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Was ist "Masse" und wie entsteht sie? Grundzüge der freud'schen Massenpsychologie

©2015 Essay 8 Seiten

Zusammenfassung

In der folgenden Arbeit wird der Begriff der „Masse“ anhand von Freuds Theorie zur Massenpsychologie behandelt. Insbesondere wird hierbei auf die Entstehung einer „Masse“, und die verschiedenen Arten jener eingegangen. Sigmund Freud setzt sich in seiner 1921 erstmals veröffentlichen Schrift „Massenpsychologie und Ich-Analyse“ mit dem Phänomen der Massenerscheinungen auseinander; hierbei bezieht er sich anfangs auf Le Bons Schilderung der „Massenseele“, die dieser in seinem 1895 erschienenen Werk „Psychologie der Massen“ behandelte. Freud wendet hierbei zudem sein individualpsychologisches Wissen auf Kollektivphenomäne an. In der Einführung seiner Studie stellt er von vornherein den Gegensatz zwischen Individual- und Sozialpsychologie in Frage (vgl. Freud 1921, S. 1).
Die zeitliche Einordnung seines Werkes spiegelt eine Epoche wider, die durch die Erschütterungen des ersten Weltkrieges und die daraus resultierenden politischen Umbrüche geprägt war. Bernd Widdig schreibt dazu:
„Der Zeitpunkt seiner Veröffentlichung ist sowohl aus Freuds Gesamtwerk wie auch aus der historischen Situation heraus verständlich. Freuds Interesse wendet sich zunehmend von der individuellen therapeutischen Theorie und Praxis hin zu makrogesellschaftlichen Strukturen: Kulturkritik, Ethnologie und Religion werden die beherrschenden Themen seines Spätwerkes. Nicht zu unterschätzen ist auch die Erfahrung des Ersten Weltkrieges als eines Massenkrieges und damit die sich verschärfende Frage nach der Beziehung zwischen Individuum und Masse. Außerdem sah sich Freud schon seit Beginn des Jahrhunderts mit einer zunehmenden antisemitischen Massenbewegung in Wien konfrontiert, die etwa in der Übernahme des Bürgermeisteramtes von Wien durch Karl Lueger ihren Ausdruck fand“
(Widdig 1992, S.102f.).

Im Folgenden sollen die Grundlagen der Freud‘schen Theorie verdeutlicht werden und in einem Sinnzusammenhang mit einem aktuellen Massenphänomen anhand einer Subkultur dargestellt werden.

Leseprobe

In der folgenden Arbeit wird der Begriff der „Masse“ anhand von Freuds Theorie zur Massenpsychologie behandelt. Insbesondere wird hierbei auf die Entstehung einer „Masse“, und die verschiedenen Arten jener eingegangen. Sigmund Freud setzt sich in seiner 1921 erstmals veröffentlichen Schrift „ Massenpsychologie und Ich-Analyse“ mit dem Phänomen der Massenerscheinungen auseinander; hierbei bezieht er sich anfangs auf Le Bons Schilderung der „ Massenseele“, die dieser in seinem 1895 erschienenen Werk „ Psychologie der Massen“ behandelte. Freud wendet hierbei zudem sein individualpsychologisches Wissen auf Kollektivphenomäne an. In der Einführung seiner Studie stellt er von vornherein den Gegensatz zwischen Individual- und Sozialpsychologie in Frage (vgl. Freud 1921, S. 1).

Die zeitliche Einordnung seines Werkes spiegelt eine Epoche wider, die durch die Erschütterungen des ersten Weltkrieges und die daraus resultierenden politischen Umbrüche geprägt war. Bernd Widdig schreibt dazu:

„Der Zeitpunkt seiner Veröffentlichung ist sowohl aus Freuds Gesamtwerk wie auch aus der historischen Situation heraus verständlich. Freuds Interesse wendet sich zunehmend von der individuellen therapeutischen Theorie und Praxis hin zu makrogesellschaftlichen Strukturen: Kulturkritik, Ethnologie und Religion werden die beherrschenden Themen seines Spätwerkes. Nicht zu unterschätzen ist auch die Erfahrung des Ersten Weltkrieges als eines Massenkrieges und damit die sich verschärfende Frage nach der Beziehung zwischen Individuum und Masse. Außerdem sah sich Freud schon seit Beginn des Jahrhunderts mit einer zunehmenden antisemitischen Massenbewegung in Wien konfrontiert, die etwa in der Übernahme des Bürgermeisteramtes von Wien durch Karl Lueger ihren Ausdruck fand“

(Widdig 1992, S.102f.).

Im Folgenden sollen die Grundlagen der Freud‘schen Theorie verdeutlicht werden und in einem Sinnzusammenhang mit einem aktuellen Massenphänomen anhand einer Subkultur dargestellt werden.

Der Begriff der Masse scheint auf den ersten Blick keine besondere Definition zu benötigen, allerdings wird er je nach Kontext anders verwendet. Eine allgemeine Definition lautet: „…vieldeutig gebrauchte Bezeichnung für eine große, aber relativ unstrukturierte Menge von Menschen“ (Lipp 2011, S. 425f.). Freud bezieht sich in seiner Deutung des Massebegriffs auf Le Bons Ausführungen, dieser beschreibt die Masse als:

„…ein unbestimmtes Wesen, das aus ungleichartigen Bestandteilen besteht, die sich für einen Augenblick miteinander verbunden haben, genau so wie die Zellen des Organismus durch ihre Vereinigung ein neues Wesen mit ganz anderen Eigenschaften als denen der einzelnen Zellen bilden“ (Le Bon 2009, S. 32f.).

Diese Auslegung kommt Freuds Annahme entgegen, dass sich Sozialpsychologie und Individualpsychologie lediglich in ihrem Blickwinkel unterscheiden (vgl. Freud 1921, S. 1f.). Er skizziert die Masse als das Ergebnis „…eines besonderen, weiter nicht zurückführbaren Triebes,…des sozialen Triebes, der in anderen Situationen nicht zum Ausdruck kommt“ (Freud 1921, S. 3). In seiner weiteren Argumentation, geht Freud auf das Werk The Group Mind von William McDougall ein, anhand dessen Theorie er die „Masse“ kategorisiert, hierbei stellt er fest:

„daß man sehr verschiedene Arten von Massen und gegensätzliche Richtungen in ihrer Ausbildung unterscheiden kann. Es gibt sehr flüchtige Massen und höchst dauerhafte; homogene, die aus gleichartigen Individuen bestehen, und nicht homogene; natürliche Massen und künstliche, die zu ihrem Zusammenhalt auch einen äußeren Zwang erfordern; primitive Massen und gegliederte, hoch organisierte“ (Freud 1921, S. 46).

Anhand dieser Ausführungen kann man erkennen, dass das Individuum und Masse eng miteinander verwoben sind. Dieser Aspekt wird in der Beschreibung der Massenseele von Le Bon verdeutlicht; seiner Auffassung nach entsteht eine psychologische Masse nicht aus dem Durchschnitt oder der Summe der Einzelnen, sondern durch das Entstehen einer „Gemeinschaftsseele“ mit gänzlich neuen Eigenschaften (vgl. Le Bon 2009, S. 31ff.).

Diesen Prozess schildert er wie folgt: „Die bewusste Persönlichkeit schwindet, die Gefühle und Gedanken aller einzelnen sind nach derselben Richtung orientiert“ (Le Bon 2009, S. 29).

Er konstatiert, dass die Eigenschaften der Massenseele vom unbewussten Seelenleben beherrscht werden. Die unbewussten Eigenschaften der Einzelnen sind in einer gemeinsamen „Rassenseele“ ausgeprägt und bilden so die gemeinschaftliche Grundlage der Masse. Diese Kollektivierung erklärt, warum die Masse keine Kritikfähigkeit und besondere Intelligenz besitzt, da diese hauptsächlich vom bewussten Geistesleben gesteuert werden (vgl. Le Bon 2009, S. 33f.). Weiter führt Le Bon die drei Ursachen dieser Charakterumbildung des Einzelnen in der Masse auf, diese sind, nach seiner Auffassung der Rückgang des Verantwortungsgefühls und eine daraus resultierende Übersteigerung der Triebe, die Möglichkeit der „Ansteckung“, welche er als hypnotischen Zustand beschreibt und die Suggestibilität (vgl. Le Bon 2009, S. 35ff.).

Freud konzentriert die charakteristischen Eigenschaften der „Massenseele“ auf die wesentlichen (zu meist negativen) Inhalte von Le Bon: Kritiklosigkeit, Traditionalismus, Autoritätsgläubigkeit, Intoleranz, logische Widersprüchlichkeit, Wortmagie und fehlender Wahrheitsdurst. (vgl. Freud 1921, S.17ff.). Er nennt aber auch positive Eigenschaften der Massenseele:

"Aber die Massen sind auch unter dem Einfluß der Suggestion[1] hoher Leistungen von Entsagung, Uneigennützigkeit, Hingebung an ein Ideal fähig. Während der persönliche Vorteil beim isolierten Individuum so ziemlich die einzige Triebfeder ist, ist er bei den Massen sehr selten vorherrschend. Man kann von einer Versittlichung des Einzelnen durch die Masse sprechen. Während die intellektuelle Leistung der Masse immer tief unter der des Einzelnen steht, kann ihr ethisches Verhalten dies Niveau ebenso hoch überragen, wie tief darunter herabgehen“ (Freud 1921, S. 18f.).

Eine psychologische Masse bedarf eines „Führers“; Le Bons Ausführungen, dass ein „Führer“ über einen starken Glauben - an eine Idee - beseelt ist und über ein „Prestige“ verfügt, dass in der Masse eine subalterne Haltung auslöst, gehen Freud jedoch nicht weit genug (vgl. Freud 1921, S. 22ff.).

Freud erkennt in seiner eigenen Untersuchung, dass Menschen durch ihr Einbeziehung in institutionelle Gemeinschaften „kulturisiert“ werden, differenziert aber anhand der Theorie von William McDougall, dass es auf den „Organisationsgrad“ der Masse zur Aufhebung der psychischen Kehrseite der Massenbildung ankommt (vgl. Freud 1921, S.25-36), hierzu führt er aus:

„Die Aufgabe besteht darin, der Masse gerade jene Eigenschaften zu verschaffen, die für das Individuum charakteristisch waren und die bei ihm durch die Massenbildung ausgelöscht wurden. Denn das Individuum hatte - außerhalb der primitiven Masse – seine Kontinuität, sein Selbstbewußtsein , seine Traditionen und Gewohnheiten, seine besondere Arbeitsleistung und Einreihung und hielt sich von anderen gesondert, mit denen es rivalisierte. Diese Eigenart hatte es durch seinen Eintritt in die nicht „organisierte“ Masse für eine Zeit verloren.“ (ebd., S. 35)

Freud bekräftigt diese These, indem er sein Augenmerk auf zwei hochorganisierte, dauerhafte und künstliche Massen richtet: Kirche und Heer. Für beide Massen gilt, dass ein gewisser „äußerer Zwang“ gilt, und sie über einen Führer verfügen. Bei seiner Beobachtung stellt er fest, dass es in derartigen Massen zwei libidinöse Bindungen des Individuums gibt - gegenüber dem Oberhaupt (der diese in deren Illusion „liebt“) und gegenüber den anderen Mitgliedern der Masse. Er belegt diese libidinösen Beziehungen in einem ersten Schritt durch den Ausbruch der Panik (vgl. Freud 1912, S. 46-56).

In einem zweiten Schritt beleuchtet Freud die Gefühlsbindungen in Bezugnahme auf seine individualpsychologischen Erkenntnisse – Insbesondere seine Theorie von der Libido. Hierbei beschreibt er den „Triebdualismus“ noch einmal genauer in Bezug auf die Masse. Er stellt fest, dass diese narzisstisch-aggressive Komponente in der Masse nicht besteht (vgl. Freud 1912, S. 62-65), in ihr „benehmen sich die Individuen, als wären sie gleichförmig, dulden sie die Eigenart des anderen, stellen sich ihm gleich und verspüren kein Gefühl der Abstoßung gegen ihn“ (Freud 1912, S.62).

Freud geht zudem auf die individualpsychologischen Begriffe der „Verliebtheit“ und der Hypnose ein. Bei der Liebe kommt es demnach zu einer Idealisierung des Objekts, die innerhalb der Masse zu einem Versagen des Ich-Ideals führt und im Extremfall dazu, dass das Objekt das Ich-Ideal ersetzt. Bei der Hypnose passiert ähnliches, jedoch ist diese Beziehung auf dem Ausschluss sexueller Befriedigung begründet, der Hypnotiseur ist in diesem Fall das Objekt und ersetzt das Ich-Ideal. (vgl. Freud 1912, S. 78-88)

Seine Erkenntnisse präzisiert Freud wie folgt:

„Durch die bisherigen Erörterungen sind wir aber voll darauf vorbereitet die Formel für die libidinöse Konstitution einer Masse anzugeben. Wenigstens einer solchen Masse, wie wir sie bisher betrachtet haben, die also einen Führer hat und nicht durch allzuviel 'Organisation' sekundär die Eigenschaften eines Individuums erwerben konnte. Eine solche primäre Masse ist eine Anzahl von Individuen, die ein und dasselbe Objekt an die Stelle ihres Ich-Ideals gesetzt und sich infolge dessen in ihrem Ich miteinander identifiziert haben“ (Freud 1912, S. 87f.).

Mit dieser Zusammenfassung präzisiert Freud den Massebegriff, er unterteilt die Masse in primäre Massen - solche die einen Führer oder einen Objekt - anstelle Ihres Ich-Ideals gesetzt haben und sich infolgedessen miteinander identifiziert haben, und in sekundäre Massen. Die sekundäre Masse ist hierbei eine Masse durch „Organisation“. Das Individuum erhält hierbei jene Eigenschaften die in der Massenbildung verloren gingen durch den Organisationsgrad der Masse zurück. (vgl. Lipp 2011, S. 425f.).

Unter Einbeziehung der vorstehend dargelegten Theorie Freuds soll nun die Subkultur der „Gothics[2] “ oder „Grufties“ genauer betrachtet werden. Die „schwarze Szene“ ist eine verhältnismäßig neue Erscheinung; entstanden ist sie Ende der 1970er bis Anfang der 80er Jahre in Großbritannien aus der Punkszene heraus (vgl. Schmidt / Neumann-Braun 2008, S. 74). Die Anfänge der Szene wurden vor allem durch Musiker geprägt. Hierbei sind insbesondere der Sänger Robert Smith (The Cure) und die Sängerin Siouxsie (Banshees) als Vorreiter der Bewegung zu nennen. Sie prägten die Gothic-Kultur in den Anfängen durch ihren divergenten Kleidungsstil und die morbid und introvertiert anmutenden Texte ihrer Musik (vgl. Schmidt / Neumann-Braun 2008, S. 74f.).

[...]


[1] „Suggestion, starke Beeinflussung der Wahrnehmung , des Denken und Handelns der Menschen jenseits deren Selbstkontrolle…“ (Rammstedt 2011, S.667)

[2] „Der Begriff ‚Gruftie‘ ist vom Motiv der ‚Gruft‘, das insbesondere in den Gothic Novels der Romantik gehäuft auftritt, abgeleitet. Die Grufties benennen die Gothic Novels der Romantik auch selbst als Bezugspunkt, was sich an ihrer englischen Bezeichnung ‚ Gothic Punk’ ablesen lässt“ (Schmidt / Neumann-Braun 2008, S. 74).

Details

Seiten
Jahr
2015
ISBN (eBook)
9783956875960
ISBN (Buch)
9783668005532
Dateigröße
477 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover – Institut für Soziologie
Erscheinungsdatum
2015 (Juni)
Note
1,7
Schlagworte
Freud Massenpsychologie Le Bon Gothic Masse psychologische Masse
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