Im Zentrum dieser Hausarbeit steht der bekannte "Panther" aus dem "Jardin des Plantes" in Paris.
Das lyrische Werk stammt aus den "Neuen Gedichten" Rainer Maria Rilkes.
Er beantwortet die Frage in den "Neuen Gedichten" im Bezug auf die Beziehung zwischen Innen und Außen.
Dies verschaffte ihm eine enorme Beliebtheit.
Das Werk ist in die klassische Moderne um 1900 einzuordnen und gehört der Gattung der Dinggedichte an.
Diese Art der Dichtkunst wird in Kapitel vier ergründet.
Kern dieser Arbeit stellt die umfangreiche Analyse und Interpretation des lyrischen Werkes dar.
Die gewonnenen Erkenntnisse werden mit anderen, in der Forschungsliteratur bekannten, Interpretationen verglichen.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Einordnung in die Lyrikgeschichte
3. Entstehungsgeschichte
4. Das Dinggedicht
5. Der Panther
5.1 Inhalt
5.2 Aufbau
5.3 Zeit und Raum
5.4 Erzählperspektive
5.5 Analyse und Interpretation
5.6 Autorenintention
6. Vergleich der Interpretationen
7. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Im Zentrum dieser Hausarbeit steht der bekannte Panther aus dem "Jardin des Plantes" in Paris. Das lyrische Werk stammt aus den "Neuen Gedichten" von Rainer Maria Rilke. Er beantwortet die Frage in den "Neuen Gedichten" im Bezug auf die Beziehung zwischen Innen und Außen.1 Dies verschaffte ihm eine enorme Beliebtheit. Das Werk ist in die klassische Moderne um 1900 einzuordnen und gehört der Gattung der Dinggedichte an. Diese Art der Dichtkunst wird in Kapitel vier ergründet. Kern dieser Arbeit stellt die umfangreiche Analyse und Interpretation des lyrischen Werkes dar. Die gewonnenen Erkenntnisse werden mit anderen, in der Forschungsliteratur bekannten, Interpretationen verglichen.
2. Einordnung in die Lyrikgeschichte
Das Gedicht ist mit dem Verfassungsjahr 1903 eindeutig zur Epoche der klassischen Moderne zu zählen, da die Epoche von etwa 1890 bis 1910 andauerte. Rilke gilt als Verfechter des Symbolismus. Diese Literaturströmung ist im späten 19. Jahrhundert entstanden und findet seinen Ursprung in Frankreich. Gegensätzlich zum Realismus und Naturalimus ist der Symbolismus von idealistischen Zügen geprägt. Autoren, die dem Symbolismus zuzuordnen sind, richten sich zumeist gegen den Positivismus und Naturwissenschaften. Vertreter dieser Strömung kehrten sich von der Realität ab und wollten zur reinen Kunst des Dichtens. Geschichtlich geprägt ist diese Strömung durch die historischen Ereignisse im 19. Jahrhundert wie die Industriealisierung und dem damit verbundenen technischen und wissenschaftlichen Fortschritt. Durch diese und ähnliche Neuerungen ist ein neues, eher rationalistisch geprägtes, Weltbild entstanden. Allerdings wurde dies durch immer neu gewonnene Erkenntnisse in den Naturwissenschaften oft angezweifelt. Aus diesem Grund wollten die Dichter eine Kunst mit eigenen Regeln erschaffen, mit dem Ziel, ihre innere mit der äußeren Welt zu verbinden.
Stilistisch wurden vor allem die Synästhesie und Onomatopöie wieder aufgegriffen. Dies ist vor allem geschehen, um den Kontext zwischen Geruch, Farbe und Klang zu gestalten.2
3. Entstehungsgeschichte
Das Gedicht erschien innerhalb des Gedichtzyklus der "Neuen Gedichte" in Paris und Meudon. Diese wurden im Zeitraum der Jahre 1903 bis 1907 niedergeschrieben. "Der Panther" stellt darin das früheste, der insgesamt 37 vorhandenen Werke, dar. Gegen Ende dieser Zeitspanne, im Dezember 1907, wurde dieser Lyrikband im Insel-Verlag veröffentlicht. Dabei ist zu bemerken, dass der Buchtitel nicht von Rilke selbst gewählt wurde, sondern von dessen Verleger Anton Kippenberg. Allerdings nahm Rainer Maria Rilke die Auswahl und Reihenfolge der Gedichte vor. Anhand dessen ist der Lyrikband als ein Werk mit innerer Ordnung zu bezeichnen.3
„Zwar war diese Lyrik als eine Reihe einzelner und völlig selbstständiger Gedichte entstanden, doch hat sich durch die vom Dichter unternommene Zusammenstellung ein zusammenhängendes Gefüge gebildet, das dem Band ein in sich geschlossenen Charakter verleiht.“4
In den Jahren 1902/03 hat Rilke in Paris gelebt. Hintergrund davon war das Vorhaben, eine Monografie des Künstlers Auguste Rodin zu erstellen. Rilke hat als großer Interessent der Arbeit Rodins gezählt, und hat ein großes Vorbild für ihn dargestellt.5 Infolge des Umgangs beider, war festzustellen, dass „[...] Rilke eine entscheidende Distanz zu sich selbst gewann und sein Schaffen in völlig neuem Licht sah. [...] Desöfteren betonte Rilke, Rodin habe ihn 'sehen', das heißt auf andere, objektivere Weise, wahrnehmen gelernt“.6 "Der Panther" ist eines der favorisierten Gedichte Rilkes. Er beschreibt es als Ergebnis einer sorgfältigen und fundierten Lehre Rodins. Das Werk ist nicht aus dem Zufall heraus entstanden, wie bis zu diesem Zeitpunkt üblich, es glich hingegen der Beobachtungsgabe von Malern oder Bildhauern. Kurze Zeit nach der ersten Zusammenkunft der Beiden, legte Rodin Rilke nahe, den Pariser Zoo zu besuchen, damit er beginne, "richtig sehen zu lernen". Der Dichter beherzigte den Ratschlag seines Vorbilds und hat sich viele Stunden im "Jardin des Plantes" aufgehalten.7
„Eines der ersten Resultate dieses Anschauungsunterrichts, ist ein Gedicht, das im September 1903 in der Prager kulturellen Monatsschrift Deutsche Arbeit gedruckt wird: Der Panther.“8
Zur Entstehung des Werkes hat außerdem ein Gipsabdruck einer kleinen antiken Tigerfigur, welche sich im Besitz Rodins befunden hat, beigetragen. An dieser hat Rilke den „[...] Außdruck des schleichenden Schreitens bis zum Höchsten gesteigert, das gewaltige Niederschlagen der breiten Tatzen und zugleich diese Vorsicht, in die alle Kraft eingehüllt ist“9 bemerkt. Im Vergleich zu seinen vorherigen Gedichten, kann man "[Den] Panther" zu den sogenannten Dinggedichten zählen, da es nach dem Schlüsselerlebnis mit Rodin entstanden ist.10
4. Das Dinggedicht
"Der Panther" ist als klassisches Dinggedicht bekannt. Im Mittelpunkt dieser Gedichtart befindet sich ein Objekt beziehungsweise ein Lebewesen und ergänzend dazu deren Wertung, Wahrnehmung, Deutung und Erfahrung. Dabei wird das ausgewählte Subjekt distanziert oder objektiviert beschrieben. „Insofern ist das Dinggedicht selbst ein Ding, das in einem komplexem Bezugsverhältnis zu dem Ding steht, das es darstellt.“11 Hauptsächlich stehen das Innere und das Wesen des Gegenstandes im Vordergrund. Demzufolge tritt das lyrische Ich in den Hintergrund.12
5. Der Panther
5.1 Inhalt
In der ersten Strophe geht es um den Blick des Panthers, welcher bereits ermüdet ist. Man erfährt, dass sich der Panther hinter Gitterstäben befindet.
In der sich anschließenden Strophe erhält man Auskunft über den Gang des Tieres und dass seine Entschlusskraft scheinbar betäubt ist.
Anhand der letzten Strophe erlangt man Kenntnis über das Innere des Panthers, seine Perzeption und Teilnahmslosigkeit.
In jedem Abschnitt wird also ein Attribut des Panthers aufgegriffen. Man gelangt vom Äußeren in das Innere des Panthers - erst der Blick, dann der Gang und letztlich die Wahrnehmung.
Dem Werk wird oftmals ein symbolischer Charakter in Bezug auf menschliche Existenz zugeschrieben. Es steht zunächst offen, ob "Der Panther" die Situation eines Gefangenen beschreibt oder als Symbol für die Vitalität des Lebens zu verstehen ist. Der Autor beschreibt hierbei nicht nur das Tier, er verdeutlicht außerdem auch dessen Zustand in der Gefangenschaft. „So schildert Rilkes Gedicht nicht nur einen Panther, sondern das gefährdete und gefangene Tier schlechthin und somit auch eine Phase in der Geschichte des zoologischen Gartens, ja der Beziehung des Menschen zum Tier.“13
5.2 Aufbau
Das Gedicht umfasst drei Strophen mit jeweils vier Versen. Durch das Gedicht zieht sich ein unablässiger Kreuzreim. Diesen kann man mit den Schritten des Panthers assoziieren, welche ebenso stetig sind. Er macht fortdauernd einen Schritt vor den anderen. Genauso wie die Kreuzreime regelmäßig, ohne Unterbrechung beziehungsweise Besonderheiten sind, sind es auch seine Bewegungen. Ebendiese Assoziation tritt beim Betrachten der Kadenzen auf. Es erfolgt ein stetiger Wechsel von stumpfen und klingenden Kadenzen.
Beinahe ebenso regelmäßig ist das Versmaß des Gedichts. Es handelt sich von Vers 1 - 11 um einen fünfhebigen Jambus, doch im letzten Vers hat Rilke einen harten Einschnitt geschaffen - das Gedicht endet mit einem vierhebigen Jambus. Dies kann man gleichsetzen mit dem Gemütszustand des Tieres - so, wie das geregelte Versmaß abreißt, erlischt auch des Panthers Wahrnehmung.
In Bezug auf die innere Gliederung des Gedichts ist zu bemerken, dass es durch ein geometrisches Bewegungsmuster gekennzeichnet ist. Es lässt sich darin eine Kreisbewegung erkennen.
Sie „kann als paradigmatische Verkörperung jener 'geschlossenen' Bewegung gelten, die Rilke in den Rodin-Texten als Kennzeichen des 'Dinges' hervorgehoben hat. Sie verbindet Bewegung innerhalb des 'Dinges' mit der Ruhe des 'Dings' nach außen hin, weil die Bewegung in sich selbst zurückkehrt und sich auf diese Weise selbst aufhebt.“14
Bemerkbar macht sich diese "Kreisbewegung" anhand der Zeilensprünge im Gedicht. Setzt man einen Vers mit jeweils einem Kreis des Wesens gleich, so vollführt der Panther zu Beginn des Gedichts zwei Kreise. Dann hält er kurz inne, erkennbar an dem Punkt im Gedicht. Anschließend wiederholt er den Vorgang. Da es sich um die erste Strophe handelt, besteht die Möglichkeit, dass der Panther sich in dieser Weise zu Beginn seiner Gefangenschaft verhalten hat. Er war das Eingesperrtsein noch nicht gewohnt und kannte seinen Tagesablauf noch nicht gut genug. Im Laufe seiner Zeit im Käfig aber hat er verstanden, dass wohl keine Hoffnung mehr für ihn besteht. Es gibt drei Zeilensprünge, und den "Punkt" als Interpunktionszeichen findet man erst am Ende der Strophe. Der Panther erwartet nichts mehr, blickt nicht mal mehr auf. Nur ganz selten noch hebt das Tier seinen Kopf, jedoch ohne tatsächliche Erwartungen, es scheint eher als eine Art Gewohnheit oder Pflicht, denn der Punkt ist nicht am Ende eines Verses - und somit nach Vollendung einer Kreisbewegung - sondern mitten innerhalb eines Verses vorzufinden.
Auffällig, und ebenso für diese Theorie sprechend, ist, dass Rilke mit dem Wort "Sein" beginnt und endet. Es fungiert am Beginn als Possessivpronomen bei "Sein Blick" (V. 1) und als Verb bei "hört [...] auf zu sein" (V. 12). Auch in diesem Punkt findet man also einen Hinweis auf die Wiederholung der "Kreisbewegungen".
5.3 Zeit und Raum
Das Gedicht scheint zeitlos, da das Gefühl entsteht, dass sich dieser Vorgang endlos wiederholen würde. Dadurch lässt sich auch hier ein Vergleich mit der unendlich und monoton erscheinenden Kreisform anstellen. Die sich im Präsens befindenden finiten Verbformen, zum Beispiel "hält" (V. 2), "gäbe" (V. 3), "dreht" (V. 6) und "steht" (V. 8) unterstreichen die sich ständig wiederholenden Bewegungen des Tieres und verstärken den Eindruck, dass diese kein Ende nehmen.
In Strophe eins wird die räumliche Situation des Panthers treffend dargestellt. Dadurch ist eine Übereinstimmung mit der geografischen Lokalisierung des Werkes durchaus erkennbar. Anhand der mehrmals erwähnten "Stäbe" (V. 1, 3, 4) wird beim Leser der Eindruck erweckt, dass sich das Wesen in einem Käfig befindet. Vor allem die Hyperbel "tausend Stäb[e]" (V. 4) suggeriert, dass der Panther in Gefangenschaft lebt und er keine Möglichkeit sieht, in die "Welt" (V. 4) zu entfliehen. Somit werden zwei unterschiedliche Räume gegenübergestellt. Zum einen die vom Panther favorisierte "Welt", zum anderen der Käfig, bestehend aus "tausend Stäben". "Innen" und "Außen" werden innerhalb der letzten Strophe räumlich veranschaulicht. An der Stelle, wo sich der "Vorhang der Pupille" hebt und das "Bild [der Außenwelt] hineingeht", findet eine Verbindung beider statt.
5.4 Erzählperspektive
"Der Panther" wird aus der Perspektive einer Person erzählt, welche, für ein Dinggedicht typisch, offenbar direkt vor dem Käfig des Raubtiers steht. Allerdings wird nie ein lyrisches Ich im Gedicht erwähnt. Als einziger Hinweis auf einen Sprecher dient die eingehende Beschreibung des Panthers und dessen Situation. Es werden zwar keine überaus beeinflussenden Wertungen mittels konnotativer Lexik im Gedicht vorgenommen, aber man erhält das Gefühl, als würde der Panther selbst über seine Situation berichten, da einige Passagen ein besonders ausgeprägtes Einfühlungsvermögen erfordern.
Da das beobachtende Ich aber nie direkt auftritt, sondern sich stets im Hintergrund hält, kann man auch von einer Ich-Dissoziation sprechen.
Der Leser wird in keinem Punkt direkt angesprochen, das Gedicht ist auch ohne Ansprache aussagekräftig. Durch die konkrete Schilderung des Zustands des Panthers wirkt es selbstredend.
5.5 Analyse und Interpretation
Interessant an Rainer Maria Rilkes Gedicht "Der Panther" ist, dass die konkrete Bezeichnung "Panther" lediglich in der Überschrift auftaucht. Im Werk selbst findet man nur Pronomen, anstatt einer konkreten Nennung. So heißt es zum Beispiel bereits in Vers 1 "Sein Blick", oder "Ihm ist" (V. 3). Dies verstärkt, dass das Gedicht nicht nur auf die Situation des gefangenen Panthers zutrifft, sondern auch auf diverse andere.
Innerhalb der ersten Strophe fallen zahlreiche Umlaute auf, zum Beispiel innerhalb des Binnenreims "Stäbe gäbe" (V. 3) Diese veranlassen, dass man das Gedicht langsam und mit Bedacht liest, und dadurch sofort den Trott und die Ausweglosigkeit, in welchen sich der Panther befindet, nachempfinden kann. Anhand der Repetitio "Stäbe" (V. 1, 3, 4) wird dieses Empfinden verstärkt, denn man erhält den Eindruck, dass der Panther nur jene Stäbe vor sich hat und diese seine scheinbar gleichförmige Art des Empfindens einnehmen. Durch die Hyperbel "tausend Stäbe" (V. 4) erhält man dann Sicherheit, dass das Tier innerhalb eines Käfigs gefangen sein muss und es keinen Ausweg sieht. Untermauert wird diese Unüberwindbarkeit der Gefangenschaft durch die Metapher "und hinter tausend Stäben [gibt es (für ihn)] keine Welt." (V. 4). Die Personifikation "vom Vorübergehen der Stäbe" (V. 1) legt nahe, dass sich der Panther gewissermaßen passiv verhält, denn nicht er bewegt sich an den Stäben vorbei, sondern umgekehrt. Die weitere Personifikation "sein Blick [ist] so müd geworden" demonstriert, dass der Panther die Monotonie des Alltags im Käfig bereits gewohnt ist und sich seinem Schicksal hingegeben hat. „Das innere Feuer weicht teilnahmsloser Wahrnehmung, und noch der letzte Funke des Wiedererkennens erlischt in dem Maß, wie er ins Innere vordringt“.15
Die zweite Strophe beginnt mit einer antithetischen Beschreibung des Ganges des Panthers. "Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte" (V. 5) veranschaulicht, dass in dem Tier noch immer Anmut und Kraft wohnen. Diese Erkenntnis bildet einen harten Kontrast zum sich anschließenden Vers, denn der Panther dreht sich im hyperbolisch "allerkleinsten Kreise" (V. 6). So ist der alliterierend "geschmeidige Gang" (V. 5) des Wesens gefangen, ihm ist es nicht mehr möglich, sich zu entfalten. Stattdessen läuft es nur im Kreis, gebrochen, vermutlich am Kaspar-Hauser-Syndrom erkrankt. Rilke vergleicht den besagten Gang mit "ein[em] Tanz von Kraft um eine Mitte" (V. 7). Ein Tanz soll eigentlich Freude und die damit verbundenen Gefühle repräsentieren. Verbunden mit dem Substantiv "Kraft" entsteht beim Leser ein Bild von einem prächtigen Tier, welches sich seiner Stärke bewusst ist und diese auch zur Schau stellt. "Um eine Mitte" meint metaphorisch das Innere des Panthers, wo der Wille zu finden ist. Ebendieser wird innerhalb des letzten Verses der zweiten Strophe thematisiert, allerdings steht dieser betäubt [in der Mitte] (V. 8). Wolfgang Müller interpretiert jene Stelle wie folgt:
„Die Bewegungslosigkeit des im Innern des Kreises wird zum Signifikanten des erstarrten, aufgeschalteten Innern. In der Geometrie des Pantherlebens verliert das Zentrum seine 'zentrale' Stellung und wird zur leeren Mitte; die Verbindung zwischen dem 'Willen' im Innern des Panthers und seinen äußeren Aktionen ist suspendiert.“16
Die Personifikation "großer Wille" passt zum Tanz des Panthers, da dieser jedoch betäubt ist, schließt sich der Kreis mit den anfänglichen Interpretationen der ausweglosen Situation des Panthers.
Der letzte Abschnitt des Gedichts beginnt mit der Metapher "Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille sich lautlos auf" (V. 9 + 10). Mit dem Vorhang ist das Lid des Panthers gemeint, welches sich ab und zu ganz bewusst öffnet. Dies geschieht allerdings recht selten, wie das Temporaladverb am Anfang des Verses ausdrückt. Bei den Augen handelt es sich einem Sprichwort nach um "das Fenster der Seele". In die Seele des Tieres jedoch kann niemand hineinblicken, da diese "verhangen" ist. Ebenso wenig vermag es der Panther seine Umwelt wahrzunehmen. Zudem weist die Personifikation, dass sich die Pupille des Panthers lautlos öffne (V. 9), darauf hin, dass dies nicht in gespannter Erwartung auf etwas hin passiert, sondern es geschieht ohne wahrnehmbare Geräusche, ohne Emotionen. Die sich anschließende Personifikation "[d]ann geht ein Bild hinein, geht durch der Glieder angespannten Stille" (V. 10 + 11) verdeutlicht die bereits am Beginn des Gedichtes festgestellte Passivität des Wesens. Anhand dieser Formulierung bemerkt der Leser, dass den Panther nichts mehr erreicht. Was auch geschieht, er lässt es zu, es tangiert ihn nicht. Außerdem findet an dieser Stelle auch der Kontakt zwischen Außen- und Innenwelt statt. Das Gedicht endet mit der Metapher "und hört im Herzen auf zu sein" (V. 12).
Das Herz stellt in diesem Falle ein Pars pro toto dar, denn es steht für das Innere des Panthers. Für das Tier gibt es nichts Erstrebenswertes, nichts Besonderes mehr. Er reagiert nicht mehr auf äußere Einflüsse, da sie nicht mehr in sein Inneres gelangen.
5.6 Autorenintention
Anhand der Analyse lässt sich abschließend sagen, dass Rilkes "Der Panther" zum einen die Auswirkungen der Gefangenschaft mittels der äußeren und inneren Beschreibung des Tieres erläutert. Da Dinggedichte auf andere Situationen und Objekte beziehungsweise Wesen übertragen werden können, folgt automatisch der Gedanke an den Menschen in Gefangenschaft. Doch dies muss nicht allein auf eine Haftstrafe bezogen sein, sondern ebenso auf den Alltag. Der Mensch unterwirft sich selbst vielen Zwängen und schafft sich somit seinen eigenen "Käfig". Aus diesem auszubrechen, scheint für Betreffende oft unmöglich. Außerdem herrscht bei vielen Leuten im eigenen Leben oft Monotonie. Es besteht die Gefahr, dass jene Personen geistig abstumpfen insofern sie nicht ab und zu aus ihrem Alltag entfliehen. Somit kann Rilkes Gedicht auch als eine Art Appell gelesen werden, das eigene Leben umzustrukturieren und sich den Zwängen der Gesellschaft zumindest teilweise zu entziehen. Allerdings gibt der Autor zu bedenken, dass diese Flucht ohne Hilfe von außen unmöglich scheint. Betroffenen sei also Hilfe zu leisten. Versteckt lässt sich auch stumme Kritik an denen finden, welche für die Qualen des Wesens verantwortlich sind, da sie es erst in diese Situation gebracht haben. Das Werk verdeutlicht die Bedeutung von Freiheit für jedes Individuum.
6. Vergleich der Interpretationen
Folgender Text bezieht sich auf nur eine verwendete Quelle. Alle Zitate stammen aus der am Ende genannten Quelle. Aus Platzgründen erfolgt nur ein Verweis auf jene.
Hans Kügler interpretiert das Gedicht ähnlich. Er fasst den Panther als ein "Natur-ding" auf, welches in jeder der drei Strophen von seiner äußeren Erscheinung her näher beschrieben wird - "Blick, Gang, Auge". Dadurch ist es möglich, in das Innere des Panthers zu blicken. Für Kügler macht das "hartnäckig-geduldige Beobachten" des Tieres "den gesamten lyrischen Erkenntnisprozeß [sic!] aus". Er interpretiert die Stelle "dass er nichts mehr hält" (V. 2) als Verlust des Sehens und Erkennens. Durch "[d]ie äußere Gefangenschaft [...], de[m] Entzug der Freiheit (Stäbe) und [der] damit verbundene[n] totale[n] Weltlosigkeit (»keine Welt«)", erhält der Beobachter zusätzlich "[...] ein[en] Ein-blick in die objektiven Lebensbedingungen".
Im Bezug auf den Rhythmus des Gedichts äußert sich Kügler differenziert. Für ihn durchzieht die erste Strophe "einen schleppenden Rhythmus", welcher "am Ende jedes Satzes zusammenbricht". Da sich der Rhythmus jedoch im gesamten Gedicht nicht zu ändern vermag - mit Ausnahme des letztens Verses - findet auch kein Zusammenbrechen des selbigen am Satzende statt. Ebenso ist es nicht der Rhythmus, welcher schleppend wirkt, sondern eher die zahlreichen Umlaute, welche dafür verantwortlich sind, dass man langsam und mit Bedacht liest. Weiterhin unterstützend für die Aussage, dass nicht der Rhythmus für "das Schleppende" innerhalb der Strophe, verantwortlich ist, ist die Aussage Küglers, dass sich "[der] raubtierhaft[e] Gang des Panthers, der sich hier sprachlich im geschmeidigen Rhythmus der fünf Hebungen widerspigelt". Denn, wie bereits erwähnt, ändert sich der Rhythmus innerhalb der ersten beiden Strophen nicht. Er vermag es demzufolge nicht, zwei solch konträre Dinge auszusagen.
Auch Kügler erkennt eine Kreisbewegung im Gesamt des Gedichts. Für ihn schließt sich der Kreis, indem innerhalb der letzten Strophe "das Grundbild des »müden Blicks« wieder auf[genommen] [wird]".
Der Autor interpretiert äußerst treffend den Schlussteil des lyrischen Werkes. Er verdeutlicht nachdrücklich die Gräueltat des Einsperrens eines jeglichen Lebewesens.
„Im Herzen, sonst Zentrum des Lebens, wird keine Antwort mehr auf die von außen andringende Welt gegeben. Der Panther ist derart in einem doppelten Sinn ein Natur-ding: Er ist ohne Welt, d.h. ohne Wildnis und Freiheit die von Menschen für Menschen ausgestellte «Natur». Er ist in Wahrheit ein Schaustück geworden und hat damit [...] nur noch Kunst, d.h. Imitationscharakter.“17
Die Art des Zitierens folgt der obigen.
Auch Klaus Dieter Hähnel interpretiert das Gedicht mit vielen Parallelen zu den bereits in Punkt fünf dargestellten Ansichten. Er empfindet ebenso, dass der "streng alternierend[e] Rhythmus, [die] Häufung langer Vokale und Diphthonge, bei einem häufigen Hintereinander ein- und zweisilbiger Wörter" die Monotonie, in welcher sich der Panther befindet, ausdrückt. Die mehrmals erwähnten Stäbe stellen für den Autor eine strickte Trennung zwischen zwei Welten dar, die gegenständliche und die für den Panther unsichtbare. Dies begründet er nachvollziehbar damit, dass es nicht der Panther ist, welcher an den Stäben vorübergeht, sondern umgekehrt. „Die Stäbe sind die Agierenden. Die Subjekt-Objekt-Beziehung hat sich verkehrt. Die Stäbe entwickeln also [..] [eine] Art von 'Geistigkeit', [...] die 'Innen' und Außen' scharf trennt.“18
Betrachtet man beide Interpretationen mit der in vorliegender Hausarbeit vorhandenen, so fallen vor allem die Gemeinsamkeiten auf.
7. Literaturverzeichnis
Primärliteratur:
Detering, Heinrich: Reclams großes Buch der deutschen Gedichte. Vom Mittelalter bis
ins 21. Jahrhundert. 3. Auflage. Stuttgart: Reclam 2013.
Sekundärliteratur:
Bradley, Brigitte L.: R.M. Rilkes Neue Gedichte. Ihr zyklisches Gefüge. Bern und
München: Francke 1967.
Engel, Manfred: Rilke Handbuch. Leben - Werk - Wirkung. Stuttgart und Weimar:
J.B. Metzler 2004.
Engel, Manfred; Fülleborn, Ulrich: Rainer Maria Rilke. Gedichte. 1895 - 1910.
Band 1. Frankfurt am Main und Leipzig: Insel 1996.
Freedman, Ralph: Rainer Maria Rilke. Der junge Dichter 1875 bis 1906.
Frankfurt am Main und Leipzig: Insel 2001.
Hähnel, Klaus-Dieter: Rainer Maria Rilke. Berlin und Weimar: Aufbau-Verlag 1984.
Hoffmann, Paul: Symbolismus. München: Fink 1987.
Kahl, Michael: Lebensphilosophie und Ästhetik. Zu Rilkes Werk 1902 - 1910.
Freiburg im Breisgau: Rombach 1999.
Kügler, Hans: Rilke: Der Panther. In: Gedichte aus sieben Jahrhunderten.
Interpretationen. Hrsg.von Karl Hotz. 2. Auflage. Bamberg: Buchner 1990.
Leppmann, Wolfgang: Rilke. Sein Leben, Seine Welt, Sein Werk. 2 Auflage. Bern und
München: Scherz 1993.
Müller, Wolfgang: Rainer Maria Rilkes "Neue Gedichte". Vielfältigkeit eines
Gedichttypus. Meisenheim am Glan: Hain 1971.
Spörl, Uwe: Basislexikon Literaturwissenschaft. 2 Auflage.
Paderborn: Schöningh 2006.
[...]
1 Vgl. Müller, Wolfgang: Rainer Maria Rilkes "Neue Gedichte". Vielfältigkeit eines Gedichttypus. Meisenheim am Glan: Hain 1971. S. 13.
2 Hoffmann, Paul: Symbolismus. München: Fink 1987. S. 25 - 26.
3 Vgl. Kügler, Hans: Rilke: Der Panther. In: Gedichte aus sieben Jahrhunderten. Interpretationen. Hrsg.von Karl Hotz. 2. Auflage. Bamberg: Buchner 1990. S. 210.
4 Bradley, Brigitte L.: R.M. Rilkes Neue Gedichte. Ihr zyklisches Gefüge. Bern und München: Francke 1967. S. 5
5 Ebd. S. 7
6 Ebd. S. 7 - 8.
7 Vgl. Freedman, Ralph: Rainer Maria Rilke. Der junge Dichter 1875 bis 1906. Frankfurt am Main und Leipzig: Insel 2001. S. 329.
8 Leppmann, Wolfgang: Rilke. Sein Leben, Seine Welt, Sein Werk. 2 Auflage. Bern und München: Scherz 1993. S. 257.
9 Vgl. Engel, Manfred; Fülleborn, Ulrich: Rainer Maria Rilke. Gedichte. 1895 - 1910. Band 1. Frankfurt am Main und Leipzig: Insel 1996. S. 933 - 934.
10 Kahl, Michael: Lebensphilosophie und Ästhetik. Zu Rilkes Werk 1902 - 1910. Freiburg im Breisgau: Rombach 1999. S. 93.
11 Spörl, Uwe: Basislexikon Literaturwissenschaft. 2 Auflage. Paderborn: Schöningh 2006. S.179
12 Vgl. Engel, Manfred: Rilke Handbuch. Leben - Werk - Wirkung. Stuttgart und Weimar: J.B. Metzler 2004. S. 301 - 302
13 Leppmann, Wolfgang: Rilke. Sein Leben, seine Welt, sein Werk. S. 259.
14 Müller, Wolfgang: Rainer Maria Rilkes "Neue Gedichte". S. 94-95
15 Freedman, Ralph: Rainer Maria Rilke. S.258
16 Müller, Wolfgang: Rainer Maria Rilkes "Neue Gedichte". S. 94
17 Vgl. Kügler, Hans: Rilke: Der Panther. In: Gedichte aus sieben Jahrhunderten. Interpretationen. S. 210 - 211.
18 Hähnel, Klaus-Dieter: Rainer Maria Rilke. Berlin und Weimar: Aufbau-Verlag 1984. S. 59 - 61.