Nach der Erfindung des Druckes mit beweglichen Lettern durch Johannes Gutenberg im 15. Jahrhundert stieg die Zahl der Druckerzeugnisse stark an. Die rasante technische Entwicklung im 19. und 20. Jahrhundert sowie der steigende Bedarf an Textinformationen forderten die Entwicklung neuer komplexer Maschinen zum automatischen Setzen von Textzeilen. Heutzutage entwickeln die Schriftformen (Fonts) sich im Textverarbeitungsprogramm auf dem PC im Alltagsleben zu Massenartikeln.
An heutigen Print- und Digitalmedien kann man feststellen, dass eine Beziehung zwischen Schriftform und Textinhalt vorhanden ist. Bei Zeitungen oder Romanen kommt es auf das mühelose, flüssige Lesen an. Plakate sollen vor allem auffallen, sich durch ihre eigenwillige Formen der Werbeaussagen ins Gedächtnis des Lesers einprägen. Bei wissenschaftlichen Arbeiten oder technischen Fachbüchern stehen die Wissensvermittlung, gute Lesbarkeit und ein hohes Maß an Übersichtlichkeit im Vordergrund.
Ich möchte mich in dieser Arbeit mit den Fragen beschäftigen, welche Merkmale das Medium Schrift hat und welches seine semiotischen Bedeutungen und kommunikativen Funktionen sind. Wie ist die Schrift als ein semiotisches System gekennzeichnet? Ist jedes Zeichen, jeder Buchstabe, für sich genommen ein Unikat, eine eigenständige Identität? Diese Fragen werde ich in dem Hauptteil mit den Zeichentheorien von Charles Sanders Peirce und Umberto Eco bearbeiten. Meine Untersuchung gliedert sich damit dementsprechend in drei Teile: In einem ersten Schritt wird die Charakteristik der Schriftarten und ihre Klassifikation entworfen, im Folgenden werden die Wahrnehmungsmöglichkeiten wie die ästhetische Funktion von Textgestaltung und Lesbarkeit von Schriften entwickelt und in einem dritten Schritt wird das historisch-kulturelle Gedächtnis in zwei ausgewählten Schriftarten skizziert.
Inhaltverzeichnis
1 Einleitung
2 Semiotische Funktion der Schriften
2.1 Semantisierung aufgrund kollektiver Identität
2.1.1 Charakteristik der Schriften
2.1.2 Klassifikation
2.2 Semantisierung aufgrund von Wahrnehmung
2.2.1 Die ästhetische Funktion von Textgestaltung
2.2.2 Lesbarkeit von Schriften
2.3 Semantisierung aufgrund des historisch-kulturellen Gedächtnisses
3 Fazit
4 Literaturverzeichnis
1 Einleitung
Nach der Erfindung des Druckes mit beweglichen Lettern durch Johannes Gutenberg im 15. Jahrhundert stieg die Zahl der Druckerzeugnisse stark an. Die rasante technische Entwicklung im 19. und 20. Jahrhundert sowie der steigende Bedarf an Textinformationen forderten die Entwicklung neuer komplexer Maschinen zum automatischen Setzen von Textzeilen. Heutzutage entwickeln die Schriftformen (Fonts) sich im Textverarbeitungsprogramm auf dem PC im Alltagsleben zu Massenartikeln.
An heutigen Print- und Digitalmedien kann man feststellen, dass eine Beziehung zwischen Schriftform und Textinhalt vorhanden ist. Bei Zeitungen oder Romanen kommt es auf das mühelose, flüssige Lesen an. Plakate sollen vor allem auffallen, sich durch ihre eigenwillige Formen der Werbeaussagen ins Gedächtnis des Lesers einprägen. Bei wissenschaftlichen Arbeiten oder technischen Fachbüchern stehen die Wissensvermittlung, gute Lesbarkeit und ein hohes Maß an Übersichtlichkeit im Vordergrund.
Ich möchte mich in dieser Arbeit mit den Fragen beschäftigen, welche Merkmale das Medium Schrift hat und welches seine semiotischen Bedeutungen und kommunikativen Funktionen sind. Wie ist die Schrift als ein semiotisches System gekennzeichnet? Ist jedes Zeichen, jeder Buchstabe, für sich genommen ein Unikat, eine eigenständige Identität? Diese Fragen werde ich in dem Hauptteil mit den Zeichentheorien von Charles Sanders Peirce und Umberto Eco bearbeiten. Meine Untersuchung gliedert sich damit dementsprechend in drei Teile: In einem ersten Schritt wird die Charakteristik der Schriftarten und ihre Klassifikation entworfen, im Folgenden werden die Wahrnehmungsmöglichkeiten wie die ästhetische Funktion von Textgestaltung und Lesbarkeit von Schriften entwickelt und in einem dritten Schritt wird das historisch-kulturelle Gedächtnis in zwei ausgewählten Schriftarten skizziert.
2 Semiotische Funktion der Schriften
Die Semiotik, die Lehre von der Bedeutung der Zeichen, wurde zu Beginn des 20. Jahrhunderts durch verschiedene Wissenschaftler begründet. Unter dem Einfluss der strukturalen Linguistik war die Semiotik seit Ferdinand de Saussure viele Jahrzehnte lang phonozentrisch orientiert, bis Jacques Derrida eine Abkehr vom Phonozentrismus und die Begründung einer wirklichen Semiotik der Schrift unter der Bezeichnung Grammatologie forderte. Mit der breiten Rezeption der Schriften des Amerikaners Charles Sanders Peirce in den 60er Jahren begann eine Tendenzwende. Seine Theorie hat zu einer Öffnung der Semiotik für nichtsprachliche Phänomene beigetragen. Umberto Eco hat zahlreiche Elemente der Peirceschen Semiotik in seiner Theorie assimiliert und sein Theorieentwurf betont den kulturellen und sozialen Aspekt der Semiose. Mit Peirces und Ecos Theorienschulen können die wahrnehmungs- und kognitionstheoretischen Voraussetzungen typographischer Produktion und Rezeption formuliert werden.[1]
Nach Peirce gibt es dreiwertige Relation von Zeichen bzw. eine Zeichenfunktion, wie das Verhältnis von Zeichen (Signifikant, Zeichenmittel), Bezeichneten (Zeichenobjekt, Gegenstand) und Bedeutung (Signifikat, Begriff) vorzustellen sei. [2] Aus zeichentheoretischer Perspektive kann bezüglich des Bedeutungssystems Schrift von einer denotativen und einer konnotativen Codierung ausgegangen werden. Wehde hat in ihrem Buch darauf hingewiesen:
„Diese (denotative) Codierung wirkt auf der Ebene der distinkten Letternexemplare unter Absehung von deren singulären materiellen und graphischen Merkmalen. Die denotative Codierung stellt begriffsprachliche Lesbarkeit her und ist hochgradig konventionalisiert.[3] “
Die konnotative Codierung ist eine Assoziation oder eine gedankliche Struktur und „kann auf allen Ebenen des Denotationsystems aufbauen.[4] “ Die beiden Codierungen erscheinen dabei als kulturelle Regel für die Korrelation von Elementen des
Ausdrucks (Signifikant) mit Elementen des Inhalts (Signifikat) und können durch wechselseitige Abhängigkeit entstehen. Das Signifikat ist keine exakte naturgegebene Einheit, sondern bildet eine vom Signifikant ausgesendete „kulturelle Einheit“ oder eine „gemeinsame psychische Realität“ ab.[5] Für Verständnis und Kommunikation mittels der Zeichen ist die Kenntnis der verwendeten Codierungen sehr wichtig, ansonsten erscheinen die Zeichen nicht als Zeichen.[6]
2.1 Semantisierung aufgrund kollektiver Identität
2.1.1 Charakteristik der Schriften
Jede Schrift hat einen Charakter und jede Schriftart basiert auf eigenen Kriterien und Konventionen. Es konnte gezeigt werden, dass sich nach dem heutigen Wissensstand alle modernen alphabetischen Schriften aus dem frühen Schriftbild entwickelt haben. Die Buchstaben, die kleinsten Elemente des Ausdruckssystems, “ihre jeweilige Variation und Konfiguration in den Grenzen des Erkennungscodes des Typus sind Gegenstand typographischer Gestaltungsarbeit am Zeichenträger Schrift.“[7] Allen Buchstaben werden die idealen Wortabstände und Breiten zugeordnet, um ein ästhetisches Gesamtbild des Textbildes zu erhalten. Der Formcharakter resultiert aus der Kombination verschiedener Gestaltmerkmalen, z.B. Schattenachse, Strichstärkenkontraste, Weißraum und Grauwert, Symmetrieachse usw. Diese und weitere Merkmale verleihen einer Schriftart spezifische Gestalteigenschaften. Durch ihre Formqualität und die verknüpften Empfindungen können sie sich für bestimmte Anwendungsbereiche anbieten.
2.1.2 Klassifikation
Die Schriftklassifikationen sind als Ausdrucksformen des Zeichensystems Schrift
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb.1: Beispiele von Serifenschriften (Antiqua) und serifenlose Schriften (Grotesk), Quelle: selbst erstellt.
nach verschiedenen Aspekten festzustellen. Nach dem Schriftcharakter unterscheidet man grundsätzlich Serifenschriften (Antiqua) und serifenlose Schriften (Grotesk). Unter Serifen versteht man geschwungene oder rechteckige Endstriche einer Schrift. Typische Vertreter der Serifenschriften sind die Schriftfamilien Times, Palatino, New Century und Garamond. Zu serifenlosen Schriften zählen z.B. Helvetica, Avant Garde, Gill Sans, Futura und Univers. Daneben gibt es noch weitere Klassen: Schreibschriften, Zierschriften oder Symbolschriften.
Abb.2 Baustile und Schriftgeschichte. (in: Wunsch 2012, S. 159. )
Die Entwicklung der Schrift folgt der Architekturkunst und ist immer ein Spiegel ihrer Zeit gewesen. Eine alte und feinere Segmentierung von Druckschriften findet sich in dem Normblatt DIN 16 518 aus dem Jahr 1964, die sich an den bedeutenden kunst- und kulturgeschichtlichen Epochen orientiert: Renaissance-, Barock- und
Klassizistischer Antiqua usw.. Danach werden 11 Schriftgruppen unterschieden. Jede Schriftart hat eigene stilistische Formmerkmale ihres Zeitalters, z. B. die Schriftart des Barockstils wird mit vielen feinen Zierschwüngen versehen und vermittelt einen verspielten, leichten Eindruck. Abbildung 2 scheint darin zu bestehen, dieses Erkennen auf Stile und Epochen zu beziehen und in einen Zusammenhang zu stellen. Im Computerzeitalter sind tausende Schriftarten erhältlich und ständig kommen neue dazu, die sich der alten Schriftart in historisch-chronologischer Ordnung und Gruppeneinteilung nicht eindeutig zuordnen lassen. Eine Neufassung der DIN-Klassifikation wurde durch das Deutsche Institut für Normung im Jahre 1998 modifiziert. Der neue Entwurf basiert daher auf einer Klassifikation aus zwei Grundelementen: einer horizontalen Einteilung in fünf große Schriftgruppen und einer vertikalen Einteilung dieser Schriftgruppen. Die Gestaltmerkmale kann man am besten durch einen konkreten Vergleich feststellen (siehe Abb. 3 unten).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb.3 :Klassifikationsmodell nach DIN 16518 (1998).
Neben der DIN 16 518 wurden weitere Klassifikationsversuche und -vorschläge erarbeitet. Sie dienen in Schriftmusterbüchern als Such- und Ordnungssystem für die typografische Praxis [8], z.B. stellten die Typographen Max Bollwage, Indra Kupferschmidt und Hans Peter Willberg ein Klassifikationsmodell nach dem Formprinzip vor, Gerrit Noordzijs Kategorie beruht auf der Verwendung von
Schreibwerkzeug. Einige Schrifthäuser wie FontShop, Linotype oder die H. Berthold AG haben auch eigene Einordnungsmodelle entwickelt.[9] Die Bestimmung und Ausdifferenzierung der Gestaltmerkmale ist nie abgeschlossen.
2.2 Semantisierung aufgrund von Wahrnehmung
2.2.1 Die ästhetische Funktion von Textgestaltung
Coulmas schreibt „Schrift ist nicht nur Instrument der Mitteilung, sondern auch ästhetisches Objekt.“[10] Gross bezeichnet den „semantischen Trieb“ - die Funktion der Schriften - der auf der Ästhetik der Art und Anordnung der Lettern beruht. Außerdem sollte man beobachten, dass „ sich Lesen als Verstehen von Texten nicht so einfach in visuelle und kognitive Elemente aufspalten lässt“,[11] d.h. die Erkennbarkeit von Schriften wird in Gedächtnisprozessen wie die Verarbeitung von Bildern behandelt. Die Texte werden nicht nur als sprachlich-inhaltliche Texte gelesen, sondern auch als charakteristische Bilder (außersprachlich), die mit anderen typografischen Anordnungen, zusammen wahrgenommen werden. Damit gewinnt die Anordnung der Schriften auf dieser - sichtbar gemachte Sprache - Fläche neue Bedeutung. Wenn das gesamte Erscheinungsbild als visuelle Zeichen rezipiert wird, kann eine passend assoziative Wahrnehmung ausgelöst werden. Normalerweise wird die emotionale Wirkung eines Schriftbildes vom Leser im Alltag unbewusst wahrgenommen. Wenn man einen Text in verschiedenen Schriftarten darstellt, können dadurch unterschiedliche Empfindungen ausgelöst werden. Bestimmt kennt man dieses Phänomen aus eigener Erfahrung.
Einige Schrifthäuser haben psychologische Studien über die Schriftarten durchgeführt, um die Ergebnisse der Studien vor allem in typographischen Gestaltungsarbeiten zu verwenden, z.B. bei der Drucklegung als Entscheidungshilfe für die Schriftwahl. Beispielsweise arbeitete die H. Berthold AG mit sogenannten
„Schrift-Psychogramme“, anhand derer sie ihre Schriften zuordnete. Die Schrift-Psychogramme schätzt verschiedene Adjektive von Schrifteigenschaften aufgrund semantischer Bedeutungsinhalte und Assoziationsräume ein. [12] Der Betrachter stellt zunächst an den Schriftformen synästhetische-sinnliche Eigenschaften fest und leitet daraus charakterologische Bewertungen der Gestaltmerkmale ab. Diese Gestaltmerkmale von Schriftform weisen Zeichenwirkung aufgrund codierter Reizmuster auf.[13] Wehde bemerkt, dass als das entscheidende Kriterium - für die konnotativen Eindruckswertungen von Schriftarten in der Wahrnehmung - stellt sich die kollektiven Wertungen.[14] Kollektive Wertungen basieren auf den Einfluss von fundamentalen Umwelterfahrungen und kulturell gelernter Erkennungscodes bzw. Bezeichnungskonvention aus alltäglicher Lebenspraxis. Sie bilden eine wesentliche Grundlage der Semantisierung von Schriftzeichen und sind oftmals die Grundlage für die Beurteilung, welche Schriftformen zu welchen Textinhalten entsprechen. [15] Damit wird bei der Schriftauswahl in Gebrauchstypographie davon ausgegangen, dass Schriften spezifische Charakterzüge haben, das sie für eine bestimmte Textsorte geeignet sind, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Abbildung 4 zeigt, dass die zwei vorgestellten Schriften mit Figurenverzeichnis „warm-kühl“, „weiblich-männlich“ oder „billig-teuer“ usw. in „Schrift-Psychogramme“ bewertet werden können.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 4: Beispiele von Schrift-Psychogrammen der H. Berthold AG. (in: Emst 2005, S.55. )
2.2.2 Lesbarkeit von Schriften
Fast jeder von uns hat bei den wissenschaftlichen Arbeiten mit einem Textverarbeitungsprogramm auf dem Computer die Standardeinstellung Times New Roman, Schriftgröße 12 übernommen und diese Wahl nicht weiter hinterfragt. Warum wird ein seriöser wissenschaftlicher Text nicht in „Courier “ gesetzt?
Nach dem Typograf Hermann Zapf:
"Schrift ist die sichtbare Wiedergabe des gesprochenen Wortes. Ihre Aufgabe ist in erster Linie, dass ein Text ohne Mühe, ohne Umwege und ohne den Lesefluss hemmende unnötige Verzierungen dem Leser übermittelt wird." [16]
Schrift ist auch ein Abbild der lebendigen Sprache und Erzählung und dient in erster Linie dem Leser. Die Kriterien der Lesbarkeit sind ein wichtiger Richtwert für die Verwendung von Schrift. Jedermann kann durch seine eigenen Erfahrungen belegen, dass die vorhandenen Texte gut oder schlecht lesbar sind. Schlecht lesbare Schriften führen nicht nur zu Ermüdungserscheinungen der Augen, sondern der Leser verliert auch die Lust am Lesen.
Über die Jahrhunderte haben sich an der Lesbarkeit orientierte Grundformen der Typographie entwickelt, die quasi in sekundärer Stilfunktion ästhetischer Werte mitwirken. „In der Lesbarkeit liegt also die Funktion der Schrift, in der optischen Erscheinung die Form. Auf der Verbindung von Lesbarkeit und Form beruht die Gestaltung.“[17] Die Geschichte der Lesbarkeitsforschung ist mehr als hundert Jahre alt. Bereits 1888 erschien in den USA eine Arbeit über die relative Lesbarkeit der kleinen Buchstaben.[18] Nach Albert Kaprs Zusammenfassungen lässt sich grundsätzlich Folgendes festhalten:
(1) Je detailreicher, prägnanter und eigenständiger die zusammengehörenden Buchstabenformen sind, desto lesbarer ist eine Schrift.[19]
Die Lesbarkeit von serifenlosen Schriften (Grotesken) ist gut und der Charakter dieser Schriften ist leichter und moderner. Normalerweise werden sie gerne für Werbetexte und im Verkehrsbereich eingesetzt, da diese Schriftarten gut lesbar und schnell erfassbar sind. Also ist die Verweildauer des Lesers sehr kurz und der Textinhalt kann sehr schnell erfasst werden, z.B. „Gill“, „Arial“ und „Helvetica“.
(2) Alle Schriften mit Serifen bieten eine optische Grundlinie an, die ein verbindendes Element von Buchstaben und Wörter darstellen.[20]
Serifenschriften (Renaissance-Antiqua) wie die Schriftfamilien Times, Palatino, oder Garamond sind für Mengentexte besser geeignet als serifenlose Schriften.
(3) Kleinbuchstaben sind besser erfassbar als Großbuchstaben. Die Lesegewohnheiten begünstigen den Satz in Kleinbuchstaben.[21]
Versalzeilen oder Kapitälchen eignen sich nur als Auszeichnung oder als Headline, nicht als Lesetext. Ausnahmen sind z.B. bei Urkunden zulässig.
(4) Die Schriftgröße und Form sind abhängig vom Alter, vom Beruf und den Individuellen Sehqualitäten der Leser. Für den normalen Erwachsen ist Schriftgröße von 10 oder 12 pt gut geeignet und bei größerem Grad mindert sich die Lesegeschwindigkeit.[22]
2.3 Semantisierung aufgrund des historisch-kulturellen Gedächtnisses
Ein weiterer Semantisierungsprozess basiert auf Bedeutungszuschreibungen elementarer kultureller Codierungen von Formenmerkmalen. Die konnotative Semantisierung materieller und graphisch-visueller Formen lässt sich vielfach mit deren Eigenschaften oder Merkmalen als codierte Reize erklären. Die Konnotation ist nach Eco von kulturellen Faktoren abhängig. Er beschreibt die Konnotation als:
„[...] die Summe aller kulturellen Einheiten, die das Signifikans dem Empfänger institutionell ins Gedächtnis rufen kann. Diese ,kann‘spielt nicht auf psychische Möglichkeiten an, sondern auf eine kulturelle Verfügbarkeit“.[23]
So kann Schriftzeichen als kulturelle Codierungen verstanden werden, dass der Sinn für das Gemeinsame wächst, das Bewusstsein der Zugehörigkeit zu einem Kulturkreis, zu einer Gruppe oder zu einer kollektiven Identität, deren Bindeglied nicht zuletzt die Schrift und ihre Gestalt selbst ist. Schrift als System ist nicht nur Vermittler, sondern gleichzeitig Symbol einer Kultur.[24] Hier ist die Funktion der Schrift, als Gedächtnis der Kultur dienen zu können. Ein Zeichen kann nur durch ein weiteres Zeichen gedeutet werden. Ein Ausdruck signifiziere grundsätzlich keinen Gegenstand, sondern übermittle stets eine kulturelle Einheit.[25] Die mittelalterliche Unziale- oder Halbunzialschrift sind eine „veredelte Form der älteren römischen Kursiv“[26] und werden häufig mit Vorstellungen wie Religiosität und Sakralität gedeutet, weil diese Schriftkunst damaliger Zeit mit der Entwicklung der Kirche eng verbunden war. Sie enthalten nicht nur eigene Merkmale, die künstlerische-dekorative Art der Seitengestaltung (mit verschnörkelten Zierbuchstaben, verwirrende Ornamentik usw. ,
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 5: Angelsächsische Halbunziale siehe Abb. 5X sondern werden auch häuflg für den aus dem Evangeliar von Lindisfarne.
Satz religiöser oder kirchlicher Texte eingesetzt.27 Um 700 (in: Kapr 1971, S. 49. )
Aufgrund der Kenntnis um die typische Anwendungsbereich wurde eine Verknüpfung zum Begriffsfeld „ Religiosität und Sakralität “ hergestellt, ihre Formensprache erlangt eine wichtige Aussage als Funktionszeichen - also als Zeichen ihrer kulturell typischen Bedeutung - mittels Korrelation typographischer Formen mit Inhaltseinheiten, welche auf dem Wissen um deren Entstehungsgeschichte oder gestalterischen Gebrauch basieren.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 6: zwölf Merksätze über die deutsche Schrift. Verfasst von Max Schlegel. Unidatiert. (in: Hartmann 1998, S. 349. )
Seit dem 16. Jahrhundert spielten die gebrochenen Schriftarten (wie Schwabacher, Fraktur) wichtige Rollen im europäischen Kulturraum. Im Laufe des 19. Jahrhunderts, wegen des Fraktur - Antiqua Schriftstreits, entschieden sich viele europäische Länder für die Verwendung von Antiqua als Normalschrift, nur in Deutschland war sie eine Ausnahme. Am 1. Apr 1918 wurde in Berlin der Bund für deutsche Schrift gegründet, dessen Intentionen und Motive sich unter folgendem Motto zusammenfassen lassen: „Deutsche Schrift für deutsches Wort.“[27] [28]
Zur Zeit des Nationalsozialismus erlebte die Fraktur insbesondere als Auszeichnungs-, aber auch als Textschrift zunächst eine Renaissance. Ebenso wie die Sprache wurde allerdings auch diese Schriftart ab 1933 in den Dienst der braunen Ideologie gestellt.
Sie wurden für politisch-propagandistische Wirkungsabsichten und zielgruppenspezifische Ansprache genutzt. Außerdem lernten an damaligen deutschsprachigen Schulen alle Schüler gebrochene Schriften lesen und schreiben. Durch den Erlass des späteren Reichsleiter Martin Bormann vom 3. Januar 1941 wurden die gebrochenen Druckschriften (insbesondere die Fraktur) verboten[29]. Danach verschwand auch in Deutschland diese Schriftart als Gebrauchsschrift aus dem Alltag. Heutzutage sind die Fraktur und alle gebrochenen Schriften eine historische Erscheinung in Deutschland. Die kulturelle Semantisierung war weder mit dem Normal-Schrift-Erlass noch mit dem Ende des Dritten Reiches abgeschlossen. Diese Schriftart wird häufig als Kernelement von Werbestrategien zielgerichtet eingesetzt, beispielweise speziell für Zeitungsköpfe, Biermarken, Gaststätten und für andere Produkte entworfene Logo-Schriftzüge[30]. Als typographisches Stilmittel stehen sie hier für eine gewisse Altertümlichkeit, Geschichtsträchtigkeit, Traditionsbewusstsein oder bäuerliche Einfachheit, um beim Betrachter spezifisch gesteuerte Konnotationsketten auszulösen.
Durch die obengenannten zwei Schriftarten möchte ich zeigen, dass Schriften und deren Formensprache unterschiedliche kulturelle Inhaltskomplexe ihrer jeweiligen Zeit widerspiegeln. Derartige konnotative Codierungen entwickeln häufig einen derartig ausgeprägten Wirkmechanismus, dass sie ihre Botschaft auch ohne jeden kontextuellen Bezug transportieren, sondern eine gesamte Identität oder kulturelles Gedächtnis verleihen.
3 Fazit
Schriften entwickelten wirkungsvolle ästhetische und konzeptuelle Charakteristika, die einen spezifischen Ausdruck ihres Zeitalters ermöglichten. Durch verschiedene Kriterien wie charakterologisch-wertende Bewertungen der Schriftmerkmale, historische Hintergründe und kulturelle Konventionen können Schriftarten eingeordnet werden. Manche traditionelle Schriftarten wie Garamond - die im 16. Jahrhundert entstand - werden heute noch beliebt verwendet. Ich glaube, dass diese klassischen Schriftarten einerseits das Kulturgedächtnis überliefern und andererseits kommunikativen Funktionen enthalten, so wie gute Lesbarkeit oder eine gewisse harmonische Ästhetik darstellen. Manche Schriftarten stellen ein Zeichensystem von Signifikanten zur Verfügung, wegen spezifischer Identitätsbildungsprozesse wie Kirchenmacht oder politischer Propaganda. Sie versweisen als materiell repräsentierende Zeichen auf Signifikate und resultieren aus einer kulturellen Zuweisung. Außerdem sind sie nur durch kulturelles, soziales und individuelles Erlernen des Zeichenhaften vermittelbar. Ohne die Kenntnis der Zeichenelemente der Codierungen, der kulturellen Einheit in Verbindung mit der zugeordneten Vorstellung ist ein Zeichensystem als solches nicht zu verstehen.
Die spezifischen Eigenschaften von Schriften erweisen sich als Grundlage der Gestaltungspraxis und der Möglichkeiten, durch sie inhaltliche Information und semantische Bedeutung sinnvoll zu vermitteln. Die Möglichkeiten, die Informationsübertragung positiv oder negativ zu beeinflussen, sind vielfältig. Ein gelungen gestalteter Text kann nicht nur Gedanken und Assoziationen beim Leser hervorrufen, sondern hat auch einen direkten Einfluss auf seine Attraktivität, Emotionalität, Lesbarkeit und visuelle Hierarchie. Die Typografen und Mediengestalter sollen im Kombination mit einem soliden Wissen über die Schriftgeschichten verfügen, um Schrift auf diese Weise richtig einsetzen zu können, ganz nach dem Motto Marshall McLuhans „The Medium ist the message“.
[...]
[1] Vgl. Wehde 2000, S. 54-59.
[2] Vgl. Trabant 1989, S. 30.
[3] Wehde 2000, S. 86.
[4] Ebd. S. 88.
[5] Vgl. Volli 2002, S.21f.
[6] Vgl. Eco 1972, S. 89.
[7] Wehde 2000. S.81
[8] Vgl. Wehde 2000, S. 85.
[9] Vgl. Franzki 2011, S.142ff.
[10] Coulmas 1989, S. 127.
[11] Gross 1994, S. 60.
[12] Vgl. Franzki 2011, S. 144f.
[13] Vgl. Wehde 2000, S. 151.
[14] Der Term „kollektive Wertung“ geht auf Hjelmslev zurück. Er bezeichnet damit Niveaus der Bedeutungskonstitution, die z. B. einen Laut als hell oder dunkel erscheinen lassen. Die Beschreibungssprache kollektiver Wertungen setzt sich nach Hjelmslev vornehmlich aus Begriffen der Alltagssprache (häufig synästhetischen Charakters) zusammen, die meist hochgradig (gegenstands- ) unspezifisch und abstrakt sind, deshalb aber geeignet, sehr allgemeine, fundamentale Vorstellungen mitzuteilen, die einer Gesellschaft eigen sind (nach Thürlemann 1990, 36). Zitiert nach Wehde 2000, S. 152.
[15] Vgl. Wehde 2000, S. 153.
[16] Hermann Zapf, geb. 8.11.1918 in Nürnberg, ist ein Typograf, Kalligraf, Auto und Lehrer. Bislang entwarf er über 200 Schriften und die bekanntest ist Palatino.
[17] Korger 1994, 13
[18] Vgl. Kapr 1971, S.265.
[19] Vgl. ebd. S. 266.
[20] Vgl. ebd. S. 266.
[21] Vgl. ebd. S. 266.
[22] Vgl. ebd. S. 267.
[23] Eco 1972, S.108.
[24] Vgl. Coulmas 1981, S. 15. Vgl. Eco 1987, S. 93.
[25] Kapr 1971, S. 39.
[26] Vgl. Nerdinger 1954, S. 206.
[27] Der Fraktur und Antiqua Schriftstreit begann bereits Anfang des 19. Jahrhunderts ins Zentrum der typographischen Diskurssion. In der Goethezeit steht der Streit in Zusammenhang mit der Entwicklung von klassischer Werkästhetik und der Bemühungen um eine Kanonisierung deutscher Nationalliteratur. Anfang des 20. Jahrhunderts kommt der Streit zur nationalistischen Ideologisierung und zum Kollektivsymbol. Vgl. Wehde 2000, S. 16.
[28] Vgl. Hartmann 1998, S. 87, 95.
[29] Vgl. Lechner 1981, S. 157. Die Kopie des Originaldokuments siehe Hartmann 1998, S. 435
[30] Vgl. Franzki 2011, S. 224.