Der Zusammenhang von motorischer Aktivität und kognitiver Entwicklung
Eine Literaturübersicht
Zusammenfassung
In der Wissenschaft wird schon länger ein Zusammenhang zwischen motorischer Aktivität und kognitiver Entwicklung vermutet. Dieser Gedanke wurde bereits im 18. Jahrhundert von den Philantropen um GutsMuths aufgefasst und praktisch umgesetzt. Als Begründer der modernen Form von Leibesübungen verfolgte dieser das Ziel, eine ganzheitliche Entwicklung von Körper und Geist anzustreben (Landessportbund Thüringen e.V., 2009). Im Laufe der Zeit wurde diese Idee immer wieder aufgegriffen und umgesetzt.
Heute gibt es bereits zahlreiche Konzepte, die sich auf den vermuteten Zusammenhang stützen, so z.B. das Konzept ,Bewegte Schule’. Hinter diesem steckt der Grundgedanke, so viel Bewegung wie möglich in den Schulalltag zu integrieren. Dazu gehören nach Thiel, Teubert und Kleindienst-Cachay (2009) beispielsweise Bewegungspausen im Unterricht, sämtliche Formen des , bewegten Lernens’, Sportunterricht oder ,bewegte Pausenhofgestaltung’. Das Konzept wird mittlerweile bereits an vielen Schulen verpflichtend eingeführt und dazu in seinen Inhalten und Begründungsmustern immer wieder verändert und angepasst.
In der modernen Forschungsdiskussion gibt es zu diesem Thema zahlreiche Untersuchungen. Als messbarer Indikator für motorische Entwicklung wird dabei größtenteils eine motorische Aktivität in Form von Bewegung oder Sport zugrunde gelegt, als Indikator für die kognitive Entwicklung eine Beurteilung anhand von Schulleistungen. Jedoch stellt sich der „Forschungsstand zum Zusammenhang zwischen motorischer Aktivität und kognitiver Entwicklung nach wie vor inkonsistent dar“ (Payr, 2011, S. 9). Auch Burrmann und Stucke (2009) kommen zu dem Ergebnis, dass neuere Studien zwar eher positive Zusammenhänge zwischen[...]
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Tabellenvrzeichnis
1 Einleitung
1.1 Motorische Entwicklung
1.2 Kognitive Entwicklung
2 Forschungsstand / Literaturübersicht
3 Zusammenfassung und Ausblick
Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abb. 1. Differenzierung motorischer Fähigkeiten (Bös, 1987, S. 94 nach Payr, 2011, S. 38)
Tabellenvrzeichnis
Tab. 1. Entwicklungsphasen in der Ontogenese des Menschen und deren motorische Kennzeichnung (Meinel & Schnabel, 2007, S. 248)
Tab. 2. Entwicklungsphasen der Psychogenese nach Piaget (eigene Darstellung nach Piaget & Inhelder, 2009; Woolfolk, 2014 )
1 Einleitung
Mit der Geburt beginnt bei einem jeden menschlichen Individuum ein lebenslanger Adaptionsprozess an seine Umwelt. Zu diesem Zeitpunkt setzen äußere und innere Entwicklungsprozesse ein, welche in verschiedenen Entwicklungsstadien beschrieben und deren Ergebnisse auch beobachtet werden können. Diese Gesamtentwicklung hin zu einem Individuum prägt sich bei jedem Menschen anders aus. Unterschiede im Ausprägungsgrad und zeitlichem Einsetzen sind vorhanden, die einzelnen Teilbereiche werden jedoch von jedem Menschen durchlaufen. Zu diesen Teilbereichen der Gesamtentwicklung zählen nach Payr (2011) auch die motorische sowie die kognitive Entwicklung. Beide Entwicklungen sind von einer gewissen Komplexität und wechselseitigen Interdependenz gekennzeichnet (Payr, 2011).
In der Wissenschaft wird schon länger ein Zusammenhang zwischen motorischer Aktivität und kognitiver Entwicklung vermutet. Dieser Gedanke wurde bereits im 18. Jahrhundert von den Philantropen um GutsMuths aufgefasst und praktisch umgesetzt. Als Begründer der modernen Form von Leibesübungen verfolgte dieser das Ziel, eine ganzheitliche Entwicklung von Körper und Geist anzustreben (Landessportbund Thüringen e.V., 2009). Im Laufe der Zeit wurde diese Idee immer wieder aufgegriffen und umgesetzt. Heute gibt es bereits zahlreiche Konzepte, die sich auf den vermuteten Zusammenhang stützen, so z.B. das Konzept ,Bewegte Schule’. Hinter diesem steckt der Grundgedanke, so viel Bewegung wie möglich in den Schulalltag zu integrieren. Dazu gehören nach Thiel, Teubert und Kleindienst-Cachay (2009) beispielsweise Bewegungspausen im Unterricht, sämtliche Formen des ,bewegten Lernens’, Sportunterricht oder ,bewegte Pausenhofgestaltung’. Das Konzept wird mittlerweile bereits an vielen Schulen verpflichtend eingeführt und dazu in seinen Inhalten und Begründungsmustern immer wieder verändert und angepasst.
In der modernen Forschungsdiskussion gibt es zu diesem Thema zahlreiche Untersuchungen. Als messbarer Indikator für motorische Entwicklung wird dabei größtenteils eine motorische Aktivität in Form von Bewegung oder Sport zugrunde gelegt, als Indikator für die kognitive Entwicklung eine Beurteilung anhand von Schulleistungen. Jedoch stellt sich der „Forschungsstand zum Zusammenhang zwischen motorischer Aktivität und kognitiver Entwicklung nach wie vor inkonsistent dar“ (Payr, 2011, S. 9). Auch Burrmann und Stucke (2009) kommen zu dem Ergebnis, dass neuere Studien zwar eher positive Zusammenhänge zwischen motorischer Aktivität und Kognition sehen, die Forschungsergebnisse ganzheitlich betrachtet jedoch zu uneinheitlich sind.
Daher soll in dieser Arbeit ein Überblick über den aktuellen Forschungsstand zu diesem Thema erfolgen. Der Forschungsschwerpunkt stellt die Frage dar, ob es zwischen motorischer Aktivität und kognitiver Entwicklung einen Zusammenhang gibt. Auch soll über eine mögliche Praxisrelevanz für den Schulalltag nachgedacht werden.
Die Arbeit ist dazu wie folgt aufgebaut: In den nachfolgenden Unterkapiteln der Einleitung sollen die theoretischen Grundlagen der motorischen und der kognitiven Entwicklung vorgestellt werden. Eine ganzheitliche Analyse dieser Themen ist aufgrund der Komplexität im Rahmen dieser Seminararbeit nicht möglich. Stattdessen sollen nur ein Einblick in die Thematik gegeben und die wichtigsten Aspekte für den weiteren Verlauf der Arbeit angesprochen werden. Im zweiten Kapitel erfolgt eine Darstellung des Forschungsstandes anhand einer Übersicht von ausgewählten Literaturbeiträgen. Für die dazugehörige Literaturrecherche wurde ausschließlich die Datenbank Web of Science von Thomson Reuters in der Version v.5.13.3 benutzt. Um für eine angemessene Aktualität der Literaturübersicht zu sorgen, wurden lediglich Publikationen von 2011 bis 2015 herangezogen. Diese Auswahl wird zusätzlich um eine deutschsprachige Publikation ergänzt. Das anschließende dritte Kapitel stellt den Schlussteil dieser Arbeit mit einer Zusammenfassung und einem Ausblick dar. Die Arbeit endet mit dem Literaturverzeichnis.
1.1 Motorische Entwicklung
Der Forschungsbereich der motorischen Entwicklung gehört nach Baur, Bös, Conzelmann und Singer (2009) zu einem der wesentlichen Hauptbestandteile in der Sportwissenschaft. Unter motorischer Entwicklung versteht man nach Willimczik und Singer (2009) den „Sammelbegriff für Veränderungen von Entitäten über einen längeren Zeitraum“ (S. 15), welche sich auf die Begriffe ,Motorik’ und ,Bewegung’ beziehen. In einem ersten Schritt gilt es also zunächst, diese Begriffe voneinander abzugrenzen. So treffen im Zusammenhang von motorischer Entwicklung zwei verschiedene Sichtweisen aufeinander, da man sich „einerseits mit den beobachtbaren Produkten (Bewegungen und Haltungen) sowie andererseits mit dem Gesamtsystem jener körperinternen Prozesse [...], die den (Bewegungs-) Vollzügen zu Grunde liegen“ (Roth & Willimczik, 1999, S. 11) auseinander setzt. Von Außenansicht spricht man bei Betrachtung oder Beobachtungen von Bewegungen, während die Innenansicht mit der Motorik eher den Entwicklungsverlauf motorischer Fähigkeiten verfolgt (Willimczik & Singer, 2009). Der Begriff der Motorik umfasst die „Gesamtheit aller Steuerungs- und Funktionsprozesse [...], die Haltung und Bewegung zugrunde liegen“ (Payr, 2011, S. 37). Bewegung kann also als sichtbares Ergebnis der zugrunde liegenden nicht sichtbaren Motorik angesehen werden. Innerhalb der Motorik kann zwischen den Konzepten der motorischen Fähigkeiten und motorischen Fertigkeiten differenziert werden (Willimczik & Singer, 2009).
Abb. 1 zeigt eine detaillierte Auflistung der motorischen Fähigkeiten:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 1. Differenzierung motorischer Fähigkeiten (Bös, 1987, S. 94 nach Payr, 2011, S. 38).
Aus dieser Abbildung geht eine weitere Differenzierung der motorischen Fähigkeiten in konditionelle und koordinative Fähigkeiten hervor. Zu den konditionellen Fähigkeiten zählen die energetisch determinierten Kategorien Ausdauer, Kraft und Schnelligkeit mit ihren jeweiligen Unterkategorien (vgl. Abb. 1). Koordinative Fähigkeiten beinhalten die Kategorien Koordination und Schnelligkeit. Im Bereich der Koordination wird auf der einen Seite zwischen hauptsächlich induktiv übermittelten Systematiken „der kinästhetischen Differenzierungsfähigkeit, räumlichen Orientierungsfähigkeit, Gleichgewichtsfähigkeit, Reaktionsfähigkeit und Rythmusfähigkeit“ (Hirtz, 1985, zitiert nach Willimczik & Singer, 2009, S. 18) unterschieden. Andere Autoren zählen dazu noch die Fähigkeiten der Kopplung und Umstellung dazu (Payr, 2011). Auf der anderen Seite stehen die deduktiv vermittelten Systematiken mit „Bewegungsaufgaben (afferente und efferente Informationsverarbeitung unter Zeitdruck, Präzisionsdruck, Komplexitätsdruck, Organisationsdruck, Belastungsdruck und Variabilitätsdruck“ (Roth, 1999, zitiert nach Willimczik & Singer, 2009, S. 18) gegenüber. Schnelligkeit gilt sowohl als energetisch determiniert als auch informationsorientiert und wird als komplexe Fähigkeit durch Kraft und Koordination bestimmt (Willimczik & Singer, 2009). Beweglichkeit zählt zu den passiven Systemen der Energiebereitstellung und wird gesondert aufgeführt, da sie nicht eindeutig einem der beiden Systeme zugeordnet werden kann (Payr, 2011).
Motorische Fertigkeiten werden als spezifischer angesehen, können in der Außensicht beobachtet werden und unterteilen sich in elementare alltagsmotorische und sportmotorische Fertigkeiten (Willimczik & Singer, 2009). Elementare alltagsmotorische Fertigkeiten werden nach Zimmer (2004) auch Bewegungsgrundformen genannt. Dazu zählen alle Formen des sich Fortbewegens (Gehen, Laufen, Springen, usw.), des Geräte bewegens (Ziehen, Schieben, Werfen, usw.) und des sich an Geräten bewegens (Hängen, Stützen, Schwingen, usw.). Diese Fertigkeiten bilden die Grundlage für die Sportmotorik, zu den sportmotorischen Fertigkeiten zählen beispielsweise der Diskuswurf, Kraulschwimmbewegungen oder auch Schwungkippen beim Turnen (Willimczik & Singer, 2009).
Die Ausbildungen und Veränderungen der motorischen Fähig- und Fertigkeiten im Lebensverlauf stellen den Gegenstand der motorischen Entwicklung dar und werden in Bewegung und Haltung sichtbar (Willimczik & Singer, 2009). Diese Entwicklung setzt nach Payr (2011) in der Ontogenese im Grunde genommen schon in der Embryonalphase mit unkontrollierten Bewegungen und Reflexen ein. Ab dem ersten Lebensalter beginnt beim Kleinkind dann die motorische Entwicklung mit dem Einsetzen und Erlernen von Greifbewegungen und setzt sich mit ersten Gehversuchen fort. Jeder Mensch verläuft ab der Pränatalen Phase bis ins spätere Erwachsenenalter unterschiedliche Entwicklungsstadien (vgl. Tab.1):
Tab. 1. Entwicklungsphasen in der Ontogenese des Menschen und deren motorische Kennzeichnung (Meinel & Schnabel, 2007, S. 248).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Parallel ablaufende Prozesse wie Wachstum, Reifung und Sozialisation sollen getrennt von dieser Entwicklung betrachtet werden (Willimczik & Singer, 2009).
Die motorischen Fähigkeiten werden als sehr stabil angesehen, verlaufen jedoch in ihrer Entwicklung unterschiedlich ab: Während man beispielweise davon ausgeht, dass das frühe Kindesalter für die Ausbildung der Koordination eine sensible Phase darstellt und sich deren Entwicklung in den Folgejahren der Kindheit linear steigert, so kommt es im Bereich der Beweglichkeit im Schulalter zu einer Rückbildung (Payr, 2011). Konditionelle Fähigkeiten wie Kraft oder Ausdauer spielen im Kleinkindalter eine untergeordnete Rolle und verbessern sich jedoch im Laufe der Schulzeit kontinuierlich (Payr, 2011). Auch bei der Ausbildung der sportmotorischen Fertigkeiten findet ab dem Eintritt in die Schulzeit eine zunehmende Differenzierung und Spezifizierung statt, Bewegungsgrundformen werden dann in Bewegungstechniken umgewandelt und Sportarten zielgerichteter vermittelt (Payr, 2011).
Dass diese Entwicklung nicht bei jedem Individuum gleich abläuft, liegt hauptsächlich an dessen Umweltbedingungen. So gibt es nach Payr (2011) zahlreiche Einflussfaktoren, welche die Entwicklung beeinflussen. Darunter gehören neben der grundsätzlichen motorischen Aktivität – also der Frage nach dem sich Bewegens allgemein – auch soziokulturelle und gesellschaftliche Faktoren (z.B. Umfeld und Familie) sowie physische (z.B. körperliche Voraussetzungen) und psychische Faktoren (z.B. Motivation). Auch das Geschlecht spielt in diesem Zusammenhang eine nachgewiesene Rolle (z.B. Geschlechterrollen und –unterschiede). Diese Aspekte beeinflussen die motorische Aktivität und damit auch die motorische Entwicklung,
Individuelle Unterschiede können jedoch nicht nur beobachtet sondern auch in motorischen Testverfahren nachgewiesen werden (Payr, 2011).
1.2 Kognitive Entwicklung
Unter dem Begriff der kognitiven Entwicklung wird „die Entwicklung all jener Funktionen, die dem Erkennen und Erfassen der Gegenstände und Personen der Umgebung und der eigenen Person gelten" (Schraml, 1972, S. 250) verstanden. Diese Funktionen werden nach Payr (2011) als kognitive Fähigkeiten oder Merkmale bezeichnet und im Oberbegriff ‚Kognition’ zusammengefasst. „ [...] Kognition berührt alle Bereiche von Wahrnehmungs-, Gedächtnis- und Denkprozessen und ist ein bedeutsames Merkmal aller Menschen“ (Solso, 2005, S. 4). Nach Solso (2005) gehören dazu die Fähigkeiten Wahrnehmung, Aufmerksamkeit, Musterkennung, Bewusstsein, Gedächtnis, Wissen, Sprache sowie Kreativität, Logik, Denken, Rationalität und Intelligenz. Andere Autoren nehmen eine andere aber ähnliche Kategorisierung vor. Payr (2011) begründet diesen Umstand mit der Tatsache, dass die Merkmale eng miteinander verknüpft und Hierarchie sowie Definitionen oftmals umstritten sind. Die Ausbildung der Intelligenz jedoch gilt als zentrale Fähigkeit in der kognitiven Entwicklung (Payr, 2011).
So gibt es neben der Problematik der Klassifikation von kognitiven Fähigkeiten auch beim Beschreiben von kognitiver Entwicklung verschiedene Modelle und Forschungsmeinungen. Als Pionier auf dem Forschungsgebiet der Entwicklungspsychologie wird der Schweizer Jean Piaget mit seiner Theorie zur kognitiven Entwicklung angesehen (Zimbardo, 1995). Piaget geht davon aus, dass die Entwicklung vom Säugling hin zu einem Erwachsenen bestimmten Kontinuitäten folgt und diese in einem Stufenmodell beschrieben werden können (Zimbardo, 1995). Es handelt sich dabei um ein interaktionistisches Modell, welches durch ständige Neu-Organisation und Adaptionsprozesse an die Umwelt gekennzeichnet ist (Buggle, 1993). Demnach gibt es im Entwicklungsverlauf vier aufeinander aufbauende Stufen, die jeder Mensch seit der Geburt durchläuft und welche nochmals weitere Entwicklungsstadien beinhalten. Die jeweiligen Phasen sind durch fließende Übergänge miteinander verbunden. Bei den Altersangaben handelt es sich nur um ungefähre Angaben, hier liegt bei jedem Kind ein unterschiedliches Lerntempo vor. Tab. 2 soll eine Übersicht über den kognitiven Entwicklungsverlauf nach Piaget geben:
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