Menschenrechte mit universellem Geltungsanspruch können nicht nur intuitiv legitime Werte schützen, sondern müssen auch sinnvoll auf die menschliche Würde als Anspruch auf Anerkennung subjektiver Verantwortung rückführbar sein. Diese These wird das Lösungsangebot auf die im Folgenden rechtsphilosophisch in den Bick genommene Problematik der universellen Geltung von Menschenrechten sein.
Hierfür wird komprimiert dargestellt, woher die Idee und der Begriff der Menschenrechte kommen und welchen Charakter sie aus heutiger Sicht haben. Darauf folgt die Frage, ob Menschenrechte unter den Begriff des Rechts passen, um schließlich die Begriffe Universalität und nationale Vielfalt näher zu betrachten. Die gewonnene Klarheit dient alsdann einer Skizzierung des Problems und einer Übersicht über allgemeine Begründung des universellen Geltungsanspruches der Menschenrechte. Ein knapper Überblick soll auch über die universellen Inhalte und deren Ermittlung geschaffen werden.
Von hier aus können nun einzelne Philosophen und deren Positionen exemplarisch für die aktuelle Diskussion beschrieben und unterschieden werden.
Zu den zwei Hauptfragestellungen der Geltung und der Ermittlung der Inhalte der universellen Menschenrechte sollen die Positionen von Martha Nussbaum, Jürgen Habermas und Heiner Bielefeldt auf ihre wesentlichen Aussagen hin untersucht werden. In einer abschließenden eigenen Stellungnahme wird dann eine knappe Kritik an diesen Positionen geübt, die letztlich zu der eingangs aufgestellten These führt. Soll dieses ambitiöse Projekt gelingen, so ist in seiner räumlichen und zeitlichen Begrenztheit eine sporadische Detailverkürzung der einzelnen Darstellungen schlechterdings zwangsläufig.
GLIEDERUNG
A. Einleitung
B. Begriffe
I. Die Idee der Menschenrechte
1. Zusammenfassung ihrer Geschichte
2. Charakter der Menschenrechte aus heutiger Sicht
II. Menschenrecht als Recht?
III. Universalität vs. nationale Vielfalt
C. Problemstellung
I. Allgemeine Begründung des universellen Geltungsanspruches
1. Was wird begründet?
2. Wie wird dies begründet?
II. Ermittlung universeller Inhalte
D. Die philosophische Begründung der universellen Geltung von Menschenrechten bei Nussbaum, Habermas und Bielefeldt
I. Nussbaum
1. Inhalte des Capability Approach
2. Begründung des Ansatzes
3. Rolle des Rechts
4. Nussbaums Abgrenzung zu anderen Ansätzen
II. Habermas
1. Was versteht Habermas unter Menschenrechten?
2. Wie sollen die Menschenrechte implementiert werden?
3. Abgrenzung der Diskurstheorie
III. Bielefeldt
1. Der Anspruch der Menschenrechte
2. Charakter der Menschenrechte
E. Stellungnahme
I. Bewertung der Standpunkte
1. Nussbaum
2. Habermas
3. Bielefeldt
II. Eigene Standpunktverortung
LITERATURVERZEICHNIS
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A. Einleitung
Menschenrechte mit universellem Geltungsanspruch können nicht nur intuitiv legitime Werte schützen, sondern müssen auch sinnvoll auf die menschliche Würde als Anspruch auf Anerkennung subjektiver Verantwortung rückführbar sein. Diese These wird das Lösungsangebot auf die im Folgenden rechtsphilosophisch in den Bick genommene Problematik der universellen Geltung von Menschenrechten sein.
Hierfür wird komprimiert dargestellt, woher die Idee und der Begriff der Menschenrechte kommen und welchen Charakter sie aus heutiger Sicht haben. Darauf folgt die Frage, ob Menschenrechte unter den Begriff des Rechts passen, um schließlich die Begriffe Universalität und nationale Vielfalt näher zu betrachten. Die gewonnene Klarheit dient alsdann einer Skizzierung des Problems und einer Übersicht über allgemeine Begründung des universellen Geltungsanspruches der Menschenrechte. Ein knapper Überblick soll auch über die universellen Inhalte und deren Ermittlung geschaffen werden.
Von hier aus können nun einzelne Philosophen und deren Positionen exemplarisch für die aktuelle Diskussion beschrieben und unterschieden werden. Zu den zwei Hauptfragestellungen der Geltung und der Ermittlung der Inhalte der universellen Menschenrechte sollen die Positionen von Martha Nussbaum, Jürgen Habermas und Heiner Bielefeldt auf ihre wesentlichen Aussagen hin untersucht werden. In einer abschließenden eigenen Stellungnahme wird dann eine knappe Kritik an diesen Positionen geübt, die letztlich zu der eingangs aufgestellten These führt. Soll dieses ambitiöse Projekt gelingen, so ist in seiner räumlichen und zeitlichen Begrenztheit eine sporadische Detailverkürzung der einzelnen Darstellungen schlechterdings zwangsläufig.
B. Begriffe
Zuvorderst führt eine Begriffsklärung näher an den Kern der Thematik heran.
I. Die Idee der Menschenrechte
Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (AEMR) vom 10.12.1948 kodifiziert Schutz und Garantien von elementaren Lebensinteressen, basalen Freiheiten und elementaren politischen Partizipationschancen. Menschenrechte bezeichnen üblicherweise subjektive Rechte mit universellem, kategorischem und egalitärem Geltungsanspruch für Menschen – und zwar qua Menschsein.1 Dies ist zunächst unabhängig davon, wie Menschenrechte letztlich begründet werden und welchen Inhalt sie haben sollen. Es lässt sich konstatieren, dass der Begriff der Menschenrechte uA schon mit dem Selbstverständnis der Universalität konnotiert ist und zur besseren Übersichtlichkeit daher bei Gegenmodellen, welche auf die nationale Vielfalt fundamentaler Rechte abstellen, semantisch sinnvoll von Grundrechten oder aber Bürgerrechten gesprochen werden sollte.2 Dies wird jedenfalls im Folgenden getan.
1. Zusammenfassung ihrer Geschichte
Die Geschichte der philosophischen Grundlagen der Menschenrechtsidee3 soll im Folgenden nur kurz umrissen werden, da mit der weitgehenden Kodifizierung und Aufnahme der Menschenrechte in das Völkerrecht die Existenz dieser Rechte nicht mehr in Frage gestellt wird, sondern nur deren Geltung, die allein politisch-philosophisch oder rechtlich betrachtet werden kann.4 Sie ist aber wesentlich für das Verständnis der drei hier behandelten Philosophen.
Aristoteles entwickelte Platons Ansatz, dass nur jene Gesetze verbindlich seien, die sich als Ausfluss der Vernunft darstellen,5 dahin fort, dass der Staat nicht nur das Leben und die Güter seiner Angehörigen schützt, sondern auch die Entfaltung ihrer natürlichen Anlagen fördert.6 Dieser Entwicklung fügt die Stoa dann den Gedanken hinzu, dass die Menschen durch ihre Vernunft an der Weltvernunft des Logos teilhaben.7 Bei Aristoteles findet der Mensch noch in der Polis seine höchste Vollendung,8 während die stoische Lehre den Menschen in seinem tiefsten Wesen nicht als Staatsbürger sondern als Glied eines höheren Reiches begreift.9 Diese Lehre lässt sich im späteren Christentum finden, wo der Vielheit der Staaten eine einheitliche Weltkirche gegenübersteht, deren Reich das tiefere Wesen des Menschen in das Überirdische einbindet und ihm somit relativ zu anderen Lebewesen eine besondere Würde zukommen lässt. Die Rechte des Gottesreiches gelten universell und unabdingbar von den irdischen Ordnungen. Demnach besteht ein Zusammenhang der Menschenrechte mit der Würde des Menschen.10
Thomas von Aquin kennt in seiner Rezeption Aristoteles geistige Werte als Grenze der Unterordnung des Einzelwohls gegenüber dem Gemeinwohl,11 da die Würde den Staat überragt.12 Erst mit Machiavelli und Hobbes wird im 16. bzw. 17. Jahrhundert in Zweifel gezogen, dass das ius divinum und das Naturrecht auch alle Staatsgewalt banden. In ihrem antihumanistischen Weltbild, kommt dem Menschen keine besondere Würde zu. Vielmehr setzt sich die absolute Staatsgewalt unbegrenzt auch gegen Grund- und Menschenrechte durch.13 Hier wird der Zusammenhang der Würde mit den Menschenrechten also negativ bewiesen.14
Die Reaktion der säkularisierten Naturrechtslehre der Neuzeit, geprägt durch Grotius, Althusius und Locke im 17. Jahrhundert, ist eine erneute Forderung nach Begrenzung der Staatsgewalt zu Gunsten der Individuen.15 Pufendorf leitete dann aus der natürlichen Würde des Menschen die Menschenrechte der Freiheit und der Gleichheit ab, sieht aber zugleich in der Demokratie die ständige Gefahr der Aufhebung dieser Rechte durch Mehrheitsbeschluss.16 Zwangsläufig müssen bei ihm Menschenwürde und die abgeleiteten Menschenrechte dem Staat vorgelagert sein. Diese Ideen fanden Eingang in das später vorherrschende Staatsdenken Amerikas.17
Auch Kant greift den säkularisierten Humanismus auf und vertritt, dass das moralische Gesetz dem Menschen ein von der ganzen Sinnwelt unabhängiges Leben offenbare und ihn als moralisches Wesen im Reich der Sittlichkeit mit allen anderen Vernunftwesen verbände.18 Aus dieser Verbindung ergibt sich die nur dem Menschen eigene Würde, aus der Kant wiederum ableitet, dass das positive Recht die Freiheit des einzelnen nicht weiter beschränkt, als es notwendig ist, die Freiheit aller zu sichern.19 Die Freiheitsrechte seien gar unverlierbare Rechte, da ein Mensch sie nicht aufgeben könne, ohne selbstwidersprechend zu handeln.20 Die Würde und damit die Freiheitsrechte sind also Anleitung des positiven Gesetzgebers.21 Nach Alfred Verdross ist diese Idee in die Formulierung der AEMR von 1948 eingeflossen,22 was einen Gedanken darstellt, welcher sich nach einer Lektüre, insbesondere der Präambel der AEMR, problemlos nachvollziehen lässt. Dennoch sollte man nicht alle in der Geschichte vorkommenden Begriffe, wie die der Würde, Freiheit und Gleichheit unreflektiert mit der heutigen Bedeutung aufladen, sondern sich stets der begrenzten Aussagekraft einer vom heutigen Standpunkt aus systematisierten Darstellung bewusst sein und entsprechend daher nicht von einer zwangsläufigen Genese der Menschenrechte ausgehen.23
Der endgültige Durchbruch der Menschenrechte auf internationalem Parkett war auch nicht so sehr der Ideengeschichte geschuldet, sondern kann mit guten Gründen als Reaktion auf die „politisch-moralische Katastrophe“ der beiden Weltkriege zurückgeführt werden, wurde doch in höchstem Maße verdeutlicht, dass der Staat nicht nur Rechtsgarant, sondern auch die größte Bedrohung für die Menschenrechte darstellt.24 Mehr denn je schien ein Bedarf nach einem vorrangigen „Recht, Rechte zu haben“ offensichtlich. Dieses Recht sollte durch die zahlreichen Menschenrechtspakte positiv normiert werden, auch wenn die AEMR zunächst nicht direkt rechtlich bindender Natur war, so war sie Vorlage für weit verbreitete Menschenrechtspakte und -verträge. Zudem sollten normierte Menschenrechtstandards internationalem Frieden und Sicherheit dienen.25 Der unmittelbare Erfolg der AEMR iSe Verstetigung in Völkergewohnheitsrecht war insofern eingeschränkt, als ihr Beschluss mit dem Anfang des kalten Krieges zusammenfiel.26
2. Charakter der Menschenrechte aus heutiger Sicht
Die Formulierungen der AEMR und der weiteren Menschenrechtsabkommen, die eine flächendeckende Verbreitung erfahren haben,27 prägen das heutige Bild der Menschenrechte.28 Deren Charakter jedoch ist immer noch sehr umstritten. Prima facie können eine strikt juridische Auffassung und eine rein moralphilosophische Sicht unterschieden werden. Davon grenzt sich wiederum eine Anschauung ab, die das Augenmerk auf die politischen Verfassungsprozesse legt.29
In der ersteren sind vorstaatliche Rechte nicht denkbar, denn für sie werden Rechte allein durch Gesetze gewährt, die einklagbar und durch Gewalt staatlicher Sanktionsinstanzen durchsetzbar sind. Die zweite Ansicht vertritt das Gegenteil, wenn für sie Menschenrechte den staatlichen Rechtsverhältnissen immer schon voraus gehen. Unabdingbare oder unentziehbare Menschenrechte können ihren Ursprung nur in einer (über- oder) vorstaatlichen Ordnung haben, da Ordnungen von Einzelstaaten, Staatenbünden oder Staatengemeinschaften – zwar zuweilen schwer, aber doch – immer abänderbar sind.30 Sie können dann aber nur appellativ eingefordert werden. Die Betonung der politischen Verfassungsprozesse hingegen begreift Menschenrechte als politische Ansprüche, die primär an die öffentliche Ordnung adressiert sind und in dieser auch erst in einer Form der Selbstverpflichtung der Ordnung begründet werden.31
Diese drei Dimensionen der Menschenrechte begründen eine konzeptionelle und empirische Spannung zueinander, die von den jeweiligen Positionen nach einer Seite hin aufgelöst werden müsste. Ferner können Aussagen über die Verwirklichung der jeweiligen Dimension gemacht werden. Etwa durch welches institutionelle System die Menschenrechte als Recht gedeckt sind, oder durch welche spontanen moralischen Prozesse sie zur Geltung kommen.32
II. Menschenrecht als Recht?
Der Begriff des Menschenrechts legt zumindest in der deutschen Sprache die Frage nah, inwiefern Menschenrechte als Recht bezeichnet werden können. Beim Nachgehen der Frage freilich, was Recht ist, wird man bekanntlich einen so bunten Strauß an Antworten bekommen, dass es den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde, diese Kontroversen hier darzulegen. Es soll daher, der Einfachheit halber, kurz darauf eingegangen werden, inwiefern man von Menschenrechten als juridischen Rechten sprechen kann. Wichtiges Abgrenzungsmerkmal hierfür ist dessen formalisierter Erlass, Setzung und Durchsetzung.33 Erlass und Setzung lassen sich wohl als Verankerung der Menschenrechte in Verträgen konstatieren, auch wenn sie noch immer nicht allseits ratifiziert sind und dies wohl auch nicht für die nächste Zeit zu erwarten ist. Manche Verträge werden sogar an nationalen und internationalen Gerichtshöfen durchgesetzt bzw. sind durchsetzbar, was wohl dafür spricht das zumindest Teile der Menschenrechte schon (zumindest völkergewohnheits-)34 rechtlich gelten.35 Für die Durchsetzung könnten die Kriterien durch die allgemeinen Anforderungen des Völkerrechts abgeschwächt werden und mehr auf eine faktische Wirksamkeit iSe soft laws abgestellt werden.36 Dann könnte man gar von einem Kern der Menschenrechte sprechen, der so verstetigt und anerkannt ist, dass er bereits ius cogens geworden ist.37 Dies gilt in Institutionen wie der Europäischen Menschenrechtskonvention und dessen Straßburger Gerichtshof ohnehin.38 Eine weitere Entspinnung kann hier nicht fortgesetzt werden und braucht es auch insofern nicht, als die Universalitätsbegründung schon damit nicht obsolet wird, dass unter den genannten Mindestkriterien nicht alle Menschenrechte in positives Recht umgewandelt wurden, geschweige denn universell durchsetzbar sind.39 Es kann also im Folgenden primär nur darum gehen, wie die Universalität von Menschenrechten auf politisch-moralischer Ebene zu begründen sein könnte und welche richtigen Inhalte sie haben könnten.40
III. Universalität vs. nationale Vielfalt
Es fehlt noch eine Klärung der Begriffe der Universalität und der nationalen Vielfalt. Universalität meint einen weltweiten Geltungsanspruch für alle Menschen, gleich welcher Nation, Herkunft, Rasse, sexuellen Gesinnung und Geschlechts. Dieser universelle Geltungsanspruch kann rechtlich und moralisch verstanden werden. Menschenrechte wären dann entweder universell verbindliche Rechte (mit spiegelbildlichen Pflichten zu Wahrung und Garantie) oder rein moralische Grundwerte die universell oberste Geltung genießen. Letztlich können sie aber auch eine Kombination von beidem darstellen und sowohl rechtlich als auch moralisch verbindlich und privilegierend sein.
Im Gegensatz zu universeller Geltung könnte man auch die rein partikulare Geltung in nationaler Vielfalt untersuchen. Diesen Ansatz, sich allein auf in nationalen Verfassungen gewährte Grundrechte und Bürgerrechte zu beziehen, teilen die skeptizistischen, postmodernen, pluralistischen und kommunitaristischen Ansichten. Auch der Liberalismus eines John Rawls hält lediglich liberale Freiheitswerte für universalisierbar und andere Menschenrechte für abtrennbar und nur auf nationaler Ebene zu gewähren.41
C. Problemstellung
I. Allgemeine Begründung des universellen Geltungsanspruches
Die Begründung des universellen Geltungsanspruches kennt verschiedenste Formen, wovon detailliert drei explizite Positionen noch näher erläutert werden sollen. Zunächst soll aber gefragt werden, was begründet werden soll und dann allgemein zusammengefasst werden, wie begründet wird.
1. Was wird begründet?
Die Menschenrechte werden verschiedentlich als moralisch oder rechtlich geltend begründet. Dabei muss ihr prinzipieller Charakter als subjektive Anspruchsrechte mit universellem, egalitärem und kategorischem Geltungscharakter auf solides Fundament gestellt werden.
2. Wie wird dies begründet?
Hier lassen sich exemplarisch fünf Kategorien von Begründungen knapp zusammenfassen. Der christlich-theologische Ansatz stellt auf die Gottesebenbildlichkeit der Menschen und der daraus notwendigen gegenseitigen Anerkennung als solche Wesen ab, wobei die Rechte dann nicht nur einen Anspruch des Individuums, sondern auch Gottes selbst, auf Achtung der basalen Rechte begründen.42 Das offensichtliche Problem dieses Ansatzes ist seine Exklusivität hinsichtlich Anders- oder Nichtgläubiger. Der metaphysische Ansatz hingegen baut heute für gewöhnlich auf die Prämissen Kants auf und versucht die Würde als absoluten Wert der menschlichen Natur zu begründen, aus dem sich die Menschenrechte wiederum zum Schutz der Würde in gegenseitiger Anerkennung ableiten. Das Problem dieser Begründung ist, die Prämisse empirisch nicht zu rechtfertigen ist.43
Tradition hat auch der anthropologische Ansatz, der basale Interessen oder Fähigkeiten des Menschen in den Mittelpunkt stellt und schützen möchte. Diese sollen zwar empirisch verifizierbar sein, es scheint aber immer der naturalistische Fehlschluss am seidenen Faden als Beil über dessen Haupte zu schweben.44 Seit der Moderne gibt es ferner die vertragstheoretische Betrachtungsweise, die einen fiktiven Tauschvertrag aller Menschen denkt, in dem ein jeder die basalen Rechte des anderen anerkennt. Problematisch ist hier eben jene Anerkennung, die vernunftrechtlich begründet wird und sich diskursiv rechtfertigt. Es drängt sich die Frage auf, wie Vernunft bestimmt werden soll und ob nicht auch aus vernünftigen Interessen der stärkere dem schwächeren die Anerkennung verweigern müsste. Schließlich kann noch eine praxeologische Richtung ausgemacht werden, die aus praktischen und kontingenten Lernprozessen entstandene menschenrechtliche Einstellung der Anerkennung bereits voraussetzt, sie aber nicht als notwendig letztbegründet.45
Letztlich haben alle Ansätze konkretere Ausformungen erfahren und nicht alle Begründungsansätze sind hiermit genannt. Dennoch hilft diese generelle Übersicht, die enorme Vielfalt etwas greifbarer werden zu lassen.
[...]
1 HB polit Phil, Lohmann/Pollmann, S. 806; Engi, S. 136, 153.
2 Grundrechte sind dabei verfassungsrechtlich garantierte Rechte aller Menschen in einem Staate, während Bürgerrechte sinnhaft als diejenigen unterschieden werden können, die nur den Angehörigen des betreffenden Staates zustehen: Engi, S. 153; HB polit Phil, Lohmann/Pollmann, S. 806.
3 Inwiefern retrospektive chronologische Entwicklungsschemata auch problematisch sein können, wird bei der Darstellung der Position Bielefeldts unter D. III 2. noch thematisiert.
4 Vgl. Nickel, unter 2. und 4., die Frage ist aber eben nicht „obsolete“ (4.), da Philosophie und Wissenschaft der Realpolitik mE durchaus auch außerhalb der Kodifikationen gute Begründungen entgegenhalten muss, wenn diese Menschenrechte als Verhandlungsmasse betrachtet.
5 Platon, Nomoi, III, 688; Verdross, S. 569.
6 Aristoteles, Nik. Ethik, Kap. 2, III-XII; Verdross, S. 569.
7 Verdross, S. 569.
8 „glückselig sein als eins“: Aristoteles, Nik. Ethik, Kap. 2, III-XII; Verdross, S. 569.
9 Verdross, S. 569; Engi, S. 174.
10 Verdross, S. 569 f.; vgl. auch Bielefeldt, EinwGesellschaft, S. 43; und zwar eine allgemeine und gleiche Menschenwürde, nicht etwa eine abgestufte Standeswürde; dazu: Bielefeldt, Pluralität, S. 8 f.
11 Aquinas, Commentary on ethics, III, lect. 14, nos. 538, 542; Aquinas, Summa Teol., I-II, Q. 6, Art. 4; Verdross, S. 570.
12 Verdross, S. 570.
13 ders.; Bielefeldt, Pluralität, S. 5.
14 Verdross, S. 570 f.; vgl. auch Bielefeldt, EinwGesellschaft, S. 43.
15 Verdross, S. 570.
16 „[…]Alike absurd is it to pretend, that there is not more Security against the Abuse of Power in a limited, than in an absolute, Government“: Pufendorf, Of the law of nature and nations, VII, cap. 6/8 (S. 702); Verdross, S. 570.
17 Verdross, S. 570.
18 Kant, Kritik der reinen Vernunft, S. 525 f.; Verdross, S. 572.
19 Kant, Methaph der Sitten, S. 230; Verdross, S. 572.
20 Bielefeldt, EinwGesellschaft, S. 30; Kant, Über den Gemeinspruch, S. 304.
21 vgl. auch Verdross, S. 572.
22 ders.
23 Bielefeldt, EinwGesellschaft, S. 45 f.
24 HB polit Phil, Lohmann/Pollmann, S. 808.
25 Nickel, unter 5.1.; Engi, S. 155; HB polit Phil, Lohmann/Pollmann, S. 808.
26 Nickel, unter 5.1.
27 Jeder UN-Mitgliedsstaat ist Teil mindestens eines der Hauptmenschenrechtsverträge und 80% der Staaten haben vier oder mehr dieser Verträge ratifiziert: Bayefsky, S. 10.
28 vgl. Nickel, unter 5.1.
29 HB polit Phil, Lohmann/Pollmann, S. 808.
30 Verdross, S. 570.
31 HB polit Phil, Lohmann/Pollmann, S. 808.
32 Engi, S. 135.
33 Engi, S. 135 f.
34 Engi, S. 155.
35 vgl. Engi, S. 136.
36 vgl. Engi, S. 149 f.
37 Engi, S. 155 ff.
38 Engi, S. 162 f., 167.
39 auch wenn teils von einer Verrechtlichung der Menschenrechte gesprochen wird: Engi, S. 169, zeigt ja gerade dieser Begriff, dass sie noch nicht umfassend verrechtlicht sind.
40 Engi, S. 143.
41 vgl. HB polit Phil, Lohmann/Pollmann, S. 810 f..; Nussbaum, Capabilities and HR, S. 283 f.
42 Bielefeldt, Pluralität, S. 23.
43 HB polit Phil, Lohmann/Pollmann, S. 809.
44 ders. S. 809.
45 ders. S. 810.