Produktion politischer Räume durch den Ausnahmezustand bei Carl Schmitt und Giorgio Agamben
Zusammenfassung
Das Wissenschaftsmodul RaumZeit im Sommersemester 2014 behandelte philosophische Themen des Raumes. In diesem Rahmen wählte ich als Themengebiet des politischen Raumes. Es stellte sich heraus, dass Politik im Vergleich etwa zum sozialen Raum seltener unter einem räumlichen Aspekt untersucht wird. Bei der Suche nach einem geeigneten Thema stieß ich in der Vorlesung „Was ist Raumproduktion? Und was machen wir mit dem Spatial Turn?“ von 2010 auf den Satz „Politik auf Raumargumenten ist gefährlich“, was mich dazu brachte, mich anhand des im Seminar behandelten Werkes „Raum. Ein interdisziplinäres Handbuch“ (Günzel 2010) mit dem Verhältnis von Politik und dem physischen Raum auseinanderzusetzen.
Der vorliegende Text gibt anhand der auf der Rechtsphilosophie Carl Schmitts aufbauenden Hauptwerk Giorgio Agambens zum Homo Sacer und dem Ausnahmezustand einen Einblick in die Produktion und Konstitution politischer Räume. Untersucht wird die Figur des Flüchtlings als Homo Sacer in der Bundesrepublik Deutschland und die daraus resultierende Beziehung zwischen Biopolitik und Totalitarität.
Leseprobe
AUSNAHMEZUSTAND. DIE PRODUKTION POLITISCHER RÄUME
Untersuchung zur Produktion politischer Räume durch den Ausnahmezustand anhand Arbeiten von Carl Schmitt und Giorgio Agamben, sowie der Situation Geflüchteter in Deutschland.
Wissenschaftsmodul RaumZeit
Sommersemester 2014
Tobias Grandel
B.Sc. Urbanistik, zweites Fachsemester
Inhalt
1..... Einführung. 3
1.1. Was ist politischer Raum? Einordnung in den Diskurs. 3
2..... Carl Schmitt (1888-1985). 5
2.1. Das Politische und die Freund-Feind-Unterscheidung. 5
2.2. Der Souverän und der Ausnahmezustand. 6
3..... Giorgio Agamben (*1942). 7
3.1. Der Homo Sacer. 7
3.2. Der Ausnahmezustand bei Agamben. 8
3.3. Biopolitik und der Flüchtling. 10
3.4. Verräumlichung des Ausnahmezustands im Lager. 10
3.4. Der Totalitarismus. 11
4..... Übertragung auf aktuelle Verhältnisse anhand der Situation von Refugees. 13
4.1. Die souveräne Ausnahme in der Flüchtlings- und Asylpolitik. 13
4.2. Die Flüchtlingsunterkunft als Lager. 15
5..... Fazit. 16
6..... Anhang. 17
1. Einführung
1.1. Was ist politischer Raum? Einordnung in den Diskurs
„Wir sind so gewöhnt, Gesetz und Recht im Sinne der Zehn Gebote als Gebote und Verbote zu verstehen, deren einziger Sinn darin besteht, dass sie Gehorsam fordern, dass wir den ursprünglich räumlichen Charakter des Gesetzes leicht in Vergessenheit geraten lassen. Jedes Gesetz schafft vorerst einen Raum, in dem es gilt, und dieser Raum ist die Welt, in der wir uns in Freiheit bewegen können. Was außerhalb dieses Raumes ist, ist ohne Gesetz und genau gesprochen ohne Welt; im Sinne menschlichen Zusammenlebens ist es eine Wüste.“ (Arendt 1993: 121 nach StadtBauwelt 2006: 20).
Das Wissenschaftsmodul RaumZeit im Sommersemester 2014 behandelte philosophische Themen des Raumes. In diesem Rahmen wählte ich als Themengebiet den politischen Raum. Es stellte sich heraus, dass Politik im Vergleich etwa zum sozialen Raum seltener unter einem räumlichen Aspekt untersucht wird. Bei der Suche nach einem geeigneten Thema stieß ich in Stephan Günzels Vorlesung „Was ist Raumproduktion? Und was machen wir mit dem Spatial Turn?“ von 2010 auf den Satz „Politik auf Raumargumenten ist gefährlich“, was mich dazu brachte, mich anhand des im Seminar behandelten Werkes „Raum. Ein interdisziplinäres Handbuch“ (Günzel 2010) mit dem Verhältnis von Politik und dem physischen Raum auseinanderzusetzen.
Seit der Antike gab es die auf einer absoluten Raumvorstellung basierende Kulturklimatologie, durch die versucht wurde, anhand der Landschaft Unterschiede zwischen den Völkern zu erklären. In ihr geht der physische Raum allem menschlichen Handeln als Determinante voraus. Die Kulturklimatologie teilte die Welt in „Klimazonen“ ein, die günstige und weniger günstige Ausgangsbedingungen für menschliche Entwicklung boten. Mit Herder setzte sich Ende des 18. Jahrhunderts eine kleinräumigere Vorstellung durch: Demnach war ein Volk untrennbar mit seinem Lebensraum verbunden. Diese Überlegung war essentiell für den Nationalismus (Günzel 2010: 44ff). Mit der Geopolitik Friedrich Ratzels wurde das Konzept um die Möglichkeit erweitert, dass ein von guten Ausgangsbedingungen geformtes Volk positiven Einfluss auf andere Länder haben kann. Auf dieser Idee basieren sowohl der Kolonialismus als auch die Blut-und-Boden-Ideologie der Nationalsozialisten. Diese erweiterte die Konzeption um den imperialistischen Anspruch, dem eingeengten Volk ohne Raum wieder Raum zu verschaffen. Nach dem Zweiten Weltkrieg war der so als Lebensraum verstandene Raum in den Geistes- und Sozialwissenschaften geächtet (Günzel 2010: 52ff).
Erst durch den von Henri Lefebvre bereits 1974 geprägten, aber erst durch Edward Soja Ende der 1980er Jahre populär gemachten Spatial Turn wurde die Kategorie Raum wieder aufgewertet. Dabei bezieht sich der Begriff Raum nicht auf einen klar abgesteckten physischen Bereich, sondern meint eine Ordnung, eine räumliche Konfiguration im Sinne der Phänomenologie Cassirers oder der Soziologie Levi-Strauss‘. So ist Raum nicht eine Determinante von Kultur, sondern relativiert Kulturen zueinander. Das ermöglicht die Überschneidung, Ausdehnung und Aufstapelung von Räumen (Günzel 2010: 82ff, Reutlinger 2013: 214). Der Zeitpunkt der Popularisierung der Räumlichkeit fällt zusammen mit dem Ende des Warschauer Paktes und den daraufhin entstehenden Territorialfragen. Gerade die Geschichtswissenschaft kann in Zeiten der Globalisierung nicht mehr nationale Geschichtsschreibungen als Grundlage verwenden (Günzel 2010:93ff). Wie jedoch politische Räume geschaffen werden, wird in diesem Handbuch nicht beschrieben.
In einem Beitrag auf dem Symposium „Topologie. WeltRaumDenken“ 2005 nennt Günzel Giorgio Agamben, der sich mit dem topologischen Raum der Politik befasst. Dabei beschreibt Agamben den politischen Raum als einschließende Ausschließung: Im Inneren der Nationalstaaten werden durch den Ausnahmezustand rechtsfreie Räume geschaffen. In seinem bisher siebenbändigen Hauptwerk Homo Sacer geht er zurück auf die aristotelische Unterscheidung zwischen bios, dem politischen Leben, und zoe, dem nackten Leben. Agambens Argumentation greift auf das Konzept der Biopolitik Michel Foucaults und auf von Carl Schmitt, dem sogenannten Kronjuristen des Dritten Reiches, geprägte Begriffe wie den Souverän, den Ausnahmezustand zurück. Auch auf die oben zitierte Hannah Arendt nimmt Agamben Bezug. Das Zitat zeigt das Verständnis von Raum, das auch für Giorgio Agamben gilt.
Im Folgenden soll zunächst die Rechts- und Staatsphilosophie Carl Schmitts behandelt werden, um die Verwendung der Begrifflichkeiten bei Agamben nachzuvollziehen. Des Weiteren soll kurz das Konzept der Biopolitik erläutert werden, auf dem der homo sacer basiert. Agambens Thesen und Schlussfolgerungen sollen nicht nur nachgezeichnet, sondern auch anhand der Situation von Geflüchteten in Deutschland mit der Realität abgeglichen werden. Als Beispiele dienen dazu die Flüchtlings- und Asylpolitik der EU und der Bundesrepublik Deutschland, die Unterkunftssituation und der Fall Oury Jalloh.
2. Carl Schmitt (1888-1985)
2.1. Das Politische und die Freund-Feind-Unterscheidung
Carl Schmitts Staats- und Verfassungsphilosophie fußt auf seiner eigenen Definition des „Politischen“: Politik ist für Schmitt vor allem Außenpolitik, die von einem homogenen, „nach innen geschlossen befriedeten, nach außen geschlossen als Souverän […] auftretenden“ (Schmitt 1932: 10) Staat betrieben wird. Das ganz eigene, unabhängige Kriterium des Politischen ist die Freund-Feind-Unterscheidung, so wie das Kriterium der Moral die Gut-Böse-Unterscheidung ist. Der Feind ist dabei nie ein privater Feind, sondern eine feindliche Gruppe, ein öffentlicher, politischer Feind (Schmitt 1932: 27ff). Diese Freund-Feind-Definition bedarf einer homogenen Gruppe, wie dem Volk eines Nationalstaats, die das Fremde erkennt und als Konkurrenten wahrnimmt. Eine politische Einheit ist Schmitt zufolge eine „religiöse, moralische, ökonomische, ethnische oder andere“ (Schmitt 1932: 37) Gemeinschaft, die sich gemeinsam gegen einen Feind gruppiert und gegen diesen Krieg führt oder einen (ungewollten) Krieg aktiv als Verbot gegen die ihr Angehörigen verneint. Die politische Einheit ist die „maßgebliche Einheit und ‚souverän‘ in dem Sinne, daß die Entscheidung über den maßgebenden Fall, auch wenn das der Ausnahmefall ist, begriffsnotwendig bei ihr stehen muss“ (Schmitt 1932: 39). Damit gemeint ist, dass die politische Einheit diejenige ist, zu der sich der Mensch im Konflikt-, Kriegs- oder Bürgerkriegsfall zugehörig fühlt. Schmitt positioniert dieses Verständnis als Gegensatz zum pluralistischen Staat (Schmitt 1932: 41).
Wenn ein Staat also souverän ist, dann hat er mit dem jus belli „die doppelte Möglichkeit: von Angehörigen des eigenen Volkes Todesbereitschaft und Tötungsbereitschaft zu verlangen“ (Schmitt 1932: 46). Vor allem aber hat er die Aufgabe, seine Bewohner an ihn als maßgebliche, souveräne Einheit zu binden. Eine solche Befriedung innerhalb des Staates hat das Ziel eine „normale Situation, welche die Voraussetzung dafür ist, daß Rechtsnormen überhaupt gelten“ (ebd.) zu schaffen. Denn es kann „keine Norm für eine ihr gegenüber völlig abnorme Situation Geltung haben“ (ebd.). Um diese Normalsituation zu schaffen, kann der Staat als politische Einheit innere Feinde bestimmen und diese verbannen oder mit Waffengewalt bekämpfen. Da die Verfassung des Staates an sich angegriffen wird, findet die Reaktion des Staates außerhalb der Verfassung statt. Es wird also Krieg gegen den inneren Feind geführt wie gegen eine andere politische Einheit; auch wenn es sich nur um einen Feind handelt, findet ein Bürgerkrieg statt.
Auch außerhalb des Staates muss immer eine Freund-Feind-Unterscheidung vollzogen werden: Ein Weltfrieden sei eine „unehrliche Fiktion“ (Schmitt 1932: 54). Schmitt schreibt geradezu leidenschaftlich gegen eine Weltgemeinschaft, eine Menschheit an. Gerade letzteres sei ihm zufolge ein „besonders brauchbares ideologisches Instrument imperialistischer Expansion“ (Schmitt 1932: 55). Ein Krieg im Namen der Menschheit führe zu einer viel grausameren Kriegsführung, da somit dem Feind die Qualität des Menschen abgesprochen wird. Unter diese Kategorie fiele auch eine Berufung auf das Naturrecht, auf eine höhere Ordnung (Schmitt 1932: 66).