Im Blickfeld der öffentlichen Meinung. Rezeption jüdischer Ringstraßenbewohner zwischen 1870 und 1873 in Wien
Zusammenfassung
In der Forschung ist diese Tatsache bisher nur am Rande behandelt worden, was verwunderlich ist. Über das Projekt der Ringstraße selbst gibt es eine Reihe von Arbeiten. Der Katalog zur Ausstellung des jüdischen Museums Wien stellt einen hohen Anteil der jüdischen Bevölkerung an der neuen Straße Wiens fest. Da das Verhältnis zwischen Juden und der restlichen Wiener Bevölkerung zum einen durch die Emanzipation 1867 und zum anderen durch eine Wirtschaftskrise belastet war, stellt sich die Frage, inwiefern die Wiener Ringstraße als Projektionsfläche für den Antisemitismus betrachtet werden kann.
Dies soll die Fragestellung der Arbeit sein. Zum besseren Verständnis werden zuvor die politische Situation der Juden in Österreich nach der Emanzipation und die Bedeutung des Ringstraßenbaus erläutert.
Die Quellen die hierzu zur Verfügung stehen, sind vornehmlich Tageszeitungen aus der Zeit zwischen 1870 und 1873. Diese Zeit wurde bewusst gewählt, da die Wirtschaftskrise in diesen Zeitraum fällt. Es soll auch geprüft werden, ob es eine Veränderung in der Wahrnehmung der jüdischen Hausbesitzer auf der Ringstraße durch die Wiener Presse, zu verzeichnen gibt.
In einem anschließenden Fazit werden die gesammelten Ergebnisse resümiert und die Ausgangsfrage beantwortet.
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Das Bauprojekt Ringstraße
2.1 Planung, Durchführung und Zielsetzung
2.2 Die Sozialstruktur der Wiener Ringstraße
3. Rechtliche und gesellschaftliche Stellung der Juden in Österreich unter
Kaiser Franz Joseph
3.1 Die Dezemberverfassung von 1867
3.2 Der Börsenkrach 1873
4. Die Wahrnehmung jüdischer Ringstraßenbewohner
4.1 Tageszeitungen
4.1.1 Die Neuzeit vom 1. Juli 1870
4.1.2 Linzer Volksblatt für Stadt und Land vom 27. Juni bis zum 1. Juli 1870
4.1.3 Volksblatt für Stadt und Land vom 18. Mai 1873
4.2 Die „humoristische“ Presse
4.2.1 Figaro vom 25. März 1871
4.2.2 Figaro vom 28. Dezember 1872
4.2.3 Figaro vom 17. Mai 1873
4.2.4 Kikeriki vom 18. Mai 1873
5. Fazit
Quellen- und Literaturverzeichnis
Quellen:
Literatur:
1. Einleitung
„ Die Haupt- und Residenzstadt Wien hatte sich heute festlich geschmückt, um mit der Eröffnung der Ringstraße, ihre architektonische Wiedergeburt zu feiern. [...]
Die Hauptstadt eines großen Reiches gibt stets in verjüngtem Maßstabe das Spiegelbild des eigentlichen Charakters des Landes, der Bevölkerung, der sozialen und politischen Entwicklung [...]“.[1]
So beschrieb das Wiener Fremdenblatt anlässlich der Eröffnung der Ringstraße 1865 die Feierlichkeiten. Mit dem Bau der Ringstraße suchte Wien Anschluss an die großen und bekannten Boulevards, wie zum Beispiel denen in Paris und Berlin. An der Ringstraße waren wichtige öffentliche Gebäude angesiedelt worden, die sowohl durch ihre Architektur als auch durch ihre Funktion ein Symbol für das moderne Wien darstellen sollten. Beschäftigt man sich mit der Ringstraße, ihren Palais und Bauten, so stellt sich die Frage: „Wer waren die Menschen hinter den Mauern?“ Gerade 2015, zum 150. Jubiläum der Ringstraßeneröffnung, wurde diese Frage sowohl in den Medien als auch in der Forschung vermehrt wieder gestellt.
Verfolgt man die zahlreichen Ausstellungen und Berichte, die rund um den Geburtstag von Wiens Prachtstraße stattfinden, so fällt die Ausstellung des jüdischen Museums Wien besonders ins Blickfeld. Der Titel der Ausstellung: „Ringstraße. Ein jüdischer Boulevard“[2], scheint fast ein wenig abwegig. Sollte es möglich sein, dass ein Symbol für eine neue Epoche von einer Bevölkerungsgruppe geprägt wurde, die lange Zeit an der gesellschaftlichen Peripherie agierte?
Tatsächlich sind jüdische Eigentümer auf der Ringstraße keine Seltenheit. Viele Palais gehörten erfolgreichen jüdischen Geschäftsleuten, die durch den Kauf einer Parzelle wesentlich zur Realisierung dieses Bauvorhabens beitrugen.
In der Forschung ist diese Tatsache bisher nur am Rande behandelt worden, was verwunderlich ist. Denn mit Emanzipation der österreichischen Juden im Jahr 1867 wurde der Antisemitismus in der Gesellschaft stets zentraler. Des Weiteren liegt in dieser Zeit ein entscheidender Einschnitt, der das Verhältnis von jüdischer und nichtjüdischer Bevölkerung maßgeblich mit beeinflusste. Hierbei geht es um den Zusammenbruch der Wiener Börse im Mai 1873.
Über das Projekt der Ringstraße selbst gibt es eine Reihe von Arbeiten. Diese befassen sich auch mit der Sozialstruktur der Ringstraße, wie zum Beispiel die Arbeit von Elisabeth Springer. Auch die Geschichte der österreichischen Juden zur Zeit der Donaumonarchie ist relativ gut erforscht. Es sind einige Monographien und Aufsätze erschienen, die sich mit diesem Themenkomplex befassen. Hier wären zum Beispiel die Monographie von Robert Westrichs: „Die Juden Wiens im Zeitalter Kaiser Franz Josephs“ und Albert Lichtblau zu nennen, der sich mit sozialen Spannungen zwischen Juden und Nichtjuden in Wien beschäftigte.
Der Katalog zur Ausstellung des jüdischen Museums Wien stellt die Frage nach dem Anteil der jüdischen Bevölkerung an der Ringstraße. Wenn man nun diese beiden Faktoren zusammen sieht, dass die jüdische Bevölkerung einen hohen Anteil an der neuen Straße Wiens hatte und dass das Verhältnis zwischen Juden und der restlichen Wiener Bevölkerung zum einen durch die Emanzipation 1867 und zum anderen durch eine Wirtschaftskrise belastet war, stellt sich die Frage, inwiefern die Wiener Ringstraße als Projektionsfläche für den Antisemitismus betrachtet werden kann.
Dies soll die Fragestellung der Arbeit sein. Zum besseren Verständnis werden zuvor die politische Situation der Juden in Österreich nach der Emanzipation und die Bedeutung des Ringstraßenbaus erläutert.
Die Quellen die hierzu zur Verfügung stehen, sind vornehmlich Tageszeitungen aus der Zeit zwischen 1870 und 1873. Diese Zeit wurde bewusst gewählt, da die Wirtschaftskrise in diesen Zeitraum fällt. Es soll auch geprüft werden, ob es eine Veränderung in der Wahrnehmung der jüdischen Hausbesitzer auf der Ringstraße durch die Wiener Presse, zu verzeichnen gibt.
In einem anschließenden Fazit werden die gesammelten Ergebnisse resümiert und die Ausgangsfrage beantwortet.
2. Das Bauprojekt Ringstraße
2.1 Planung, Durchführung und Zielsetzung
Die Idee zur Erweiterung der Stadt Wien entstand schon Anfang des 19. Jahrhunderts. Doch dadurch, dass bis 1848 alle öffentlichen Bauprojekte vom Hofbaurat bürokratisch betreut und verwaltet wurden, war es nicht möglich, einen Wettbewerb zur Gestaltung der sogenannten Ringstraßenzone auszuschreiben[3]. Auch wenn die Ringstraße nicht das erste Projekt zur Stadterweiterung war[4], war sie doch der entscheidende Durchbruch.
Zur Finanzierung wurde ein „Stadterweiterungsfonds“[5] eingerichtet. Die Verantwortlichen waren damit beauftragt, die Parzellen an der Ringstraße zu verkaufen. Die Geldmittel für diesen Fonds wurden durch Zinsen bereitgestellt, die beim Ratenkauf der Grundstücksflächen anfielen[6]. Das vorhandene Kapital wurde zur Finanzierung weiterer Projekte verwendet.
Die Zielsetzung der Ringstraßenplanung formulierte der Kaiser in einem Handschreiben an den Freiherrn vom Bach vom 20. Dezember 1857:
„Es ist mein Wille, dass die Erweiterung der inneren Stadt Wien mit Rücksicht auf eine entsprechende Verbindung mit den Dorfstädten in Angriff genommen und hierbei auch auf die Regulierung und Verschönerung Meiner Residenz und Reichshauptstadt Bedacht genommen werde. [...] Die hiernach als die vorzüglichsten ersannten [...] Grundpläne sind Mir zu Schlussfassung vorzulegen, so wie über die weiteren Modalitäten der Ausführung, unter Erstattung der bezüglichen Anträge Meine Entschließung einzuholen sein wird.“[7]
In diesem Beschluss zum Bau der Wiener Ringstraße sind die Kriterien deutlich, die nicht nur für den Bau, sondern auch für die Zeit nach der Eröffnung wichtig sein werden. Zum einen die infrastrukturelle Zielsetzung, also den Anschluss der zuvor schon juristisch eingegliederten Vorstädte Wiens und die Verschönerung der Stadt durch den Bau der Ringstraße. Zum anderen das große Maß an Partizipation und Mitarbeit durch den Kaiser am Stadterweiterungsprojekt. Dies liegt selbstverständlich zum Großteil in seiner Stellung innerhalb des politischen Gefüges begründet, aber andererseits wurde die Stadterweiterung durch seine aktive und führende Rolle stark mit dem Kaiser in Verbindung gebracht. Dies hatte zur Folge, dass der Kaiser im Zuge der antisemitischen Volksbewegung, der 80er und 90er Jahre noch stärker in die Kritik geriet als im Untersuchungszeitraum. Die kaiserliche Familie, samt Kronprinz Rudolph und Kaiserin Elisabeth, wurde als „Judenknechte“[8] verunglimpft. Dies geschah zwar nicht direkt, da man durch die Nennung von Namen den Vorwurf der Majestätsbeleidigung auf sich gezogen hätte, doch es war für jeden Leser ersichtlich, wer gemeint war.
Nach Abschluss der Bauphasen, die in ihren Einzelheiten hier nicht weiter erläutert werden sollen, wurde die Ringstraße am 01. Mai 1865 schließlich durch den Kaiser eröffnet.
2.2 Die Sozialstruktur der Wiener Ringstraße
Betrachten wir nun die Sozialstruktur der Ringstraße. Dies ist von Bedeutung, um zu verstehen, warum es zu verbalen Angriffen, (siehe Kapitel 4) auf die Bewohner der Ringstraße kam.
Wie bereits erwähnt, sollte die neue Gestaltung dieses Bereichs ein Aushängeschild für die Stadt Wien sein. Man wollte die Modernität und Tatkraft der Donaumonarchie mit diesem Bauwerk unter Beweis stellen[9]. Es mag daher nicht verwundern, dass vor allen anderen das Großbürgertum für die Parzellen gewonnen werden sollte. Die Bauten auf der Ringstraße wurden gleich auf dessen Bedürfnisse hin konzipiert[10]. So gab es auch wichtige öffentliche Gebäude, die dort hin verlegt wurden. Hier sind zum Beispiel das Parlament und die Hofoper zu nennen, die für die gesellschaftliche Organisation als auch für die Repräsentation eines modernen Staates von einer nicht zu unterschätzenden Bedeutung waren.
Was die Preisentwicklung der Ringstraßengrundstücke anbelangte, so war sie in keinem Fall die Straße mit den teuersten Grundstücken Wiens. Es gab außerhalb der Ringstraßenzone Grundstücke, die eine wesentlich extremere Preissteigerung durchliefen[11]. Somit ist die in der Zeit der Wirtschaftskrise entstandene Vermutung, dass die Ringstraßenpalais und Wohnhäuser nur von Reichen und Börsenspekulanten erworben werden konnten, aus Sicht der Forschung nicht haltbar.
Doch an der Ringstraße entflammten auch Probleme, die wir bei der Analyse der Zeitungsartikel wiederfinden werden, weshalb diese hier kurz erläutert werden sollen. Zuerst einmal hatte sich der Besitz eines Hauses durch die Abschaffung der Erbuntertänigkeit und Leibeigenschaft zu einer Kapitalanlage entwickelt. Es ging nun nicht mehr darum, ein Anwesen bewirtschaften zu müssen und die daraus resultierenden Abgaben an einen Großgrundbesitzer abzuführen, sondern das Haus konnte als Wert betrachtet werden, auf den der Bewohner respektive Eigentümer uneingeschränkten Zugriff hatte[12]. Hier liegt die Ursache dafür, dass die Einkünfte derer, die zuvor ausschließlich vom diesen Abgaben gelebt hatten, erheblich reduziert wurden. Dies betraf vor allem die christliche Aristokratie. Durch die rasche Etablierung des Kapitalmarktes war es den ehemaligen Grundbesitzern, also dem Adel, nicht möglich, sich sofort neu zu orientieren. Agrarprodukte, die den Grundbesitzern durch Verkauf auf dem Markt die Existenz sicherten, wurden weniger nachgefragt. Hingegen stieg die Nachfrage nach industriell gefertigten Gütern. Also den Zweigen der Wirtschaft, in dem die Juden stark vertreten waren[13]. Der massive finanzielle Verlust, den die Grundbesitzer im Zuge dieses Wandlungsprozesses erlitten, verhinderte, dass sie an den neuen Vierteln der Ringstraßenzone partizipieren konnten. Man kann sich also vorstellen, dass dies Einfluss darauf hatte, wie sich die Bevölkerung an der Ringstraße entwickelte. Selbstverständlich wurde dadurch auch die Wahrnehmung der Ringstraßenbewohner durch die Wiener beeinflusst.
Die Familien, die sich ansiedelten, kamen zu einem Großteil aus der Schicht der Industriellen, die den neu entstandenen Kapitalmarkt bereits für sich genutzt hatten. Es traten zum ersten Mal überhaupt Industrielle in Erscheinung, die ihren Platz innerhalb dieser modernen Gesellschaft bewusst einforderten[14]. Dies traf auf Juden und Nichtjuden gleichermaßen zu. Auch wenn die Abschaffung der Leibeigenschaft dazu führte, dass sich die Märkte in Europa freier entwickeln konnten, hatten eine Reihe von Staaten, darunter auch Preußen und Österreich zahlreiche Probleme. Die Entwicklung auf der politischen Ebene verlief allzu rasch, als dass sich die wirtschaftlichen Funktionsbereiche dieser anpassen konnten. So schrieb der Wiener Bankier Karl Morawitz noch 1907 : ,Österreich ist lange Zeit noch „[...] mehr ein Agrar- als ein Industriestaat und [es wurden] alle Instinkte eines Agrikulturstaates beibehalten.’[15]. Es gelang schlicht nicht, Bevölkerungsteile, die an die Leibeigenschaft gewöhnt waren am neuen Wirtschaftssystem teilhaben zu lassen. Benachteiligt war in diesem Punkt nicht nur der Adel, sondern auch Handwerker und Landarbeiter.
Aus dieser Entwicklung heraus resultierte also auch die Sozialstruktur der Ringstraße, weil sich nur Industrielle ansiedelten, die diesen Wandlungsprozess nutzen konnten. Aber hieran ist auch abzulesen, warum die Ringstraßenbewohner solchen immensen verbalen Anfeindungen seitens der Bevölkerung ausgesetzt waren.
3. Rechtliche und gesellschaftliche Stellung der Juden in Österreich unter Kaiser Franz Joseph
3.1 Die Dezemberverfassung von 1867
Mit der Ernennung Andrássys zum ersten Ministerpräsidenten Ungarns am 17. Februar 1867 und der Unterzeichnung des Ausgleichs im März desselben Jahres[16] begann auch für die Juden im Habsburgerreich eine Veränderung einzusetzen. Befanden sie sich zuvor fast ausschließlich an der gesellschaftlichen Peripherie, so rückten sie mit der neuen Verfassung mit einem Mal direkt in das gesellschaftliche Zentrum. Durch die Veränderungen im Staatsgrundgesetz konnten sie nun Ämter bekleiden[17]. Sie wurden somit zum ersten Mal in der Geschichte Österreichs gleichberechtigte Mitglieder des Staates und der Gesellschaft. Denn auch in der Zeit der Revolution von 1848-1849 war ihnen eine Partizipation an Staatsämtern, trotz der formalen Gleichheit aller Staatsbürger nicht zugebilligt worden. Im Zuge der Reformen von 1867 war dem Kaiser die Möglichkeit gegeben, die Rechte im Bereich des Grundbesitzes grundlegend umzugestalten. Galten beim ersten Versuch einer Gesetzesänderung 1853 weiterhin die verfassungsmäßigen Bestimmungen des Jahres 1849[18], so konnten sie 1867 ohne größeren Wiederstand des Reichsrates verändert werden. Es ist davon auszugehen, dass diese Gesetzesänderungen nicht alleine darauf abzielten, der jüdischen Bevölkerung eine Gleichberechtigung auf allen Gebieten zuzusichern, sondern es schien vielmehr darum zu gehen, die unsichere Finanzlage des Staates zu konsolidieren. Der Kaiser gab dieser Änderung wohl vor allem auf Initiative der höheren Verwaltung nach, die dieses Ziel verfolgte[19].
Die Wandlung jüdischer Rechte und der generelle gesellschaftliche Wandlungsprozess hinterließen ihre Spuren auch in der öffentlichen Wahrnehmung. Diese schloss nicht nur die Juden ein, sondern es wurde auch ein Relevanzverlust der ehemaligen Funktionseliten wahrgenommen. Dies hält auch die Historikerin Elisabeth Springer in ihrer Abhandlung über die Sozialstruktur der Wiener Ringstraße für entscheidend: „Es [das Großbürgertum] gewann mit Fortschreiten der Gründerjahre in dem Maße an Gewicht, als der Adel an Bedeutung verlor“.[20]
Der einsetzende Wandlungsprozess brachte wie bereits erwähnt die neue Gesellschaftsschicht der Industriellen hervor. Diese war der Bevölkerung unbekannt und sie konnte sich ihren Erfolg und Reichtum nicht erklären. Bei der Schicht der Aristokraten, die schon seit Jahrhunderten unangefochten die Führungsrolle für sich beanspruchte, wurde dies von der breiten Bevölkerung widerspruchslos akzeptiert. Eine solche Beobachtung machte der Zeitzeuge Moritz Gründemann:
‚[...] Die geschilderten Zustände üppiger Lebenshaltung und vordringlicher Selbstbehauptung erweckten nun aber in der Bevölkerung Neid, Missgunst, Ärger
und Unzufriedenheit [...]. Den reichen Geburtsaristokraten beneidete das Volk nicht, denn sein Reichtum war alt und eine Sache der Gewohnheit.’[21]
Im Folgenden soll ein Ereignis betrachtete werden, das für die Analyse und Interpretation der Wahrnehmung jüdischer Ringstraßenbewohner einen sehr hohen Stellenwert einnahm, da es das Verhältnis der beiden Gruppen, Juden und Nichtjuden, zueinander maßgeblich mitgestaltete.
3.2 Der Börsenkrach 1873
Die Finanzkrise von 1873, die in Wien häufig als „Börsenkrach“[22] bezeichnet wird sorgte dafür, dass sich die Anfeindungen gegen die jüdische Bevölkerung noch verstärkten.
Den Juden eröffneten sich durch die Emanzipation zahlreiche neue Möglichkeiten. Berufsfelder, die ihnen vorher versperrt waren, wurden nun zugänglich. Dieses jüdische „Wirtschaftswunder“[23] wurde vor allen anderen Dingen durch ein höheres Maß an Bildung, aber auch durch eine gesteigerte demographische Mobilität ermöglicht. In der Folge gingen die Juden in Berufe, die sich mehrheitlich auf den Handel konzentrierten.
[...]
[1] Fremdenblatt vom 2. Mai 1865, Wien, 1. Mai, Wien 1865, URL: http://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?aid=fdb&datum=18650502&seite=1&zoom=33&query=%22ringstraße%22&provider=ENP&ref=anno-search, [Letzter Zugriff: 12.08.15].
[2] Gabriele Kohlbauer-Fritz (Hrsg.), Ringstraße. Ein jüdischer Boulevard, Katalog zur Ausstellung des jüdischen Museums Wien, Wien 2015.
[3] Vgl. Elisabeth Springer, Wirtschaftsfunktion und Sozialstruktur der Wiener Ringstraße, (= Renate Wagner-Rieger (Hrsg.), Die Wiener Ringstraße – Bild einer Epoche. Die Erweiterung der inneren Stadt Wien unter Kaiser Franz Joseph, Bd. VI), Wien (u.a.), 1970, S.17.
[4] Zuvor wurden bereits Rodungen an den umliegenden Glacis vorgenommen, um eine neue Kaserne zu errichten. Vgl. Ebd.
[5] Ebd.
[6] Vgl. Georg Gaugusch, Der jüdische Hausbesitz in der Wiener Innenstadt und der Ringstraßenzone bis 1885, in: Gabriele Kohlbauer-Fritz (Hrsg.), Ringstraße. Ein jüdischer Boulevard, Wien 2015, S. 112.
[7] Kaiser Franz Joseph I., Handschreiben an den Freiherrn vom Bach vom 20.12.1857, in: Gemeinde Wien (Hrsg.), Ansprachen und Handschreiben Sr. Majestaet. Zur Feier d. 80. Geburstfestes Sr. Majestaet, Wien 1910, S. 30.
[8] Brigitte Hamann, Elisabeth. Kaiserin wider Willen, 4. Auflage, München 2014, S. 477. Siehe auch „Unverfälschten Deutschen Worte“. Zeitung des Alldeutschen Verbandes, Wien 1889, S.115.
[9] Vgl. Fremdenblatt vom 2. Mai 1865, Wien, 1. Mai, Wien 1865, URL: http://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?aid=fdb&datum=18650502&seite=1&zoom=33&query=%22ringstraße%22&provider=ENP&ref=anno-search, [Letzter Zugriff: 12.08.15.].
[10] Vgl. Elisabeth Springer, Wirtschaftsfunktion und Sozialstruktur der Wiener Ringstraße, S. 20.
[11] Vgl. Ebd. S. 33
[12] Ebd.
[13] Vgl. Georg Gaugusch, Der jüdische Hausbesitz in der Wiener Innenstadt und der Ringstraßenzone bis 1885, S.110.
[14] Vgl. Ebd. S.108.
[15] Karl Morawitz zitiert in: Georg Gaugusch, Der jüdische Hausbesitz in der Wiener Innenstadt und der Ringstraßenzone bis 1885, in: Gabriele Kohlbauer-Fritz (Hrsg.), Ringstraße. Ein jüdischer Boulevard, Wien 2015, S. 107.
[16] Vgl. Brigitte Hamann, Elisabeth, S. 251-252.
[17] Vgl. Barbara Haider, Die Protokolle des Verfassungsausschusses des Reichsrates vom Jahre 1867, Wien 1997, S. 119. Siehe hierzu auch das Protokoll der Sitzung vom 21. September 1867, Ebd. S. 209-210.
[18] Georg Gaugusch, Der jüdische Hausbesitz in der Wiener Innenstadt und der Ringstraßenzone bis 1885, S. 77.
[19] Vgl. Ebd. S. 99.
[20] Elisabeth Springer, Wirtschaftsfunktion und Sozialstruktur der Wiener Ringstraße, S. 50.
[21] Moritz Gündemann zitiert in: Albert Lichtblau, Im Visier der antisemitischen Populisten. Jüdische Reiche und die Wiener Ringstraße, in: Gabriele Kohlbauer-Fritz (Hrsg.), Ringstraße. Ein jüdischer Boulevard, Wien 2015, S. 270.
[22] Salzburger Chronik vom 26. Juli 1873, Aus dem Mattigthal, Wien 1873, S. 3, URL: http://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?aid=sch&datum=18730726&seite=3&zoom=33&query=%22Börsenkrach%22&provider=ENP&ref=anno-search [Letzter Zugriff: 17.08.15].
[23] Albert Lichtblau, Antisemitismus und soziale Spannungen. In Berlin und Wien 1867-1914, Berlin 1994, S. 25.