Frauen in der Französischen Revolution. Der Marsch nach Versailles 1789 als sozialökonomische Konsequenz oder politische Aktion?
Zusammenfassung
Das Ziel dieser Arbeit ist es, die Beweggründe der Marschteilnehmerinnen zu analysieren. Waren die Motive der Initiative primär sozialökonomischer oder politischer Natur? Ist der Marsch folglich als sozialökonomische Konsequenz oder als politische Aktion zu bewerten? Wie ging der Protestzug von statten? Lassen sich im spezifischen Verhalten der Aufständischen politische Implikationen erkennen? Wie fiel die Rezeption der Zeitgenossen aus? Blieben Frauen auch in den folgenden Revolutionsjahren aktiv?
Als Quellen dienen das Lied der Fischweiber, zeitgenössische Augenzeugenberichte, Zeitungsartikel, Verhörprotokolle, die Rechtfertigungsschrift von Reine-Louise Audu, der Gründungsaufruf des politischen Frauenklubs Société des Citoyennes Républicaines Révolutionnaires sowie die Rede für das Verbot der Frauenvereinigungen von dem Abgeordneten Amar.
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Der Marsch der Pariser Frauen nach Versailles 1789 - Sozialökonomische Konsequenz oder politische Aktion?
2.1 Sozialökonomische und politische Ursachen des Marsches
2.1.1 Sozialökonomische Krise
2.1.2 Politische Krise
2.2 Ereignisse am 5. und 6. Oktober
3. Fazit
4. Quellen- und Literaturverzeichnis
1. Einleitung
„Ludwig den Sechzehnten zu besuchen /Werden Krieger unsere Fraun; Therese, Kati, Luluchen / Als Kanoniere sich traun […]; Damit unser Papa, König der Franzen / Nach Paris komme gleich; da muss man schnell antanzen / Und führen so einen Streich […]“1
Lied der Fischweiber, Ende 1789
Der als Brotmarsch in die Geschichte eingegangene Zug der Pariser Frauen nach Versailles am 5. und 6. Oktober 1789 markiert das erste massive Eingreifen der Frauen in den Gang der Französischen Revolution. Durch die Initiative der Oktobertage intervenierten die Pariserinnen gegen die akuten sozialökonomischen und politischen Krisenerscheinungen, festigten so die Errungenschaften der Julirevolution und brachten den Monarchen Ludwig XVI., die königliche Familie sowie die Nationalversammlung zurück in die Hauptstadt.
Das Ziel dieser Arbeit ist es, die Beweggründe der Marschteilnehmerinnen zu analysieren. Waren die Motive der Initiative primär sozialökonomischer oder politischer Natur? Ist der Marsch folglich als sozialökonomische Konsequenz oder als politische Aktion zu bewerten? Wie ging der Protestzug von statten? Lassen sich im spezifischen Verhalten der Aufständischen politische Implikationen erkennen? Wie fiel die Rezeption der Zeitgenossen aus? Blieben Frauen auch in den folgenden Revolutionsjahren aktiv?
Als Quellen dienen das Lied der Fischweiber, zeitgenössische Augenzeugenberichte, Zeitungsartikel, Verhörprotokolle, die Rechtfertigungsschrift von Reine-Louise Audu, der Gründungsaufruf des politischen Frauenklubs Société des Citoyennes Républicaines Révolutionnaires sowie die Rede für das Verbot der Frauenvereinigungen von dem Abgeordneten Amar. Obgleich die allgemeine Literaturlage zur Französischen Revolution geradezu erschlagend ist, fällt speziell der Protestzug der Pariserinnen deutlich geringer aus. In historischen Standardwerken und Gesamtdarstellungen zwar erwähnt, wird die Initiative häufig nur sehr marginal abgehandelt. Besonders die Rolle der Frauen als politische Akteure stand lange Zeit nicht im Forschungsinteresse. Zwar veröffentlichte der französische Historiker Jules Michelet bereits 1854 seine Untersuchung Les femmes de la révolution2, beschränkt sich jedoch auf eine offenbar ausschließlich von Männern gemachten Geschichte. Demnach agierten die Frauen der Oktobertage keinesfalls aus politischen Überzeugungen, sondern lediglich aufgrund ihrer sozialen Rolle innerhalb der Familienökonomie. Auch der englische Historiker Georg Rudé3sieht ausschließlich die Versorgungsfrage als treibende Kraft des Marsches. Erst im Zuge der Frauenbewegung in den siebziger Jahren schien das Axiom der älteren Forschung allmählich obsolet. Das politische Engagement der Frauen rückte nun in den Fokus der zumeist von Historikerinnen verfassten Untersuchungen. Besonders hervorzuheben sind hierbei die Publikationen von Olwen Hufton4, Kerstin Michalik5, Susanne Petersen6und Shirley Elson Roessler7.
Zu Beginn der vorliegenden Arbeit werden die sozialökonomischen und politischen Ursachen der Massenbewegung erörtert. Durch die folgende Beschreibung des Marschverlaufes soll das spezielle Partizipationsverhalten der Revolutionärinnen verdeutlicht werden. Im Anschluss werden die Nachwirkungen der Initiative analysiert. Dazu soll die zeitgenössische Rezeption der Ereignisse ebenso untersucht werden, wie das Engagement der Frauen in den Folgejahren. War der Marsch der Pariserinnen nach Versailles letztlich sozialökonomische Konsequenz oder politische Aktion? Diese Frage soll im abschließenden Fazit beantwortet werden.
2. Der Marsch der Pariser Frauen nach Versailles 1789 - Sozialökonomische Konsequenz oder politische Aktion?
2.1 Sozialökonomische und politische Ursachen des Marsches
2.1.1 Sozialökonomische Krise
Emigration und Kapitalflucht führten im Sommer 1789 zum Zusammenbruch der Pariser Luxusindustrie und zu einer drastischen Zunahme von Arbeitslosigkeit.8Darüber hinaus stieg der Brotpreis aufgrund der katastrophalen Ernte des Vorjahres sowie der sukzessiv verschlechternden Mehl- und Brotversorgung exorbitant nach oben. Ein Großteil der Bevölkerung musste im Herbst 1789 bis zu 90% des Lohnes alleine für Brot, das damalige Hauptnahrungsmittel des Volkes, ausgeben.9 Die hohe Arbeitslosigkeit sowie die Subsistenzprobleme stimulierten sich gegenseitig und führten neben Lohnkämpfen, Demonstrationen, Massenverelendung und ersten Übergriffen, besonders gegen Getreidelieferanten und Bäcker, letztlich zu einer schweren sozialökonomischen Krise.10 Abgesehen davon, dass ihr geringer Lohn oft zwischen Existenzminimum und Elend entschied, fungierte die Frau als Versorgerin der Familie und war somit für die Familienökonomie unverzichtbar. Durch das stundenlange Anstehen vor den Bäckereien, waren es die Frauen, die die Auswirkungen der zunehmend schwierigen Versorgungslage oftmals als Erste zu spüren bekamen.11Die angespannte Atmosphäre vor den Bäckerläden bezeugt ein Verhörprotokoll vom 8. August 1793. Obgleich das Ereignis in den späteren Jahren der Revolution stattfand, so werden die Erfahrungswerte der Frauen 1789 nicht sehr stark davon abweichen:
„Bürger Pierre François Guyard […] sagte uns, daß er heute vor einer halben Stunde nach Verlassen seines Büros […] Llrm vor einer Blckerei in der Nlhe des Boulevards vernommen habe. Nlhergekommen habe er zwei oder drei Frauen bemerkt, die sich vor der Tür dieses Bäckers niedergelassen hätten. Eine andere stand und stritt sich mit dem Bäcker vor verschlossener Tür. Sie schrie aus vollem Hals, daß sie und ihr Kind heute nicht gegessen hätten.“12
Märkte und Bäckereien forcierten zu Orten der Kommunikation und Konspiration, an denen trotz des Konkurrenzkampfes auch der Zusammenhalt der Frauen gefördert wurde.13 Innerhalb kürzester Zeit konnten so vor allem die Marktfrauen eine breite Masse mobilisieren. Ihre besondere Rolle sollte in den Oktobertagen noch von entscheidender Bedeutung werden. Nicht selten kam es zu Brotrevolten, die man in Zeiten schwerster Hungersnöte als allgemein gesellschaftliche Bedürfnisbefriedigung alleine den Frauen zubilligte. Im Gegensatz dazu war Diebstahl als Form der individuellen Bedürfnisbefriedigung ubiquitär verpönt.14
Schon in den Vormonaten August und September 1789 nahmen Frauen an den fast täglich abgehaltenen Prozessionen zur Kirche Sainte Geneviève teil und forderten beim anschließenden Gang zum Rathaus Brot. Damit wies die traditionell-religiöse Interventionsform im Laufe der Zeit immer stärkere politische Züge auf.15Zudem richteten die Frauen ihre Beschwerden durch Petitionen nun auch direkt an die Pariser Munizipalität.16Nachdem die Bäcker am 4. Oktober deklarierten, dass es am Folgetag überhaupt kein Brot mehr geben würde, stießen Gerüchte über einen vom Adel initiierten Hungerkomplott auf offene Ohren. Deshalb schien die Rückkehr des Königs nach Paris für weite Teile der Bevölkerung immer notwendiger zu werden.17
2.1.2 Politische Krise
Durch das Vetorecht des Königs und die damit verbundene Weigerung, die Augustdekrete sowie die Menschen- und Bürgerrechtserklärung zu unterschreiben, war das Verhältnis zwischen Nationalversammlung und Monarchen in eine Sackgasse geraten. Die Verfassungsarbeiten stagnierten und die Revolution schien in Gefahr.18Die Abgeordneten der Nationalversammlung blieben jedoch hartnäckig und forderten immer wieder die Unterzeichnung der Verfassungsdekrete ein. Um der bevorstehenden Sanktionierung zu entgehen, beorderte der König am 14. September 1789 das Flandrische Regiment nach Versailles.19 Die Nachricht über den Anmarsch der fremden Truppen versetzte die Nationalversammlung, die Pariser Kommune, die Nationalgarde sowie die Bevölkerung in Alarmbereitschaft und führte zu einer allgemeinen Solidarisierung der verschiedenen Kräfte.20 Das Festbankett am 1. Oktober zur Begrüßung des Regiments Flandern gab letztlich den entscheidenden Impuls zum Handeln. Dort wurde die dreifarbige Nationalkokarde21, Symbol der Revolution, von den königlichen Leibwachen zu Boden geworfen, mit Füßen getreten und durch die schwarze Kokarde, Symbol der Aristokratie, ersetzt.22Nachdem die Königin diese antirevolutionären Ausfälle am nächsten Tag auch noch öffentlich begrüßte, schien die befürchtete Konterrevolution des Adels bereits begonnen.23Die patriotische Presse rief zum bewaffneten Aufstand auf.24
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1Lied der Fischweiber. In: Petersen, Susanne: Marktweiber und Amazonen. Frauen in der Französischen Revolution. Dokumente, Kommentare, Bilder. Köln 1987 (= Kleine Bibliothek, 411), S. 80f.
2 Vgl. Michelet, Jules: Die Frauen der Revolution. Hrsg. und übers. v. Gisela Etzel. München 1913.
3Vgl. Rudé, George: Die Massen in der Französischen Revolution. München [u.a.] 1961.
4Vgl. Hufton, Olwen H.: Woman in Revolution. In: Past and Present 53 (1971), S. 90-108. Ferner: Hufton, Olwen H.: Women and the Limits of Citizenship in the French Revolution. Toronto [u.a.] 1992. (= The Donald G. Creighton Lectures, 1989).
5 Vgl. Michalik, Kerstin: Der Marsch der Pariser Frauen nach Versailles am 5. und 6. Oktober 1789. Eine Studie zu weiblichen Partizipationsformen in der Frühphase der Französischen Revolution. Pfaffenweiler 1990 (= Forum Frauengeschichte, 3).
6 Vgl. Petersen, Susanne: Frauen in der Französischen Revolution. In: Reinalter, Helmut [Hrsg.]: Die Französische Revolution. Forschung - Geschichte - Wirkung. Frankfurt/Main [u.a.] 1991 (= Schriftenreihe der Internationalen Forschungsstelle „Demokratische Bewegungen in Mitteleuropa 1770-1850“, 2), S. 73-92.
7 Vgl. Roessler, Shirley Elson: Out of the Shadows. Women and Politics in the French Revolution, 1789-95. New York [u.a.] 1996 (= Studies in Modern European History, 14).
8 Vgl. Petersen: Marktweiber, S. 63.
9Vgl. Kuhn, Annette: Der Wahn des Weibes, dem Manne gleich zu sein. In: Christadler, Marieluise [Hrsg.]: Freiheit, Gleichheit, Weiblichkeit. Aufklärung, Revolution und die Frauen in Europa. Opladen 1990, S. 48.
10Vgl. Michalik: Marsch, S. 36ff.
11Vgl. Botsch, Elisabeth: Frauen und Familie in der Revolution. In: Reichardt, Rolf [Hrsg.]: Ploetz. Die Französische Revolution. Freiburg [u.a.] 1988, S. 164f.; Ferner: Bertaud, Jean-Paul: Alltagsleben während der Französischen Revolution. Übersetzt von Christine Diefenbacher. Freiburg [u.a.] 1989, S. 156.
12Verhör einer Unruhestifterin vor einer Bäckerei. In: Petersen: Marktweiber, S. 135f.
13Vgl. Petersen: Frauen, S. 84.
14Vgl. Ebd., S. 81.
15Vgl. Roessler: Shadows, S. 8.
16Vgl. Michalik: Marsch, S. 48.
17Vgl. Petersen: Frauen, S. 82.; Petersen: Marktweiber, S. 64.
18Vgl. Michalik: Marsch, S. 50.
19Vgl. Ebd., S. 54.
20Vgl. Hufton, Olwen H.: Frauenleben. Eine europäische Geschichte 1500-1800. Übersetzt von Holger Fliessbach und Rena Passenthien. Frankfurt/Main 1998, S. 642.
21Die dreifarbige Kokarde bürgerte sich mit der Französischen Revolution ein. Im Selbstverständnis ihrer Anhänger war sie das Wahrzeichen patriotischer Brüderlichkeit, das die guten Patrioten von den verschwörerischen Aristokraten unterschied. Die Nationalkokarde kombinierte die Farben von Paris - Blau und Rot - mit dem königlichen Weiß. In: Reichardt, Rolf: Kokarde. In: Jaeger, Friedrich [Hrsg.]: Enzyklopädie der Neuzeit. Bd. 6. Stuttgart 2007, Sp. 866.
22 Vgl. Hufton: Frauenleben, S.642.; Roessler: Shadows, S. 8.
23Vgl. Michalik: Marsch, S. 58.
24 In der Zeitung Le Fouet National heißt es: „Parisiens! Ouvrez enfin vos yeux! Sortez de votre léthargie, les 5