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Mobbing und Cybermobbing und deren Einfluss auf suizidales Verhalten bei Jugendlichen

©2014 Seminararbeit 44 Seiten

Zusammenfassung

Mobbing und vor allem Cybermobbing erfährt in der heutigen zunehmend vernetzten Welt immer mehr Beachtung – insbesondere, wenn sich Jugendliche als Folge dessen das Leben nehmen.

Zunächst wurde Mobbing gesellschaftlich nicht besonders beachtet und als Kleinigkeit abgetan. Schließlich erfuhr das Phänomen wachsende Beachtung. Dann, mit dem Einzug des Internets in privaten Haushalten, entwickelte sich ein weiteres, recht neuartiges Phänomen: das Cybermobbing.

Diese Arbeit beschäftigt sich mit der Frage, inwiefern Cybermobbing in Bezug zu Suizidalität Jugendlicher steht bzw. diese beeinflusst. Vor allem der Entzug der Anerkennung, welcher mit (Cyber)Mobbing einhergeht, soll untersucht werden.
Im anschließenden Kapitel werden dem Leser sowohl theoretische Grundlagen sozialer Anerkennung als auch Definitionen der Begrifflichkeiten Mobbing und Cybermobbing vorgestellt. Desweiteren werden Suizidalität und ihre Entwicklung beschrieben.
Im dritte Kapitel werden Theorie und Thematik miteinander verknüpft: im Fokus steht die Untersuchung suizidalen Verhaltens, hervorgerufen durch Cybermobbing bei Jugendlichen. Ein aktueller Vorfall, welcher sich dem Cybermobbing zuordnen lässt, ereignete sich während der Recherche zu dieser Arbeit und wird in die Untersuchung mit einbezogen. Dieser wird mit einem länger zurückliegenden Fall verglichen. Danach werden Präventions- und Interventionsmaßnahmen beschrieben.

Die Arbeit schließt mit einem Fazit – dieses fasst die wichtigsten Ergebnisse zusammen und bietet einen Ausblick darauf, wie in Zukunft auf Cybermobbing reagiert werden kann.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Theoretischer Hintergrund
2.1 Die Anerkennungstheorie Axel Honneths
2.2 Mobbing und Cybermobbing
2.2.1 Exkurs: Tatwerkzeug Smartphone
2.2.2 Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Mobbing und Cybermobbing
2.3 Suizidalität
2.3.1 Die Selbstmordtheorie Émile Durkheims
2.3.2 Der Suizid bei Jugendlichen und dessen Entwicklung

3. Mobbing im Internet - worst case: Suizid
3.1 Anerkennung und Gruppendynamik
3.2 Cybermobbing: Prävention und Intervention

4. Fazit

Anhang

Abbildungs- und Tabellenverzeichnis

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Mobbing und vor allem Cybermobbing erfährt in der heutigen zunehmend vernetzten Welt immer mehr Beachtung - insbesondere, wenn sich Jugendliche als Folge dessen das Leben nehmen.

Zunächst wurde Mobbing gesellschaftlich nicht besonders beachtet und als Kleinigkeit abgetan. Schließlich erfuhr das Phänomen wachsende Beachtung. Dann, mit dem Einzug des Internets in privaten Haushalten, entwickelte sich ein weiteres, recht neuartiges Phänomen: das Cybermobbing.

Diese Arbeit beschäftigt sich mit der Frage, inwiefern Cybermobbing in Bezug zu Suizidalität Jugendlicher steht bzw. diese beeinflusst. Vor allem der Entzug der Anerkennung, welcher mit (Cyber)Mobbing einhergeht, soll untersucht werden.

Im anschließenden Kapitel werden dem Leser sowohl theoretische Grundlagen sozialer Anerkennung als auch Definitionen der Begrifflichkeiten Mobbing und Cybermobbing vorgestellt. Desweiteren werden Suizidalität und ihre Entwicklung beschrieben.

Im dritte Kapitel werden Theorie und Thematik miteinander verknüpft: im Fokus steht die Untersuchung suizidalen Verhaltens, hervorgerufen durch Cybermobbing bei Jugendlichen. Ein aktueller Vorfall, welcher sich dem Cybermobbing zuordnen lässt, ereignete sich während der Recherche zu dieser Arbeit und wird in die Untersuchung mit einbezogen. Dieser wird mit einem länger zurückliegenden Fall verglichen. Danach werden Präventions- und Interventionsmaßnahmen beschrieben.

Die Arbeit schließt mit einem Fazit - dieses fasst die wichtigsten Ergebnisse zusammen und bietet einen Ausblick darauf, wie in Zukunft auf Cybermobbing reagiert werden kann.

2. Theoretischer Hintergrund

Im Folgenden soll die Thematik dieser Ausarbeitung genauer beleuchtet werden. Zunächst wird die Theorie der Anerkennung nach Axel Honneth beschrieben, danach folgen Definitionen von Mobbing und Cybermobbing sowie deren Unterscheidung und schließlich wird auf Suizidalität eingegangen. Hier wird die Selbstmordtheorie Émile Durkheims beschrieben, abschließend folgt die Entwicklung der Suizidalität Jugendlicher.

2.1 Die Anerkennungstheorie Axel Honneths

Im Soziologie-Lexikon wird soziale Anerkennung als „positive Bewertung eines Individuums oder seiner Handlung durch die soziale Umwelt“ definiert. Desweiteren stabilisiere sie soziale Beziehungen und sei während des Sozialisationsprozesses sowie dem Erlernen der gesellschaftlich geltenden Normen und Werte von großer Bedeutung (vgl. Reinhold, 1991, S. 16). Demnach ist Anerkennung für jedes einzelne Individuum unverzichtbar, da man auf die Anerkennung Anderer angewiesen ist. Auch sei die Identitätsbildung eines Subjekts notwendigerweise an die Erfahrung intersubjektiver Anerkennung gebunden (vgl. Honneth, 2012, S. 64). Zudem bilde Anerkennung die intersubjektive Voraussetzung der Fähigkeit, eigene Lebensziele autonom zu verwirklichen (vgl. Honneth, 2010, S. 111).

Honneth beschreibt Anerkennung als „Befürwortung oder [...] Wertschätzung von Subjekten in unterschiedlichen Hinsichten. Welche Hinsichten das sind, [...] wird jeweils durch die gesellschaftliche Produktionsform und Organisationsweise festgelegt.“ Desweiteren sagt Honneth, er sei davon überzeugt, dass Anerkennung ein geeigneter Schlüssel sei, um sowohl Integration von Gesellschaften als auch deren gewissermaßen dauerhafte Konfliktualität zu verstehen; denn alle Gesellschaften würden sich durch selektive oder symmetrische Formen der Anerkennung integrieren. Demnach stabilisiert Anerkennung nicht nur soziale Beziehungen, sondern auch ganze Gesellschaften (vgl. Bobka / Knoll, 2012).

Bei Anerkennungsbeziehungen handelt es sich laut Honneth immer um ein wechselseitiges Geschehen: man selbst erfahre Anerkennung, wenn man Andere anerkennt. Somit hafte der „Anerkennungsbeziehung [...] ein Zwang zur Reziprozität“ an (vgl. Honneth, 2012, S. 64f.):

„[...] wenn ich meinen Interaktionspartner nicht als eine bestimmte Art von Person anerkenne, dann kann ich mich in seinen Reaktionen auch nicht als dieselbe Art von Person anerkannt sehen, weil ihm von mir ja gerade jene Eigenschaften und Fähigkeiten abgesprochen werden, in denen ich mich durch ihn bestätigt fühlen will.“ (Honneth, 2012, S. 64f.)

Auch besitze der Begriff der Anerkennung normativen Charakter, da er das rationale Verhalten bezeichne, mit dem auf die Werteigenschaften einer Person oder Gruppe reagiert werden könne (Honneth, 2010, S. 108).

Honneth differenziert drei unterschiedliche Anerkennungsverhältnisse, welche erst im Verbund Identität, Einzigartigkeit und Selbstschätzung ermöglichen. Er verortet Anerkennung

1. im privaten Umfeld in Primärbeziehungen durch Liebe,
2. auf gesellschaftlicher Ebene durch das Recht und
3. in der Gemeinschaft durch Solidarität und Moral.

Die folgende Tabelle (Tabelle 1) beschreibt die positiven Anerkennungsverhältnisse und stellt ihnen ihre jeweiligen Missachtungsformen gegenüber:

Tabelle 1: Honnets Konzept der Anerkennungsverhältnisse bzw. Sphären im Überblick

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: eigene Darstellung nach Honneth, 2012, S. 211 und Horster, 2009, S. 154.

Im Folgenden werden die drei Sphären sowie ihre Missachtungsformen beschrieben. Vorab soll erwähnt werden, dass Honneth zwischen den drei Missachtungsformen (Misshandlung, Ausschließung und Entwürdigung) ein Gefälle sieht: „moralische Verletzungen werden als um so schwerwiegender empfunden, je elementarer die Art der Selbstbeziehung ist, die sie jeweils beeinträchtigen oder zerstören“ (Honneth, 2000, S. 181f.). Demnach ist Misshandlung eine stärkere Missachtung als Ausschließung, welche wiederum stärker als Entwürdigung ist (vgl. Horster, 2009, S. 154).

Liebe

Bei Liebe handelt es sich um die „Erfahrung des Geliebtwerdens“, welche für jedes Individuum eine „notwendige Voraussetzung der Teilhabe am öffentlichen Leben eines Gemeinwesens“ ist (vgl. Honneth, 2012, S. 65f.). Wie bereits erwähnt, findet diese Erfahrung im privaten Umfeld, also in Primärbeziehungen statt - in der Familie, Freundschaften und Liebesverhältnissen. Durch diese emotionale Zuwendung entwickeln Individuen Selbstvertrauen, welches sie wiederum zu einer „gleich- berechtigten Partizipation an der politischen Willensbildung befähigt“ (vgl. Honneth, 2012, S. 66).

Die Missachtungsform des Anerkennungsverhältnisses Liebe ist die „praktische Misshandlung, die Folterung, die Vergewaltigung, die Missachtung der physischen Integrität“ (vgl. Horster, 2009, S. 154). Laut Honneth ist dies die „elementarste Art einer persönlichen Erniedrigung“. Diese Verletzungen könnten die Identität einer ganzen Person zum Einsturz bringen, da das normative Selbstbild eines jeden Individuums auf die Möglichkeit der steten Rückversicherung im Anderen angewiesen sei. Durch Misshandlung in einer Primärbeziehung entsteht das „Gefühl, dem Willen eines anderen Subjektes schutzlos bis zum sinnlichen Entzug der Wirklichkeit ausgesetzt zu sein“. Die Folgen sind weitreichende Vertrauensverluste; Verlust des Selbst- und des Weltvertrauens. Die Missachtungsform der Misshandlung ist Honneth zufolge eine tiefergreifendere Form der Missachtung als andere Formen der Missachtung, da sie „destruktiv in die praktische Selbstbeziehung eines Menschen eingreift“ (vgl. Honneth, 2012, S. 212ff.).

Recht

Mit der Sphäre Recht wird eine weitere Ebene in der Entwicklung eines Individuums beschrieben; durch die Übernahme sozialer Normen der Gesellschaft werden sowohl eigene Rechte als auch Verpflichtungen gegenüber anderen gesellschaftlichen Akteuren verinnerlicht. Honneth greift auf Mead zurück und sagt, dass Rechte gewissermaßen die individuellen Ansprüche seien, von denen sich Individuen sicher sein können, dass diese vom generalisierten Anderen erfüllt würden (vgl. Honneth, 2012, S. 126f.). Dies beruht allerdings wieder auf Gegen- bzw. Wechselseitigkeit; denn

„sich wechselseitig als Rechtsperson anzuerkennen heißt, daß beide Subjekte in ihr eigenes Handeln kontrollierend jenen gemeinschaftlichen Willen einbeziehen, der in den intersubjektiv anerkannten Normen ihrer Gesellschaft verkörpert ist. Mit der gemeinsamen Übernahme der normativen Perspektive des »generalisierten Anderen« wissen die Interaktionspartner nämlich reziprok, welche Verpflichtungen sie den jeweils Anderen gegenüber einzuhalten haben“ (Honneth, 2012, S. 129).

Durch vorherrschende Rechtverhältnisse innerhalb der Gesellschaft erfährt das Individuum kognitive Achtung und entwickelt dadurch Selbstachtung.

Die Missachtungsform des Rechts ist die Ausschließung - diese geht mit einer Entrechtung einher, welche dem Individuum das Gefühl vermittelt, nicht den Status eines vollwertigen Interaktionspartners inne zu haben. In der heutigen Zeit hätten dies vornehmlich Arbeitslose (vgl. Horster, 2009, S. 154).

Solidarität

Wie alle Sphären der Anerkennung, basiert auch das Anerkennungsverhältnis Solidarität auf wechselseitiger Interaktion von Individuen; da sich Subjekte „auf symmetrische Weise wertschätzen“, nehmen sie wechselseitig an ihren unter- schiedlichen Lebenswegen Anteil. Wechselseitig meint hier nicht in gleichem Maße, sondern symmetrisch: jede Person erhält die Chance, sich im Rahmen ihrer Fähigkeiten und Leistungen, als für die Gesellschaft wertvoll zu erweisen (vgl. Honneth, 2012, S. 208ff.). In einer Wertgemeinschaft erfahren Individuen somit die Akzeptanz ihrer individuellen Besonderheit - durch soziale Wertschätzung, welche ihnen widerfährt, erwächst Selbstschätzung (vgl. Horster, 2009, S. 155).

Entwürdigung, durch beispielsweise Beleidigungen, stellt die Verletzung des Anerkennungsverhältnisses der Solidarität dar. Diese Form der Missachtung sei Honneth zufolge die schwächste Art der Missachtungsformen.

Entzug von Anerkennung

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass einer Person durch Missachtung - egal welcher Art und Weise - Anerkennung entzogen wird. Dabei erfährt das Individuum keinerlei soziale Zustimmung mehr, sodass es in einer Form der Selbstverwirklichung (bzw. der praktischen Selbstbeziehung) - zu welcher es erst mit Hilfe der Ermutigung sowie Zustimmung durch Einzelpersonen oder der Gruppensolidarität gelangen konnte - eingeschränkt wird. (vgl. Honneth, 2012, S. 217ff.).

2.2 Mobbing und Cybermobbing

Im deutschsprachigen Raum sind mit dem Begriff Mobbing

„negative kommunikative Handlungen [gemeint], die gegen eine Person gerichtet sind (von einer oder mehreren anderen) und die sehr oft und über einen längeren Zeitraum hinaus vorkommen und damit die Beziehung zwischen Täter und Opfer kennzeichnen“ (vgl. Leymann, 1993, S. 21).

Mobbing ist zwar vom englischen Verb to mob abgeleitet, wird im englischsprachigen Raum jedoch nicht verwendet - dort ist Mobbing unter dem Begriff Bullying bekannt. Übersetzt bedeutet to mob jemanden angreifen, anpöbeln, belagern oder auch über jemanden herfallen bzw. sich auf jemanden stürzen.

Da der Fokus dieser Arbeit auf Jugendlichen liegt, soll eine weitere Definition angeführt werden, welche sich auf das soziale Umfeld der Schule konzentriert:

„Von Mobbing soll dann gesprochen werden, wenn sich eine Gruppe in der Klasse - und zwar eine, die das Sagen hat - gegen einen Einzelnen (in manchen Fällen auch gegen zwei oder drei Schüler) über einen längeren Zeitraum (mehrere Monate) ausgrenzend verhält.“ (Dambach, 2009, S. 14)

In beiden Definitionen wird von einem längeren Zeitraum gesprochen: dies ist einerseits ein typisches Merkmal von Mobbing und andererseits einer der Hauptunterschiede zu einem Streit. Mobbing und Streit müssen voneinander unterschieden und abgegrenzt werden. Streitigkeiten können in der Regel relativ schnell geklärt werden.

Mobbing erfolgt also durch negative verbale oder nonverbale Handlungen, welche sich über einen längeren Zeitraum gegen dieselbe Person bzw. dieselben Personen richten. Zu verbalen Angriffen zählen etwa Beleidigungen, Hänseleien oder das Verbreiten von Gerüchten. Nonverbale Handlungen können beispielsweise Körpersprache, körperliche Angriffe, Ignoranz oder Isolation meinen. Mobbing kann auch unterschwellig erfolgen. Egal auf welche Art und Weise gemobbt wird, meist zeichnet sich ein wiederkehrendes Handlungs- oder Verhaltensmuster ab (vgl. Dambach, 2009, S. 14; vgl. Definition- online.de, 2014).

Seit Beginn des 21. Jahrhunderts ist Cybermobbing (auch Internet-Mobbing oder Cyber- Bullying) immer präsenter - es kann als „digitale Fortsetzung eines analogen Phänomens“ betrachtet werden (vgl. Stephan, 2010, S. 15f.). Belsey definiert Cybermobbing folgendermaßen:

„Cyber-bullying involves the use of information and communication technologies such as email, cellphone and pager text messages, instant messaging, defamatory personal Web sites, and defamatory online personal polling Web sites, to support deliberate, repeated, and hostile behaviour by an individual or group that is intended to harm others.“(Belsey, 2005; zit. n. Shariff, 2008, S. 29)

Die Definition der Webseite StopCyberbullying.org bewegt sich näher an Kontext der Schule - sie ist wie folgt formuliert:

„"Cyberbullying" is when a child, preteen or teen is tormented, threatened, harassed, humiliated, embarrassed or otherwise targeted by another child, preteen or teen using the Internet, interactive and digital technologies or mobile phones. It has to have a minor on both sides, or at least have been instigated by a minor against another minor.“ (StopCyberbullying.org, o.J.)

Desweiteren wird von StopCyberbullying.org eine klare Grenze zu Cybermobbing bezogen, von welchem Erwachsene betroffen sind:

“Once adults become involved, it is plain and simple cyber-harassment or cyberstalking. Adult cyber-harassment or cyberstalking is NEVER called cyberbullying.” (StopCyberbullying.org, o.J.)

Die Studie „Cyberlife - Spannungsfeld zwischen Faszination und Gefahr: Cybermobbing bei Schülerinnen und Schülern“1 des Bündnisses gegen Cybermobbing aus dem Jahre 2013 ergab, dass 16,6 % der befragten Schüler bereits Opfer von Cybermobbing wurden. Dabei wurden die meisten Fälle bei den 12- bis 15-Jährigen registriert. 4,6 % gaben keine Auskunft darüber, ob sie bereits online gemobbt wurden (vgl. Schneider et al., 2013, S. 93f.).

Die Frage, ob sie selbst schon einmal Täter von Cybermobbing waren, beantworteten 19,1 % der befragten Schüler positiv, 75,5 % verneinten die Frage und 5,4 % der Befragten gaben keine Antwort. Dieses Ergebnis überrascht, da die Zahl „der selbst eingestandenen Täterschaft (19,1 %)“ die der Opfer (16,6 %) übersteigt. Aufgrund des sozial erwünschten Antwortverhaltens müsste die Anzahl der eingestandenen Täter- schaften geringer ausfallen als die der Opfer - dies kann im Umkehrschluss bedeuten, dass die tatsächliche Zahl der Cybermobbing-Opfer höher liegt und somit Cybermobbing verbreiteter ist, als gedacht (vgl. Schneider et al., 2013, S. 98).

2.2.1 Exkurs: Tatwerkzeug Smartphone

Zum zentralen Tatwerkzeug des Cybermobbings ist mittlerweile das Smartphone avanciert; dieses vereint zahlreiche Geräte in einem (wie bspw. Handy, Kalender, Fotound Videokamera, Computer, Diktiergerät, Notizblock etc.), bietet viele Funktionen und ist zudem direkt mit dem Internet und dessen Vielschichtigkeit verbunden.

Laut BITKOM-Präsident Prof. Dieter Kempf sei das Smartphone innerhalb weniger Jahre zum zentralen Kommunikationsgerät für die Jugendlichen geworden (BITKOM, 2014).

Die Studie „Kinder und Jugend 3.0“2 der BITKOM ergab, dass bereits 20 % der 6- bis 7-jährigen Kinder Smartphones nutzen. In der Gruppe der 12- bis 15-Jährigen nutzen rund 85 % der Befragten ein Smartphone und 88 % tun dies unter den 16- bis 18- Jährigen (siehe Abbildung 1). Desweiteren wurde festgestellt, dass das Smartphone bei den 16- bis 18-Jährigen den wichtigsten Zugang zum Internet darstellt - dies gaben

89 % der Befragten innerhalb dieser Altersgruppe an (vgl. Kempf / Holdampf-Wendel, 2014, S. 2ff.). Zudem muss angemerkt werden, dass sich die jugendlichen SmartphoneNutzer der Aufsicht ihrer Eltern zunehmend entziehen, sodass diese einen immer geringeren Einfluss auf die Online-Aktivitäten ihrer Kinder haben.

Abbildung 1: Antworten auf die Frage „Welche der folgenden Geräte nutzt Du zumindest ab und zu?“

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Kempf / Holdampf-Wendel, 2014, S. 2.

2.2.2 Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Mobbing und Cybermobbing

Zusammenfassend sollen Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Mobbing und Cybermobbing angeführt werden.

Gemein ist beiden Arten des Mobbings der relativ lange Zeitraum, in welchem das Mobben erfolgt, sowie das ungleiche Machtverhältnis in der Beziehung von Täter und Opfer. Der Täter wird von Mitschülern immer als „stark“ angesehen, wohingegen das Opfer (aus Sicht des Täters und seiner Anhänger) Schwäche und Unsicherheit zeigt. Oftmals ist es genau diese vom Täter identifizierte Schwäche, wegen der das Opfer überhaupt zum Opfer wird (Böhm, 2014, eigene Mitschrift; vgl. Schubarth, 2013, S. 83.).

Beide Arten des Mobbings - sowohl klassisches Mobbing als auch Cybermobbing - wirken negativ auf die Psyche des Opfers ein und rufen Veränderung der Persönlichkeit hervor. Diese können sich äußern durch:

- Verschwiegenheit und / oder Rückzug,
- Stimmungsschwankungen oder Gereiztheit,
- Depressionen,
- zunehmende Ängstlich- und Traurigkeit sowie
- durch Selbstabwertung bis hin zu Suizidgedanken oder gar dem Suizid.

Auch treten bei Mobbingopfern oft körperliche Beschwerden wie Kopf- und Bauchschmerzen sowie Schlafstörungen - oftmals in Verbindung mit Alpträumen, auf. Bei Mobbing in der Schule kommt es in den meisten Fällen zum Abfall schulischer Leistungen oder auch dem vermehrten Fernbleiben aus der Schule. Weitere Anzeichen können Beschädigungen oder Verlust von Schulmaterialien sein (Böhm, 2014, eigene Mitschrift; vgl. Schubarth, 2013, S. 82.).

Einer der gravierendsten Unterschiede des Cybermobbings zum klassischen Mobbing ist sowohl die räumliche als auch die zeitliche Unbegrenztheit: Damit ist gemeint, dass das Mobbing „damals“ - also vor dem zunehmend technologisierten Schüleralltag - nach der Schule endete. Durch das Internet (z.B. E-Mails), soziale Netzwerke (wie bspw. Facebook) und Smartphones (Anrufe, SMS oder WhatsApp-Nachrichten) können Täter (bzw. die sogenannten „Cyber-Bullies“) ihre Opfer zu jeder Tages- und Nachtzeit durch weitere Angriffe behelligen. Außerdem verbreiten sich online-gestellte Inhalte (wie Nachrichten, Fotos oder Videos) unkontrolliert und in einem sehr kurzen Zeitraum.

Sie werden dem unüberschaubar großen Publikum des World Wide Web frei und zeitlich unbegrenzt zugänglich gemacht - außerdem ist die Internetnutzung durch das mobile Internet der Smartphones nicht länger örtlich gebunden. Desweiteren können diese online-gestellten Inhalte kaum mehr dauerhaft gelöscht werden - das Internet vergisst nie! Cyber-Bullies können im Internet (vermeintlich) anonym agieren, indem sie falsche Identitäten erschaffen - dies verleiht ihnen ein hohes Maß an Sicherheit und senkt die Hemmschwelle herab. Vor dem heimischen Computer und durch die Sicherheit des Pseudonyms können auch Kinder und Jugendliche zu Cyber-Bullies werden, welche in der Schule nicht den Mut aufbrächten, zum Täter zu werden. Die Attacken eines anonymen Täters können Opfer zusätzlich verunsichern, da sie nicht wissen, wer sie attackiert - somit wissen sie auch nicht, an wen sie sich wenden können, um Hilfe zu erhalten. Umgekehrt kann das Opfer sich unter dem Deckmantel eines Pseudonyms im Internet zur Wehr setzen; zu Hause ist es nicht dem Druck der Mobber ausgesetzt und es bedarf weniger Mut und Schlagfertigkeit als in einer Face-To-Face- Situation in der Schulklasse. Mobbing im Internet muss sich nicht zwangsläufig intragenerational, also unter Gleichaltrigen vollziehen - es kann auch intergenerational verlaufen, das heißt zwischen verschiedenen Generationen (bspw. zwischen einem Schüler und seinem Lehrer) (Böhm, 2014, eigene Mitschrift; vgl. Dambach, 2009, S. 15f.; vgl. KlickSafe.de, o.J.; vgl. Techniker Krankenkasse Landesvertretung NRW, 2011, S. 30f.).

Nur selten sind Fälle des Cybermobbings unbeabsichtigt, da Täter die Konsequenzen ihres Handelns nicht genügend überdenken. In diesen Fällen werden (peinliche) Inhalte „nur zum Spaß“ online-gestellt, um den Betreffenden zu necken oder zu ärgern - allerdings ist dem Täter das Ausmaß der dadurch hervorgerufenen psychischen und emotionalen Verletzung des Opfers nicht bewusst (Böhm, 2014, eigene Mitschrift; vgl. KlickSafe.de, o.J.).

Wegen der genannten Unterschiede, vor allem wegen der potentiell größeren Öffentlichkeit, kann das Ausmaß des Cybermobbings - einem eher „indirekten“ Mobbing, bei dem sich Täter und Opfer nicht gegenüber stehen - als weitreichender eingestuft werden, als das des „direkten“ klassischen Mobbings (vgl. KlickSafe.de, o.J.).

[...]


1 Bei der Studie des Bündnisses gegen Cybermobbing e.V. handelt es sich um eine empirische Datenerhebung, an der rund 10.000 Schüler, Eltern und Lehrkräfte teilgenommen haben.

2 BITKOM-Studie „Kinder und Jugend 3.0“: repräsentative Umfrage - befragt wurden 962 Kinder und Jugendliche im Alter von 6 bis 18 Jahren

Details

Seiten
Jahr
2014
ISBN (eBook)
9783656979814
ISBN (Paperback)
9783656979821
Dateigröße
1.4 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Ruhr-Universität Bochum – Fakultät für Sozialwissenschaft
Erscheinungsdatum
2015 (Juni)
Note
1,3
Schlagworte
Mobbing Cybermobbing Suizid Jugendliche Internet Soziale Medien Soziale Netzwerke Honneth Axel Honneth Anerkennung Soziale Anerkennung Anerkennungstheorie Tatwerkzeug Smartphone Smartphone Suizidalität Entwicklung der Suizidalität Entwicklung der Suizidalität bei Jugendlichen Gruppendynamik Prävention und Intervention Mobbing im Internet Anerkennungstheorie nach Axel Honneth
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Titel: Mobbing und Cybermobbing und deren Einfluss auf suizidales Verhalten bei Jugendlichen
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