Kooperation zwischen Jugendhilfe und Schule. Strukturelle Unterschiede, mögliche Anknüpfungspunkte und Hindernisse
Zusammenfassung
Durch die „pädagogische Not“ (Mühlum 1993, S. 266) sind die drei Sozialisationsinstanzen Schule, Jugendhilfe und Familie zu einer langfristigen Zusammenarbeit aufgefordert. Eine mögliche und sehr vielversprechende Form dieser Zusammenarbeit stellt die Schulsozialarbeit dar, deren Wirksamkeit durch zahlreiche positive Ergebnisse aus den bereits an vielen Schulen durchgeführten Projekten belegt wurde. Schule und die Jugendhilfe stehen vor der Herausforderung eine tragfähige Kooperationsbeziehung am Ort der Schule aufzubauen. Die vielen neuen Möglichkeiten, die sich dadurch eröffnen, stehen jedoch auch vielen Stolpersteinen und Schwierigkeiten gegenüber, die noch überwunden werden müssen.
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Inhalt
1 Jugendhilfe und Schule: Strukturelle Unterschiede
2 Anknüpfungspunkte und Hindernisse
3 Mögliche Kooperationsverhältnisse
3.1 Organisationsmodelle zur Umsetzung von Schulsozialarbeit
3.1.1 Integrations- und Subordinationsmodell
3.1.2 Distanzmodell
3.1.3 Kooperationsmodell
3.2 Formen der Trägerschaft
3.2.1 Freier Träger
3.2.2 Schule als Träger
3.2.3 Behörde als Träger
3.3 Ebenen der Kooperation
4 Voraussetzungen erfolgreicher Kooperation
4.1 Erforderliche Rahmenbedingungen
4.1.1 Aufgaben der Jugendhilfe
4.1.2 Aufgaben der Schule
4.1.3 Aufgaben der Jugendhilfe und Schule
4.2 Prinzipien gelingender Kooperationsprozesse
5 Beteiligungsmöglichkeiten der Familie
5.1 Informiertheit der Eltern über Schulsozialarbeit
5.2 Familienorientierte Schülerhilfe
7 Anhang
8 Literaturverzeichnis (inklusive weiterführender Literatur)
Die Kooperation von Schule und Jugendhilfe wird von vielen Faktoren beeinflusst und gelenkt. Im Folgenden sollen die strukturellen Unterschiede, mögliche Anknüpfungspunkte und Hindernisse, unterschiedliche Kooperationsverhältnisse und zum Schluss auch die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen den beiden Berufsgruppen sowie die Rolle der Familie in diesem Prozess betrachtet werden.
1 Jugendhilfe und Schule: Strukturelle Unterschiede
Bei näherer Untersuchung ist festzustellen, dass Jugendhilfe und Schule zwei grundsätzlich verschiedene Systeme darstellen und wesentliche Strukturunterschiede aufweisen (siehe Anhang I). Dabei sind beide Systeme sehr stark geschlossen und auf sich selbst bezogen, verfügen über eigene Sprachcodes und Begriffbestimmungen, die jeweils anders definiert werden (vgl. Deinet 2001, S. 199). Ebenso verfolgen sie auch unterschiedliche Interessen und haben spezifische Arbeitsmethoden. „Beide Systeme suchen deshalb keine Partner, sondern Hilfen, um sich selbst zu stabilisieren“ (Deinet 2001, S. 199). Zwar wird die Notwendigkeit einer interdisziplinären Zusammenarbeit und der Kooperation zwischen diesen wichtigen Sozialisationsinstanzen im Kinder- und Jugendalter im Allgemeinen nicht mehr bezweifelt (vgl. Nieslony/Jongebloed 2002, S. 276), doch die Frage nach dem „Wie“, nach der praktischen Verwirklichung dieses Kooperationsverhältnisses ist immer noch nicht zufrieden stellend geklärt (vgl. Raab 1999, S. 251).
Einige der Kooperationsschwierigkeiten wurzeln in unterschiedlicher Organisation dieser Systeme. Schule und Jugendhilfe verfügen beide über diverse Subsysteme, die teilweise in Konkurrenz zu einander stehen bzw. nur wenige Verbindungen haben. In der Jugendhilfe sind es beispielsweise die differenzierten Arbeitsfelder wie Jugendarbeit, Tagesstätten, Hilfen zur Erziehung. Aus schulischer Sicht ist diese Segmentierung der Jugendhilfe sowie ihre Unterteilung in öffentliche und freie Trägerschaft nur schwer durchschaubar und verstehbar (vgl. Deinet 2001, S. 200). Auch im Schulbereich gibt es eine klare Trennung zwischen den einzelnen Subsystemen, d.h. Schulformen, die mit einander sehr wenig kooperieren. Eine Ausnahme bildet die Schulleiterkonferenz, die ein übergreifendes Gremium auf der kommunalen Ebene darstellt (vgl. Deinet 2001, S. 200).
Als problematisch wird im schulischen Bereich die Trennung von Schulunterrichts- und Trägersystem gewertet. Die Kommune als Schulträger regelt zwar wichtige Ressourcen wie Ausstattung, Räume, Schulhöfe, Sporthallen und Einsatz des nicht pädagogischen Personals (z.B. Hausmeister und Sekretärin), doch um Unterrichtsfragen, inhaltliche und pädagogische Gestaltung des Schullebens und Laufbahnen von Schulbeamten kümmert sich das institutionell davon völlig getrennte Schulaufsichtssystem. Diese Trennung muss auf Dauer überwunden werden, denn zur Gestaltung der Schule als Lebensort der Kinder und Jugendlichen gehören nicht nur neue Unterrichtsinhalte und -formen, sondern auch Veränderung der entsprechenden „äußerlichen Bedingungen“ wie Räume, Ausstattungen und Schulhof. Wenn diese Angelegenheiten in unterschiedlichen Subsystemen verwaltet werden, kann der Kooperationsprozess nur sehr mühsam und umständlich voran kommen (vgl. Deinet 2001, S. 201).
Die Jugendhilfe ist dagegen weitgehend kommunal organisiert. Zwar gibt es ein Landesjugendamt als überörtlichen Träger und eine oberste Jugendbehörde, doch ihre Größe und Eingriffsmöglichkeiten sind mit dem Schulbereich nicht zu vergleichen (vgl. Deinet 2001, S. 200). Das streng hierarchisch strukturierte Schulsystem kommt der Jugendhilfe manchmal ineffizient und innovationsfeindlich vor, doch der Staat hat gegenüber der Schule, besonders gegenüber ihrer Selektionsfunktion, „ein viel größeres Kontrollbedürfnis als gegenüber der Jugendhilfe, die sich „nur“ mit der Integration sozial Schwacher beschäftigt“ (Dühning 2002, S. 304). Das mag vielleicht einer der Gründe dafür sein, dass das Schulsystem ein Beamtensystem darstellt, während in der Jugendhilfe oft noch ehrenamtliche Strukturen bestehen und geringe fachliche Anforderungen gestellt werden.
Für die Kooperation zwischen Lehrern und Schulsozialarbeitern sind die aus diesen hierarchischen Verhältnissen entstehenden unterschiedlichen Entscheidungskompetenzen von Bedeutung. So hat z. B. ein Schulsozialarbeiter in manchen Fragen Entscheidungsmöglichkeiten, über die im Schulsystem nur der Schulrat entscheiden kann. In der Praxis bedeutet das, dass Schulsozialarbeiter bei manchen Problemen innerhalb der Schule nicht den richtigen Ansprechpartner finden (vgl. Dühning 2002, S. 304). Die einzelne Schule hat leider zur Zeit kaum Möglichkeiten, Ganztagsangebote oder Kooperationsprojekte selbstständig zu fördern oder personell auszubauen. Auch stehen ihr noch zu wenige Spielräume zur Verfügung, wenn es z.B. um Stundenreduzierung oder kurzfristige Veränderung des Dienstplanes geht (vgl. Deinet 2001, S. 201).
Ein weiterer gravierender Unterschied in der strukturellen Gestaltung der beiden Systeme ist, dass die Jugendhilfe, wie bereits erwähnt wurde, zur Zusammenarbeit mit Schule und Schulverwaltung im § 81 Absatz 1 KJHG gesetzlich verpflichtet ist, aber auf der Seite der Schule diese Vorschrift fehlt, bzw. in den vorhandenen Schulgesetzen einiger Länder meistens eine „Kann-Regelung“ darstellt. Demnach bedeutet das, dass für die Schulen im Grunde genommen keine gesetzliche Grundlage und somit auch keine Verpflichtung besteht, Lehrer für die Kooperation mit der Jugendhilfe, die über den Rahmen des Schulunterrichts hinausgeht, freizustellen. Die Konsequenz ist, dass die Kooperation der Schule mit Fachkräften der Jugendhilfe eher einen zufälligen Charakter besitzt und eine Frage des persönlichen Engagements der einzelnen Lehrer bleibt, denn für sie bedeuten solche Tätigkeiten unbezahlte Überstunden (vgl. Dühning 2002, S. 304).
Weitere Differenzen entstehen durch die verschiedenen Arbeitsvorgehensweisen und Selbstverständnisse dieser Systeme. Während die Schulsozialarbeit sich in erster Linie auf Beziehungsarbeit konzentriert und auf Bearbeitung sozialer Problemlagen mit einzelnen Schülern und kleinen Gruppen gerichtet ist, wird die Arbeit der Lehrer durch die Lerninhalte und die damit verbundenen Methoden der Vermittlung zentral bestimmt. Die Schule als Regelagentur wird jeden Tag neu mit einer großen Menge an Schülern konfrontiert und hat die Aufgabe, diese in kontinuierliche Lernprozesse einzubinden (vgl. Tillmann 1982, S. 31). Aus der Sicht der Schule werden deshalb zuerst Lernschwierigkeiten und Schulstörungen wahrgenommen, verbunden mit der Frage, wie diese Störung aus Rücksicht auf die Lernsituation der gesamten Klasse zu beseitigen wäre. Dagegen ist die Sicht der Jugendhilfe unter der Berücksichtigung der gesamten Lebensumstände der Schüler auf die beeinträchtigte Entwicklung oder das gefährdete Wohl des Kindes gerichtet (vgl. Mühlum 1995, S. 223). Schule hat einen gesellschaftlichen Erziehungsauftrag und kann diesen auch mit gesetzlichen Mitteln einfordern, d.h. junge Menschen und Lehrkräfte „sind strukturell aneinander gebunden“ (vgl. Thimm 1999, S. 121). Jugendhilfe dagegen, auch im Rahmen der Schulsozialarbeit, hat den Auftrag, Jugendliche und Erziehungsberechtigte zu unterstützen, muss selber die Initiative ergreifen und auf Menschen zugehen und sie zu gewinnen suchen (vgl. Thimm 1999, S. 121).
Wie wichtig die Ergänzung der Sozialisationsinstanz Schule durch sozialpädagogische Profilbildung ist, wird dadurch sichtbar, dass Schule den an sie gerichteten Erwartungen seitens der Gesellschaft allein nicht gerecht werden kann: einerseits soll sie soziale Integration leisten und andererseits auch selektieren (Leistungsprinzip, Abschlüsse und Schulformen). Ihre rationale Struktur ist stark gekennzeichnet durch strukturierte Lerninhalte, abstrakte Lernziele, Konkurrenz, Vorschriften und Leistungsdruck. Diese sollte durch handlungsbezogene Ziele, Kooperation, aktive Lernprozesse und Mitbestimmungsmöglichkeiten ergänzt werden (vgl. Hollenstein/Tillmann 2000, S. 28f). Auch die Schule selbst ist sich dieser Tatsachen bewusst und versucht Erneuerungskonzepte, wie z.B. Entwürfe zur Öffnung und zur Teilautonomie der Schule und „Haus des Lernens“ sowie ganzheitliche Lernprozesse zu entwickeln und umzusetzen (vgl. Hollenstein/ Tillmann 2000, S. 237).
Aus der Perspektive von Schülern werden die Unterschiede zwischen diesen beiden Systemen sehr deutlich wahrgenommen:
- Schule ist eine Pflichtveranstaltung, Sozialarbeit bzw. Schulsozialarbeit ist freiwillig;
- Schule ist zuständig für Wissensvermittlung, Sozialpädagogik für Lebensbewältigung;
- Schule lebt von festen Strukturen, Sozialpädagogik ist eher offen strukturiert und hat nicht so deutlich wahrnehmbare Strukturen wie die Schule (vgl. Olk u.a. 2000, S. 14).
Es kann also festgehalten werden, dass beide Berufsgruppen sich „nach Ausbildung und Fachlichkeit, nach Auftrag, Blickrichtung und Vorgehensweise, nicht zuletzt auch nach Status und Einkommen“ unterscheiden und unter ungleichen „äußeren Arbeitsbedingungen“, wie z.B. Lernstofforientierung und Klassengebundenheit bzw. Problemorientierung und Klientzentrierung arbeiten (vgl. Mühlum 1995, S. 222). Lehrerinnen und Lehrer studieren bezogen auf einen speziellen Schultyp bestimmte Fächerkombinationen und zusätzlich erziehungswissenschaftliche und pädagogische Grundlagen. Während der Praktika und der Referendarzeit werden sie mit dem gewählten Schulsystem vertraut und können so eine „Beheimatung im System“ erleben. Die sozialpädagogischen Fachkräfte absolvieren ein etwas kürzeres Studium, dessen Inhalte wesentlich breiter gestreut sind, weil keine Spezialisierung auf einen bestimmten Praxistyp wie im Schulbereich stattfindet. Nach ihrer staatlicher Anerkennung müssen Schulsozialpädagogen fähig sein „im Jugendzentrum, in der Adoptionsabteilung, in der Jugendgerichtshilfe, in der Obdachlosenbetreuung oder im Gefängnis“ zu arbeiten und dabei außer den eigenen Berufskollegen ganz unterschiedlichen Kooperationspartnern gegenüberzustehen, z.B. Verwaltungsfachleuten, Ärzten, Stadtplanern, Psychologen, Soziologen und Lehrern und Lehrerinnen. Der vorhin erwähnte Beheimatungsprozess, der bei Lehrern fast automatisch stattfindet, braucht bei Schulsozialpädagogen wie auch in anderen Arbeitsfeldern der Sozialen Arbeit eine längere Gewöhnungsphase (vgl. Tillmann 2000, S. 120).
Dass aus diesen strukturellen Unterschieden Barrieren und Störungen für die Verständigung und Zusammenarbeit entstehen können, ist nicht verwunderlich und konnte bereits bei vielen Projekten der Schulsozialarbeit beobachtet werden. Durch gesellschaftlich-politischen Druck werden jedoch beide Systeme zu deutlichen Veränderungen und zu einer besseren Kooperation aufgefordert. Letztendlich besteht trotz der vorhandenen Strukturunterschiede mindestens eine sehr wichtige Schnittstelle: die Zielgruppe Kinder und Jugendliche (vgl. Deinet 2001, S. 200; Seithe 1999, S. 79). Beide Seiten müssen sich um einen Kooperationsprozess bemühen, nach weiteren Schnittstellen und Gemeinsamkeiten suchen und eine sinnvolle, gelingende und gleichberechtigte Kooperation anstreben. Im Folgenden soll dieser Prozess auf seine Anknüpfungspunkte und mögliche Hindernisse und Probleme näher untersucht werden.
Anknüpfungspunkte und Hindernisse
Die skizzierten strukturellen Differenzen und systemischen Abgrenzungen führen in der Praxis der Zusammenarbeit zwischen Schulen und Einrichtungen der Jugendhilfe oft zu großen Problemen, die es zu erkennen und zu lösen gilt (vgl. Deinet 2001, S. 14; Rademacker 2002, S. 24). Grundsätzlich sieht die Mehrheit der Lehrer die Notwendigkeit des interdisziplinären Handelns als gegeben und befürwortet das Angebot der Schulsozialarbeit. Überwiegend wird die Schulsozialarbeit auch als eine sehr wichtige Hilfe angesehen, wobei Pädagogen mit kürzerer Berufserfahrung ihr eine wesentlich wichtigere Rolle beigemessen als diejenigen mit längerer Berufserfahrung (vgl. Nieslony/Jongebloed 2002, S. 277). Auf beiden Seiten können bestimmte Gemeinsamkeiten und Motivlagen für die Kooperation angeführt werden.
So werden z.B. beide Sozialisationsinstanzen gemeinsam mit ungewisser Zukunft und erheblichen Anforderungen durch Pluralisierung und Differenzierung von Lebenslagen der Kinder und Jugendlichen, aber auch mit Orientierungs-, Sinn- und Identitätsproblemen konfrontiert. Immer mehr Kindern und Jugendlichen fehlen konstante Bezugspersonen, mit denen sie sich austauschen können (vgl. Thimm 1999, S. 11; Drilling 2001, S. 98). Auch bei grundsätzlichen Zielvorstellungen stimmen Schule und Jugendhilfe überein, denn es geht letztendlich um eine langfristige Integration der Schüler in die Gesellschaft, um Hilfen im Prozess des Aufwachsens und um Vorbereitung auf das Berufsleben. Weitaus die meisten Krisen, Probleme und Defizite von Kindern und Jugendlichen entstehen nämlich bei der Bewältigung der Entwicklungsaufgaben (vgl. Drilling 2001, S. 98). Beide Sozialisationsinstanzen wissen auch, dass Schulbiographien sehr eng mit Sozialbiographien verknüpft sind, und dass Regelverstöße, Unterrichtsstörung, Schulversagen und Schulmüdigkeit oft Hilfeschreie und Reaktion auf die aktuelle Lebenssituation bedeuten.
Schulen stehen tagtäglich zahlreichen Problemen gegenüber und erhoffen von der Schulsozialarbeit kompetente Unterstützung in Krisensituationen. Außerdem kann die Schule auch noch folgende Interessen und Motive haben (vgl. dazu Thimm 1999, S. 12):
- Steigerung der Attraktivität des Schulstandortes,
- Erhöhung der Akzeptanz der Lehrkräfte und der Schule auf der Schülerseite,
- erleichterte Vermittlung der Problemfälle an zuständige Fachkräfte,
- Hilfestellungen bei der Erfüllung des Bildungsauftrages,
- Steigerung der Berufszufriedenheit der Lehrkräfte,
- Steigerung der Qualität von Lernen und Sicherung von Betreuungsangeboten.
Die Jugendhilfe kann wiederum an diesem „Regelort des Aufwachsens“ ihre Zielgruppe, also alle jungen Menschen, ohne Stigmatisierungsgefahren antreffen. Sie kann einerseits Defizite und Störungen frühzeitig erkennen und zu beheben versuchen und andererseits verstärkt präventiv arbeiten (vgl. Rademacker 2002, S. 23; Thimm 1999, S. 12).
Als ein wichtiges Hindernis der Zusammenarbeit von Schule und Jugendhilfe kann, wie schon näher ausgeführt, die gesetzlich einseitige Kooperationsverpflichtung genannt werden. Aber auch falsche Erwartungshaltungen und ein unklares Bild vom anderen System können die Zusammenarbeit sehr stark beeinträchtigen (vgl. Deinet 2001, S. 15; Thimm 1999, S. 122).
„Von 100 Lehrern sollen 90 noch nie etwas von einem Kinder- und Jugendhilfegesetz gehört haben, und es spricht alles dafür, dass umgekehrt zumindest der gleiche Prozentsatz von Sozialarbeitern über alle wesentlichen schulrechtlichen Vorschriften im Unklaren ist.“ (Mühlum 1995, S. 222).
Für beide Instanzen ist es sehr wichtig, über eigene Motive und Zielsetzungen im Klaren zu sein. Das kann bedeuten, dass auch Ziele, die nicht für eine Kooperation geeignet sind, weil sie eigenständige Prinzipien sind oder das Profil des jeweiligen Partners ausmachen, bestimmt werden müssen. Beispielsweise kann Jugendhilfe keine Noten vergeben und Schule kann auch nicht zu einem reinen Kreativzentrum werden, weil beide Institutionen sonst ihren gesellschaftlichen Aufträgen nicht gerecht werden würden (vgl. Deinet 2003, S. 16).
Fachkräfte beider Systeme neigen auch dazu, sich gegenseitig Schuld zuzuweisen. So können z.B. die Schulsozialpädagogen aufgrund der eigenen Minderwertigkeitsgefühle und fehlender Anerkennung die Schule und Lehrkräfte abwerten und ihnen die „Bösen-Rolle“ zuschreiben, um sich selber dadurch aufzuwerten (vgl. Thimm 1999, S. 122). In der Vergangenheit drückten sich solche Vorbehalte gegenüber den Lehrern auch oft in einer „sozialpädagogischen Schulkritik“ aus. Sie war vom Konkurrenzdenken geprägt, versuchte die Sozialpädagogik der Schulpädagogik als überlegen darzustellen und warf der Schule vor, durch ihre Allokationsfunktion (=Selektionsfunktion) den „Unterstützungsbedarf“ zu produzieren (vgl. Rademacker 2002, S. 24). Natürlich ist es Aufgabe der Jugendhilfe, sich kritisch mit der Schule und den dort stattfindenden Sozialisationsprozessen auseinander zu setzen, jedoch sollte sie dabei nicht auf der pädagogisch konzeptionellen Ebene das schulpädagogische Konzept kritisieren bzw. den Lehrern Unkompetenz vorwerfen (vgl. Rademacker 2002, S. 25).
In der Schulpraxis befinden sich die Schulsozialarbeiter oft in der Position der „Einzelkämpfer“: Große Lehrerkollegien stehen einem oder zwei Schulsozialarbeitern gegenüber. Diese Situation führt nicht selten zu physischer und psychischer Überlastung der sozialpädagogischen Fachkräfte (vgl. Tillmann 2000, S. 122). Zusätzlich kann die Schule der Schulsozialarbeit mit extremer Starrheit des Systems, Bürokratisierung, Arroganz, Unverständnis, Abwertung von Sozialpädagogik und Abschiebung von Zuständigkeiten in schwierigen Fällen begegnen (vgl. Thimm 1999, S. 122). Schulsozialpädagogen wurden, und z.T. werden sie das immer noch, als pädagogische Konkurrenz betrachtet, als Hilfsdienst für die den Unterrichtsbetrieb störende Schüler in Anspruch genommen und von den Lehrkräften um ihre Beliebtheit bei Kindern und Jugendlichen beneidet (vgl. Rademacker 2002, S. 24; Gottschalk-Scheibenpflug 1982, S. 75).
Die aufgezeigten Haltungen und Verhaltensmuster können den Kooperationsprozess erheblich hemmen und gegenseitige Vorurteile fördern. Doch inzwischen hat sich vielerorts ein unverkrampftes Verhältnis zwischen Schule und Jugendhilfe herausgebildet, das durch „gegenseitigen Respekt für die unterschiedlichen Aufgabenstellungen, strukturelle Rahmenbedingungen und Pädagogiken beider Institutionen“ geprägt ist (vgl. Rademacker 2002, S. 25).
Die Notwendigkeit der Schulsozialarbeit ist durch die Erziehungskrise der Familie, Legitimationskrise der Schule und Identitätskrise der Jugendhilfe zweifelsfrei vorhanden. Ein Kooperationsmodell, in dem sich beide Professionen nicht gegenseitig ihre Defizite aufrechnen, sondern ihre Ressourcen bündeln und dadurch gemeinsam den gesellschaftlichen Erziehungsauftrag wahrnehmen und zu einem gelingenden Leben der Kinder und Jugendlichen in Schule und Alltag beitragen, wäre nach Albert Mühlum ein erstrebenswerter Lösungsweg (vgl. Tillmann 2000, S. 115). Die bestehenden Unterschiede sollten im Rahmen eines pädagogischen Miteinanders kreativ und ergänzend genutzt werden. Zudem muss eine dauerhafte Kooperation durch „Geben und Nehmen“ gekennzeichnet sein, d.h. beide Bereiche müssen auf einander zu gehen und neue Aufgaben übernehmen, damit letztendlich auch beide Seiten aus der Zusammenarbeit Vorteile und Nutzen ziehen können (vgl. Deinet 2001, S. 19).
2 Mögliche Kooperationsverhältnisse
Schule und Jugendhilfe sollten beide die sozialisationsrelevante Bedeutung der jeweils anderen Institution nicht unterschätzen oder herabwürdigen. Nicht die Strukturunterschiede machen die Zusammenarbeit schwer, sondern die mangelnde Bereitschaft beiderseits, sich diese Unterschiede zu erklären und die daraus notwendigen Konsequenzen für die Zusammenarbeit zu ziehen. Beide Instanzen stehen also vor der Herausforderung des interdisziplinären Handelns und müssen sich zuerst des eigenen Systems und dann der Unterschiedlichkeiten des anderen Systems bewusst werden und in einem gleichberechtigten Dialog konkrete Vorgehensweisen zu einer erfolgreichen Kooperation entwickeln (vgl. Drilling 2001, S. 101f). Vor diesem Hintergrund sollen im Folgenden die verschiedenen Organisationsmodelle der Schulsozialarbeit, die unterschiedlichen Formen der Trägerschaft und die Ebenen der Kooperation betrachtet werden.
2.1 Organisationsmodelle zur Umsetzung von Schulsozialarbeit
In der Praxis der Schulsozialarbeit sind drei Kooperationsmodelle anzutreffen, die in unterschiedlicher Ausprägung und auch in Mischformen auftreten und von Wilfried Wulfers als Integrations- und Subordinationsmodell, Distanzmodell und Kooperationsmodell unterschieden werden (vgl. Wulfers 1996, S. 73-77).
2.1.1 Integrations- und Subordinationsmodell
Diese Organisationsform ist vor allem bei einer Schulsozialarbeit zu finden, die in schulischer Trägerschaft arbeitet und in die Schule fest integriert ist, wie es z.B. bei den Ganztagsgesamtschulen der Fall ist. Aufgrund ihres Anstellungsverhältnisses unterstehen die Schulsozialarbeiter der Schulaufsicht. Zusätzlich sind Schulleiter und Schulräte wie auch für die anderen Mitglieder des Lehrerkollegiums ihre weisungsberechtigten Vorgesetzen (vgl. Tillmann 1982, S. 35). Die Ziele und Arbeitsansätze der Schulsozialarbeit können in so einer Kooperationsform nicht selbstständig entfaltet und verwirklicht werden. Sie orientieren sich stark an den Bedürfnissen der Schule und dienen hauptsächlich dazu, einen reibungslosen Organisationsablauf in den Ganztagsschulen zu sichern (vgl. Wulfers 1996, S. 74). Eine Schulsozialpädagogin an einer Berliner Ganztagsgesamtschule beschreibt die Arbeitssituation der dort arbeitenden Sozialpädagogen folgendermaßen (vgl. Tillmann 1982, S. 34; www.schulforum.net 2003):
- Sozialpädagogen werden als Aufsichtspersonal „missbraucht“, das ständig verfügbar sein muss.
- Bei Vergabe von Mitteln und Fachräumen (z.B. Küche, Werkstatt, Sporträume) hat der Unterricht absolute Priorität, deshalb werden diese Räumlichkeiten oft verweigert.
- Die persönlichen Arbeitsplätze der Schulsozialpädagogen sind „völlig unzureichend“ eingerichtet (vgl. Tillmann 1982, S. 34).
- Schulsozialpädagogen werden mit der Beschäftigung von „Schülermassen“ (ca. 90 bis 120 Schüler pro Schulsozialpädagogen) in den Pausen überfordert.
- Schulsozialpädagogen stellen eine Minderheit in Schulgremien dar und werden dadurch z.B. bei Mehrheitsentscheidungen benachteiligt (vgl. Tillmann 1982, S. 34).
Das Ziel des Integrationsmodells ist es, mit Hilfe der eingestellten sozialpädagogischen Fachkräfte und einer Vielzahl von sozialpädagogischen Angeboten und Methoden die schulischen Strukturen zu reformieren und die Schulsozialisation der Kinder und Jugendlichen positiv zu beeinflussen. Die Gefahr dieses Ansatzes besteht jedoch darin, dass die Schulsozialarbeiter über keine gesicherte Autonomie verfügen und weisungsgebunden arbeiten müssen. So kann es sehr schnell dazu kommen, dass die Schulsozialarbeit den Schulzwecken unterstellt wird, die Sozialpädagogen zu „Hilfslehrern“ degradiert werden und ihre Tätigkeiten auf „die Pausenaufsicht, die Unterrichtsvertretung, die Materialbeschaffung oder Klassenfestgestaltung“ beschränkt werden (vgl. Wulfers 1996, S. 74; Drilling 2001, S. 64).
Obwohl dieses Organisationsmodell nicht dem Prinzip der gleichberechtigten Kooperation und der gegenseitigen Akzeptanz entspricht, war diese Kooperationspraxis in den Anfängen der Schulsozialarbeit sehr stark verbreitet. So arbeiteten 1980 von den 426 Schulsozialpädagogen, die an integrierten Gesamtschulen in der Bundesrepublik angestellt waren, 315 in NRW und in Berlin unter Rahmenbedingungen, die eindeutig als „Subordination sozialpädagogischer Kompetenz unter schulische Zwecksetzungen“ bezeichnet werden können (vgl. Tillmann 1982, S. 35; Wulfers 1996, S. 75).
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