In dieser Arbeit werde ich die Künstlerthematik außer Acht lassen und die Lesart als Detektiverzählung behandeln. Die Erzählung "Das Fräulein von Scuderi" entstand 1818 und wurde 1819 erstmals veröffentlicht. Sie war einer von Hoffmanns größten Publikumserfolgen und wird sowohl als Detektiverzählung als auch als Künstlernovelle interpretiert. Der Frage, ob die Scuderi als erste Detektivin der deutschsprachigen Literatur und sogar als Vorreiterin aller Detektive gelten kann, schließlich erschien Edgar Allan Poes "Murders in the Rue Morgue" erst mehr als zwanzig Jahre danach, möchte ich in meiner Hausarbeit auf den Grund gehen. Es war Richard Alewyn, der 1974 in seinem Essay "Ursprung des Detektivromans" diese These vertrat, die in der Forschung häufig, oft kontroversiell, diskutiert wurde.
Ich werde dazu in einem allgemeinen Teil versuchen eine Definition der Detektivgeschichte herzuleiten, sie von der Kriminalliteratur abzugrenzen und die einzelnen Bestandteile und Merkmale näher zu betrachten. Bei der Gliederung lehne ich mich an Alewyns Elementen, aus denen eine Detektiverzählung besteht, an. Schließlich war er es, der den Stein ins Rollen gebracht hat. Danach werde ich die Erkenntnisse des allgemeinen Teils in einem analytischen Teil auf Hoffmanns Erzählung anwenden, um so zu einer Antwort auf die Themenstellung zu kommen. Ich habe in dieser Arbeit auf gendergerechte Endungen verzichtet. Grund dafür ist eine bessere Lesbarkeit und soll keinesfalls eine Geschlechterdiskriminierung oder eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes zum Ausdruck bringen.
Inhalt
1. Einleitung
2. Definition und Bestandteile einer Detektivgeschichte
2.1 Der Fall beziehungsweise der Mord
2.2 Der Detektiv
2.3 Der verdächtige Unschuldige
2.4 Der unverdächtige Schuldige
2.5 Die Detektion
3 Das Fräulein von Scuderi im Detektivkontext
3.1 Das Verbrechen
3.2 Das Fräulein als Detektivin
3.3 Olivier Brusson
3.4 René Cardillac
3.5 Die Aufklärung des Falles
4. Fazit
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Die Erzählung „Das Fräulein von Scuderi“ entstand 1818 und wurde 1819 erstmals veröffentlicht. Sie war einer von E.T.A. Hoffmanns größten Publikumserfolgen und wird sowohl als Detektiverzählung als auch als Künstlernovelle interpretiert. In dieser Arbeit werde ich die Künstlerthematik außer Acht lassen und die Lesart als Detektiverzählung behandeln. Der Frage, ob die Scuderi als erste Detektivin der deutschsprachigen Literatur und sogar als Vorreiterin aller Detektive gelten kann, schließlich erschien Edgar Allan Poes „Murders in the Rue Morgue“ erst mehr als zwanzig Jahre danach, möchte ich in meiner Hausarbeit auf den Grund gehen. Es war Richard Alewyn, der 1974 in seinem Essay „Ursprung des Detektivromans“ diese These vertrat, die in der Forschung häufig, oft kontroversiell, diskutiert wurde.1 Ich werde dazu in einem allgemeinen Teil versuchen eine Definition der Detektivgeschichte herzuleiten, sie von der Kriminalliteratur abzugrenzen und die einzelnen Bestandteile und Merkmale näher zu betrachten. Bei der Gliederung lehne ich mich an Alewyns Elementen, aus denen eine Detektiverzählung besteht, an.2 Schließlich war er es, der den Stein ins Rollen gebracht hat. Danach werde ich die Erkenntnisse des allgemeinen Teils in einem analytischen Teil auf Hoffmanns Erzählung anwenden, um so zu einer Antwort auf die Themenstellung zu kommen. Ich habe in dieser Arbeit auf gendergerechte Endungen verzichtet. Grund dafür ist eine bessere Lesbarkeit und soll keinesfalls eine Geschlechterdiskriminierung oder eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes zum Ausdruck bringen.
2. Definition und Bestandteile einer Detektivgeschichte
Um die Fragestellung genauer diskutieren zu können, muss zunächst die Detektivgeschichte abgegrenzt und definiert werden. Bei Nusser wird zwischen Verbrechensliteratur, die nach Ursprung, Wirkung und Sinn des Verbrechens forscht, und Kriminalliteratur unterschieden. Die Kriminalliteratur behandelt die Anstrengungen, die zur Klärung des Verbrechens und Überführung des Täters notwendig sind. Diese wiederum verzweigt sich in zwei idealtypische Stränge, die sich zwar berühren können, aber formal und inhaltlich gut trennbar sind. Der eine dieser Stränge ist der Thriller, dessen Schwerpunkt auf der Verfolgung des meist bekannten Täters liegt. Der andere Strang ist der Detektivroman beziehungsweise die Detektiverzählung.3 „Denn so nebelhaft die Konturen des Kriminalromans sind, so scharf sind die des Detektivromans. Das ist nicht eine Sache des Stoffs, sondern der Form."4 Die Detektivgeschichte gliedert sich in das rätselhafte Verbrechen am Anfang, die Fahndung, Rekonstruktion und Klärung der Motive im ausführlichen Mittelteil und die Lösung des Falles und Überführung des Täters am Schluss.5 Die Detektivliteratur vereint eine Anzahl typischer Kennzeichen der kurzen Erzählformen wie das einzelne Ereignis, die unerhörte Begebenheit und den einheitlichen Spannungsaufbau. Das Ziel des Erzählens ist rückwärts gerichtet, auf die Rekonstruktion des verbrecherischen Tathergangs.6
2.1 Der Fall beziehungsweise der Mord
Ein Verbrechen stellt Basis und Voraussetzung für die Entwicklung der Geschichte in der Detektivliteratur dar. Das Verbrechen wirkt als Rätsel und soll intellektuelle Neugier wecken. Aus diesem Grund sind die Mordsituationen in der Detektivgeschichte oft hochgradig konstruiert. Warum das Verbrechen meist ein Mord ist, erklärt sich dadurch, dass nur auf Mord, zumindest noch im 19.Jahrhundert, die Todesstrafe stand. Der Täter spielte daher mit höchstem Einsatz, hatte er doch im Falle der Überführung sein eigenes Leben zu verlieren. Der Tod ist unumkehrbar und unwiderruflich, und hat zudem eine Aura des rätselhaften und faszinierenden.7 Van Dine plädiert für den Mord als Rätsel der Detektion, weil das schwerste Verbrechen gerade gut genug ist, wenn sich der Leser schon die Mühe des Lesens macht. Die Tat darf sich auch nicht als Selbstmord oder Unfall herausstellen und sollte aus persönlichen Motiven verübt worden sein.8 Das Mordopfer hat normalerweise, obwohl Bezugspunkt der Ermittlungstätigkeit, den geringsten personalen Stellenwert aller Figuren der Geschichte. „Der Tote hinterlässt im Detektivroman keinen Eindruck, sondern lediglich ein Problem."9
2.2 Der Detektiv
„Der Detektiv ist die zentrale Figur jeglichen Detektivromans.“10 Dieser Detektiv muss aber gewisse Kriterien erfüllen, um definitionsgemäß als solcher zu gelten. Seine Aufgabe ist es Spuren zu verfolgen und Schlüsse zu ziehen. Getrieben vom Gerechtigkeitssinn sollte er sein und nicht irgendein Liebesinteresse darf ihn auf den Plan rufen.11 Bei Nusser werden als seine wichtigsten Tätigkeiten Beobachtung, Verhör und Beratung genannt.12 Der Detektiv sollte vor allem auf den Gebieten Wahrnehmung und Kombinationsgabe bewandert sein. Da sich alle Detektivfiguren aufgrund ihrer Aufgaben und Fähigkeiten sehr ähnlich sind, stehen die Autoren vor dem Problem der „individuellen Vergegenwärtigung“ ihrer Protagonisten.13 Exzentrik und Isolation sind typische Merkmale der Detektivgestalt, die sich so von der Masse des Gewöhnlichen abhebt. Eine Aura des Außergewöhnlichen umgibt den Detektiv, mit dem sich bürgerliche Leserschichten gerne identifizieren. Sinnbildlich für die Isolation ist er oft Junggeselle, beziehungsweise sind die wenigen weiblichen Detektivinnen jungfräulich oder altjüngferlich.14 Seine Arbeitsweise ist gekennzeichnet durch methodisches Denken, egal ob deduktiv oder induktiv, der Blick für die Indizien und das analytische Denken ist immer der gleiche.15 „Der Detektiv ist der Sachwalter des fragenden Lesers innerhalb der Erzählung. Er gehört daher so wenig wie der Leser dem Personenkreis an, in dem das Verbrechen geschehen ist.“16 Dieses Zitat von Alewyn zeigt einerseits die Verbindung zwischen Leser und Detektiv. Der Detektiv vertritt den Leser in der Geschichte, da der Leser ja außerhalb steht und nicht eingreifen kann. Beide sollten deshalb immer den identischen Informationsstand haben. Andererseits wird hier der Detektiv zur personifizierte Frage reduziert. Der Detektiv ist entweder ein Amateur oder ein professioneller Ermittler. Beides ist möglich. Wichtig ist nur, dass nur einen Protagonisten gibt, an den der Leser sich halten kann.17 Es kann aber trotzdem mehrere Detektive geben, die zusammenarbeiten können oder untereinander konkurrieren. Charakteristisch ist der Amateurdetektiv der in Opposition zur Polizei steht.
2.3 Der verdächtige Unschuldige
Die Gruppe der Verdächtigen bildet im Detektivroman einen geschlossenen Kreis. Deren Zahl ist begrenzt, überschaubar, konstant und dem Detektiv und dem Leser schon früh bekannt. Autoren bedienen sich verschiedener Mittel um eben diesen geschlossenen Kreis zu bilden und auch aufrecht zu erhalten. Die Geschichte spielt so an isolierten Orten wie auf einer abgelegenen Insel oder in einem Zugwaggon. Auch isolierte Gruppen, wie beispielsweise Theaterensembles oder Collegeprofessoren bieten sich an.18 Das Stilmittel der falschen Spur ist im Detektivroman sehr beliebt. „Unausweichlich verweisen am Anfang alle Indizien einhellig auf eine Person, die in Wirklichkeit völlig unschuldig ist.“19 Es kommt auch vor, dass sich dieser Irrtum während der Erzählung wiederholt. Mit dieser Irreführung wird der Leser verblüfft und es erhöht sich die Spannung.
2.4 Der unverdächtige Schuldige
Schließlich bleibt als letzte wichtige Figur der Detektivgeschichte noch der Täter, ohne den es keinen Mord, also auch keine Ermittlung und Aufklärung durch einen Detektiv geben würde. Ebenso wie für den Detektiv, gibt es auch für den Täter einige Regeln an die er sich zu halten hat. Bei S.S. Van Dine finden sich einige strikte Anweisungen an den Autor einer Detektivgeschichte wie und was der Mörder zu sein hat. Es darf nur einen Täter geben. Der Mörder darf zwar Mitwisser oder Komplizen haben, die Schuld muss aber allein auf seinen Schultern lasten. Der Täter muss auch ein wichtiger Teil der Handlung sein und sollte von Beginn an dem geschlossenen Kreis der Verdächtigen angehören. Er sollte auch im gesellschaftlichen Sinn keine untergeordnete Rolle spielen. Ein Bediensteter oder etwas ähnliches wäre eine zu einfache Lösung. Ein professioneller Krimineller oder Angehöriger einer mafiaähnlichen Verbrecherorganisation darf auch nicht der Mörder sein. Für solche Figuren ist in einem Detektivroman kein Platz. Zu guter Letzt darf sich der Detektiv oder einer der offiziellen Ermittler nicht als Täter herausstellen. Das wäre glatter Betrug am Leser.20 Die Beweggründe des Mörders sind meistens in seiner Vergangenheit zu finden.21
2.5 Die Detektion
Auch bei der Aufklärung des Mordes gilt es einige Regeln zu beachten. Die Aufdeckung gelingt nicht der Polizei, sondern einem Amateur, einem Außenseiter.22 Die Chancengleichheit zwischen Leser und Detektiv soll gewahrt bleiben. Dem Leser dürfen keine Tricks gespielt werden, außer die, die dem Detektiv auch gespielt werden. Der Fall darf auch nicht durch Zufall, Eingebung oder gar übernatürliche Fähigkeiten gelöst werden, sondern die Aufklärung muss das Ergebnis logischer Schlussfolgerungen sein. Der Lösungsweg sollte für den Leser auch nachvollziehbar sein.23 Die Ermittlungsarbeit des Detektivs besteht aus Verhören und Beobachtungen, aufgrund deren Ergebnissen er seine Arbeitshypothese für die Ausforschung des Täters aufbaut.24 Jede Aussage in einem Detektivroman ist die Antwort auf eine offene Frage. „Aus Frage und Antwort besteht die Anatomie des Detektivromans.“25 Alles kann ein Indiz oder eine Spur, ein Clue, wie der englische Terminus technicus lautet, sein.26 Manchmal legt der Detektiv oder seine Mitarbeiter auch Handlungen aktionistischen Charakters, wie beispielsweise Verfolgungsjagden, an den Tag. Mit der Inszenierung der Überführungsszene beginnt der letzte Teil des Detektivromans, in dem der geschlossene Kreis der Figuren mit der Lösung des Falles konfrontiert wird.
[...]
1 Detlef Kremer (Hrsg): E.T.A. Hoffmann. Leben, Werk, Wirkung. 2., erw. Aufl. Berlin, Boston: De Gruyter 2012. S.318
2 Richard Alewyn: Ursprung des Detektivromans. In: Probleme und Gestalten. Essays. Hrsg. von Richard Alewyn. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1982. S.353
3 Peter Nusser: Der Kriminalroman. 4.Auflage. Stuttgart: Metzler 2009 (=Sammlung Metzler Bd. 191).S.2
4 Richard Alewyn: Anatomie des Detektivromans. In: Probleme und Gestalten. Essays. Hrsg. von Richard Alewyn. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1982. S.362
5 Peter Nusser: Der Kriminalroman. S.23
6 Ebd. S.5
7 Ebd. S.35
8 S. S. Van Dine: Twenty rules for writing detective stories. In: The art of the mystery story;. A collection of critical essays. Hrsg. von Howard Haycraft. New York: Simon and Schuster 1946. S.190
9 Peter Nusser: Der Kriminalroman. S.37
10 Ebd. S.40
11 S. S. Van Dine: Twenty rules for writing detective stories. S.189
12 Peter Nusser: Der Kriminalroman. S.44
13 Ebd. S.41
14 Ebd. S.42
15 Ebd. S.44
16 Richard Alewyn: Anatomie des Detektivromans. S.374
17 S. S. Van Dine: Twenty rules for writing detective stories. S.190
18 Peter Nusser: Der Kriminalroman.
19 Richard Alewyn: Ursprung des Detektivromans.. S.350
20 S. S. Van Dine: Twenty rules for writing detective stories. S.189-193
21 Richard Alewyn: Anatomie des Detektivromans. S.382
22 Richard Alewyn: Ursprung des Detektivromans. S.351
23 S. S. Van Dine: Twenty rules for writing detective stories. S.189-193
24 Peter Nusser: Der Kriminalroman. S.25
25 Richard Alewyn: Anatomie des Detektivromans. S.371
26 Peter Nusser: Der Kriminalroman. S.25