Das Phänomen Gespenst in der Literatur der Spätaufklärung und der Frühromantik
Zusammenfassung
Warum dies gerade auf die Zeit der Spätaufklärung und der Frühromantik, die hier ungefähr auf 1790- 1820 datiert wird, zutrifft und wie diese beiden auf den ersten Blick so verschiedenen Strömungen mit dem Gespenst in Realität und Literatur umgehen, soll in dieser Arbeit an einigen Schlaglichtern gezeigt werden. Während sich auch im zu untersuchenden Zeitraum am Thema der realen Existenz von Gespenstern sprichwörtlich die Geister scheiden, erfahren sie als literarisches Sujet eine weitaus subtilere Behandlung. Seit Ende des 18. Jahrhunderts kann man von einer Etablierung der Aufklärung im Leben der Menschen sprechen und damit sollte eigentlich auch die Auslöschung jeglichen Glaubens an das Übersinnliche einhergehen. Trotzdem erfährt gerade in dieser Zeit der Schauerroman oder im englischen der weitaus besser untersuchte „gothic novel“ in allen Schichten der Gesellschaft eine Popularität, die nicht unbedingt den Glauben als vielmehr ein gesteigertes Interesse am Übersinnlichen zu bestätigen scheint. Gleichzeitig ist die literarische Strömung der Frühromantik im Entstehen begriffen, die eine neue, den Idealen der Aufklärung entgegengesetzte Sicht auf Welt und Poesie verbreitet.
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Interesse an dem Phänomen Gespenst in Literatur und Realität 1
2. Was ist ein Gespenst 2
2.1. Allgemeine Merkmale 3
2.2. Literarische Funktionen 7
3. Die Gespenstergeschichte um 1800 8
3.1. Gattungsentwicklung 9
3.2. Die Gespenstergeschichte in der Spätaufklärung 10
3.3. Die Gespenstergeschichte in der Frühromantik 15
4. Geisterseher und ihre Meinungen über das Gespenst 19
4.1. Friedrich Nicolai: „Beispiel einer Erscheinung mehrerer Phantasmen“ 19
4.2. Ludwig Tieck 22
4.3. Johann Heinrich Jung: „Theorie der Geister-Kunde“ 24
5. „Das Gespensterbuch“ 27
5.1. Entstehung und Inhalt des Gespensterbuches 27
5.2. „Der Geist des Verstorbenen“ 30
5.3. „Die Totenbraut“ 38
6. Ergebnisse der Textuntersuchungen 50
7. Die Entwicklung des Gespenstes hin zum 21.Jahrhundert 54
8. Literaturverzeichnis 56
1. Interesse an dem Phänomen Gespenst in Literatur und Realität
Das Gespenst ist ein Phänomen, das den Menschen zu allen Zeiten sowohl inner- als auch außerliterarisch beschäftigt hat und noch immer beschäftigt. Wichtige Aspekte dieser Beschäftigung mit dem Phänomen Gespenst liefern in vielerlei Hinsicht nicht nur die Für- oder Widersprecher seiner Existenz in der Realität, sondern auch die verschiedenen Ausprägungen dieses Diskurses in der Literatur. Der Stellenwert des Übersinnlichen im Leben der Menschen, die Gründe dafür und die Perspektiven darauf finden sich zu jeder Epoche in der Literatur seiner Zeit gespiegelt. [1] Um ein literarisches Phänomen wie das Gespenst zu untersuchen, muss also auch immer die Wechselwirkung zwischen Fiktion und Wirklichkeit betrachtet werden.[2] Auch wenn der Glaube, beziehungsweise Aberglaube an Gespenster sich in allen Epochen und Kulturen beobachten lässt, kann man unzweifelhaft feststellen, dass es immer wieder Zeiten gab, in denen der Diskurs des Gespenstes eine gewisse „Hochkonjunktur“ hatte.
Warum dies gerade auf die Zeit der Spätaufklärung und der Frühromantik, die hier ungefähr auf 1790- 1820 datiert wird, zutrifft und wie diese beiden auf den ersten Blick so verschiedenen Strömungen mit dem Gespenst in Realität und Literatur umgehen, soll in dieser Arbeit an einigen Schlaglichtern gezeigt werden. Während sich auch im zu untersuchenden Zeitraum am Thema der realen Existenz von Gespenstern sprichwörtlich die Geister scheiden, erfahren sie als literarisches Sujet eine weitaus subtilere Behandlung. Seit Ende des 18. Jahrhunderts kann man von einer Etablierung der Aufklärung im Leben der Menschen sprechen und damit sollte eigentlich auch die Auslöschung jeglichen Glaubens an das Übersinnliche einhergehen. Trotzdem erfährt gerade in dieser Zeit der Schauerroman oder im englischen der weitaus besser untersuchte „gothic novel“ in allen Schichten der Gesellschaft eine Popularität, die nicht unbedingt den Glauben als vielmehr ein gesteigertes Interesse am Übersinnlichen zu bestätigen scheint.[3] Gleichzeitig ist die literarische Strömung der Frühromantik im Entstehen begriffen, die eine neue, den Idealen der Aufklärung entgegengesetzte Sicht auf Welt und Poesie verbreitet. Um die fiktionsexternen Faktoren, die das Interesse für das Gespenst in der Zeit um 1800 geweckt haben, zu bestimmen, wird nicht nur die Gattungsgeschichte der sogenannten Gespenstergeschichte oder im weitesten Sinne der Werke, in denen das Gespenst eine zentrale Figur darstellt, untersucht, sondern auch auf das Verhältnis der Zeitgenossen zum Gespenst oder auch hier im weitesten Sinne zum Übersinnlichen überhaupt, anhand einiger prägnanter Beispiele näher eingegangen. Nach dieser Klärung der Stellung der Gespenstergeschichte sowie der fiktionsexternen Faktoren, die ihre Popularität um 1800 näher beleuchten sollen, werden die daraus gewonnen Erkenntnisse auf eine direkte Untersuchung von Primärliteratur bezogen, anhand derer schließlich genau bestimmt werden soll, welchen Platz das Gespenst in der Literatur der Spätaufklärung und der Frühromantik einnimmt, beziehungsweise welche epochenspezifischen Probleme über das Gespenst verhandelt werden. Außerdem soll durch die Textanalyse festgestellt werden, warum gerade das Gespenst als Medium der Diskurse von Aufklärung und Romantik verwendet wurde und welche Ähnlichkeiten oder Differenzen sich für Spätaufklärung und Frühromantik aus dem Vergleich zweier Texte ergeben.
2. Was ist ein Gespenst
Bevor das Phänomen Gespenst in der Literatur des 18. Jahrhunderts näher betrachtet wird, sollte erst Klarheit darüber bestehen, was man überhaupt unter dem Begriff Gespenst versteht. Die Merkmale, die hier zusammengetragen und analysiert werden stammen sowohl aus der sogenannten Volksüberlieferung als auch aus der Literatur, dem Medium, das den Glauben und die Perspektive auf Gespenster seit Jahrhunderten überliefert. Da sich das Gespenst in der Literatur ohnehin aus dem Gespensterglauben in der außerfiktionalen Welt speist, macht eine Abgrenzung zwischen volksgeschichtlicher und literarischer Überlieferung nur dann Sinn, wenn sie sich auf die Trennung des allgemeinen Gespensterglaubens zur bloßen Funktion der Verwendung eines Gespenstes in einem literarischen Text bezieht, wie es im weiteren Verlauf dieser Arbeit geschehen wird.
2.1. Allgemeine Merkmale
Das Gespenst definiert sich, darin sind sich alle Forscher einig, vor allem durch seine Entziehung jeglicher Definition. Es kann sozusagen als Inbegriff des Wandelbaren gelten, schon allein wenn man nur von der äußerlichen Gestalt ausgeht. Ein Gespenst kann von unsichtbar über transparent, schemenhaft bis hin zu körperlich äußerst stabil erscheinen und muss sich auf keine dieser Erscheinungen festlegen, sondern scheint nach Belieben die Form wechseln zu können.[4] Auch die Gestalt die es annimmt, variiert von einem bloßen Schatten oder Lichtschein bis hin zu menschlicher oder tierischer Gestalt. Über sein Aussehen allein kommt man dem Wesen des Gespenstes also nicht unbedingt näher, es führt nur zu dem Schluss, dass es sich gerade durch Vielfältigkeit oder in gewissen Sinne auch durch Grenzüberschreitung zwischen körperlichen Zuständen auszeichnet.
Die Frage was genau ein Gespenst ist, scheint sich ebenso wie seine äußere Erscheinung einer genauen Definition zu verwehren. Wie bereits erwähnt spielt die Beschäftigung mit übersinnlichen Phänomenen in allen Kulturen und zu allen Zeiten eine Rolle im Leben der Menschen. Abgesehen von äußerer Erscheinung erhält das Gespenst hier noch ein weiteres wichtiges Merkmal: Die Verbindung mit dem Tod.[5] In vielen Kulturen zeichnet sich das Gespenst vor allem dadurch aus, dass es der weiterlebende Teil eines verstorbenen Lebewesens ist. Das unterscheidet es auch vom sehr ähnlichen und oft synonym gebrauchten Wort „Geist“.[6] Als Geist gelten eher Naturwesen, beispielsweise die Elementgeister. Auch in unserer Sprache hat der Begriff „Geist“ einen weitaus metaphorischeren Bedeutungswandel und überhaupt eine Begriffserweiterung erfahren als das Gespenst wie man an Begriffen wie Zeitgeist, Brüder im Geiste usw. sehen kann. Das Gespenst jedoch ist ein Geschöpf zwischen den Welten, es wird als Abdruck eines Toten auf der Welt betrachtet, weder ganz tot, noch ganz lebendig. Diese Eigenschaft des Gespenstes als Grenzgänger lässt auch Rückschlüsse auf sein Aussehen ziehen, denn auch hier bewegt sich das Gespenst immer an der Grenze zwischen Körperlichkeit und Unsichtbarkeit. Erscheint das Gespenst also als Abdruck eines Verstorbenen, kann es entweder genauso aussehen wie dieser, die Verbindung zum Tod wird durch seine Bekleidung mit einem Leichentuch hergestellt oder durch seine Schattenhaftigkeit sein Dasein als bloßer Rest des Verstorbenen zum Ausdruck bringen. [7] Durch sein Aussehen kann das Gespenst außerdem gleichzeitig einen Hinweis darauf geben, wer es im Leben war und was ihm widerfahren ist, beispielsweise durch sichtbare Todesverwundungen. Insgesamt scheint das Gespenst noch sehr eng mit seinem Leben verbunden zu sein, nicht nur durch sein Aussehen, sondern auch durch seine, in vielen Fällen auftretende, Ortsgebundenheit, an den Ort an dem es sein Leben verbracht hat oder auch an dem es gestorben ist. Doch diese Faktoren werden vielleicht aufschlussreicher, wenn man die Aufgabe eines Gespenstes näher betrachtet.
Darüber welcher Teil eines toten Menschen nun durch den Geist verkörpert wird, gab es zu allen Zeiten mehrere Theorien gleichzeitig. Die gängigste dieser Theorien ist wohl, dass der Geist die unsterbliche Seele des Menschen darstellt, die aus irgendeinem Grund noch nicht in den Himmel auffahren konnte. [8] In dieser Theorie zeigt sich bereits die Verbindung von Gespenst und Religion. Tatsächlich hat das Christentum bereits im Mittelalter stark zur Interpretation des Begriffs Gespenst beigetragen, um ihn in den christlichen Glauben zu integrieren. Vordergründig erfährt das aus einer früheren heidnischen Kultur stammende Gespenst wie alle übersinnlichen Gestalten eine eher negative Konnotation. [9] Es ist häufig eine Täuschung des Teufels um Menschen zur Sünde zur verleiten. Doch neben dieser Variante gibt es auch die Einordnung des Gespenstes in eine himmlische Ordnung - als Mittler zwischen Mensch und Gott oder Mensch und Engel.
Die Etymologie des Wortes „Gespenst“ hilft dabei das Phänomen noch näher einzugrenzen: Die Wurzeln des Begriffs kommen vom althochdeutschen Verb „spanan“ was so viel wie verführen oder locken bedeutet.[10] Aus diesem Wort hat sich im Mittelalter ebenfalls das Wort Spuk entwickelt, das auch heute noch eng mit dem Gespensterbegriff verknüpft ist. Das Gespenst ist also seinem Namen nach ein Verführer. Der in diesem Sinne zu Verführende ist eindeutig der Mensch, dem das Gespenst erscheint. Doch wie sieht diese Verführung aus und wozu soll der Mensch verführt werden? Die Gründe eines Gespenstes für sein Erscheinen sind zu vielfältig und unterschiedlich motiviert, um sie hier alle aufzählen zu können, doch kann man sie auf einige Grundarten reduzieren: Das Rächen oder Richtigstellen eines Unrechts das ihm selbst, also der verstorbenen Person, die es verkörpert zugestoßen ist, das Wiederherstellen eines Unrechts, das anderen Personen wiederfahren ist und schließlich kann die Wiederkehr als Gespenst an sich kann eine Strafe für im Leben zugefügtes Unrecht sein. Dieser letzte Grund hängt noch enger als die ersten beiden mit einer Art Ziel der Gespenstererscheinung zusammen: Das Gespenst selbst will durch die Wiederherstellung einer gewissen Ordnung von seinem Gespenster-Dasein erlöst werden, sich von seiner Zwischenexistenz befreien und seine Ruhe im Tod finden.[11]
Trotz vieler Erscheinungsgründe ist die Art der Verlockung doch meistens die gleiche: Das Gespenst kommuniziert. In den allermeisten Fällen nimmt es Kontakt zu den Menschen auf und auch in den Fällen in denen es stumm bleibt, hat es doch eine Nachricht an den Personenkreis, dem es erscheint. [12] Das Gespenst erscheint also nicht beliebig, es hat einen Auftrag: Eine Botschaft zu überbringen.
Diese Botschaft muss vom Adressaten unbedingt wahrgenommen werden also muss auch das Gespenst Aufmerksamkeit erregen. Wie die Bandbreite von Erscheinungsformen über die ein Gespenst verfügen kann bereits zeigt, ist der Sinn mit dem es am häufigsten wahrgenommen wird der optische. [13] Aber auch das Gehör spielt bei Erscheinen eines Gespenstes eine große Rolle: Nicht nur durch seine Worte, sondern auch durch Geräusche, die das Auftauchen eines Gespenstes vorwegnehmen oder die es während der Erscheinung selbst verursacht, tragen zu seine Wirkung bei, beispielweise bei einem Poltergeist, der sich besonders durch das verursachen von Geräuschen auszeichnet. Aber auch wenn diese beiden Sinne überwiegen, gibt es auch noch weitere Möglichkeiten ein Gespenst wahrzunehmen: Gespenster können gerochen und auch gespürt werden, sowohl mit dem Tastsinn als auch durch eine Art inneres Gefühl, eine Ahnung ihrer Anwesenheit. All diese Faktoren, die Erscheinung, Entstehung und Aufgabe des Gespenstes tragen zu seiner Wirkung bei. Der Auftritt eines Gespenstes erzeugt fast immer bei denen, denen es erscheint Furcht. [14] Durch diese Funktion lässt sich das Gespenst problemlos in eine Reihe mit weiteren Wesen stellen, die sich ebenfalls durch eine Art Übersinnlichkeit auszeichnen und den Menschen denen sie begegnen vor allem Furcht einjagen, beispielsweise Vampire oder Werwölfe. Wie das Gespenst finden sich auch diese Gestalten sowohl in der Literatur als auch der volksgeschichtlichen Überlieferung und auch ihre reale Existenz ist seit jeher ein Streitpunkt. Teilen solche Wesen zwar mit dem Gespenst einige Ähnlichkeiten wie beispielsweise die Wiederkehr nach dem Tode, so gibt es doch einige wichtige Unterschiede, angefangen mit der körperlichen Beschaffenheit. Monströse Gestalten wie Vampire und Werwölfe zeichnen sich besonders durch ihre Übernatürlichkeit aus, das heißt sie sind in vielem besser als die „natürlichen“ Menschen, allem voran in Körperkraft. Das Auftreten dieser Wesen kann meist mit einem Angriff gleichgesetzt werden und der Mensch, der ihnen begegnet, muss sie besiegen. [15] Für diese Aufgabe sind in der Überlieferungstradition dieser Wesen ganze Arsenale von Waffen tradiert mit denen sich die Monster vernichten lassen, von Knoblauch bis hin zu silbernen Gewehrkugeln. Und genau diesem Schema scheint sich das Gespenst wieder einmal, wie auch in seiner äußeren Erscheinung, zu entziehen. Körperlich ist es den Menschen in jedem Fall unterlegen, es ist in den meisten Fällen nicht einmal fähig Materie zu berühren. Wem ein Gespenst erscheint, der muss also nicht mit einer körperlichen Bedrohung rechnen - die Fähigkeit des Gespenstes liegt wie bereits erwähnt in seiner Verführung durch Kommunikation. Auf den ersten Blick erscheint das Gespenst also weniger bedrohlich, doch ist es durch seine Körperlosigkeit auch unbesiegbar, der Mensch kann sich ihm durch keinen Trick entledigen.[16] Zwar ist immer wieder die Rede von Bannsprüchen mit denen Kundige das Gespenst vertreiben können, dennoch hat das, was sie bewirken wollten mit ihrem Erscheinen unwiderruflich seinen Anfang genommen und kann nicht mehr aufgehalten werden. Denn nicht nur die bloße Erscheinung eines Gespenstes ist es, die Furcht erregt, sondern eher der Grund, aus dem es erscheint. Das, was das Gespenst verbal oder nonverbal mitzuteilen hat, stellt nämlich für die Betroffenen die wahre Bedrohung dar. Das Gespenst fungiert daher nicht nur als ausführendes Element der Aufgabe, die es hat, sondern auch nur als Indikator, der dafür sorgt, dass die Handlung zwischen den Menschen ihren Lauf nimmt.
2.2. Literarische Funktionen
Alle diese Merkmale, die das Gespenst genügend definieren können, sind Klassifikationsversuche aus der sogenannten Volksüberlieferung, ein ähnlich ungreifbarer Begriff wie der des Gespenstes. Doch gerade diese ursprünglich mündliche und authentische Überlieferungstradition des Gespenstes ist aus heutiger Sicht am besten über die Literatur einsehbar. Hier können Gemeinsamkeiten und Unterschiede sowie Veränderungen des Gespensterbegriffs genauer untersucht werden.
Abgesehen von Sagen, Mythen und Märchen bei denen die Unterscheidung von Kunstprodukt und Aufzeichnung volksgeschichtlichen Wissens nie ganz gelingen wird und deren Funktion von Gespenstern hier deshalb zu den allgemeinen Merkmalen gerechnet wird, findet das Gespenst schon seit der Antike Eingang in die Literatur. Bereits in Homers „Odyssee“ und später auch Vergils „Aeneis“ finden sich Gespenster, die sich in ihrer Gestalt und Aufgabe nur wenig von denen des Mittelalters und der Neuzeit unterscheiden.[17] Auch die Diskussion über deren Existenz, beispielsweise in einem Brief Plinius` des Jüngeren weist ähnliche Züge auf. Bis hinein in unsere Zeit zieht sich das Gespenst als literarisches Motiv und findet sich auch weiterhin in populären Werken wie Shakespeares „Hamlet“.
Als literarisches Kunstprodukt ist das Gespenst sowie seine Funktion im literarischen Text unendlich variantenreich, die anfangs erwähnten Merkmale und Aufgaben treffen dennoch auf den Großteil zu. Anders verhält es sich jedoch mit der literarischen Funktion für eine Verwendung des Gespenstes, die eher wenig erforscht und diskutiert worden ist. Lange Zeit schrieb man dem literarischen espenst einfach eine Katharsis-Funktion zu, die vor allem auf der Furcht vor ihm beruht.[18] Die Furcht, die das Gespenst den Lebenden, denen es erscheint einjagt, hat insofern eine reinigende Wirkung als das sie Mitleid für die sich Fürchtenden beim Zuschauer beziehungsweise Leser erweckt.
In der neuzeitlichen Literatur hat das Gespenst, wie später noch in der näheren Bertachtung der hier untersuchten Epoche ausgeführt werden wird, eine belehrende Funktion. Es steht als Personalisierung für die Verlockung des Menschen hin zur Sünde, mal mehr, mal weniger christlich konnotiert. Außerdem erfährt das Gespenst, wie viele andere bedrohliche und übersinnliche Geschöpfe, eine zunehmende Verwendung als Unterhaltungseffekt, aber auch auf diesen Aspekt wird später noch genauer eingegangen.
Um den, durch diese häufige Verwendung etwas verkommen Ruf von Gespenstern und anderen Monstern zu verbessern, hat man ihm etwa zur selben Zeit mit der sich auch diese Untersuchung beschäftigt einen Platz in der Theorie des Erhabenen zugewiesen. Die Furcht vor dem Gespenst ist also wie die Furcht vor dem Erhabenen, eher als Ehrfurcht oder Respekt zu bezeichnen. Auch dem Gespenst kommt durch diese Furcht, wie den erhabenen Dingen wie Naturereignissen, eine gewisse Art von Wertschätzung zu. Der Mensch erkennt im Angesicht des Erhabenen seine eigene Schwäche und Unbedeutsamkeit gegenüber wahrer Größe und Kraft. Berechtigterweise hat Brittnacher die Einordnung des Gespenstes in diese Theorie jedoch kritisiert.[19] Die Furcht vor dem Gespenst lässt sich wirklich aum mit der Art von Furcht vor einem Gebirge oder Ozean vergleichen. Sie ängstigt den Menschen auf existenzielle Weise, provoziert panisches Verhalten und hat wenig mit einem Gefühl von Respekt und Ehrfurcht zu tun, das sich vielleicht sogar produktiv auf den Menschen auswirken könnte. Die Angst vor dem Gespenst ist die Angst vor dem Unbekannten, die Angst vor etwas, das aus einer anderen Welt kommt und sich nicht in die eigene integrieren lässt.[20]
3. Die Gespenstergeschichte um 1800
Über die Funktionen der Literarischen Verwendung eines Gespenstes lässt sich natürlich erst genauer sprechen, wenn die Literatur, in der das Gespenst Verwendung findet näher charakterisiert wurde. Wie man anhand der Beispiele von Homer und Shakespeare schon sehen konnte, ist das Gespenst nicht unbedingt ein gattungskonstituierender Faktor eines Werkes. Man kann es eher als Motiv bezeichnen, das in vielen Gattungen Verwendung findet und natürlich in einigen bevorzugt auftaucht. Außerdem gibt es auch noch die Gespenstergeschichte selbst, eine Erzählform, die sich über das Gespenst definiert. Diese wird allerdings erst ab dem letzten Drittel des 18.Jahrhunderts als eigene Gattung angesehen, vorher galt sie eher als Erzählform, die sich in andere Gattungen einfügt.[21]
3.1. Gattungsentwicklung
Die Gespenstergeschichte ist ein meist eher kurzer Text, der sich in drei Schemata einordnen lässt: Am offensichtlichsten ist die lineare Gespenstergeschichte, die mit der Entstehung des Gespenstes beginnt und seine Taten bis hin zu einer Auflösung des Geschehens erzählt. Beinahe ebenso häufig gibt es die analytische Gespenstergeschichte, die mit dem Spuk durch das Gespenst beginnt und mit der Auflösung durch die Geschichte und den Grund seines Entstehens endet. Diese Form gleicht der sich ebenfalls um diese Zeit etablierende Detektivgeschichte. Am innovativsten, aber auch am seltensten, ist die retrospektive Gespenstergeschichte, in der alle Spukerscheinungen erst am Ende als Taten eines Gespenstes entlarvt werden. [22] Ein besonders wichtiges Moment für die Gespenstergeschichte ist also vor allem die Art und Aufrechterhaltung von Spannung. Diese wird vor häufig durch die Frage erzeugt, ob die Ereignisse auf ein Gespenst oder auf menschliche Täuschung beziehungsweise Zufälle zurückzuführen sind. Anders als in phantastischer Literatur wird diese Spannung meist aufgelöst, dadurch gibt es aber auch sozusagen als Sonderform Gespenstergeschichten, die ganz ohne Gespenster auskommen, die also ohne ihr gattungskonstituierendes Merkmal bestehen können. [23] Trotz dem fehlenden Unschlüssigkeitskriterium durch die Spannungsauflösung um die Existenz des Gespenstes, hat die Gespenstergeschichte einiges mit der phantastischen Literatur gemeinsam, denn auch hier prallen zwei Welten aufeinander, die unvereinbar zu sein scheinen. Wird die Existenz des espenstes bestätigt, entsteht beim Leser wie auch bei den Figuren Unsicherheit über ihre eigene Realität, in der es plötzlich Wesen wie das Gespenst gibt, doch auch wenn sich das Gespenst als natürlich erklärbares Phänomen herausstellt, bleibt die Möglichkeit einer anderen Welt, die in die eigene eingreift als Verunsicherung wenigstens beim Leser zurück. [24]
[1]
Schönert (1977): S.32ff.
[2]
Stackelberg (1986): S.3.
[3]
Schönert (1977):S.29f.
[4]
Puhle (2004): S.17.
[5]
Puhle (2005): S.21.
[6]
Wilpert (1994): S.5.
[7]
Wilpert (1994): S.16f.
[8]
Ebd.: S.21.
[9]
Ebd.: S.2
[10]
Schmitz-Ehmanns (2005): S.229.
[11]
Wilpert (1994): S.11f.
[12]
Schmitz-Ehmanns (2005): S.229.
[13]
Wilpert (1994): S.14.
[14]
Ebd.: S.8.
[15]
Ebd.: S. 7.
[16]
Wilpert (1994): S.7.
[17]
Stackelberg (1986): S.6.
[18]
Schönert (1977): S.35.
[19]
Brittnaher (1994): S.56f.
[20]
Wilpert (1994): S.51.
[21]
Ebd.: S.31.
[22]
Wilpert (1994): S.38.
[23]
Ebd.: S.32.
[24]
Ebd.: S.56.