Es galt in der Forschung zur jüdischen Geschichte lange Zeit als unbestritten, dass die Juden des Mittelalters in den islamischen Herrschaftsgebieten eine erheblich größere Sicherheit genossen als die Juden im christlichen Europa. Ebenso war es wissenschaftlicher Konsens, dass ihnen ein höheres Maß an politischer Integration und kultureller Selbstbestimmung zugestanden wurde. Als besonderes Beispiel hierfür diente die Situation der Juden auf der Iberischen Halbinsel während des Früh- und Hochmittelalters. Der Begriff des „Goldenen Zeitalters“ wurde geprägt und auch außerhalb der Wissenschaft zum geflügelten Wort, die augenscheinlich fruchtbare interreligiöse Symbiose zu beschreiben. Ein modernistischer Ansatz, der die nötige Historisierung des Toleranzbegriffes vermissen lässt.
Die Quellen der Juden des späten Mittelalters, besonders des 15. Jahrhunderts, auf die sich die Verfechter dieses Mythos stützen, entstanden im Kontext der Vertreibung der Juden von der Iberischen Halbinsel und wurden durch die moderne wissenschaftliche Forschung des 19. Jahrhunderts zementiert - und als historisches Faktum anerkannt. Die oft mühselige Integration in einem vermeintlich liberalen Zeitalter ließ die jüdischen Intellektuellen Europas dieser Zeit nach Erklärungen dafür suchen. So wurde ein „Goldenes Zeitalter“ unter islamischer Herrschaft des Mittelalters zu einem Gegenbeispiel ihrer eigenen Lebenswirklichkeit und später zu einer weithin anerkannten historischen Tatsache. Somit ist festzuhalten, dass diesem zum Teil bis heute vorherrschenden Mythos, wie so oft, eine eurozentristische Perspektive zu Grunde liegt.
Der Mythos des „Goldenen Zeitalters“ sollte mehr der eigenen Geschichte als Erklärung und Gegenbeispiel dienen.
Unter diesen Gesichtspunkten soll in dieser Arbeit der Versuch gemacht werden, die bekannteste Rechtsquelle für die rechtliche Stellung der Juden unter Islamischer Herrschaft zu untersuchen: die Bestimmungen des so genannten „Pakt Omar“. Der Schwerpunkt soll auf den verschiedenen historischen Quellen, der Datierung und besonders auf der Forschungsgeschichte zu diesem wichtigen Rechtsstatut liegen. Außerdem wird auf die tatsächliche Anwendung dieser Gesetzte eingegangen.
Inhaltsverzeichnis:
1. Einleitung
2. Quellen und Datierung
3. Forschungsgeschichte und Forschungstand
4. Die tatsächliche Anwendung der Bedingungen
5. Schluss
6. Verwendete Literatur
1. Einleitung
Es galt in der Forschung zur jüdischen Geschichte lange Zeit als unbestritten, dass die Juden des Mittelalters in den islamischen Herrschaftsgebieten eine erheblich größere Sicherheit genossen, als die Juden im christlichen Europa. Ebenso war es wissenschaftlicher Konsens, dass ihnen ein höheres Maß an politischer Integration und kultureller Selbstbestimmung zugestanden wurde. Als besonderes Beispiel hierfür diente die Situation der Juden auf der Iberischen Halbinsel während des Früh- und Hochmittelalters.1 Der Begriff des „Goldenen Zeitalters“ wurde geprägt und auch außerhalb der Wissenschaft zum geflügelten Wort, die augenscheinlich fruchtbare interreligiöse Symbiose zu beschreiben. Ein modernistischer Ansatz, der die nötige Historisierung des Toleranzbegriffes vermissen lässt. Hier werden die, besonders von Mark R. Cohen geprägten Begriffe von Mythos und Gegenmythos relevant, auf welche zu späterem Zeitpunkt noch genauer eingegangen wird.2
Auch die Geschichte des Mythos eines „Goldenen Zeitalters“ wurde aus einer eurozentristischen Perspektive geschrieben. Die Quellen der Juden des späten Mittelalters, besonders des 15. Jahrhunderts, auf die sich die Verfechter dieses Mythos stützen, sind im Kontext der Vertreibung der Juden von der Iberischen Halbinsel entstanden und wurden durch die modernen wissenschaftliche Forschung des 19. Jahrhunderts zementiert3 - und als historisches Faktum anerkannt. Die oft mühselige Integration auch in einem vermeintlich liberalen Zeitalter, ließ die jüdischen Intellektuellen Europas dieser Zeit nach Erklärungen dafür suchen. So wurde ein „Goldenes Zeitalter“ unter islamischer Herrschaft des Mittelalters zu einem Gegenbeispiel zu ihrer eigenen Lebenswirklichkeit und später zu einer weithin anerkannten historischen Tatsache.4 Somit ist festzuhalten, dass diesem zum Teil bis heute vorherrschenden Mythos, wie so oft, eine eurozentristische Perspektive zu Grunde liegt. Wie bei einer grundlegenden Problematisierung der so genannten Orientalistik, besonders in der Zeit des 19. Jahrhunderts, muss auch hier festgestellt werden, dass die Geschichte der untersuchten Völker oftmals aus der eigenen Perspektive und mittels der eigenen Narrativen erzählt wird, anstatt die Quellen für sich selbst sprechen zu lassen. Der Mythos des „Goldenen Zeitalters“ sollte mehr der eigenen Geschichte als Erklärung und Gegenbeispiel dienen.5
Unter diesen Gesichtspunkten soll in dieser Arbeit der Versuch gemacht werden, die bekannteste Rechtsquelle für die rechtliche Stellung der Juden unter Islamischer Herrschaft zu untersuchen. Die Bestimmungen des so genannten „Pakt Omar“. Der Schwerpunkt soll auf den verschiedenen historischen Quellen, der Datierung und besonders auf der Forschungsgeschichte zu diesem wichtigen Rechtsstatut liegen. Außerdem wird auf die tatsächliche Anwendung dieser Gesetzte eingegangen.
2. Quellen und Datierung
Die rechtliche Stellung der Juden unter islamischer Herrschaft war geprägt vom Status der ḏimmis. Diesen Schutzbefohlenen war es erlaubt, bei Einhaltung bestimmter Vorschriften und Zahlung einer Kopfsteuer, ihre Religion weiterhin auszuüben und ihnen wurde bei klarer Unterordnung unter die muslimischen Machthaber ein gewisses Maß an Schutzgarantien und sonstigen kulturellen Rechten gewährt. Dieser Sonderstatus, der sich auch auf die Christen bezog, wurde nur den so genannten „Buchreligionen“ gewährt, also den monotheistischen Religionen, in deren Nachfolge sich der Islam verstanden wissen will.
Um die rechtliche Situation der ḏimmis zu analysieren, gelten die Bestimmungen des Pakts Omar als wichtigste Quelle. Das betrifft sowohl die muslimischen Gelehrten des Mittelalters, als auch die modernen Historiker.
Hier ist anzumerken, dass bis heute kein einheitlicher und klar zu datierender Urtext dieser Bestimmungen existiert. Wie dem Namen nach zu erkennen, wird diese Rechtsquelle dem zweiten Kalifen ʿUmar ibn al-ChattĈb und dem 7. Jahrhundert zugeschrieben. Formell ist es als Brief der christlichen Gemeinden an die siegreichen muslimischen Eroberer gestaltet, mit ihrer Absicht sich letzteren zu unterwerfen. Diese Form ist auch aus späteren „Eroberungsverträgen“ bekannt6 und ist keinesfalls als historischer Fakt anzusehen.
Der Text des Pakt Omar existiert in verschieden Versionen mit einigen Unterschieden. Die berühmteste Version erscheint im 12. Jahrhundert in dem Werk Sirāj al-Mulūk des Philosophen 'Abu Bakr Muhammad at-Turtushi, bekannter als At-Turtushi, welcher von 1059 -1126 lebte und der malikitischen Rechtschule des Islam zugerechnet werden kann. Der Damaszener Wissenschaftler Ibn 'Asakir erwähnt in seiner Geschichte von Damaskus aus dem 12. Jahrhundert sogar fünf verschiedene Versionen dieser Rechtsquelle, mit kleineren Unterschieden. Im 14. Jahrhundert zitiert Muhammad ibn Abu Bakr, besser bekannt als Ibn Qayyim al-Jawziyyah, zwei Versionen, welche zu den gerade genannten fast identisch sind. Er widmet diesen Bestimmungen ein langes Kapitel, in welchem er feststellt, dass diese beiden Texte von den Imamen akzeptiert, zitiert und reproduziert wurden. Auch die Kalifen hätten diese Gesetze in geltendes Recht implementiert und auch dementsprechend gehandelt, beziehungsweise diese durchgesetzt.7 Auch in früheren Texten trifft man auf Erwähnungen dieser Rechtsquelle, doch die früheste Version in der bekannten Briefform und mit den charakteristischen Eigenschaften ist in die Mitte des 9. Jahrhunderts zu datieren.8
Es bleibt festzuhalten, dass man frühestens im 9. Jahrhundert von einer kompilierten Fassung und ab dem 14. Jahrhundert von einem kanonisierten Dokument des Pakts Omar sprechen kann, womit der Status der ḏimmis rechtlich festgehalten wurde.9 Zu erwähnen ist jedoch, dass die Datierung seit den 1930er Jahren in der Wissenschaft umstritten ist. Und auch die Anwendung der bekannten Bestimmungen Gegenstand einer lebhaften Diskussion in der Wissenschaft ist. Hierauf soll im Folgenden eingegangen werden.
3. Forschungsgeschichte und Forschungsstand
Wie eben erwähnt, ist nicht nur die Datierung unter Wissenschaftlern umstritten. Viele Fragen wie etwa die Zurechnung zum Kalifen ʿUmar, beziehungsweise die Identität des wahren Autors, die auffällige Form und die verschieden Versionen, gaben Anlass für mannigfaltige wissenschaftliche Untersuchungen und Ansätze.
Die herrschende Meinung in der Wissenschaft war nach dem berühmten Werk von Arthur Stanley Tritton10 aus dem Jahre 1930 von großer Skepsis geprägt.11 Dem historischen Vergleich mit der Lebenswirklichkeit der Nicht-Muslime des frühen Mittelalters hielten die drastischen Bestimmungen des Pakts Omar nicht stand. Die Tatsache, dass keine historische Quelle vor dem 9. Jahrhundert Auskunft über solche Bestimmungen gibt und die auffällige Briefform, die eher für einen nachträglichen, politisch motivierten Entwurf spricht, als für ein genuines historisches Dokument, ließen Tritton den wahren Wert als Quelle bezweifeln um die Wirklichkeit der Nicht-Muslime darzustellen.12 Er schloss daraus, dass der Pakt Omar bestimmte Mustervertrage repräsentiert, welche als Übung von Studenten in islamischen Rechtsschulen erstellt wurde.13 Dieser Meinung schloss sich auch Antione Fattal in seinem, bis heute relevanten Standartwerk aus dem Jahre 1958 an.14 Er argumentiert ebenfalls, dass diese Dokumente als von ihrer Zeit getrennt betrachtet werden müssen und nicht mehr als eine Sammlung von historischen Maßnahmen und Regelungen darstellten.15
Wohingegen einige Historiker also eher zu den Skeptikern gegenüber den überlieferten Texte gerechnet werden, die keine Entsprechung in der realen Historie des islamischen Rechts darstellen,16 vertritt besonders Albert Noth die Position, dass diese Bestimmungen durchaus zu Recht in die Zeit Kalif ʿUmars I. passen, da sie ausschließlich Themen behandeln, die der Zeit der arabischen Eroberung zuzuordnen sind.17 Sein Argument zielt auf die zu harsch formulierten Bestimmungen ab und die Meinung, dass diese eine historische Faktualität eines solchen Vertrags ausschließen würde. Worauf Noth argumentiert, dass dieser nicht zur Erniedrigung gedacht war, sondern um klare Grenzen zwischen Eroberern und Eroberten in den neu gewonnenen Gebieten, in welchen die Muslime ja zunächst eine deutliche Minderheit bildeten, zu ziehen.18 Somit sollte die eigene muslimische Identität gestärkt werden und sichergestellt werden, dass die Nicht-Muslime ausschließlich die niedrigen Ränge der Gesellschaft bekleiden.19 Er spricht sich also dafür aus, dass auch schon zur Zeit der Islamischen Expansion im 7. Jahrhundert, zumindest sehr ähnliche Verträge zwischen Sieger und Besiegten geschlossen wurden.
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1 Michael Brenner: Kleine Jüdische Geschichte. München. 2008.
2 Mark R. Cohen: Under crescent and cross. The Jews in the Middle Ages. Princeton. 2008.
3 Cohen, Under crescent and cross. S. 26.
4 Ebd., S. 27.
5 Ebd., S. 27f.
6 Mark R. Cohen: Islamic Policy towards Jews from the Prophet Muhammad to the Pact of Umar. In: Abdelwahab Meddeb, Benjamin Stora [Hg]; A History of Jewish-Muslim Relations - From the Origins to the Present Day. Princeton. 2013. S. 67.
7 Milka Levy-Rubin: Shurut Umar and ist Alternatives: the Legal Debate troughout the eigth and ninth Centuries over the Status of the dhimmis. In: Jerusalem Studies in Arabic and Islam, Nr. 30 (2005). S. 170.
8 Cohen, Islamic Policy. S. 69.
9 Levy-Rubin, Shurut. S. 171f.
10 Arthur Tritton: The Chaliphs and their non-Muslim subjects. London. 1930.
11 Cohen, Islamic Policy. S. 67.
12 Ebd.
13 Levy-Rubin, Shurut. S. 172.
14 Antione Fattal: Le statut légal des non-musulmans en pays d'Islam. Beirut. 1958.
15 Levy-Rubin, Shurut. S. 172.
16 Vgl., Tritton; Fattal.
17 Albrecht Noth: Abgrenzungsprobleme zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen- Die ‚Bedingungen’ Umars unter einem anderen Aspekt gelesen. In: JSAI, Nr. 9 (1987). S. 312.
18 Ebd., 312ff.
19 Cohen, Islamic Policy. S. 68.