Das Höhlengleichnis, im VII. Buch der Politeia verankert (514a-519c), ist eines der drei Gleichnisse, mit denen Platon – jeweils auf andere Weise und mit jeweils unterschiedlichen begrifflichen und bildlichen Mitteln – die Idee des Guten und das philosophische Wissen klären möchte. Die Gleichnisse versuchen, die Bedeutung der Idee des Guten für das menschliche Wissenssystem und das menschliche Leben zu veranschaulichen.
Sie geben eine bildliche Darstellung des menschlichen Erkenntnisweges zum Guten, welches als Ziel allen menschlichen Erkennens und Handelns dargestellt wird. Den Gleichnissen der Politeia kommt eine Mittelstellung zu, da sie zentral im Werk stehen. In ihnen „verschmelzen, im Höhlengleichnis kulminierend, die Platonischen Betrachtungen von Individuum und Staat […]. Einzig mit der Befreiung des Individuums hin zu einer wahrhaften Bildung kann die Errichtung eines wohlgeordneten Gemeinwesens beginnen.“
Das Höhlengleichnis als zentrale Stelle zur Darlegung der Bildung eines Menschen zum Philosophen steht im Mittelpunkt der vorliegenden Arbeit. Das Verhältnis der drei Gleichnisse untereinander wird dabei nicht thematisiert. Anhand einer Metapher führt uns Platon die verschiedenen Zustände der Wissensbildung vor Augen. Der Schwerpunkt liegt auf der Beschreibung des mit Mühen und Schmerzen verbundenen philosophischen Erkenntnisweges.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2. Das Höhlengleichnis
2.1 Ausgangslage
2.2 Entfesselung und Umwendung
2.3 Aufstieg
2.4 Erkenntnis
2.4.1 Die höhleninterne Bildungsetappe
2.4.2 Die Bildungsetappe außerhalb der Höhle
2.5 Rückkehr
3 Platons Bildungs- und Erziehungsbild
4 Zusammenfassung
Literaturverzeichnis
1 Einleitung
Das Höhlengleichnis, im VII. Buch der Politeia verankert (514a-519c), ist eines der drei Gleichnisse, mit denen Platon – jeweils auf andere Weise und mit jeweils unterschiedlichen begrifflichen und bildlichen Mitteln – die Idee des Guten und das philosophische Wissen klären möchte. Die Gleichnisse versuchen, die Bedeutung der Idee des Guten für das menschliche Wissenssystem und das menschliche Leben zu veranschaulichen (vgl. Kersting 2006, S. 224). Sie geben eine bildliche Darstellung des menschlichen Erkenntnisweges zum Guten, welches als Ziel allen menschlichen Erkennens und Handelns dargestellt wird. Den Gleichnissen der Politeia kommt eine Mittelstellung zu, da sie zentral im Werk stehen. In ihnen „verschmelzen, im Höhlengleichnis kulminierend, die Platonischen Betrachtungen von Individuum und Staat […]. Einzig mit der Befreiung des Individuums hin zu einer wahrhaften Bildung kann die Errichtung eines wohlgeordneten Gemeinwesens beginnen.“ (Schubert 1995, 105). Das Höhlengleichnis als zentrale Stelle zur Darlegung der Bildung eines Menschen zum Philosophen steht im Mittelpunkt der vorliegenden Arbeit. Das Verhältnis der drei Gleichnisse untereinander wird dabei nicht thematisiert. Anhand einer Metapher führt uns Platon die verschiedenen Zustände der Wissensbildung vor Augen. Der Schwerpunkt liegt auf der Beschreibung des mit Mühen und Schmerzen verbundenen philosophischen Erkenntnisweges.
2. Das Höhlengleichnis
2.1 Ausgangslage
Das Höhlengleichnis berichtet von Menschen, die seit ihrer Kindheit in einer unterirdischen, höhlenartigen Wohnstätte mit lang nach oben gestrecktem Eingang, entsprechend der Ausdehnung der Höhle, festgehalten werden. Sie sind so gefesselt, dass sie ihren Kopf nicht bewegen können und nur eine Wand vor sich sehen (514a). Licht spendet ihnen ein Feuer, das oberhalb von ihnen und weit entfernt hinter ihrem Rücken brennt (514b). Längs einer Mauer hinter ihnen tragen Menschen auf einem Weg allerlei Geräte, Statuen verschiedenster Art aus Stein und Holz von Menschen und anderen Lebewesen, die über die Mauer ragen, vorüber (514b-c, 515a). Von diesen Gegenständen sehen die gefesselten Menschen, genau wie auch von sich selbst und den anderen Menschen in der Höhle, nur die an die Wand projizierten Schatten. Sie sind unfähig, den Kopf zu drehen und halten dies für die Wirklichkeit (515b-c). Von „sonderbaren Gefangenen“ (515a) wird gesprochen, jedoch sind wir es, die hier gemeint sind: Wir, die wir von uns selbst wie von den anderen und allem sonstigen nichts anderes sehen können als die Schatten, die von dem Feuer auf die uns gegenüberliegende Höhlenwand geworfen werden. Grundsätzlich wissen die Menschen zu diesem Zeitpunkt noch nicht, dass sie nur Schatten und nicht die Dinge selbst sehen. Da sich die Menschen von Geburt an in dieser Lage befinden, fällt ihnen auch gar nicht ein, sich unfrei und gefesselt zu fühlen. Die Dinge der künstlichen Welt in der Höhle stellen ein Abbild unserer Welt dar (515a), dabei steht das Feuer für die Sonne, die unserer Welt Licht spendet, die künstlichen Gegenstände, deren Schatten wir sehen, stehen für Dinge, die wir mit Hilfe unserer Sinne wahrnehmen, die Schatten an der Wand sind die durch Kunst und Wissenschaft erzeugten Bilder der empirischen Dinge (vgl. Rehn 2008, 60). Platon trennt hier zwischen Schein und Sein, zusätzlich ist aber auch eine Trennung zwischen „künstlichem und lebendigem, hergestelltem und wirklich-authentischem Seienden“ (Kersting 2006, S. 225.) zu erkennen. Denn die Menschen in der Höhle wissen nicht, dass das, was sie sehen, ein Schattenbild ist, sie wissen auch nicht, dass „das Schattenbild von künstlichem Sein herrührt“ (ebd.). Die Menschen verkennen damit die Wirklichkeit, der Erfahrungs- und Erkenntnishorizont der in der Höhle gefesselten ist so begrenzt, dass alles, was in dieser Lage an Wissen möglich ist, auf der Wahrnehmung und Interpretation von Schatten künstlicher Gegenstände beruht (vgl. Rehn 2008, 61). Auch wenn sie annehmen, mit der Welt und ihren Dingen vertraut zu sein, ist ihnen die Welt fremd. Zu diesem Zeitpunkt werden die Menschen im Zustand der Erkenntnisferne dargestellt (vgl. Erler 2007, 401), die künstlich geschaffene Welt innerhalb der Höhle lässt keine wirklich Erkenntnis zu, da die Höhle und deren Inhalt für die ganze Welt gehalten wird bzw. für alles, was überhaupt existiert (vgl. Rehn 2008, 62). Durch die fehlende Erkenntnis fehlt den Menschen somit ein Maßstab für eine Kultur- und Lebenspraxis, die sich am Wahren, Schönen und Guten orientiert (ebd.).
2.2 Entfesselung und Umwendung
Die erwähnte Erkenntnisferne lässt die Menschen in der Höhle einen Zustand der Unwissenheit erlangen. Aus dieser Unwissenheit kann sich der Einzelne in der Höhle aber nicht selbst befreien. Er weiß nicht, dass er unwissend ist, er spürt nicht die Fesseln, „die ihn daran hindern, die (ganze) Wirklichkeit zu erkennen“ (Rehn 2008, 62). Die Befreiung muss also von außen kommen: Wenn nun ein Gefangener gezwungen wird aufzustehen, nachdem ihm die Fesseln gelöst wurden (515c-d), kann er sich umwenden und in der Höhle umsehen. Er wird gezwungen, in das Licht des Feuers zu schauen (515e). Er kann das Höhlenfeuer aber nur schmerzend wahrnehmen können und wird geblendet sein. Er wird sich von den Gerätschaften, die die Schatten werfen, und die er für unwirklich hält im Vergleich zu den Schatten auf der Wand, die er seit seiner Geburt für die Wirklichkeit gehalten hat, abwenden und wieder den Schatten zuwenden (515e). Da man sich nur ungern von Gewohntem trennt, muss die Umwendung (518d-521c) von außen durch Fragen nach dem Wesen der Dinge und durch Aporie (515d) bewirkt werden. Die Umwendung führt also durch die Eröffnung eines neuen (Denk-)Raumes zu einer grundlegenden Korrektur des Wirklichkeitsverständnisses. Das, was im gefesselten Zustand als Wahr gehalten wurde, erweist sich nun als unwirklich und nur als bloßes Abbild. Rehn (2008, 63) formuliert, dass es die Philosophie ist, „die die Fesseln der Menschen löst, und ihr gelingt diese Befreiung, indem sie die Menschen erkennen lässt, dass sie gefesselt sind und aufgrund dieser Fesselung sich „in völliger Unwissenheit herumwälzen“. Die Entfesselung und Befreiung ist dabei ein langwieriger Prozess, der mehrere Stadien durchläuft.
2.3 Aufstieg
Das eben beschriebene Ergebnis der ersten Korrektur des Denkens ist nicht von langer Dauer. Denn sobald der von seinen Fesseln Befreite und sein philosophischer Lehrer den Höhlenausgang erreicht haben – mit Gewalt wird er den steilen Weg hinauf ans Licht der Sonne geschleppt (515e) – wird er zunächst von der Sonne geblendet sein und er wird wieder nichts sehen. Es wird lange dauern – eine Phase der Gewöhnung in mehreren Etappen – bis er das betrachten kann, was wir als Wirklichkeit bezeichnen würden (516a). Erst wird er Schatten und Spiegelbilder der Menschen sehen, erst später sie selbst. Danach kann er den Himmel sehen, zunächst bei Nacht, dann bei Tag (516b). Am längsten wird es dauern, bis er die Sonne erkennen kann. Zuerst ihre Bilder etwa im Wasser, dann auch sie selbst, die, wie er es in der Folge sähe, alles erleuchtet und sichtbar macht, sogar das, was in der Höhle gesehen wird (516c). Nun wird deutlich, dass nicht nur die Schatten an der Höhlenwand, sondern auch die Gegenstände, deren Schatten zu sehen waren, nur Abbilder darstellen: es sind nur künstliche Nachbildungen natürlicher Objekte, die sich außerhalb der Höhle befinden und die Ideen repräsentieren. Rehn (2008, 65) fügt zusammen, dass der Weg des Entfesselten von den Gegenständen der empirischen Welt, die sich in Kultur und Wissenschaft wiederspiegeln, zu den Objekten, die allein dem Denken zugänglich sind, führt. Von den Gegenständen, denen kein Sein zukommt und von denen kein wirkliches Wissen möglich ist kommt es zum Seienden und den zu wahrer Erkenntnis zugänglichen Objekten, den Ideen.
2.4 Erkenntnis
Der bis hierhin beschriebene Vorgang wird der von seinen Fesseln Befreite noch nicht als Befreiung empfinden. Er ist verunsichert und orientierungslos. Die Welt, in der er sich eingerichtet hatte, in dem ihm alles vertraut war, erwies sich als Trugbild. Und etwas Neues kann er zu diesem Zeitpunkt für sich noch nicht sehen. Rehn (2008, 64) spricht an dieser Stelle über den Zustand der „Ratlosigkeit und der Verwunderung“, die jedoch als Voraussetzung des philosophischen Erziehungs- und Bildungsprozess notwendig ist. Es muss zu einer radikalen Um- und Neuorientierung des Denkens kommen. Erst wenn das Scheinwissen als solches durchschaut ist, kann die Wahrheitssuche und das Streben nach wirklichem Wissen beginnen. Erst dann wird der mühevolle Aufstieg zur Erkenntnis der Wirklichkeit in mehreren Etappen möglich.
2.4.1 Die höhleninterne Bildungsetappe
Diese führt ihn über die Schatten zu den schattenwerfenden Gebilden und Gerätschaften bis zum Feuer, der höhleninternen Quelle des Sehens und der Sichtbarkeit. Dies ist eine Erkenntnis, die Aufklärung durch Aufdeckung von Verursachung, durch reflexives Einholen von Voraussetzungen gewinnt. Die den Angeketteten als absolute Wirklichkeit erscheinenden Schatten zeigen sich jetzt als Wirkungen bislang unbekannter Ursachen. Weiterhin erweist sich, dass diese Schattenproduktionen der Gebilde und Geräte erst durch das Feuer ermöglicht wurde, dieses also als Ursache der Verursachung wirkt. Ein weiterer Aspekt: Die hier vorbeigetragenen Gegenstände, die Schatten werfen, sind „ausschließlich Menschenwerk. In der erzwungenen Hinwendung zu ihnen, […], entsteht Ratlosigkeit.“ (Schubert 1995, 119) Die Ratlosigkeit ist jene Aporie, in die wir geraten, wenn wir erkennen, dass unser „unreflektierter alltäglicher Umgang mit unserer Begriffswelt […] nicht auf Erkenntnis sondern auf Konstruktionen beruht und zu Widersprüchen führen können“ (ebd.). Die Aporie wäre also, die Schatten solcher Gegenstände ungefragt zu übernehmen und Auffassungen unkritisch zu entwickeln.
2.4.2 Die Bildungsetappe außerhalb der Höhle
Auch außerhalb der Höhle muss ein mühsamer Erkenntnisprozess durchlaufen werden, müssen die Augen – die Erkenntnisfähigkeit des Menschen – erst mühsam an die neue Umgebung angepasst werden. Auch außerhalb der Höhle beginnt der Erkenntnisprozess mit Schatten und Spiegelbilden, „dem ontisch Ärmsten und axiologisch Niedrigstem“ (Kersting 2006, 227). Danach kann der Mensch die schattenwerfenden und sich spiegelnden Originale ins Auge fassen, dabei erkennt er gleichzeitig, dass „hier, unter der Sonne, die Schatten und Spiegelungen sich nicht künstlichen Gegenstandsimitationen verdanken, sondern Abbilder und Schattenrisse von wahrhaften, authentischen Gegenständen sind, im Gegensatz zu den Schattenbildern an der Höhlenwand also gleichsam authentische Schatten und folglich ontisch höherwertige Gegenstände darstellen“ (ebd.). Und schließlich sieht er das Licht selbst. Nach anfänglicher Blendung und Gewöhnung erkennt er Originale: zuerst den Himmel bei Nacht, das milde und augenfreundliche Licht des Mondes und der Sterne bei Nacht. Nachdem er zu voller Sehkraft gelangt ist, sieht er auch die Sonne und ihr Licht bei Tage (vgl. Erler 2007, 401), nicht nur ihre Spiegelbilder im Wasser oder sonst einer Stelle, sondern die Sonne selbst in voller Wirklichkeit an ihrem eigenen Platz (516b). Nicht auf Anhieb wird der Mensch „des Ursprungs allen Seins und aller Erkenntnis ansichtig, sondern nur allmählich, Schritt für Schritt, kann er sich an die anspruchsvollen Gegenstände gewöhnen und ihren Zusammenhang und ihren Ursprung erfassen.“ (Kersting 2006, 227) Um philosophische Erkenntnis zu gewinnen, muss man die gewöhnlichen Betrachtungsweisen, die geläufigen Meinungen über die Wirklichkeit und die üblichen Vorstellungen von Gerechtigkeit aufgeben – nicht mit einem Mal, sondern in einem langen Prozess. Dieser verändert den Charakter und die Lebensweise des Menschen, „er macht ihn zu einem anderen, weiseren, besseren und glücklicheren Menschen“ (ebd., 228). Wenn er sich nun an seine frühere Wohnstätte und an seine früheren Mitgefangenen in der Höhle erinnert, wird er sie bedauern und bemitleiden.
[...]