindustrie gemeinsam mit den Farben produzierenden Firmen.43
Von staatlicher Seite gab es zunächst keine direkte Unterstützung, jedoch war man auch dort an einer besseren Regelung der Verteilung von Rohstoffen und Gütern interessiert, so dass es zu einer „Kombi-Lösung“ aus freier Aktiengesellschaft unter staatlicher Aufsicht kam.44 Die Gründung der Kriegsrohstoffgesellschaften wurde dabei von der KRA unterstützt und die Verhandlungen zwischen den Beteiligten von ihr moderiert.45 Die entstandenen Kriegsgesellschaften durften, aufgrund ihrer Gemeinnützigkeit, selbst keine Gewinne erwirtschaften, jedoch kamen die beteiligten Unternehmen durch zahlreiche staatliche Aufträge zu enormen Gewinnen.46
Geld spielte im damaligen Denken eine eher untergeordnete Rolle bei der Kriegsführung, da die Idee vorherrschte, dass man die Kriegsausgaben letztlich im Falle des Sieges, dessen man sich ja gewiss war, dem unterlegenen Gegner in Form von Reparationen auferlegen konnte. Deutschland gab mit 47 Milliarden Dollar vor Großbritannien mit 44 Milliarden und den USA mit 36 Milliarden, am meisten für den Krieg aus. So wuchs in Deutschland die Verschuldung von 1914 5,4 Milliarden Mark auf 156 Mrd. Mark 1918. Der Krieg wurde dabei auch nachhaltig durch die Notenpresse finanziert, so wuchs die Geldmenge im Krieg in Deutschland um etwa 285%.47 Dies wiederum zwang die Unternehmen in Deutschland dazu, ihre Gewinne schnellstmöglich wieder zu investieren, um sie nicht durch die Inflation zu verlieren. So wurde in Bereichen geforscht, die vor dem Krieg nicht benötigt wurden oder die als unrentabel galten. Viele Initiativen für weitergehende Forschungen, auch nach dem Ende des Krieges, gründeten zum Teil auf Ideen der Ersatzwirtschaft und wurden, mindestens anfänglich, auch durch Kriegsgewinne finanziert.48
Es gab jedoch auch Versuche von staatlicher Seite, über die Kriegsrohstoffabteilung, die Marktmacht der Konzerne und ihrer AGs zu begrenzen. So konnte die KRA bestimmte Schlüsselrohstoffe auch mit Meldepflichten belegen und im Zweifel requirieren, wie etwa Gummi oder Leder. Ebenfalls beschloss man 1914 bei gewissen Chemikalien Preisobergrenzen, die jedoch eher für zivile Zwecke und weniger im Bereich des Militärs galten.49 Für die Herstellung militärisch wichtiger Produkte setzte sich die KRA verstärkt und mit wenig Rücksicht auf die Finanzierbarkeit ein. So wies sie etwa im Oktober 1915 darauf hin, dass ohne zusätzliche Finanzhilfen für den Bau von Anlagen und die Entwicklung geeigneter Herstellungsverfahren die Produktion von Ersatzstoffen aller Art keine größeren Fortschritte machen würde. Die zivilen Behörden sollten dabei diese Mittel bereitstellen.50
Mit dem Hindenburg-Programm von 1916 wurde die Rüstungsproduktion schließlich komplett staatlich organisiert und institutionalisiert. Die bis dato relativ freie Wirtschaft wurde immer weiter auf Rüstung umgestellt. Alle Produktionsmittel, Rohstoffe und deren Verteilung wurden auf das Militär ausgerichtet um den immer mehr steigenden Bedarf des Krieges zu decken. Dabei „überhitzte“ die deutsche Wirtschaft mehr und mehr und litt unter der schlechten Koordination wie auch der ungeeigneten Infrastruktur. Viele Erzeugnisse mussten an einem Ort vorbereitet werden und weit entfernt zu Ende gebaut werden. So waren auch die Stickstofffabriken in Oppau und Leuna weit entfernt von Munitionsfabriken und nur unzureichend an das Schienennetz angebunden.51 Die Kompetenzverschiebung hin zu den Militärbehörden führte jedoch dazu, dass diese noch umfangreichere Finanzmittel für die Stickstoff- und Ammoniakproduktion fordern und auch sichern konnten.52
1 Hans-Peter Ullmann: Kriegswirtschaft, in: Gerhard Hirschfeld, Irina Renz u.a. (Hgg.): Enzyklopädie Erster Weltkrieg, Paderborn ³2009, S. 220-232, im Folgenden zitiert als: Ullmann, Kriegswirtschaft. S. 222.
2 Ulrich Marsch: Zwischen Wissenschaft und Wirtschaft. Industrieforschung in Deutschland und Großbritannien 1880-1936, Paderborn 2000, im Folgenden zitiert als: Marsch, Wissenschaft und Wirtschaft. S.336.
3 Mitchell Ash: Wissenschaft und Politik als Ressourcen für einander, in: Rüdiger vom Bruch, Brigitte Kaderas (Hgg.), Wissenschaften und Wissenschaftspolitik. Bestandsaufnahmen zu Formationen, Brüchen und Kontinuitäten im Deutschland des 20. Jahrhunderts, Stuttgart 2002, S.32-51, im Folgenden zitiert als: Ash, Wissenschaft und Politk. S. 36-37.
4 Sandro Fehr: Die „Stickstofffrage“ in der deutschen Kriegswirtschaft des Ersten Weltkriegs und die Rolle der neutralen Schweiz, Nordhausen 2009, im Folgenden zitiert als: Fehr, Stickstofffrage. S. 25-26.
5 Vaclav Smil: Enriching the Earth. Fritz Haber, Carl Bosch and the Transformation of World Food Production, Cambridge 2001, im Folgenden zitiert als: Smil, Enriching the Earth. S. 21-35.
6 Smil, Enriching the Earth, S. 39.
7 Bruno Simmersbach: Das Problem der Ausnützung des Stickstoffs der Luft, in: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft 74, (1919), S. 62-82, im Folgenden zitiert als Simmersbach, Problem der Ausnützung. S. 66-67.
8 Fehr, Stickstofffrage, S.27-32
9 Alwin Mittasch: Der Stickstoff als Lebensfrage, in Deutsches Museum. Abhandlungen und Berichte 13/1 (1941), S. 1-35. S. 27-28.
10 Smil, Enriching the Earth, S. 4-5.
11 Simmersbach, Problem der Ausnützung, S. 69
12 Fehr, Stickstofffrage, S. 34-35.
13 Elisabeth Vaupel: Schießpulver und Pyrotechnik, in Uta Lindgren (Hg.): Europäische Technik im Mittelalter. 800-1400, Tradition und Innovation, ein Handbuch, Berlin 42001. S. 301.
14 Marcus Popplow: Technik im Mittelalter, München 2010, S. 25.
15 Regina Roth: Staat und Wirtschaft im Ersten Weltkrieg. Kriegsgesellschaften als kriegswirtschaftliche Steuerungsinstrumente, Berlin 1997, im Folgenden zitiert als: Roth, Kriegsgesellschaften. S. 31
16 Simmersbach, Problem der Ausnützung, S. 81
17 Fehr, Stickstofffrage, S.46.
18 Fehr, Stickstofffrage, S. 45-46.
19 Ullmann, Kriegswirtschaft, S. 221.
20 Heinz Bontrup, Norbert Zdrowomyslaw: Die deutsche Rüstungsindustrie. Vom Kaiserreich bis zur Bundesrepublik, Heilbronn 1988, im Folgenden zitiert als Bontrup (u.a.), Rüstungsindustrie. S. 48-50.
21 Lothar Burchardt: Friedenswirtschaft und Kriegswirtschaft, Boppard 1968. S. 51.
22 Fehr, Stickstofffrage, S. 62-63.
23 Nicolas Wolz: „Und wir verrosten im Hafen“. Deutschland, Großbritannien und der Krieg zur See 1914-1918, München 2013. S. 52-53.
24 Günther Luxbacher: „Für bestimmte Anwendungsgebiete best geeignete Werkstoffe … finden“. Zur Praxis der Forschung an Ersatzstoffen für Metalle in den deutschen Autarkie-Phasen des 20. Jahrhunderts, in: Zeitschrift für Geschichte der Wissenschaften, Technik und Medizin 19 (2011), S. 41-68. S. 43.
25 Fehr, Stickstofffrage, S. 68-74.
26 Fehr Stickstofffrage, S. 81.
27 Bontrup (u.a.), Rüstungsindustrie, S. 85.
28 Fehr, Stickstofffrage, S.84.
29 Bontrup (u.a.), Rüstungsindustrie, S.85.
30 Fehr, Stickstofffrage, S. 85.
31 Peter Stolz: Staatliche Interventionen und institutioneller Wandel als kollektive Reaktionen auf Ressourcenknappheit, in: Hansjörg Siegenthaler (Hg.): Ressourcenverknappung als Problem der Wirtschaftsgeschichte, Berlin 1990, S. 123-139. Im Folgenden zitiert als: Stolz, Interventionen und institutioneller Wandel. S. 123.
32 Smil, Enriching the Earth, S. 69-103.
33 Bontrup (u.a.), Rüstungsindustrie, S. 86.
34 Fehr, Stickstofffrage, S. 86.
35 Günther Wendel: Die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft 1911-1914. Zur Anatomie einer imperialistischen Forschungsgesellschaft, Berlin 1975, im Folgenden zitiert als: Wendel, Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft. S. 349, Anmerkung 123.
36 Bontrup (u.a.), Rüstungsindustrie, S. 159.
37 Marsch, Wissenschaft und Wirtschaft, S. 324.
38 Roth, Kriegsgesellschaften, S.31.
39 Roth, Kriegsgesellschaften, S. 53-54.
40 Roth, Kriegsgesellschaften, S. 53-59.
41 Marsch, Wissenschaft und Wirtschaft, S. 325.
42 Roth, Kriegsgesellschaften, S. 31.
43 Roth, Kriegsgesellschaften, S. 111-122.
44 Marsch, Wissenschaft und Wirtschaft, S. 327.
45 Roth, Kriegsgesellschaften, S. 111-112.
46 Marsch, Wissenschaft und Wirtschaft, S. 327.
47 Ullmann, Kriegswirtschaft, S. 228-230.
48 Marsch, Wissenschaft und Wirtschaft, S. 327.
49 Roth, Kriegsgesellschaften, S. 37.
50 Rolf Harald Stensland: Zur Ersatzstoffproduktion im ersten Weltkrieg. Schwefelbeschaffung und –bewirtschaftung in Deutschland, in VSWG: Vierteljahresschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 96 (2009), S. 173-194. S. 183.
51 Fehr, Stickstoffrage, S. 106-112.
52 Roth, Kriegsgesellschaften, S. 51.