Am 30. August 2010 erschien das Buch "Deutschland schafft sich ab" von Thilo Sarrazin, in welchem es laut Klappentext um „die Vernetzung von wirtschaftlicher Entwicklung, Demografie, Bildung und Sozialstaat“ geht und welches einen – wie Sarrazin selbst es formuliert - „perfekten Sturm“ bzw. ein „Sarrazin-Bashing“ vor allem in der deutschen Presse und Politik auslöste. Dass diese Publikation auch bei der Bevölkerung einen Nerv getroffen hat, wird anhand der hohen Auflagenzahlen deutlich. Die Struktur der vorliegenden Arbeit setzt sich wie folgt zusammen. Im Zuge eines knappen Überblicks über den inhaltlichen Aufbau von "Deutschland schafft sich ab" wird herausgestellt werden, dass der rote Faden des Werks die Zuwanderungsproblematik ist. Aus diesem Grund wird sich der Hauptteil dieser Arbeit mit ebendieser Thematik beschäftigen. Zuerst soll die Definition des Begriffs der ,Zuwanderungʻ geklärt werden. Im Folgenden sollen die Probleme, die Sarrazin bei den deutschen ZuwandererInnen als gegeben sieht, sowohl aus seiner eigenen Perspektive dargestellt als auch aus anderen Blickwinkeln – und zwar unter Berücksichtigung der aktuellen Forschungsliteratur – diskutiert werden. Zu diesen Problemen zählen die Bildungswirklichkeit sowie – aspiration der EinwanderInnen, die kulturelle Prägung derselben und die Auswirkungen der Einwanderung auf die deutsche Gesellschaft.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Aufbau und zentrale Motivation
2.1. Inhaltlicher Aufbau inklusive Ausgangspunkt von Deutschland schafft sich ab
3. Zuwanderung
3.1. Zuwanderung als Problem und nicht als Lösung
3.2. Altersaufbau in Deutschland
3.3. Bildungsgrad der ZuwanderInnen
3.3.1. Die Bildungsfernen
3.3.2. Sprachproblem
3.3.3. Benachteiligung im Heimatland
3.3.4. Intelligenzquotient
3.3.5. Motivation
3.4 Sozialisation der ZuwanderInnen
3.4.1. Die islamische Kultur
3.4.2. Parallelgesellschaften
3.4.3. Abschließendes Fazit zur Wissenschaftlichkeit von Deutschland schafft sich ab
4. Zusammenfassung
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Am 30. August 2010 erschien das Buch Deutschland schafft sich ab von Thilo Sarrazin, in welchem es laut Klappentext um „die Vernetzung von wirtschaftlicher Entwicklung, Demografie, Bildung und Sozialstaat“ (Sarrazin, Thilo (2012): Deutschland schafft sich ab. Deutsche Verlags-Anstalt. München. S. I) geht und welches einen – wie Sarrazin selbst es formuliert - „perfekten Sturm“ (ebd., S. III) bzw. ein „Sarrazin-Bashing“ (ebd.) vor allem in der deutschen Presse und Politik auslöste. Dass diese Publikation auch bei der Bevölkerung einen Nerv getroffen hat, wird anhand der hohen Auflagenzahlen deutlich.
Deutschland schafft sich ab wurde seit der Ersterscheinung auf Grund der hohen Nachfrage mehr als 14 mal aufgelegt und insgesamt über 1,3 Millionen Mal verkauft und gilt damit als ,Bestsellerʻ. Es ist als Hardcover, als E-Book und als Taschenbuch erschienen. Warum er sich entschloss, ausgerechnet über die eingangs erwähnten Themen zu schreiben, begründet der inzwischen pensionierte Banker und Volkswirt, der über wissenschaftstheoretische Probleme der Wirtschaftsgeschichte aus dem Blickwinkel des Kritischen Rationalismus promovierte, damit, dass er bereits „seit Jahrzehnten“ (ebd.) darüber nachdenke. Sarrazins eigenen Angaben zufolge ging die Idee, „die Ergebnisse“ seiner „Analysen, die ganze Wahrheit“, so wie er sie sehe, „in einem Buch nieder[zu]legen“ (ebd., S. II) und zwar von seinem Verlag, der Deutschen Verlagsanstalt, aus. Deutschland schafft sich ab beschäftigt sich insbesondere auch mit der Integrations- bzw. Migrationsproblematik in Deutschland. Weil Sarrazins „Analysen“ (s. o.) hierzu die meiste Beachtung in der deutschen Gesellschaft gefunden haben, ist das Ziel dieser Arbeit zu untersuchen, ob sie einer wissenschaftlichen Überprüfung standhalten wie er selbst es behauptet:
Hätte ich den Faktenteil meines Buches weggelassen, wäre mir der Rest als eine Ansammlung übler Stammtischparolen um die Ohren gehauen worden. Wenn man einen Gedankengang darstellen will, muss man die Fakten, die am Wege liegen, auch benennen. Und wenn ich zum Beispiel sage, dass Intelligenz erblich ist und darauf hinweise, dass das Geburtenverhalten auch intelligenzabhängig ist, dann ist beides empirisch belegt. Ohne den empirischen Beleg hinge es in der Luft.
(Seibel et. al. 2012. DIE WELT Online. Abrufbar unter: http://www.welt.de/politik/deutschland/article13805710/Thilo-Sarrazin-geisselt-die-Wut-der-Pharisaeer.html. Stand: 24.06.2013)
Oder ob sie bei näherer Betrachtung einseitig bzw undifferenziert sind und somit die tiefergehenden Zusammenhänge außer Acht lassen und Populismus bedienen.
Die Struktur der vorliegenden Arbeit setzt sich wie folgt zusammen. Im Zuge eines knappen Überblicks über den inhaltlichen Aufbau von Deutschland schafft sich ab wird herausgestellt werden, dass der rote Faden des Werks die Zuwanderungsproblematik ist. Aus diesem Grund wird sich der Hauptteil dieser Arbeit mit ebendieser Thematik beschäftigen. Zuerst soll die Definition des Begriffs der ,Zuwanderungʻ geklärt werden. Im Folgenden sollen die Probleme, die Sarrazin Meibei den deutschen ZuwandererInnen gegeben sieht, sowohl aus seiner eigenen Perspektive dargestellt als auch aus anderen Blickwinkeln – und zwar unter Berücksichtigung der aktuellen Forschungsliteratur – diskutiert werden. Zu diesen Problemen zählen die Bildungswirklichkeit sowie – aspiration der EinwanderInnen, die kulturelle Prägung derselben und die Auswirkungen der Einwanderung auf die deutsche Gesellschaft.
2. Aufbau und zentrale Motivation
2.1. Inhaltlicher Aufbau inklusive Ausgangspunkt von Deutschland schafft sich ab
Als Textgrundlage für diese Arbeit wurde die erste Auflage von Deutschland schafft sich ab aus dem Jahr 2012 verwendet. Dem eigentlichen Text dieser Ausgabe ist das „Vorwort zur Paperback-Ausgabe“ (Sarrazin 2012, S. 1) sowie das „Vorwort zur neuen Auflage (September 2010)“ (ebd., S. XXXIX) vorangestellt.
In der Einleitung geht es um die Entwicklung der Wirtschaft in Deutschland über den Zeitraum der letzten 200 Jahre, im Zuge derer auch die Globalisierung angesprochen wird. Dabei wird der Dreh- und Angelpunkt der Hauptproblematik des gesamten Buches, der detailliert erst im zweiten von insgesamt neun Kapiteln desselben auftaucht, schon vorweggenommen. Dieses Hauptthema besteht aus den gesellschaftlichen und aus seiner Sicht damit einhergehenden ökonomischen Problemen, mit denen Deutschland Sarrazin zufolge bereits heutzutage kämpft, die jedoch mehr noch in der Zukunft auftreten werden. Die „Fehlentwicklungen, die unsere Zukunft verdüstern“ (Sarrazin 2012, S. 16), erstrecken sich laut Sarrazin auf vier Themenkomplexe, die sich gegenseitig beeinflussen (vgl. ebd.). Dabei handelt es sich Sarrazin zufolge um:
- die seit 40 Jahren eingetretenen demografischen Verschiebungen und generativen Verhaltensänderungen sowie deren Weiterwirken in die Zukunft
- die in unserem Sozialsystem liegenden Anreize, ein selbstbestimmtes Leben zu führen – oder dies eben nicht zu tun
- Sozialisation, Bildung und lebensweltliche Motivation der Menschen
- die Qualität, die Struktur und den kulturellen Hintergrund der Migranten in Deutschland. (vgl. ebd., S. 17)
Auf diese Themen wird im Verlauf dieser Arbeit noch genauer eingegangen. Zunächst soll jedoch ein knapper Überblick über alle Inhalte von Deutschland schafft sich ab geleistet werden.
Das erste Kapitel des Buches gibt einen relativ knappen „historischen Abriss“ (ebd., S. 23) über „Staat und Gesellschaft“ (ebd.).
In Kapitel 2, das mit „Ein Blick in die Zukunft: Realitäten und Wunschvorstellungen“ (ebd., S. 35) betitelt ist, findet sich der Ausgangspunkt für die Argumentationsstruktur, die die Grundlage für diese Arbeit darstellt. Bereits auf der ersten Seite des Kapitels wird klar, inwiefern die bereits in der Einleitung von Deutschland schafft sich ab erwähnten vier Themengebiete miteinander zusammenhängen. Die Motivation für Sarrazin, das Buch zu schreiben, war vermutlich seine Angst um die wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands. Er fürchtet einen „Engpass für die Wirtschaftsentwicklung“ (ebd., S. 35) Deutschlands, insbesondere mit Blick auf „Quantität und Qualität der Erwerbstätigen“ (ebd.).
Die Quantität ergibt sich aus der demografischen Entwicklung, der Zuwanderung und der Erwerbsbeteiligung der Bevölkerung, die Qualität aus deren Sozialisation, dem Bildungsgrad, dem Altersaufbau und – falls es Zuwanderung gibt – aus der Sozialisation und dem Bildungsgrad der Zugewanderten. (ebd., S. 35)
In vorliegender Arbeit liegt der Fokus vor allem auf der „Sozialisation und dem Bildungsgrad der Zugewanderten“ (s. o.) und wie diese Themenfelder in diesem Buch behandelt und dargestellt werden.
In Kapitel 3 werden Trends in der quantitativen und qualitativen Bevölkerungsentwicklung thematisiert. Diese erscheinen Sarrazin als „bedrohlich“, weil er „im >Rohstoff Mensch< die wesentliche Ressource für die Zukunft Deutschlands“ (ebd., S. 187) sieht.
Im darauffolgenden Kapitel werden ebenfalls „Negativtrends“ in Deutschland aufgezeigt, hier aber bezüglich des deutschen Transfersystems (vgl. ebd.), das Sarrazins Meinung nach das „Anwachsen“ und die „Verfestigung einer funktionslosen bildungs- und leistungsfernen Unterschicht“ (ebd.) befördert.
Kapitel 5 beschäftigt sich mit den „Folgen dieser Entwicklungen für den Arbeitsmarkt“ (ebd.). Am Schluss desselben kommt Sarrazin zu der Erkenntnis, dass der deutsche Sozialstaat nur dann erfolgreich sein kann, wenn der Bezug von Transferleistungen an die Bedingung einer „Gegenleistung in Form von Arbeit“ (ebd.) geknüpft ist. Da letztlich aber „alle Fragen der Sozialisation […] und des Arbeitsmarktes“ (ebd.) mit dem Thema Bildung zusammenhängen, laufen die Argumentationslinien der Kapitel 3, 4 und 5 auf Kapitel 6 zu, in welchem es um „Bildung und Gerechtigkeit“ geht.
Der Zusammenhang zwischen den Kapiteln 3 bis 6 wird dann verständlich, wenn man bedenkt, dass in Sarrazins Augen das Fortbestehen unserer Wirtschaftsordnung wesentlich auf den „>Rohstoff Mensch<“ (s. o.) bzw. den Menschen als wichtigster Faktor für eine florierende Wirtschaft angewiesen ist und der „Bildungserfolg als solcher“ (ebd., S. 187) wiederum für ebendiesen Menschen ein „Tüchtigkeits- und Stabilitätsindikator“ (ebd.) ist.
Trotzdem soll in dieser Arbeit nicht auf das sechste Kapitel, sondern vorwiegend auf die nachfolgenden Kapitel, nämlich Kapitel Nummer 7: „Zuwanderung und Integration: Mehr erwarten, weniger bieten“ (ebd., S. 255) sowie Kapitel Nummer 8: „Demografie und Bevölkerungspolitik: Mehr Kinder von den Klugen, bevor es zu spät ist“ (ebd., S. 331), eingegangen werden, weil sie die kontroversesten Thesen enthalten und weil alle Probleme, die Thilo Sarrazin an Deutschland sieht, die Zuwanderung betreffen
Das neunte und zugleich letzte Kapitel von Deutschland schafft sich ab, „Ein Traum und ein Alptraum: Deutschland in 100 Jahren“ (ebd., S. 391), bietet zwar auch reichlich Anhaltspunkte für Kritik, ist allerdings für die Argumentationsstruktur der vorliegenden Arbeit nicht in gleichem Maße relevant wie die vorangehenden zwei Kapitel.
Da – wie schon erwähnt – alle Probleme Deutschlands in Sarrazins Augen mit der Zuwanderung zusammenhängen, trägt der Hauptteil dieser Arbeit diese Überschrift.
3. Zuwanderung
3.1. Zuwanderung als Problem und nicht als Lösung
Bevor untersucht wird, warum Thilo Sarrazin Zuwanderung als Problem sieht, muss zunächst geklärt werden, wen er unter dem Überbegriff ,Zuwandererʻ zusammenfasst.
Wenn Thilo Sarrazin von ,Zuwanderernʻ beziehungsweise ,Migrantenʻ spricht, meint er nämlich nicht Migranten im Allgemeinen. In einem Unterkapitel von Deutschland schafft sich ab, das mit „Die Bildungsfernen“ überschrieben ist, stellt der Autor klar:
Wenn hier von Migranten gesprochen wird, sind ausschließlich Migranten aus den muslimischen Ländern gemeint (Türkei, Afrika, Naher und Mittlerer Osten). (ebd., S. 235) wie der Großteil der deutschen Demografen über das Thema Einwanderung denkt – nämlich dass diese die Lösung für das Problem der Alterung der deutschen Gesellschaft darstellen könnte – so mag es verwundern, dass in Thilo Sarrazins Augen das Gegenteil der Fall ist.
Bereits im Vorwort zu Deutschland schafft sich ab bringt der Autor seine „Skepsis zum Ausdruck, dass Zuwanderung aus der Türkei, Afrika, Nah- und Mittelost die wachsenden Probleme Deutschlands mit seiner Demografie und seiner Bildungsleistung verringern könne“ (ebd., S. XI). Er vermutet, dass die zunehmende Migration aus den genannten Ländern diese „Probleme“ „eher noch anwachsen“ (ebd.) ließen.
Denn nur die in Sarrazins Augen Problem- belasteten Unterschichten haben seiner Meinung nach ein Interesse daran, in Deutschland aufgenommen zu werden. Diese Aussage begründet Sarrazin allerdings an keiner Stelle und es fehlt ebenso jegliche Referenz auf die Anhaltspunkte, die ihn zu dieser Feststellung gebracht haben mögen. Eine wissenschaftliche Quelle sucht man ebenfalls vergeblich an dieser Stelle.
3.2. Altersaufbau in Deutschland
Unterschiedliche Fertilität von EinwanderInnen und autochtonen Deutschen Um das besagte Anwachsen der Probleme in Deutschland zu verhindern, fordert Sarrazin eine „Umkehr der demografischen Entwicklung“ (ebd., S. 354). Das „Problem“ besteht seiner Meinung nach darin, dass „sich unterschiedliche Teile der Bevölkerung mit unterschiedlicher Intensität fortpflanzen“ (ebd.). Denn dadurch änderten sich „die kulturell überlieferten sowie die genetischen Eigenschaften“ (ebd.) derselben.
Warum Sarrazin Veränderung in diesem Fall als etwas negativ zu Bewertendes begreift, hängt mit seiner Befürchtung zusammen, dass die unterschiedlich hohen Fertilitätsraten von Unter- und Mittel- bzw. Oberschicht zu einer ,Verdummungʻ (vgl. ebd., S. 17) der deutschen Bevölkerung führten, da die Nettoreproduktionsrate der bildungsferneren Schichten beziehungsweise der Unterschicht über dem nationalen Durchschnitt, die Nettoreproduktionsrate der bildungsnahen Schichten beziehungsweise der Mittel- und Oberschicht dagegen darunter (ebd., S. 354 f.) liege und sich somit quasi ein Strukturwandel der deutschen Population ergebe.
Aus Sarrazins Sicht wäre dies höchst problematisch, da er davon ausgeht, dass eine dauerhaft intelligenz- und schichtenspezifisch schiefe Geburtenverteilung langfristig negative Auswirkungen auf das durchschnittliche Intelligenzniveau haben kann und nach meiner Meinung auch haben wird (vgl. ebd., S. XI).
Sarrazin stellt in der Überschrift eines Unterkapitels die plakative Frage: „Eroberung durch Fertilität?“ (ebd., S. 316). Diese muss als rhetorische Frage verstanden werden, da der Inhalt des Unterkapitels diese Frage bejaht.
Auch in Kapitel 5, in dem es um „Bildung und Gerechtigkeit“ geht, stellt Sarrazin die seiner Auffassung nach „besondere Problematik islamischer Einwanderer“ (ebd., S. 264), u.a. auch in Bezug auf die Geburtenrate, heraus.
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