Die Europäische Währungsunion (EWU) ist ein noch nie da gewesenes Projekt. Es ist das erste Mal, dass souveräne Staaten, derzeit 19 an der Zahl, eine einheitliche Währung einführen. Seit im Jahre 2008 die Eurokrise ausbrach, ist ein zunehmend deutlich werdendes Gefälle zwischen den Euroländern erkennbar. Der letzte Wahlerfolg der linkspopulistischen Syriza-Partei zur stärksten politischen Kraft Griechenlands ist nur ein aktuelles Beispiel für den wachsenden Unmut innerhalb der Bevölkerung. Doch welche Implikationen bringt dieses wirtschaftliche Gefälle mit sich? Was bedeutet es hinsichtlich der Stabilität der EWU?
Diese Arbeit soll einen Beitrag zur Beantwortung dieser Leitfrage leisten, indem sie aus einer vorwiegend keynesianischer Perspektive Antworten gibt. Dabei sollen besondere Schwerpunkte auf der Rolle der Europäischen Zentralbank sowie den unterschiedlichen Lohn- und Preisniveaus liegen.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung und Hintergründe
1.1 Fragestellung und Methodik
1.2 Theoriekapitel: Der Keynesianismus und die Debatte um Preisstabilität
1.3 Theoriekapitel: Lohnstückkosten bestimmen die Inflation
2. Volkswirtschaftliche Heterogenität als Problem der EZB
2.1 Konstruktionsfehler bereits bei der Einführung
2.2 Auf- und Abwertung der Währung
2.3 Zinsen und Staatsanleihen
3. Divergente Entwicklungen der Wettbewerbsfähigkeit
3.1 Heterogene Lohnregime
3.2 Divergente Lohnstückkostenentwicklung
3.3 Handelsüberschüsse und –Defizite
4. Wirtschaftspolitische Schlussfolgerung
Resümee
Literatur
1. Einleitung und Hintergründe
1.1 Fragestellung und Methodik
Die Europäische Währungsunion (EWU) ist ein noch nie da gewesenes Projekt. Es ist das erste Mal, dass souveräne Staaten, derzeit 19 an der Zahl, eine einheitliche Währung einführen. Seit im Jahre 2008 die Eurokrise ausbrach, ist ein zunehmend deutlich werdendes Gefälle zwischen den Euroländern erkennbar. Der letzte Wahlerfolg der linkspopulistischen Syriza-Partei zur stärksten politischen Kraft Griechenlands ist nur ein aktuelles Beispiel für den wachsenden Unmut innerhalb der Bevölkerung, der besonders von der Krise betroffenen Staaten. Doch welche Implikationen bringt dieses wirtschaftliche Gefälle mit sich? Was bedeutet es hinsichtlich der Stabilität der EWU? In einem Satz lässt sich Fragen:
Inwieweit birgt volkswirtschaftliche Heterogenität zwischen den Mitgliedstaaten eine Gefahr für die Stabilität der Europäischen Währungsunion?
Diese Arbeit soll einen Beitrag zur Beantwortung dieser Leitfrage leisten, indem sie aus einer vorwiegend keynesianischer Perspektive Antworten gibt. Aufgrund der markanten Diversität keynesianischer Strömungen (vgl. Schaper 2001: 15ff) kann aus diesem Anspruch jedoch nicht abgeleitet werden, dass dieser Arbeit „dem Keynesianismus“ zuzurechnen ist. Vielmehr sollen einige – tendenziell keynesianische Annahmen – eine Analyse volkswirtschaftlicher Heterogenität in der Eurozone ermöglichen. Dabei sollen besondere Schwerpunkte auf der Rolle der Europäischen Zentralbank sowie den unterschiedlichen Lohn- und Preisniveaus liegen.
1.2 Theoriekapitel: Der Keynesianismus und die Debatte um Preisstabilität
Nach dem Scheitern des Wirtschaftsliberalismus‘ während der Weltwirtschaftskrise wurde in der Ökonomie regelmäßig debattiert, in welchem Maße staatliche Intervention von Nöten sei und wie viele Freiheiten man den Unternehmen bzw. den Märkten lassen sollte. Die Einführung der sogenannten Phillips-Kurve führte zu einer Intensivierung der Konfliktlinie zwischen Vollbeschäftigung und Preisstabilität. Denn „die modifizierte Kurve zeigt, dass höhere Inflationsraten von geringen Arbeitslosenquoten begleitet sind und umgekehrt. Dadurch wird der Eindruck erweckt, dass es eine Wahlmöglichkeit zwischen Arbeitslosigkeit und Inflation gibt und dass die Beschäftigungspolitik im Sinne des Keynesianismus durch expansive Geld- und Fiskalpolitik die Beschäftigung erhöhen kann, wenn sie bereit ist, dafür eine höhere Inflationsrate in Kauf zu nehmen.“ (Bauer/Pollert 2013: 114f) Es folgte ein ökonomischer Mittelweg von Vollbeschäftigung und Preisstabilität, bei dem es für einige Zeit gelang, die Inflation gering zu halten und Vollbeschäftigung herzustellen. In den 1970er Jahren jedoch kam es zum sogenannten Ölschock. Dieser wirtschaftliche Angebotsschock ließ sich nicht mit dem prädominanten Konzept der Nachfragesteuerung vereinbaren und man suchte dringend nach Lösungen um die sukzessiv steigende Inflation zu bekämpfen. Im Wesentlichen wurden zwei Lösungsansätze diskutiert (vgl. Galbraith 2013: 39f):
1. Einen Erhalt der Vollbeschäftigung durch Steuersenkungen oder durch vermehrte Konjunkturprogramme.
2. Das Verhindern einer Inflationsspirale durch eine restriktive Geldpolitik, unter der Prämisse, dass der Angebotsschock ein Inflationsauslöser sei.
Mit der „Thatcher-Reagan-Revolution 1981-1997“ (Galbraith 2013: 39), also der angebotsorientierten Wirtschaftspolitik Margaret Thatchers und Ronald Reagans, obsiegte das Ziel der Preisstabilität über das der Vollbeschäftigung und neoklassische Lehren setzten sich durch. Die keynesianische Strategie der Wirtschaftsstimulation wurde supprimiert. In diesem Sinne wurde auch die monetaristische Inflationsvorstellung zum vorherrschenden Paradigma und die Geldmenge rückte zunehmend ins Zentrum des ökonomischen Mainstreams. Gerade aufgrund dieser Omnipräsenz neoklassischer Lehren soll sich diese Arbeit mit alternativen – vorwiegend keynesianisch geprägten - Konzepten auseinandersetzen.
1.3 Theoriekapitel: Lohnstückkosten bestimmen die Inflation
In diesem Sinne wird in den nachfolgenden Kapiteln von einer eher keynesianischen Vorstellung von Inflation – basierend auf dem Verhältnis von Produktivität und Lohnkosten – ausgegangen. Nach Lapavitsas und Flassbeck (vgl. 2013: Kapitel 3), entsteht Inflation aus dem Verhältnis des Wachstums von Nominallöhnen und von Produktivität, den sogenannten Lohnstückkosten. Lohnstückkosten bemessen den finanziellen Aufwand, der aufgebracht werden muss, um eine Leistungseinheit zu produzieren. In diesem Sinne können sie als Indikator für Wettbewerbsfähigkeit herangezogen werden; denn wer in der Lage ist, mit wenig Geld viel zu produzieren, kann seine Produkte günstiger bzw. gewinnbringender offerieren. Die Lohnstückkosten nehmen zu, wenn die Nominallöhne schneller steigen als die Produktivität; umgekehrt sinken die Lohnstückkosten, wenn die Produktivität wächst und die Löhne stagnieren. (Schaper 2001: 50; Kromphardt 2003: 502; Stein et al. 2012: 8; Lapavitsas/Flassbeck 2013: Kapitel 1.3) Lapavitsas und Flassbeck (2013: 8) beschreiben diesen Zusammenhang zwischen Inflation und Lohnstückkosten so: „Unit labour costs can be regarded as a perfect instrument to forecast and control inflation. The most important evidence is the high and stable correlation between the growth of unit labour costs (ULC) and the inflation rate.“ (Lapavitsas/Flassbeck 2013: 8) In diesem Sinne ist in der nachfolgend dargestellten Grafik deutlich zu erkennen, wie die Entwicklung der Lohnstückkosten („UCL growth“) mit der Entwicklung der Inflationsrate korreliert.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Nachfolgend wird also supponiert, dass die Inflationsrate durch Lohnstückkosten bestimmt wird.
2. Volkswirtschaftliche Heterogenität als Problem der EZB
2.1 Konstruktionsfehler bereits bei der Einführung
Wie eingangs bereits erwähnt, ist die Europäische Währungsunion ein noch nie da gewesenes Projekt. Weil es mit einem Projekt dieser Größenordnung bisher noch keine Erfahrung gegeben hat, ist zwischenstaatliche Verständigung umso wichtiger. Dazu gehört unter anderem das Definieren von gemeinsamen ökonomischen Zielen und Absichten. Dies geschah 1992 im Vertrag von Maastricht, mit den sogenannten EU-Konvergenzkriterien (Art. 126 und Art. 140 des AEU-Vertrags; etwa bei Streinz 2003). Diese Kriterien sind monetäre und fiskalische Vorgaben, nach denen sich die Mitgliedstaaten zu richten haben. Als Konsequenz der, im Kapitel 1.2 geschilderten, Entwicklung des ökonomischen Diskurses wurde der Preisstabilität im Vertragswerk höchste Priorität zugedacht. Insbesondere die deutsche Regierung strebte danach, dass die Europäische Zentralbank nach deutschem Vorbild errichtet wird. In der Konsequenz wurde die EZB nach neoklassischen bzw. monetaristischen Lehren errichtet (Heinisch 2015: 357f; Scharpf 2011a: 1). Unter anderem deswegen wurde die direkte Refinanzierung der Staaten sowie die Ausgabe von gemeinsamen Staatsanleihen untersagt.
Die Stellung der EZB ist aus keynesianischer Sicht überaus relevant für die Krise. Wie es noch zu zeigen gilt (vgl. Kapitel 2.3 sowie Oberkapitel 3), unterscheiden sich die 19 Volkswirtschaften der Eurozone in zentralen ökonomischen Kennziffern erheblich. Kritiker (vgl. Soros 2012; vgl. Heinisch 2015; vgl. Hickel 2013) bemängeln bereits die fehlerhafte Konstruktion des Euros bei seiner Einführung. Demnach erkannten die „Architekten des Euro (…), dass es sich um ein unvollständiges Konstrukt handelte (…) Dennoch waren die Architekten der Ansicht, dass der politische Wille bei Bedarf aufgebracht werden könnte, um die notwendigen Schritte in Richtung einer politischen Union einzuleiten. Schließlich verdankte die Europäische Union ihre Existenz dieser Vorgehensweise.“ (Soros 2012: 3) Die Gründerväter des Euros nutzen also die Gunst der Stunde und inaugurierten die Gemeinschaftswährung, ohne gleichzeitig die notwendigen Rahmenbedingungen einer politischen Union zu schaffen. So fehlte bzw. fehlt es vor allem an einer konsequenten, gemeinsamen Wirtschaftspolitik. Die Hoffnung, dass die notwendigen Institutionen später „nachgeholt“ werden könnten, sollte sich spätestens 2007, mit dem Beginn der Finanzkrise, als Trugschluss erweisen:
„Die deutsche Angst vor Inflation und Schulden verstellte die Sicht auf andere wichtige Strukturprobleme. Dies sollte sich später, angesichts der Herausforderung durch den asymmetrischen Schock der globalen Finanzkrise, als Hypothek herausstellen.“ (Heinisch 2015: 357)
Die Hoffnung der Gründerväter auf ein nachträgliches Zusammenwachsen der Mitgliedstaaten zu einer ausreichend vorangetriebenen politischen Union sollte sich nicht realisieren. Vielmehr blieben die EU-Konvergenzkriterien und die Basel-Regeln die einzigen ökonomischen Leitlinien. Mehr noch, sie sollten mehrfach gebrochen und aufgeweicht werden (Focus 2011: 32). So auch 2005 durch Frankreich und Deutschland. Auf Druck Gerhard Schröders hin wurden die eigentlich vorgesehenen Sanktionen ausgesetzt (Reiermann/Wiegrefe 2012). Auch deswegen sind die Mitgliedstaaten generell nicht mehr motiviert, die Konvergenzkriterien einzuhalten (Apolte et al. 2010: 15). Diese Aufweichung der Regeln förderte die gesamtwirtschaftliche Heterogenität und steht im fundamentalen Widerspruch zur Funktionsweise der EZB, die auf Homogenität basiert.
2.2 Auf- und Abwertung der Währung
Vor der Einführung des Euros und der Eröffnung der EZB hatte jeder europäische Staat seine eigene Währung und eine Zentralbank, die berechtigt war, Geld zu drucken und zu handeln, wie es die wirtschaftliche Lage erforderte. Auf diese Weise konnten die Währungen entsprechend dem ökonomischen Ziel (etwa die Erleichterung von Importen oder Exporten) auf- bzw. abgewertet werden. So kann der Export durch eine schwache Währung gefördert werden, während für den Import eine starke Währung von Vorteil ist. Jeder Staat war also in der Lage individuell, für seine eigenen konjunkturellen Bedürfnisse, die Währung anzupassen. Im Zuge der Euroeinführung übertrugen die nationalen Notenbanken diese Möglichkeit der gemeinsamen Zentralbank.
Nun ist die EZB nicht nur dem Interesse eines einzigen Staates verbunden, so wie es vorher bei den nationalen Notenbanken der Fall war, sondern allen 19 Mitgliedsstaaten der Eurozone. Dies wirft das Problem auf, dass zu verschiedenartigen Volkswirtschaften die Zentralbank lähmen, weil sie die Währung nicht adäquat auf- oder abwerten kann. So konterkarierten die liberalen Vorgaben der Maastricht-Kriterien die, vor allem in Südeuropa verbreitete „Tradition, die gewohnt war, Wettbewerbsfähigkeit durch Währungsabwertungen aufzubessern und aufgehäufte Schuldenberge durch Inflation abschmelzen zu lassen“ (Heinisch 2015: 357). Umgekehrt ist der Euro in Relation zur D-Mark eine vergleichsweise schwache Währung, was deutsche Exporte noch weiter vergünstigte und somit abermals die ökonomische Inhomogenität verstärkte.
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