Die vorliegende Arbeit thematisiert die Verflechtung von Nationalität, sozialer Identität und Fremdenfeindlichkeit aus soziologischer, politikwissenschaftlicher sowie sozialpsychologischer Sicht. Hierbei werden Aspekte der Forschungsarbeit von SKROBANEK (2004) repliziert, wobei der Fragestellung nachgegangen wird, wie sich eine deutsche Identität bzw. eine europäische Identität auf die Einstellung gegenüber Fremdgruppen auswirkt.
Die Wirkung sozialer Identitäten wird in der Forschungstradition als monokausale Erklärung oder theoretische Verbindung zu anderen Determinanten gehandhabt. Um diese Problematik zu umgehen, wird in der Analyse der Einflussfaktoren auf Fremdenfeindlichkeit ebenfalls die objektive Deprivation als mögliche Determinante berücksichtigt. Ebenfalls soll versucht werden die objektive Deprivation theoretisch mit der Theorie der sozialen Identität zu verbinden.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung und Problemstellung
2. Theoretisches Grundmodell
2.1 Genealogie des „natio“-Begriffs
2.2 Theorie der sozialen Identität
2.3 Deutsche und europäische Identität
2.4. Hypothesen
3. Datenmaterial und Methoden
3.1 Datenmaterial
3.2 Operationalisierungen
3.2.1 Die abhängige Variable „Fremdenfeindlichkeit“
3.2.2 Die unabhängigen Variablen „deutsche Identität“, „europäische Identität, Erwerbstätigkeit und Einkommen
3.2.3. Kontrollvariablen
3.3. Methoden
4. Ergebnisse
4.1 Deskriptive Ergebnisse
4.2. Multivariate Ergebnisse
5. Zusammenfassung und Diskussion
6. Literatur
1. Einleitung und Problemstellung
Die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) geht davon aus, dass der Begriff „Nation“ zwei unterschiedliche Bedeutungen hat. Einerseits bezeichnet dieser Terminus die Zugehörigkeit zu einer ethnischen Gemeinschaft, welche über bestimmte homogene Merkmale verfügt und innerhalb eines spezifischen Territoriums zusammenlebt, wodurch sich eine Abstammungsgemeinschaft formiert.1 Andererseits kann dieser Begriff ebenfalls als Zugehörigkeitsgemeinschaft verstanden werden, wobei „Nation“ das Zusammenleben diverser Großgruppen innerhalb eines Staates, welche über homogene als auch heterogene Merkmale verfügen, bezeichnet.2
Bei einer näheren Auseinandersetzung mit der Genealogie des Begriffs wird jedoch deutlich, dass es sich hierbei keinesfalls um ein gewachsenes historisches Konzept, geschweige denn eine historische Identität handelt3 Anfänglich diente die geradezu willkürliche landesmannschaftliche Zuordnung der Binnendifferenzierung innerhalb universaler Institutionen, wie Kirche und Universitäten.4 NICKLAS (1994) macht deutlich, dass der Begriff der Nation eine künstliche Kategorie darstellt, welche sowohl der Selbst- als auch Fremdkategorisierung dient und sich zu der „Definition einer einschließenden und ausschließenden sozialen Großgruppe“ (Nicklas 1994, S. 78) entwickelt habe. Somit wird deutlich, dass die Zugehörigkeit zu einer Nation sich von einer anfänglichen Kategorie zur institutionellen Organisation zu einem wesentlichen Bestandteil sozialer Kategorisierung und individueller Wahrnehmung entwickelt hat. In Verbindung mit der Theorie der sozialen Identität TAJFELs (1975, 2001a, 2001b, 2001c) wird deutlich, dass Nationalität durchaus eine Wahrnehmungskategorie darstellt. Die Wahrnehmung der Zugehörigkeit zu einer Nation stellt nicht nur eine kognitive Kategorisierung dar, vielmehr zeichnet sich die nationale Identität ebenfalls durch eine emotionale Identifikation aus.5 Gleichzeitig macht TAJFEL (1975, 2001a, 2001b, 2001c) deutlich, dass bereits die kognitive Einteilung der sozialen Umwelt in Gruppen und Kategorien sozialen Vergleich begünstigt. Da das Individuum danach strebt ein positives Selbstkonzept zu erwerben und zu erhalten, wird die Eigengruppe (in-group) im Vergleich zur Fremdgruppe (out-group) als höherwertig wahrgenommen.6 Diese sozialen Vergleichsprozesse begünstigen eine negative Einstellung sowie diskriminierendes Verhalten gegenüber der out-group.7
Die vorliegende Arbeit thematisiert eben diese Verflechtung von Nationalität, sozialer Identität und Fremdenfeindlichkeit aus soziologischer, politikwissenschaftlicher sowie sozialpsychologischer Sicht. Hierbei werden Aspekte der Forschungsarbeit von SKROBANEK (2004) repliziert, wobei der Fragestellung nachgegangen wird, wie sich eine deutsche Identität bzw. eine europäische Identität auf die Einstellung gegenüber Fremdgruppen auswirkt. Die Wirkung sozialer Identitäten wird in der Forschungstradition als monokausale Erklärung oder theoretische Verbindung zu anderen Determinanten gehandhabt.8 Um diese Problematik zu umgehen, wird in der Analyse der Einflussfaktoren auf Fremdenfeindlichkeit ebenfalls die objektive Deprivation als mögliche Determinante berücksichtigt. Ebenfalls soll versucht werden die objektive Deprivation theoretisch mit der Theorie der sozialen Identität zu verbinden.
In Kapitel 2 wird einführend in die Thematik das theoretische Grundmodell vorgestellt, welches auf die sozialpsychologische Beleuchtung des „natio“-Begriffs nach NICKLAS (1994) sowie die Theorie der sozialen Identität nach TAJFEL (1975, 2001a, 2001b, 2001c) aufbaut. Ebenfalls soll die Grundannahme, wie sich eine deutsche bzw. europäische Identität auf Fremdenfeindlichkeit auswirken kann, thematisiert werden. Hierbei wird ebenfalls der Einfluss objektiver Deprivation auf Fremdenfeindlichkeit skizziert. In Abschnitt 2 werden ebenfalls die Hypothesen skizziert. In Abschnitt 3 werden die Operationalisierung, die Methode, als auch das verwendete Datenmaterial vorgestellt. In Kapitel 4 werden die Hypothesen geprüft und die Ergebnisse der deskriptiven sowie multivariaten Analyse präsentiert. Abschließend enthält Abschnitt 5 eine Zusammenfassung und Diskussion der empirischen Befunde, wobei ebenfalls der Frage nachgegangen wird, welche anderen Faktoren Einfluss auf die abhängige Variable „Fremdenfeindlichkeit“ haben könnten.
2. Theoretisches Grundmodell
2.1 Die Genealogie des „natio“-Begriffs
Die politikwissenschaftliche Beschäftigung mit der Genese des Konzepts der Nation zeigt, dass es sich keinesfalls um einen empirischen Sachverhalt handelt.9 Während die Definition der bpb „Nation“ einerseits als Abstammungsgesellschaft und andererseits als Zugehörigkeitsgemeinschaft definiert, geht NICKLAS (1994) von einer anderen Begriffsbestimmung aus. Er unterscheidet zwischen Nation und Ethnie, wobei letzteres als eine Menschengruppe, welche „kulturell, sozial, historisch und genetisch eine Einheit bildet“ (Nicklas 1994, S. 77) gedeutet wird. Die nationale Identität hingegen stellt ein künstliches Produkt dar, welches den Individuen ein Solidaritätsempfinden zumute.10
„´Nation´ ist ein Begriff, der, wenn überhaupt eindeutig, dann jedenfalls nicht nach empirischen gemeinsamen Qualitäten der ihr Zugerechneten definiert werden kann. Er besagt, im Sinne derer, die ihn jeweilig gebrauchen, zunächst unzweifelhaft: daß [sic] gewissen Menschengruppen ein spezifisches Solidaritätsempfinden anderen gegenüber zuzumuten sei, gehört also der Wertsphäre an.“ (Weber 1956, zitiert nach Nicklas 1994, S. 77)
In seiner politikwissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Nation-Begriff untersucht NICKLAS (1994) die Entwicklung des Konzeptes. Der „natio“-Begriff, welcher aus dem Lateinischen stammt und so viel wie „geboren werden“ bezeichnet, benannte anfänglich Gruppen gleicher Herkunft, wobei diese sich auf eine Stadt, Region oder Großregion bezog.11 Wie bereits oben erwähnt erfolgte die landesmannschaftliche Zuordnung hauptsächlich innerhalb universaler Institutionen, wobei die Zuordnung der Individuen in diese Kategorien willkürlich war, da keine zuverlässigen Kriterien formuliert waren.12 Die Zuweisung zu einer „natio“ entwickelte sich von einer anfänglichen institutionellen Kategorie zu einer individuell empfundenen Zugehörigkeit, wobei bei dieser Entwicklung intellektuelle und politische Diskurse maßgeblich waren. Exemplarisch verdeutlicht NICKLAS (1994) seine Argumentation an der Entwicklung des deutschen Nationalstaates, wobei, seines Erachtens nach, Ulrich von Hutten und Johann Gottfried Herder eine bedeutende Rolle bei der Begründung der deutschen Nation spielten. Während von Huttens Beitrag die Etablierung des nationalen Volkshelden Arminius, später Hermann der Cherusker, essentiell für die Entwicklung der deutschen Nationalität sei, leistete Herder einen großen Beitrag zur Durchsetzung einer Nationalsprache und somit zur nationalen Sprachvereinheitlichung.13 Die Internalisierung der Nationalität wurde zudem mithilfe von Institutionen vorangetrieben:
„Die Idee der Nation war zunächst Gegenstand des intellektuellen Diskurses. Sie mußte [sic] aber, um verhaltenswirksam zu werden, in allen Volkschichten internalisiert werden. So stehen im 19. Jahrhundert in Europa in allen Nationalstaaten das Erziehungswesen, die Schule, die politische Rhetorik im Dienste der Herstellung der normativen und habituellen Nationalität. Kaiser Wilhelm II. bezeichnete es als wichtigste Aufgabe der Schule, ´junge Deutsche´ zu erziehen. Gedenktage, Reden, Denkmäler sind darauf gerichtet, aus der gedachten Ordnung eine gelebte zu machen. Besondere Bedeutung kommt dabei den Symbolen zu: Fahnen, Embleme, Hymnen usw. Der gesamte kulturelle Apparat wurde in den Dienst der Internalisierung der Nationalität gestellt.“ (Nicklas 1004, S. 79)
Neben der Schule und dem Erziehungswesen sowie der Etablierung nationaler Symbole, seien ebenfalls die Herstellung einer historischen Kontinuität des Nationalstaates und die allgemeine Wehrpflicht entscheidend für die Sozialisierung der Individuen als „Deutsche“.14 Dieses institutionelle Vorantreiben bei der Etablierung eines Nationalstaates sieht NICKLAS (1994) ebenfalls bei anderen europäischen Nationalstaaten gegeben.
Der Begriff der Nation und die nationale Identitätszumutung haben im wissenschaftlichen Diskurs viel Kritik erfahren, wobei das Konzept des Nationalstaates oftmals als pathologisch beschrieben wird.15 Die Kritikpunkte konzentrieren sich auf den Vorwurf, der kollektiven Selbstüberhöhung mit Berufung auf die Nation, wobei das Individuum selbst sich durch Hilflosigkeit auszeichne.16 Diese im wissenschaftlichen Diskurs kritisch als „pathologisch“ bezeichneten sozialpsychologischen Prozesse, welche sich bei der Identifikation mit einem Nationalstaat vollziehen, sollen im folgenden Abschnitt mithilfe der Theorie der sozialen Identität nach TAJFEL (1975, 2001a, 2001b, 2001c) näher beleuchtet und mit dem Konzept der Nation in Verbindung gebracht werden.
2.2 Theorie der sozialen Identität
Während andere Vorstellungen von sozialen Gruppen eine Face-to-Face-Interaktion voraussetzen, wodurch sich gemeinsame strukturelle Merkmale wie ein gemeinsames Wertesystem, ähnliche Motive und Einstellungen, etc. entwickeln, zeichnet sich der Gruppenbegriff der Theorie der sozialen Identität durch eine Betonung der subjektiven Ebene aus: TAJFEL deutet „soziale Identität“ als „das Wissen eines Individuums, daß [sic] es bestimmten sozialen Gruppen angehört, ein Wissen verbunden mit der emotionalen und wertmäßigen Bedeutung, die diese Gruppenmitgliedschaft für das Individuum hat“ (Tajfel 1975, S. 369).
Hierbei wird deutlich, dass die subjektive emotionale Identifikation mit einer Gruppe die wesentliche Grundannahme dieser Theorie darstellt. Gleichzeitig betont TAJFEL (1975), dass ein Individuum in einer komplexen Gesellschaft einer Vielzahl von Gruppen zugehörig sein kann, wobei manchen Gruppenzugehörigkeiten eine höhere Wertigkeit beigemessen werden kann, als anderen. Jedoch ist es unzureichend für die Theorie der sozialen Identität, wenn Personen als eine Gruppe definiert werden, vielmehr ist es für die soziale Identität von Bedeutung, dass die Individuen ihre Gruppenzugehörigkeit als Aspekt ihres Selbstkonzepts internalisieren.17 Es wird deutlich, dass der Gruppenbegriff der Theorie der sozialen Identität von einem subjektiven Zugehörigkeitsempfinden ausgeht, wodurch der Gruppenbegriff geweitet wird, sodass auch Personengruppen eingeschlossen werden, zu denen kein wechselseitiger Kontakt besteht.18 Nach der Theorie der sozialen Identität können ebenfalls regionale, nationale sowie europäische Identitäten als kognitive Kategorisierungen und emotionale Identifikationen verstanden werden.19
Das theoretische Konstrukt der sozialen Identität baut auf drei zentralen Konzepten auf: der sozialen Kategorisierung, dem sozialen Vergleich sowie der sozialen Distinktheit. Das soziale Kategorisieren wird als der Prozess verstanden, in dem die soziale Umwelt durch das Individuum systematisiert und geordnet wird. TAJFEL äußert sich hierzu folgendermaßen:
„Social categorizations are conceived here as cognitive tools that segment, classify, and order the social environment, and thus enable the individual to undertake many forms of social action. But they do not merely systematize the social world; they also provide a system of orientation for self-reference.: they create and define the individual´s place in society. Social groups, understood in this sense, provide their members with an identification of themselves in social terms.“ (Tajfel 2001a, Seite 347)
Das soziale Kategorisieren hat somit den Zweck die Vielzahl von oftmals widersprüchlichen Informationen, welche das Individuum durch seine soziale Umwelt erfährt, adäquat zu verarbeiten und zu vereinfachen, wodurch das Individuum handlungsfähig bleibt und seine Handlungssicherheit beibehält. Das Kategorisieren führt dazu, dass das Individuum seine soziale Umwelt in eine Vielzahl von Gruppen und Kategorien einteilt, wobei ebenfalls die Einteilung in Eigengruppe (in-group) und Fremdgruppe (out-group) stattfindet. Hierbei wird deutlich, dass durch das soziale Kategorisieren und die emotionale Identifikation mit der in-group das Individuum seinen Platz in der Gesellschaft festlegt und definiert. Das Kategoriensystem zeichnet sich unter anderem durch ihre Verbundenheit mit Wertesystemen aus, wodurch es zu Bewertungen wie „besser“, „schlechter“, „freundlich“, feindselig“, etc. kommt.20
TAJFEL (1975) geht davon aus, dass durch den sozialen Vergleich das soziale Kategorisieren mit der sozialen Identität verbunden wird. Es wird von der These ausgegangen, dass das Individuum über einen Trieb verfüge seine Meinungen und Vorstellungen zu bewerten und zu vergleichen. Durch die emotionale Identifikation mit der in-group sowie die kognitive Bildung der Kategorie out-group werden die wahrgenommen Merkmale der Gruppen bewertet.
„Die Merkmale einer Gruppe als Ganzes (wie z.B. ihr Status, ihr Wohlstand oder ihre Armut, ihre Haarfarbe oder ihre Fähigkeit, sich durchzusetzen) erlangen den größten Teil ihrer Bedeutung erst in bezug [sic] zu wahrgenommenen Unterschieden zu anderen Gruppen und zu den Wertkonnotationen dieser Unterschiede. So erlangen z.B. wirtschaftliche Entbehrungen und ihre Bedeutung für soziale Einstellungen, Ansichten und Handlungen erst dann, wenn sie zu „relativen Entbehrungen“ werden; ob der Zugang zu Produktionsmitteln und zum Güterkonsum, zu Vorteilen und Chancen leichter oder schwieriger ist, tritt psychologisch erst dann in Erscheinung, wenn Vergleiche mit anderen Gruppen gezogen werden; [...]. Erst durch die Gegenwart anderer Gruppen in der Umgebung wird eine Gruppe in dem Sinne als Gruppe wahrgenommen, daß [sic] ihren Mitgliedern gemeinsame Merkmale oder ein gemeinsames Schicksal zugeschrieben werden.“ (Tajfel 1975, S. 375)
Für den sozialen Vergleich stellen jedoch nicht alle kognitiv verfügbaren out-groups eine relevante Vergleichsgruppe dar.21
Bei der Theorie der sozialen Identität ist beachtenswert, dass von der Grundannahme ausgegangen wird, dass Individuen nach einem positiven Selbstkonzept streben, wobei die Zugehörigkeit zu einer erfolgreichen Gruppe eine positive soziale Identität begünstigt. Dieser Aspekt wird durch soziale Distinktheit deutlich: Eine Gruppe ist nur insoweit in der Lage einen Beitrag zu einer positiven sozialen Identität eines Individuums zu leisten, wenn diese Gruppe fähig ist sich positiv von der relevanten out-group abzugrenzen.22 Wenn die in-group sich nicht positiv von der relevanten Vergleichsgruppe abgrenzen kann oder der Status der in-group bedroht ist, können sowohl individuelle Mobilität, soziale Kreativität als auch sozialer Wettbewerb mögliche Reaktionen sein.23 Die individuelle Mobilität zeichnet sich durch das individuelle Bestreben aus, sich von der bisherigen in-group zu distanzieren und sich an einer positiver bewerteten Gruppe zu orientieren.24 Hierbei ist jedoch zu beachten, dass die individuelle Mobilität an dem geringen Status der vorherigen Gruppe nichts ändern; vielmehr stellt sie einen individuellen Lösungsansatz dar.25 Die soziale Kreativität bezeichnet die Erzeugung einer positiven Angrenzung zur relevanten Vergleichsgruppe, indem die Gruppenmitglieder sich entweder auf anderen Dimensionen mit der out-group vergleichen oder die vormals stigmatisierten Merkmale der in-group positiv umdeuten.26 Ebenso kann die relevante Vergleichsgruppe gewechselt und durch eine andere, ebenfalls unterlegene out-group gewechselt werden; durch diesen sozialen Vergleich wird ebenfalls eine positive soziale Identität begünstigt.27 Der soziale Wettbewerb zeichnet sich dadurch aus, dass die positive soziale Distinktheit durch direkten Wettbewerb mit der relevanten Vergleichsgruppe erworben werden soll.28
TAJFEL (2001c) verdeutlicht anhand zweier Experimente, dass bereits die kognitive Einteilung in Eigen- und Fremdgruppe diskriminierendes Verhalten gegenüber der Fremdgruppe begünstigt. Einer Verfälschung der Daten wurde entgegengewirkt, indem in dem Experimenten Ressourcenungleichverteilung sowie Konfliktpotential kontrolliert wurden.29 Die Experimente wurden an der Universität in Bristol in Zusammenarbeit mit der Universität von Aix-Marseille durchgeführt, wobei 64 Jungen im Alter zwischen 14 und 15 Jahren an dem Experiment teilnahmen.30 Mithilfe der Experimente wurde deutlich, dass, obwohl keinerlei Konfliktpotential oder Feindseligkeit zwischen den Probanden gegeben war, die Kategorisierung in Eigen- und Fremdgruppe ausreichen, um die Eigengruppe aufzuwerten, während die Fremdgruppe benachteiligt wird.31 Mit Rückbezug auf NICKLAS (1994) lässt sich somit verdeutlichen, dass die künstliche Kategorie „Nation“ bereits ausreichend ist, um fremdenfeindliche Tendenzen und Diskriminierung zu begünstigen. Die Identifikation mit einer Nation verhilft dem Individuum zu Handlungssicherheit in der sozialen Umwelt, indem das Individuum sich durch seine Gruppenzugehörigkeit im sozialen Raum positioniert und von den Fremdgruppen angrenzt. Durch den sozialen Vergleich und die Bewertung gruppenspezifischer Merkmale wird die kognitive Einteilung in Eigen- und Fremdgruppe virulent: Wie TAJFEL (2001c) verdeutlicht hat, begünstigt bereits die Kategorisierung in-group und out-group Diskriminierungstendenzen.
Im folgenden Abschnitt soll der expliziten Fragestellung der vorliegenden Arbeit nachgegangen und thematisiert werden, wie eine deutsche bzw. europäische Identität sich auf Fremdenfeindlichkeit auswirken könnte.
2.3 Deutsche und europäische Identität
Die vorliegende Arbeit orientiert sich an SKROBANEK (2004), wobei in der vorliegenden Arbeit ebenfalls davon ausgegangen wird, dass die deutsche soziale Identität durch die Erweiterung der Europäischen Union (EU) verunsichert wird, da der Einfluss der deutschen Nation, im Vergleich zu der steigenden Bedeutung der EU, als schwindend wahrgenommen wird. Ebenfalls werden die nationalen Grenzen durch die Migration aus EU-Ländern sowie die Zuwanderung von Flüchtlingen und Asylbewerbern in Frage gestellt.32 SKROBANEK (2004) hält hierzu fest:
„Die mit einer deutschen Identität verbundenen Sicherheiten bezüglich der Gruppengrenzen und potentiellen Durchlässigkeit der Grenzen werden zunehmend fraglich. Die Unsicherheit der Abgrenzung gegenüber der Außenwelt nimmt zu. Dies verursacht bei den betroffenen Akteuren kognitive Kosten. Hinzu kommen die wahrgenommenen Kosten durch die Zuwanderung von Aussiedlern, Migranten und Flüchtlingen [...].“ (Skrobanek 2004, S. 360)
Die Verunsicherung der deutschen Identität begünstigt eine „nationalistische Werteloyalität“ (Blank/Schmidt 1994, zitiert nach Skrobanek 2004, S. 360), die sich durch eine Orientierung an Eigengruppennormen sowie durch eine Überbewertung der Eigengruppe äußert.33 Hierbei ist anzunehmen, dass für Individuen mit einer deutschen Identität Migranten eine relevante Vergleichsgruppe darstellen. Die europäische Identität stellt hierzu eine offenere soziale Identität dar: Reisefreiheit, ein größerer Arbeitsmarkt, eine gemeinsame Währung sowie die Betonung der kulturellen, wirtschaftlichen und sozialen Gemeinsamkeiten werden im politischen Diskurs betont.34 Es ist aufgrund des offenen Konstrukts der EU anzunehmen, dass Personen, welche über eine ausgeprägte europäische Identität verfügen, aufgrund der Orientierung an den Gemeinsamkeiten der Nationen eine tendenziell weniger ausgeprägte Fremdenfeindlichkeit haben.35
Der Einfluss objektiver Deprivation auf eine negative Einstellung gegenüber Migranten lässt sich durch die sozioökonomischen Bedingungen erklären. Man geht davon aus, dass Personen eine fremdenfeindliche Einstellung entwickeln, da die soziale und ökonomische Situation dies begünstigt.36 Fremdenfeindliche Tendenzen resultieren somit aus dem Konkurrenzkampf um materielle Güter sowie soziale Ressourcen.37 Die Unzufriedenheit mit dem materiellen Wohlstand begünstigt Frustration und die Suche nach Verantwortlichen für diese Situation.38 Es lässt sich vermuten, dass die Unzufriedenheit mit den eigenen materiellen Mitteln nach der Theorie der sozialen Identität die Herausbildung einer positiven sozialen Identität bedroht und zu Unsicherheitsmomenten führt. SKROBANEK (2004) äußert sich hierzu, dass Migranten „ein prädestiniertes Objekt [darstellen], da mit ihnen oftmals Bedrohungsängste, bezogen auf bestimmte knappe Güter (z.B. Arbeit), aktiviert werden“ (Skrobanek 2004, S. 363). Somit lässt sich annehmen, dass mit steigender Deprivation fremdenfeindliche Tendenzen zunehmen.
2.4. Hypothesen
Es ist anzunehmen, dass gegenläufige Tendenzen bei der deutschen und der europäischen Identität zu erwarten sind. Die nationale Identität äußert sich durch homogene Merkmale, gemeinsame nationale Symbole, nationalistische Werte und die Aufwertung der Eigengruppe, bei gleichzeitiger Betonung bzw. Überspitzung der Unterschiede zur relevanten Vergleichsgruppe.39 Wie bereits oben erwähnt ist es anzunehmen, dass Migranten die relevante Vergleichsgruppe darstellen, da die Ausweitung und die Aufwertung Europas, die wirtschaftliche Migration sowie die Aufnahme von Flüchtlingen und Asylbewerbern die nationale Identität und die damit verbundenen Wertekonnotationen verunsichern. Es ist davon auszugehen, dass die Verunsicherung der deutschen Identität sich durch eine fremdenfeindliche Einstellung sowie diskriminierendes Verhalten äußert.
[...]
1 Internetquelle: http://www.bpb.de/nachschlagen/lexika/politiklexikon/17882/nation (letzter Zugriff: 24.03.2015,
2 Ebd.
3 Vgl. Nicklas 1994.
4 Ebd.
5 Vgl. hierzu Nicklas 1994, Tajfel 1975 sowie Skrobanek 2004.
6 Vgl. hierzu Tajfel 1975.
7 Vgl. hierzu Tajfel 1975, 2001a.
8 Ebd.
9 Vgl. Nicklas 1994.
10 Ebd.
11 Ebd.
12 Ebd.
13 Ebd.
14 Ebd.
15 Ebd.
16 Ebd.
17 Vgl. Tajfel 2001a.
18 Vgl. hierzu Tajfel 1975 sowie Skrobanek 2004.
19 Vgl. hierzu Skrobanek 2004.
20 Vgl. hierzu Tajfel 1975.
21 Vgl. hierzu Tajfel 2001a.
22 Ebd.
23 Vgl. hierzu Tajfel 2001a.
24 Ebd.
25 Ebd.
26 Ebd.
27 Ebd.
28 Ebd.
29 Vgl. hierzu Tajfel 2001c.
30 Ebd.
31 Ebd.
32 Vgl. hierzu Skrobanek 2004.
33 Ebd.
34 Ebd.
35 Ebd.
36 Internetquelle: http://www.bpb.de/apuz/27568/ursachen-fremdenfeindlicher-einstellungen-in- westeuropa?p=all (letzter Zugriff: 23.04.2015, 11.30 Uhr).
37 Ebd.
38 Vgl. hierzu Skrobanek 2004.
39 Vgl. hierzu Nicklas 1994 sowie Tajfel 1975.