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Vom menschlichen Relativismus zum politischen System am Beispiel von Protagoras und Thomas Hobbes

Modulhausarbeit Geschichte der Philosophie

©2012 Hausarbeit (Hauptseminar) 19 Seiten

Zusammenfassung

Wenn wir die Welt betrachten, halten wir die Dinge, die wir sehen, fühlen, schmecken oder riechen, für wahr. Das bedeutet, dass jemand, der sich nicht gerade mit philosophischer Erkenntnistheorie beschäftigt, wohl kaum soweit gehen würde, die Welt, so wie er sie wahrnimmt, als Maßstab für eine objektive Wahrheit anzuzweifeln. Doch wer sagt uns, dass das, was man von der Welt wahrnimmt auch genauso existiert, wie man es wahrnimmt? Diese Frage ist ein großer Streitpunkt in der Philosophie und es gibt eine Vielzahl von Lösungsansätzen wie Relativismus, Rationalismus, Empirismus, Idealismus oder Materialismus und nicht zuletzt wird auch in den Naturwissenschaften versucht, dieses Problem zu lösen.
Wann kann man also sagen, dass die Dinge, die wir sehen, fühlen, riechen, schmecken oder hören, also die Aufnahme von Eindrücken über unseren Sinnesapparat, ein objektives Erkennen der Welt1 garantieren? Wenn die Art und Weise, mit der wir die Welt sehen, Gerüche wahrnehmen, Töne hören und Farben sehen, die einzige ist, mit der wir es schaffen, einen Zugang zur Welt zu erlangen, dann ist auf keinen Fall sicher, dass diese Art und Weise auch die richtige ist, um eine objektive Wahrheit darüber zu schaffen, wie unsere Welt tatsächlich ist.

Kann ein objektives Erkennen von Wahrheit für die Menschen dann überhaupt möglich sein? Und wenn ein Zugang zu objektiver Wahrheit nicht möglich ist, was ist dann das, was wir als Wahrheit bezeichnen? Nach Protagoras ist der Mensch das Maß aller Dinge und damit derjenige, der festlegt was als Wahrheit gilt – ganz unabhängig vom objektiven Charakter dieser Wahrheit. Dies bezieht sich nicht nur auf das Wahrnehmen von Dingen in der Welt, sondern auch auf Glaube, Ethik und Moral. Die Ansichten, Meinungen und Einstellungen der Menschen sind damit relativ und nichts von Natur gegebenes oder Absolutes.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Protagoras - Erkennen der Welt

3. Protagoras - Demokratie als politisches System

4. Thomas Hobbes - Erkennen der Welt

5. Thomas Hobbes politisches System - Der Leviathan

6. Fazit

7. Literaturliste

1. Einleitung

Wenn wir die Welt betrachten, halten wir die Dinge, die wir sehen, fühlen, schmecken oder riechen, für wahr. Das bedeutet, dass jemand, der sich nicht gerade mit philosophischer Erkenntnistheorie beschäftigt, wohl kaum soweit gehen würde, die Welt, so wie er sie wahrnimmt, als Maßstab für eine objektive Wahrheit anzuzweifeln. Doch wer sagt uns, dass das, was man von der Welt wahrnimmt auch genauso existiert, wie man es wahrnimmt? Diese Frage ist ein großer Streitpunkt in der Philosophie und es gibt eine Vielzahl von Lösungsansätzen wie Relativismus, Rationalismus, Empirismus, Idealismus oder Materialismus und nicht zuletzt wird auch in den Naturwissenschaften versucht, dieses Problem zu lösen.

Wann kann man also sagen, dass die Dinge, die wir sehen, fühlen, riechen, schmecken oder hören, also die Aufnahme von Eindrücken über unseren Sinnesapparat, ein objektives Erkennen der Welt1 garantieren? Wenn die Art und Weise, mit der wir die Welt sehen, Gerüche wahrnehmen, Töne hören und Farben sehen, die einzige ist, mit der wir es schaffen, einen Zugang zur Welt zu erlangen, dann ist auf keinen Fall sicher, dass diese Art und Weise auch die richtige ist, um eine objektive Wahrheit darüber zu schaffen, wie unsere Welt tatsächlich ist.

Kann ein objektives Erkennen von Wahrheit für die Menschen dann überhaupt möglich sein? Und wenn ein Zugang zu objektiver Wahrheit nicht möglich ist, was ist dann das, was wir als Wahrheit bezeichnen? Nach Protagoras ist der Mensch das Maß aller Dinge und damit derjenige, der festlegt was als Wahrheit gilt - ganz unabhängig vom objektiven Charakter dieser Wahrheit. Dies bezieht sich nicht nur auf das Wahrnehmen von Dingen in der Welt, sondern auch auf Glaube, Ethik und Moral. Die Ansichten, Meinungen und Einstellungen der Menschen sind damit relativ und nichts von Natur gegebenes oder Absolutes.

Dieses relativistische Grundprinzip greift auch Thomas Hobbes auf und lässt eines seiner Kapitel aus dem Werk „Der Leviathan“ mit einem Bezug zu den Sophisten beginnen: „Denn die Menschen beurteilen gewöhnlich alles nach sich selbst.“2. Im Detail unterscheiden sich Protagoras‘ und Hobbes‘ Theorie, in Bezug auf den relativen Wahrheitsgehalt von Aussagen über unsere Welt, gleichen sie sich jedoch.

Sie gleichen sich vor allen Dingen, wenn es um den Wahrheitsgehalt von ethischen Normen geht, entwickeln sich dann jedoch sehr unterschiedlich in Bezug auf das politische System, welches auf der Grundlage des menschlichen Relativismus entstehen soll. Wer oder was bestimmt darüber, was nicht nur Begriffe wie Gut‘ und ‚Schlecht‘, sondern vor allem Begriffe wie ‚Recht‘ und ‚Unrecht‘ in einem System bedeuten, das aus Menschen besteht, die nicht nur völlig individuell wahrnehmen und empfinden, sondern darüber hinaus auch ganz unterschiedliche Ansichten von moralischen Normen haben? Diese Arbeit soll deutlich machen, welchen Einfluss der menschliche Relativismus auf den Bereich von Moral und Recht hat und was dies für ein Zusammenleben und letztendlich für das politische System, in dem die Menschen leben, bedeutet. Die Konsequenz, die sich aus Protagoras und Hobbes erkenntnistheoretischer Lehre ergibt, ist sehr verschieden. Im Verlauf der Arbeit wird dieser Unterschied deutlich gemacht und es werden Gründe dafür gesucht, warum aus dem menschlichen Relativismus sowohl ein absolutistischer als auch ein demokratischer Staat entstehen kann.

Dabei wird auch Thema sein, in wie weit ethische Normen mit dem relativistischen Prinzip in Einklang gebracht werden können, wie ergiebig der Relativismus in wissenschaftlicher Hinsicht ist und welches Maß an Aktualität man der relativistischen Denkweise zukommen lassen kann.

Im Zentrum dieser Arbeit steht der Relativismus also mit Blick auf drei Fragen: Die Frage nach dem Erkennen der Welt (erkenntnistheoretischer Relativismus), die Frage nach dem Wahrheitsgehalt von Aussagen, die wir über unsere Welt machen (Wahrheitsrelativismus) und die Frage nach Ethik (Werterelativismus).

2. Protagoras - Erkennen der Welt

Protagoras, Skeptiker und einer der Hauptdenker der Sophisten, lebte in der zweiten Hälfte des fünften Jahrhunderts. Seine relativistische Denkweise kann am besten mit einem seiner berühmtesten Sätze zusammengefasst werden, dem „Homo-Mensura-Satz“: Der Mensch ist das Maß aller Dinge, der Seiende, dass sie sind, der Nichtseinde, dass sie nicht sind“3.

Für Protagoras ist das Erkennen der Welt allein abhängig von der sinnlichen Wahrnehmung des Menschen. Wir können sozusagen nur mit einem speziellen Zugang die Welt beschreiben. Dieser Zugang ist unser Sinnesapparat, bestehend aus dem Sehen, Hören, Riechen, Fühlen und Schmecken. Unser Sinnesapparat ist somit die einzige Quelle, die zum Erkennen der Welt zur Verfügung steht. Die sinnliche Wahrnehmung der Menschen untereinander variiert jedoch: Töne, Farben, Gerüche und Geschmäcker können ganz unterschiedlich wahrgenommen werden, nicht zuletzt aufgrund von Krankheiten. Jemand, der einen sehr feinen Geruchssinn hat, wird die Welt damit sicher ganz anders wahrnehmen als jemand, der von Geburt an einen fehlerhaften Geruchssinn hat.

Wenn man sagt, dass das, was wir über unseren individuellen Wahrnehmungsapparat aufnehmen, ganz unterschiedlich ist, dieser Wahrnehmungsapparat jedoch der einzige Zugang ist, den wir zur Welt haben, dann kann auch das, was man als Wahrheit bezeichnet, nichts sein, was in irgendeiner Weise absolut ist - damit variiert nicht nur das Wahrnehmen der Menschen, sondern auch der daraus resultierende Wahrheitsgehalt von Aussagen über das Wahrgenommene.

Das bedeutet auch, dass nur, weil der eine die Welt anders sieht als der andere, dies nicht automatisch auch heißt, dass die Überzeugung des einen wahrer ist als die des anderen. Jemandem, der aufgrund seiner kognitiven oder körperlichen Verfassung nicht in der Lage ist, die Welt so zu betrachten wie es ein gesunder

Mensch kann, könnte man nicht vorwerfen, dass seine Überzeugung falsch wäre. Würde ihm jemand sagen, dass die Welt für alle anderen ganz anders erscheint, würde es für ihn keinen Unterschied machen - für ihn ist die Welt eben so, wie sie ihm scheint - er kann den Unterschied überhaupt nicht wahrnehmen. Darüber hinaus ist es nicht einmal klar, ob der Sinnesapparat der Menschen nicht auch etwas ist, das von Natur aus nur einen beschränkten Zugang zur Welt um sich herum hat. Würde jemand sagen, die Welt ist für euch alle ganz anders als sie euch scheint, was würde es für einen Unterschied machen, wenn man niemals in der Lage wäre, diesen Unterschied zu erkennen4 ?

Der Mensch kann die Welt nur so erkennen, wie es sein Sinnesapparat zulässt. Damit kann es für ihn - nach Protagoras - keine objektive Realität oder Wahrheit hinter der Welt, in der er lebt, geben. Eine andere Wahrheit als die, die er mit seinem Sinnesapparat über die Welt herleitet, kann zwar existieren (jeder hat schließlich seine eigene Version der Wahrheit), er wird sie jedoch nicht erkennen können, da es ihm nicht möglich ist, die Welt aus der Perspektive eines anderen Menschen zu betrachten.

Nur die eigenen Überzeugungen stellen eine Art Wahrheit dar und eine andere Überzeugung kann nie wahrer sein; eine andere Überzeugung ist höchstens besser oder schlechter. Dieser Anspruch ist wichtig, um dem Einwand entgegenzutreten, jede Aussage über die Welt wäre zugleich wahr und falsch, nur weil zwei Parteien das Gegenteilige behaupten5. In diesem Falle würde sich der Relativismus selbst widerlegen - so schon Sextus Empiricus6. Diese Art von subjektivem Wahrheitsrelativismus meint Protagoras jedoch nicht.

Was Protagoras meint ist, dass jede Überzeugung oder Meinung über die Welt allein und immer nur für eine bestimmte Person wahr oder falsch ist. Aus dieser Perspektive ergibt sich kein Widerspruch des Relativismus und Wahrheit wäre das, was nur für eine bestimmte Person zu einem bestimmten Zeitpunkt als wahr empfunden wird. Im Bereich der Erkenntnistheorie vertritt Protagoras einen strikten Sensualismus: Sinnliche Wahrnehmungen wie Hören, Schmecken, Riechen

oder Sehen sind die einzigen Quellen der Erkenntnis über die reale Welt - die eigene Wahrnehmung ist damit das einzige Instrument, dem man trauen kann. Wenn jemand also sagt, alles in der Welt erscheine ihm in anderen Farben als den anderen, weil er unter einer Krankheit leidet oder er die Welt aufgrund einer anderen Einschränkung anders wahrnimmt als andere Menschen, ist dies sein Urteil über die Welt: Die Dinge haben für ihn ganz einfach eine andere Farbe als für Menschen, die ihre Umwelt ohne Einschränkungen wahrnehmen.

Ein Erkennen der Welt ist damit abhängig von dem individuellen Sinnesapparat der unterschiedlichen Menschen. Ob wir nun sagen, etwas sieht rot aus, etwas schmeckt süß oder etwas riecht fruchtig, ist allein davon abhängig, wie es jeder einzelne empfindet. Dabei herrscht kein Konsens darüber, was für jeden einzelnen immer süß schmeckt, rot aussieht oder fruchtig riecht - dies ist immer relativ.

Doch was ergibt sich daraus für bewertende Urteile wie ‚etwas schmeckt lecker‘, ‚etwas riecht angenehm‘ oder ‚etwas fühlt sich gut an‘? In dieser Hinsicht unterscheidet sich das individuelle Empfinden der Menschen noch stärker und geht man noch weiter und überträgt dieses Prinzip auf ethische Normen, zeigt sich, dass man nicht von einem Begriff des Guten sprechen kann, der immer und allgemeingültig als wahr gilt. Damit steht nicht nur der Wahrheitsgehalt von sensuellen Aussagen in Frage, sondern auch der Wahrheitsgehalt von Aussagen in Bezug auf Ethik und Recht.

3. Protagoras - Die Demokratie als politisches System

Die Aufgabe der Sophisten bestand darin, die Menschen Rhetorik zu lehren und sie so zu schulen, dass sie sich beispielsweise vor Gericht selbst verantworten konnten. Viele Angeklagte entgingen einer Strafe, weil sie von einem Sophisten in der Kunst des guten Redens und Argumentierens unterrichtet wurden. Der relativistische Gedanke spielte den Sophisten damit also in die Karten, denn durch eine legitimierte Meinungsvielfalt ergab sich ein hoher Bedarf an Kommunikation und Diskussion.

[...]


1 Wenn in dieser Arbeit von einem ‚Erkennen der Welt‘ gesprochen wird, bezieht sich dies immer auf das sensuelle Erkennen der Dinge, die in der physikalischen Welt existieren (von einfachen Stühlen, Tischen, Bäumen usw. bis zu Farben, Gerüche und Töne) - man könnte auch von der Welt sprechen, so wie sie augenscheinlich ist. Gemeinhin wird angenommen, dass diese Dinge eine ‚objektive Realität‘ und damit eine ‚objektive Wahrheit‘ der Welt darstellen.

2 Hobbes, Thomas (1651): Der Leviathan. J.P. Mayer(Übers.),(Hrsg.). Stuttgart: Reclam, 1978, S.13.

3 Platon: Becker (Hrsg.), Alexander; Schleiermacher (Übers.), Friedrich (2007): Theätet. Griechisch-Deutsch. Stuttgart: Suhrkamp, S. 28.

4 Vgl. Platon: Theätet. S. 29.

5 Auch Aristotles sah hier ein Problem (Satz vom Widerspruch) - es kann nicht gleichzeitig etwas sein und nicht sein.

6 Pappenheim, Eugen (1881): Erläuterungen zu des Sextus Empiricus Pyrrhoneischen Grundzügen. Leipzig: Koschny.

Details

Seiten
Jahr
2012
ISBN (eBook)
9783668008076
ISBN (Paperback)
9783668008083
Dateigröße
525 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität Bielefeld – Philosophie
Erscheinungsdatum
2015 (Juni)
Note
1,7
Schlagworte
relativismus system beispiel protagoras thomas hobbes modulhausarbeit geschichte philosophie
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