Ökonomie – Macht – Menschen. Ein Essay über Ethik und Wirtschaft
Zusammenfassung
Die in der Überschrift enthaltene Doppeldeutung soll den Rahmen für diesen Essay bieten, in dem sich der Autor mit folgender These auseinandersetzt: Nur durch die Funktion der Macht ist es der Ökonomie möglich, in immer mehr Bereiche des privaten Lebens der Menschen einzudringen.
Zunächst widmet sich der Autor einigen Facetten der Ökonomie. Dabei bezieht sich die Auswahl auf ihre treibenden Kräfte, um erklären zu können, inwieweit sie menschliches Denken und Handeln beeinflusst. Im Weiteren soll die Macht in ihren auffälligsten Erscheinungen fokussiert werden, da sie sich als ein schillernder Begriff erweist, unter dem sich jeder etwas vorzustellen vermag und dem deswegen viele unterschiedliche Bedeutungszuschreibungen innewohnen. Anschließend wird zur Ökonomisierung übergegangen. Der Autor erläutert, woran sie festzumachen ist und nimmt unter einigen moralischen Aspekten kritisch zu ihr Stellung. In der Synthese von Ökonomie und Macht legt der Autor schließlich im Fazit seine Position kurz dar und wagt einen Ausblick.
Leseprobe
Ökonomie - Macht - Menschen
„Es war einmal ein Mann, der lebte in Armut. Nach vielen Abenteuern und einer langen Reise durch die ökonomische Wissenschaft traf er die Überflussgesellschaft. Sie heirateten und hatten viele Bedürfnisse.“ (Baudrillard 1970: 93)
Baudrillards Aussage scheint den Nerv der heutigen Gesellschaft zu treffen. Die Ökonomie übt unter anderem in Form ihrer Versorgungsfunktion für die Menschen, aber auch als Anlaufstelle für die Zufriedenstellung von Bedürfnissen ‚Macht‘ auf die Menschen aus und ‚macht‘ sie gleichzeitig zu denjenigen, als die sie äußerlich und unter ökonomischen Gesichtspunkten in Erscheinung treten: bedürftige Menschen, die alles Grundständige, was sie zum Leben benötigen, bekommen müssen (vgl. Gronemeyer 2009: 27). Folglich erscheint es als ein Leichtes, dass ökonomische Denkweisen uns immer mehr in den Sphären des täglichen Lebens begegnen (vgl. Altvater 1996: 33).
Die in der Überschrift enthaltene Doppeldeutung soll den Rahmen für diesen Essay bieten, in dem ich mich mit der folgenden These auseinandersetze: Nur durch die Funktion der Macht ist es der Ökonomie möglich, in immer mehr Bereiche des privaten Lebens der Menschen einzudringen.
Zunächst widme ich mich einigen Facetten der Ökonomie. Dabei bezieht sich die Auswahl auf ihre treibenden Kräfte, um erklären zu können, inwieweit sie menschliches Denken und Handeln beeinflusst. Im Weiteren soll die Macht in ihren auffälligsten Erscheinungen fokussiert werden, da sie sich als ein schillernder Begriff erweist, unter dem sich jeder etwas vorzustellen vermag und dem deswegen viele unterschiedliche Bedeutungszuschreibungen innewohnen. Anschließend möchte ich zur Ökonomisierung übergehen, erläutern, woran sie festzumachen ist und unter einigen moralischen Aspekten kritisch zu ihr Stellung nehmen. In der Synthese von Ökonomie und Macht möchte ich schließlich im Fazit meine Position kurz darlegen und einen Ausblick wagen.
Der Sinn der Ökonomie
Die ökonomische Logik ist in einer ihrer Kernaussagen unbedingt daran interessiert, Wachstum zu erzeugen, indem sie von vielem immer mehr bis hin zu Überfluss erzeugt (vgl. Jackson 2013: 3). Als einer der entscheidenden Bereiche in einer Gesellschaft – allein schon durch die Themenpräsenz in den Medien erkennbar – tritt die Ökonomie als ein wichtiger Spieler auf, sodass den von ihr ausgesprochenen Wahrheiten eine erhebliche Wirkung zukommt. Sie besitzt gewissermaßen prometheische Kraft, denn wenn von ihr die Besorgung des für uns zum Leben Notwendigen abhängt, kommt ihr durchaus die vorausdenkende Eigenschaft, die den Prometheus in der griechischen Mythologie so mächtig auftreten lässt, zu (vgl. Dietz 1989: 66). Aristoteles begriff die Ökonomie als den Haushalt, der das zum Leben Notwendige bereitzustellen hatte und für den die Menschen zuständig waren – diese Definition des Ökonomischen (Hauswirtschaft) wird auch heute noch verwendet (vgl. Duden o.J.). Welcher andere Zweck ökonomischen Handelns, außer Knappheit zu überwinden, damit es keinen Mangel an Essentiellem gibt, sollte uns außerdem logisch erscheinen? Die Ökonomie als Versorgungsarrangement unseres Bedarfs anzusehen, erscheint uns somit plausibel. Gewiss könnte man sich damit abfinden, dass die Menschen es nicht den Tieren gleichtun, indem sie, ausschließlich und instinktgeleitet, ihren Trieben nachgehen und deshalb nur die basalen Bedürfnisse wie z.B. das nach Nahrung oder nach Wärme befriedigen. Darüber hinaus liegt den Menschen viel daran, die Dinge an und für sich zu verstehen und zu gestalten. Anderenfalls wäre unsere Kulturvielfalt bei weitem nicht zu erklären. Jedoch gibt es einen Unterschied zwischen jenen Grundbedürfnissen und einem Überfluss, wie er uns heute an vielen Orten begegnet, denn „die Rede vom Überfluss beschwört ja längst nicht mehr die Vision vom üppig überquellenden Füllhorn, an dem man sich ungestraft gütlich tun kann, herauf. ‚Überfluss‘ hat einen Beigeschmack von Ungenießbarkeit angenommen. Nicht das ‚Überfließende‘, sondern das ‚Überflüssige‘ ist der in den Vordergrund drängende Bedeutungsgehalt, wann immer unser gesellschaftlicher Zustand mit dem Überfluss gekennzeichnet wird.“ (Gronemeyer 2009: 11f.)
Wie konnte es zu dieser Verwandlung des gütigen Überfließenden in das Überflüssige kommen, das die Menschen Gelassenheit darin einüben ließ, sich nicht zu jeder Zeit um ihre Versorgung sorgen zu müssen? Die Schadhaftigkeit der Armut, des geringen Besitzes, eines Versagens, das in unserer angewöhnten Bedeutung dieses Wortes mitschwingt, ist sicherlich ein Grund dafür (vgl. Assmann/Baasner/Wertheimer 2014: 12). Armut ist aus guten Gründen und in vielen Fällen negativ. Es gilt daher, immer die Frage zu stellen, worin die Armut besteht und wie die von ihr Betroffenen mit ihr umzugehen wissen. Die meisten Menschen würden den Mann in Baudrillards Geschichte sicherlich als einen bedauernswerten Zeitgenossen ansehen, dem seine Armut unaushaltbar vorkommen muss. Der Bedeutungsgehalt des Armutsbegriffes verheißt für uns nichts Gutes.
Aus einer weiteren Perspektive gesehen ist es uns als Menschen anscheinend gar nicht möglich, Mögliches nicht wirklich werden zu lassen (vgl. Gronemeyer 2013: 1). Der unbeirrte Fortschrittsglaube, mit dem alle Möglichkeiten unweigerlich ausgeschöpft werden müssen, hat sich tief in das kulturelle Gedächtnis eingeprägt: Stillstand ist Rückstand; „was der Mensch kann, das soll er machen.“ (ebd.) Wer arm ist, hat schließlich ein Bedürfnis danach, alles Mögliche zu tun, um diesen Zustand zu verändern. Es ergeben sich somit zwei ganz unterschiedliche Gründe, die der Armut und damit dem „Missverhältnis zwischen Vorrat und Bedürfnis“ (Balla 1978: 3) einen Beseitigungsimperativ anlegen: der eine in der Konnotation, wiederum der andere in einer anthropologischen Konstante des Fortschritts festgesetzt.
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