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Das Unternehmertum von 1800-1914. Herkunft, Mobilität, soziale Stellung

©2014 Hausarbeit 24 Seiten

Zusammenfassung

Diese Seminararbeit setzt sich mit einer Gesellschaftsgruppe auseinander, die in ihrer Entwicklung große Veränderungen erlebte: dem Unternehmertum. In den ersten Jahren des 19. Jahrhunderts bestanden noch keine unternehmensfördernde Institutionen, die Bereitschaft Neuerungen zu akzeptieren war kaum vorhanden und der größte Teil der Bevölkerung musste in seiner Haltung als risikoavers angesehen werden. Bedenkt man, dass 100 Jahre in der Entwicklungsgeschichte des Menschen ein verschwindend geringer Zeitraum sind, so ist die gesellschaftliche Lage des Unternehmertums Anfang des 20. Jahrhunderts doch eine andere: Sie hatten es zu großem Ansehen in der Gesellschaft gebracht und können als Antrieb für eine gänzlich neue Wirtschafts- und Gesellschaftsstruktur betrachtet werden. Vor diesem Hintergrund wird hier die Frage gestellt:

Welche wirtschaftlichen und sozialen Veränderungen mussten sich vollziehen, damit sich das Unternehmertum von der einstigen Außenseiterrolle, zur angesehenen sozialen Gruppe von 1800 bis 1914 entwickeln konnte?

Strukturell orientiert sich diese Arbeit am zeitlichen Verlauf der Geschichte. So soll eine historisch-kritische Auseinandersetzung des Themas gewährleistet werden. Zunächst wird auf die Herkunft der ersten Unternehmer in Deutschland eingegangen. Im Folgenden wird die Entwicklung der Unternehmerpersönlichkeit hauptsächlich vor dem Kontext der ökonomischen Situation des Landes gesehen. Einerseits, weil die wirtschaftliche Lage des Unternehmens unmittelbar mit dem persönlichen Leben und sozialen Ansehen des Unter-nehmers zusammenhängt. Andererseits gehen die angesprochenen großen Veränderungen in der Gesellschaft mit dem Konjunkturverlauf und wirtschaftspolitischen Maßnahmen einher.

Leseprobe

Gliederung

1. Einführung

2. Die Anfänge des Unternehmertums: 1800- 1830
2.1. Herkunft der frühen Unternehmer
2.1.1. Die ersten Betriebe
2.1.2. Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Berufswahl
2.2. Die frühkapitalistische Denkhaltung und deren Bedeutung für den frühen Unternehmer
2.3. Die Mobilität in der frühkapitalistischen Zeit
2.3.1. soziale Mobilität
2.3.2. Die Möglichkeiten der Gütermobilität für die aufkommenden Industrien
2.3.3. Die Mobilität des Kapitals und seine Bedeutung für die aufkommenden Industrien

3. Der Unternehmer im Zeitalter der Industrialisierung: 1830- 1871

3.1. Der Beginn der kapitalgestützten Großunternehmen

3.2. Die soziale Stellung deutscher Großunternehmer

4. Das Unternehmertum im Kaiserreich bis zum Ersten Weltkrieg
4.1. Die Lage der Unternehmer im Kontext der Wirtschaft

5. Beispiel der Entstehung eines kapitalgestützten Großunternehmens: Der Krupp-Konzern

6. Fazit

7. Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1 Nutzfläche der einzelnen Betriebsgrößengruppen (Henning, 1989, p. 58)

Abbildung 2 Netto- Investitionsquote in Deutschland, 1850 - 1880 (Hoffmann, 1965, p. 825)

1. Einführung

Diese Seminararbeit setzt sich mit einer Gesellschaftsgruppe auseinander, die in ihrer Ent- wicklung große Veränderungen erlebte: dem Unternehmertum. In den ersten Jahren des 19. Jahrhunderts bestanden noch keine unternehmensfördernde Institutionen, die Bereitschaft, Neuerungen zu akzeptieren war kaum vorhanden und der größte Teil der Bevölkerung musste in seiner Haltung als risikoavers angesehen werden. Bedenkt man, dass 100 Jahre in der Entwicklungsgeschichte des Menschen ein verschwindend geringer Zeitraum sind, so ist die gesellschaftliche Lage des Unternehmertums Anfang des 20. Jahrhunderts doch eine andere: Sie hatten es zu großem Ansehen in der Gesellschaft gebracht und können als Antrieb für eine gänzlich neue Wirtschafts- und Gesellschaftsstruktur betrachtet werden. Vor diesem Hintergrund wird hier die Frage gestellt:

Welche wirtschaftlichen und sozialen Veränderungen mussten sich vollziehen, damit sich das Unternehmertum von der einstigen Außenseiterrolle, zur angesehenen sozialen Gruppe von 1800 bis 1914 entwickeln konnte?

Strukturell orientiert sich diese Arbeit am zeitlichen Verlauf der Geschichte. So soll eine historisch-kritische Auseinandersetzung des Themas gewährleistet werden. Zunächst wird auf die Herkunft der ersten Unternehmer in Deutschland eingegangen. Im Folgenden wird die Entwicklung der Unternehmerpersönlichkeit hauptsächlich vor dem Kontext der öko- nomischen Situation des Landes gesehen. Einerseits, weil die wirtschaftliche Lage des Un- ternehmens unmittelbar mit dem persönlichen Leben und sozialen Ansehen des Unter- nehmers zusammenhängt. Andererseits gehen die angesprochenen großen Veränderungen in der Gesellschaft mit dem Konjunkturverlauf und wirtschaftspolitischen Maßnahmen ein- her.

Hierbei ergaben sich bei der Quellenarbeit die größten Schwierigkeiten: In den Geschichts- wissenschaften werden oftmals konkrete Ereignisse von verschiedenen Autoren unter- schiedlich eingeordnet. Insbesondere der Einfluss wirtschaftspolitischer Geschehnisse auf das Sozialgefüge der Bevölkerung, wie zum Beispiel im Zusammenhang mit der Bauernbe- freiung, ist nicht immer eindeutig. Statistische Erhebungen weisen somit je nach Erhe- bungsmethode und Forschungsziel unterschiedliche Ergebnisse auf, beziehungsweise wer- den unterschiedlich interpretiert. Im Zweifelsfall wurde in dieser Arbeit auf das Vorhanden- sein kontroverser Meinungen in neutraler Form hingewiesen.

Die Zeit von 1800 bis 1914 war von schnell aufeinanderfolgenden Ereignissen geprägt, sodass eine gesellschaftliche Entwicklung nur schwer an bestimmten Jahrzehnten festzumachen ist. Eine Veränderung der Gesellschaftsstruktur benötigt immer eine Zeitspanne von mehreren Generationen und verläuft zeitlich und regional asynchron, was wiederum die widersprüchlichen Angaben in der Literatur erklärt.

Dennoch konnte ich durch die Auseinandersetzung mit der Thematik erkennen, warum die Welt des Unternehmers immer komplexer geworden ist und die gesellschaftliche Situation immer im Kontext ihrer Geschichte zu betrachten ist.

2. Die Anfänge des Unternehmertums: 1800 - 1830

2.1. Herkunft der frühen Unternehmer

Anfang des 19. Jahrhunderts war Deutschland durch eine gesellschaftliche und ökonomi- sche Erstarrung geprägt. Insbesondere die Bauern gerieten durch das Erbrecht der Realtei- lung in immer größere Armut, da sich ihr Besitz von Generation zu Generation verringerte. Doch schon bald war die Zeit durch gewaltige politische, wirtschaftliche und soziale Um- brüche gekennzeichnet. Die in England bereits Mitte des 18. Jahrhunderts eingesetzte In- dustrielle Revolution schwappte ab den 30er Jahren des 19. Jahrhunderts mit spürbaren Folgen für die Bevölkerung auf das Kontinentaleuropa und den Rest der Welt über.

Erste Anstrengungen hin zu einer mobilen und innovativen Gesellschaft wurden nach den verlustreichen Kriegen Napoleons in Preußen unternommen. Ausgerechnet die Napoleonische Gewaltherrschaft verbreitete liberales Gedankengut in Europa, wodurch die alten Herrschaftsstrukturen in Deutschland ihre Unantastbarkeit verloren (Henning, 1989, p. 36). Neben der handwerklich-ständischen Struktur, welche beruflich durch die Zünfte organisiert wurde, bildete sich in den Städten eine revolutionäre, kapitalistische Wirtschaftsgesinnung (Brakelmann, 1962, p. 16). Die Bevölkerung löste sich von den starren Strukturen der Ständegesellschaft und erkannte langsam ihre Chancen in einem neuen Gesellschaftsmodell, welches wir heute als Leistungsgesellschaft bezeichnen. Die Menschen konnten eine neue soziale und räumliche Mobilität erfahren.

2.1.1. Die ersten Betriebe

Neben den alten Handwerksbetrieben bilden sich neue Betriebsformen: Die Hausindustrie, welche über die Verleger kontrolliert wurde und die Manufaktur mit dem betriebsleiten- den Unternehmer (Brakelmann, 1962, p. 16). Auch wenn die Ideen der Erweiterung von Produktionsstätten und der Rationalisierung der Produktionsvorgänge, um Gewinn zu er- zielen, schon aus dem Mittelalter bekannt sind, konnte sie erst im 19. Jahrhundert zum Aufbau von Manufakturen mit einer Arbeiterschaft führen. Diesem Wandel gingen heftige Diskussionen zwischen dem Zunftwesen, welchem ein genossenschaftliches Prinzip zu- grunde lag, und den Anhängern des liberalen Wirtschaftsprinzips voraus.

Die Hausindustrie gilt als die erste kapitalistische Betriebsform. Sie wurde notwendig, als sich der Handel zunehmend auf weit entfernte Gebiete ausweitete. Ein einzelner Handwer- ker war nicht mehr in der Lage, den gestiegenen Absatzmarkt zu überschauen und zu be- dienen. us „reichen Handwerksmeistern, die sich eine händlerische Tätigkeit leisten konn- ten oder aus Händlern, die allmählich in die Funktion des Verlegers hineinwuchsen“ (Brakelmann, 1962, p. 17) entwickelte sich das Verlagssystem. Jene Händler hatten die Ab- sicht, durch die Vermittlung von Angebot und Nachfrage ihr Kapital zu vermehren und leb- ten selbst in den Städten, wo sich wiederum Händler aus weit entfernten Regionen und Ländern trafen, um ihre Waren zu verkaufen und zu kaufen. Das Verlagssystem war also ein dezentralisierter Großbetrieb und verband die kleingewerbliche Organisation der Arbeit mit einer großgewerblichen Organisation des Absatzes. Der entscheidende Unterschied zum mittelalterlichen Zunftwesen liegt darin, dass der Handwerker auf einen Auftrag des Verlegers hin produziert und selbst keinen Kontakt mehr zu den Kunden hat. Die Handwer- ker selbst waren oftmals noch Bauern, die sich ein Nebengewerbe aufbauten. Dieses Sys- tem legte insbesondere den Grundstein für die Textilindustrie. Das Spinnen von Garnen sowie das Weben waren Tätigkeiten, die sich, durch die revolutionären Erfindungen aus England wie der Spinning-Jenny oder dem mechanischen Webstuhl, auch für ungelernte Arbeitskräfte eignete und in einem Nebenraum ausgeführt werden konnten. Handwerks- meistern mit einer kleinen Werkstatt wurden zu Hausindustrielle bzw. selbstständige Lohn- arbeiter, die einen Betrieb unter kapitalistischen Bedingungen führten (Brakelmann, 1962, pp. 16-18). Der Typus der „Handwerker-Unternehmer“ war weit verbreitet und zeichnete sich durch einen geringen Kapitalbedarf und wenigen technischen Voraussetzungen aus (Niemann, 2012). Textilunternehmer gelten als die früheste Gruppe des Unternehmertums in Deutschland.

Der erste zentralisierte Arbeitsbetrieb ist die Manufaktur (von lat. manus „Hand“ und lat. facere „herstellen“). Der Unternehmer übernahm hierbei selbst die Leitung über die Pro- duktion und Verteilung, den Arbeitsbetrieb und auch den Absatz. Dafür stellte er den Ar- beitern Räumlichkeiten und die Anlagen zur Produktion zur Verfügung. Die verteilt woh- nenden Hausindustriellen gründeten also eine eigene Werkstatt und bestimmten eine Lei- tung derer. Somit wurde nun erstmals die Arbeit nicht mehr im Eigenheim verrichtet, son- dern der Arbeiter musste den heimischen Hof verlassen und hatte feste Arbeitszeiten. Die Trennung von Familie und Betrieb induziert auch, dass der Arbeiter seine Arbeitskraft für einen festgesetzten Lohn verkauft und seinen privaten Haushalt zum reinen Konsumenten- haushalt macht. (Brakelmann, 1962, p. 18 ff.)

Im Betrieb konnten so einzelne Produktionswege in kleine Arbeitsvorgänge zerlegt werden.

Schon Adam Smith erkannte in einer Stecknadelfabrikation, dass Arbeitsteilung zur Spezialisierung und somit zu Kostenvorteilen führt: „Ein rbeiter, der für diese Tätigkeit (woraus die Teilung der Arbeit ein eigenes Gewerbe gemacht hat) nicht angelernt wären, der mit dem Gebrauch der dazu verwendeten Maschinen (zu deren Erfindung wahrscheinlich eben dieselbe Teilung der Arbeit Gelegenheit gegeben hat) nicht vertraut wäre, könnte vielleicht mit dem äußersten Fleiß täglich kaum eine, gewiss aber keine zwanzig Nadeln herstellen“ (Brakelmann, 1962, p. 19). Aus diesem Zitat geht hervor, dass eine zentrale Arbeitsweise Zeitersparnisse, qualitativ hochwertigere Produkte und auch neue Erfindungen zur Optimierung der einzelnen Vorgänge mit sich brachte.

2.1.2. Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Berufswahl

Der folgende Abschnitt bezieht sich auf eine Forschungsarbeit über die „Mobilität und soziale Lage der württembergischen Fabrikarbeiterschaft im 19. Jahrhundert“ von P. Borscheid und H. Schomerus, welche 1977 in „Die Analyse prozeß-produzierter Daten“ von Paul Müller veröffentlicht wurde. Untersucht wurden in den Städten Esslingen, Bad Liebenzell, Isny und Kuchen der Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Berufswahl selbstständiger Textil- und Metallarbeiter und die Ergebnisse statistisch und soziologisch ausgewertet. Als Indikator des Wohlstands einer Familie wurde die Höhe der Aussteuer bei Heirat der Kinder verwendet (Borscheid & Schomerus, 1977).

Nach Etablierung erster Textilmanufakturen, als Folge der aufkommenden Industrialisie- rung durch englischen Einfluss, und mit dem Aufkommen des Metallhandwerks, im Zuge der verbesserten Methoden in der Eisenerzgewinnung, entstanden neben dem traditionel- len Handwerk und der Landwirtschaft neue Berufsgruppen. Innerhalb derer bestanden von Beginn an Unterschiede bezüglich des sozialen Ansehens, der Herkunft der Arbeiterschaft und deren Mobilität.

Das Textilgewerbe hatte einen schlechten Ruf: Die drohende Konkurrenz der aufkommen- den Manufakturen auf die Heimweberei im Verlagssystem, niedrige Löhne, außerordentlich schlechte Arbeitsbedingungen und kaum berufliche Qualifikationsmerkmale machten die- sen Beruf denkbar unattraktiv. Textilhandwerker selbst konnten ihren Kindern keinerlei finanzielle oder soziale Unterstützungen bieten, was einen hohen Grad der Positionsverer- bung erklärt. Die in der Literatur häufig vertretene Meinung, dass die Textilindustrie ihre Arbeitskräfte primär aus der Landwirtschaft bezog, trifft gem. Borscheid/ Schomerus nur für einzelne Regionen zu. Bauern verfügten - im Gegensatz zur Unterschicht in den Städten - über eine materielle Sicherheit. Somit behielten die Eltern ihre Söhne entweder auf dem heimischen Hof oder konnten ihnen eine längere Ausbildung im aufstrebenden und angesehenen Metallhandwerk finanzieren. Eine Ausnahme bildeten ländlich geprägte Weinregionen, wie z.B. Esslingen. Weingärtnerfamilien zählten mit zu den ärmsten und dominierten dennoch in der Landwirtschaft entsprechende Regionen. Textilmanufakturen bezogen ihre Arbeiter also aus einem Kontingent an Tagelöhnern, vermögensschwachen Textilhandwerkern aus dem Verlagswesen und verarmten Bauern. Hinzu kam, dass die aus den Unterschichten stammenden Fabrikarbeiter häufig in die vertrauten heimischen Fabriken gingen, anstatt in die städtischen Fabriken zu wechseln, wo die Aufstiegschancen etwas besser waren. Die soziale Stellung der Textilhandwerker und Fabrikarbeiter war schlecht, ihre Mobilität gering und dies über viele Generationen hinweg.

Die Situation der Metallhandwerker, stellt eine gänzlich andere dar: Bald erkannten die Menschen, welche Vorteile Metallwaren für ihr tägliches Leben, später auch für die Eisen- bahn oder das Militär, hatten. Der Beruf war durch seine Zukunftsorientierung sozial hoch angesehen, versprach soziale Sicherheiten und es boten sich vielfältige Betätigungsfelder mit Aufstiegschancen. Die Ausbildung war länger und kostspieliger als jene des Textilhand- werkers und erforderte eine gewisse Mobilität. Schnell war aus der Berufswahl eine Presti- gefrage geworden und wohlhabendere Eltern schickten ihre Kinder vermehrt in die Metall- industrie. Die soziale Herkunftsverteilung von Metallhandwerkern wie Schlosser oder Flaschner ist weit weniger homogen als im Textilhandwerk: wohlhabendes Bürgertum in den Städten und Landwirte führten ihre Kinder in das neue Handwerk ein, welche im Ver- lauf ihrer beruflichen Karriere unterschiedliche Aufstiegsmöglichkeiten wahrnehmen konn- ten.

Borscheid und Schomerus fanden heraus, dass je nach Gemeinde zwischen 61,5 % und 84,3 % der Textilarbeiter ihren Beruf an die Kinder „vererbten“ und im Metallhandwerk lediglich 22 % der Väter junger Arbeiter aus dieser Branche stammten.

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