Frühpädagogik in Spanien. Einfluss der Fachkraft-Kind-Relation auf das Verhalten und die Entwicklung des Kindes
Zusammenfassung
Im Vergleich zu anderen europäischen Ländern weist beispielsweise Spanien eine sehr hohe Fachkraft-Kind-Relation auf, d.h. eine geringe Anzahl von Erzieherinnen betreut relativ viele Kinder gleichzeitig. Da es spätestens mit drei Jahren für fast alle Kinder in Spanien selbstverständlich ist, einen kleinen oder großen Teil des Tages in einer Kindertageseinrichtung zu verbringen, ergibt sich die Frage, ob die dort vorherrschende hohe Fachkraft-Kind-Relation in Kindertageseinrichtungen (null bis sechs Jahre) Einfluss auf das Verhalten und die Entwicklung des Kindes hat.
Um diese Fragestellung beantworten zu können, werden zunächst einige einleitende Informationen zu Spanien und dem dortigen Erziehungs- und Bildungssystem gegeben. Nach dem Vergleich der Fachkraft-Kind-Relationen einiger europäischer Länder werden Resultate aus Längsschnittstudien vorgestellt, welche Bezug zu den Einflussmöglichkeiten der Fachkraft-Kind-Relation auf das Verhalten und die Entwicklung des Kindes nehmen. Abschließend wird erörtert, ob bzw. inwieweit diese Forschungsergebnisse auf das frühpädagogische Bildungssystem Spaniens übertragbar sind.
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Vorwort
2. Einleitende Informationen zu Spanien und der dortigen Frühpädagogik
3. Fachkraft-Kind-Relation
3.1 Europäischer Vergleich
3.2 Einfluss auf das Verhalten und die Entwicklung des Kindes
4. Fazit
5. Literatur- und Quellenverzeichnis
1. Vorwort
Obwohl Europa immer mehr zusammenwächst, sind dennoch in den einzelnen Ländern verschiedene Traditionen und auch verschiedene Erziehungs- und Bildungssysteme zu verzeichnen. Im Rahmen einer europäischen Perspektive ergeben sich daher zahlreiche Fragen: Welche Tageseinrichtungen gibt es in den verschiedenen Ländern? Wie ist die Ausbildung der pädagogischen Fachkräfte gestaltet? Stehen eher Bildungs- oder Betreuungsaufgaben im Vordergrund? Welche Fachkraft-Kind-Relation ist zu verzeichnen?
Im Vergleich zu anderen europäischen Ländern weist beispielsweise Spanien eine sehr hohe Fachkraft-Kind-Relation auf[1], d.h. eine geringe Anzahl von Erzieherinnen[2] betreut relativ viele Kinder gleichzeitig. Da es spätestens mit drei Jahren für fast alle Kinder in Spanien selbstverständlich ist, einen kleinen oder großen Teil des Tages in einer Kindertageseinrichtung zu verbringen[3], ergibt sich die Frage, ob die dort vorherrschende hohe Fachkraft-Kind-Relation in Kindertageseinrichtungen (null bis sechs Jahre) Einfluss auf das Verhalten und die Entwicklung des Kindes hat.
Um diese Fragestellung beantworten zu können, werden zunächst einige einleitende Informationen zu Spanien und dem dortigen Erziehungs- und Bildungssystem gegeben. Nach dem Vergleich der Fachkraft-Kind-Relationen einiger europäischer Länder werden Resultate aus Längsschnittstudien vorgestellt, welche Bezug zu den Einflussmöglichkeiten der Fachkraft-Kind-Relation auf das Verhalten und die Entwicklung des Kindes nehmen. Abschließend wird erörtert, ob bzw. inwieweit diese Forschungsergebnisse auf das frühpädagogische Bildungssystem Spaniens übertragbar sind.
2. Einleitende Informationen zu Spanien und der dortigen Frühpädagogik
Seit der Verabschiedung der Verfassung im Jahre 1978 ist Spanien eine parlamentarische Monarchie[4], welche sich in 17 Autonome Gemeinschaften (Comunidades Autónomas) sowie in die autonomen Städte Ceuta und Melilla gliedert[5]. Die offizielle Amtssprache ist castellano (Spanisch); bestimmte Regionalsprachen (z.B. Katalanisch oder Baskisch) sind in den jeweiligen Gebieten jedoch ebenfalls offiziell anerkannt.[6] Unter der spanischen Gesamtbevölkerung von 46.507.760 Einwohnern befanden sich im Januar 2014 3.336.730 Kinder im Alter zwischen null und sechs Jahren.[7]
Die Errichtung eines staatlichen Erziehungs- und Bildungssystems in Spanien verlief insgesamt recht langsam[8] denn „the Spanish State long delayed assuming responsibility for public instruction“[9]. Lange Zeit war Erziehung daher in den Händen privater, meist religiöser Initiativen[10] ; erst etwa ab 1975 weitete sich das staatlich kontrollierte und geförderte Vorschulwesen aus[11]. Seit 2006 regelt das Ley Orgánica de Educación (LOE) das Bildungssystem von der frühkindlichen Erziehung und Bildung bis hin zur Berufsbildung.[12] Der frühpädagogische Bereich, die sogenannte educación infantil, ist für Kinder zwischen null und sechs Jahren gedacht[13] und gliedert sich in zwei Zyklen: Der erste Zyklus umspannt die Altersstufe von null bis drei, der zweite die von drei bis sechs Jahren[14]. D.h. beide Altersstufen sind zu einem gemeinsamen Bildungssystem integriert. Die zwei Zyklen der educación infantil sind freiwillig und haben u.a. zum Ziel, die physische, affektive, soziale und intellektuelle Entwicklung der Kinder zu fördern.[15]
Nach dem Ende der Diktatur durch den Tod Francos im Jahre 1975 begann in Spanien ein Prozess der Dezentralisierung.
Die spanische Frühpädagogik folgt daher einem föderalen Bildungssystem, bei welchem sowohl die nationale Regierung als auch die regionalen Regierungen[16] sowie die Kommunen und die frühpädagogischen Einrichtungen über Verantwortungen und Machtbefugnisse verfügen[17].
Des Weiteren gibt es drei Arten von Trägern: Öffentliche Träger, private Einrichtungen, welche staatlich subventioniert werden sowie private, gewinnorientierte Trägerschaften.[18]
3. Fachkraft-Kind-Relation
3.1 Europäischer Vergleich
Die Fachkraft-Kind-Relation gibt an, „für wie viele Kinder jeweils eine pädagogische Fachkraft durchschnittlich zur Verfügung steht.“[19] Betrachtet man die Fachkraft-Kind-Relation im europäischen Vergleich, sind unterschiedliche Verhältnisse zu erkennen[20]:
– Dänemark: 0- bis 2-Jährige: 1:3.3; 3- bis 5-Jährige: 1:7.2[21]
– Deutschland: unter 3 Jahren: 1:3; 3 bis 6 Jahre: 1:7.5 (von der Bertelsmann Stiftung empfohlene Werte; Realwerte u.a. abhängig vom jeweiligen Bundesland)[22]
– England: unter 2 Jahren: 1:3; 2 Jahre: 1:4; 3- bis 7- Jährige: 1:8
– Finnland: unter 3 Jahren: 1:4; über 3 Jahren: 1:7
– Frankreich: 0- bis 2-Jährige: 1:5; 2- bis 3-Jährige: 1:8; 3- bis 6-Jährige: 1:25.5
– Niederlande: 0-Jährige: 1:4; 1- bis 2-Jährige: 1:5; 2- bis 3-Jährige: 1:6; 4- bis 12-Jährige: 1:10
– Norwegen: 0- bis 3-Jährige: 1:8; 3- bis 6-Jährige: 1:16[23]
In Spanien wird die Fachkraft-Kind-Relation des ersten Zyklus durch die jeweilige Comunidad Autónoma geregelt. Für Kinder unter einem Jahr wird meistens eine Relation von 1:8 verordnet, für Kinder zwischen ein und zwei Jahren liegt der Wert bei 1:13 und bei Kindern zwischen zwei und drei Jahren sind es im Durchschnitt 16 bis 20 Kinder pro Erzieherin. Die Fachkraft-Kind-Relation des zweiten Zyklus wird durch das Ministerio de Educación, Cultura y Deporte vorgegeben: Eine maximale Anzahl von 25 Kindern pro Erzieherin darf nicht überschritten werden.[24] Die Fachkraft-Kind-Relation ist in Spanien jedoch nicht nur abhängig von der jeweiligen Comunidad Autónoma und vom Zyklus, sondern auch von der Trägerschaft: Erhebungen aus dem Schuljahr 2013/2014 zufolge betreut in den öffentlichen Einrichtungen eine Erzieherin im Durchschnitt 12,6 Kinder im ersten und 21,2 im zweiten Zyklus.
[...]
[1] Vgl. Kapitel 3.1.
[2] Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird im folgenden Fließtext auf die gleichzeitige Verwendung männlicher und weiblicher Sprachformen verzichtet. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten gleichwohl für beiderlei Geschlecht.
[3] Vgl. Ministerio de Educación, Cultura y Deporte 2013, S. 4f.
[4] Vgl. Constitución Española 1978, § 1 Abs. 3.
[5] Vgl. Otero Hidalgo / Muñoz Machado / Fernández Rodríguez 2002, S. 5.
[6] Vgl. Constitución Española 1978, § 3 Abs. 1 und 2.
[7] Vgl. Instituto Nacional de Estadística 2014.
[8] Vgl. Tiana 2011, S. 807.
[9] Maravall 1995, S. 42.
[10] Vgl. ebd.
[11] Vgl. Oberhuemer / Schreyer 2010, S. 390.
[12] Vgl. LOE 2006, § 3 Abs. 2.
[13] Vgl. ebd., § 12 Abs. 1.
[14] Vgl. ebd., § 14 Abs. 1.
[15] Vgl. ebd., § 12 Abs. 2.
[16] Vgl. Zabalza Beraza 2005, S. 293f.
[17] Vgl. LOE 2006, § 1 i).
[18] Vgl. Oberhuemer / Schreyer 2010, S. 392.
[19] Viernickel / Schwarz 2009, S. 8.
[20] Bei den Angaben zu den Fachkraft-Kind-Relationen handelt es sich nicht immer staatliche Vorgaben, sondern auch um Durchschnittswerte, welche oftmals zudem von lokalen Abweichungen geprägt sind.
[21] Vgl. OECD 2006, S. 310.
[22] Vgl. Bertelsmann Stiftung 2013.
[23] Vgl. OECD 2006, S. 318ff.
[24] Vgl. Eurydice España-REDIE / Ministerio de Educación, Cultura y Deporte 2013.