Während des 1. Weltkrieges stellte sich bald heraus, dass das russische Reich mit
seinen „Bauern in Uniform“ und großen Versorgungsproblemen, den modernen
westlichen Heeren nicht gewachsen war. Innerhalb Russlands ging die
landwirtschaftliche Produktion zurück und ein Verschleiß der Infrastruktur machte sich
bemerkbar. All das führte 1917 zum Sturz des Zaren1. Durch eine 2. Revolution im
November (Oktoberrevolution) unter Lenin wurde dann auch der provisorischen
Regierung ein Ende gesetzt. Mit diesem Schritt beginnt die 74 Jahre andauernde „Linksdiktatur“, obwohl der
Bürgerkrieg 1918 bis 1921 das Land in ein wirtschaftliches und soziales Desaster
stürzte. Als Lenin 1924 stirbt übernimmt Generalsekretär Stalin sein Amt. Taktik und
Macht machten es ihm möglich, eine Politik der Industrialisierung durchzusetzen und
dabei völlig auf die Konsumgüterproduktion zu vergessen. Daraufhin wurde die
Landwirtschaft zwangskollektiviert, was für die Bauern einer Enteignung gleichkam
und schlimme soziale Folgen hatte. Zur Stärkung der Schwer- und der
Rüstungsindustrie beschloss man die ersten Fünfjahrespläne. Auch wenn Reformen,
vor allem im sozialen Bereich, Russland nicht gänzlich unberührt ließen, standen
Säuberungsaktionen und Geheimpolizei bis zum Tod Stalins 1953 ebenfalls an der
Tagesordnung. Der Nachfolger, Nikita Chruschtschow sollte die stalinistischen Strukturen auflösen,
ohne die Planwirtschaft zu gefährden. Die Konkurrenz mit dem kapitalistischen
Westen erforderte die Entwicklung neuer Technologien sowie eine Restrukturierung
der Wirtschaft zur Wachstumssteigerung. Die Reformen wurden aber den
Erwartungen von Staat und Gesellschaft nicht gerecht. Der Kalte Krieg machte es
unmöglich die UdSSR außenpolitisch in ein besseres Licht zu rücken und so wurde
Chruschtschow 1964 abgesetzt und von Leonid Berschnjew abgelöst. Dieser machte
zwar einige Bemühungen seines Vorgängers rückgängig, verschaffte aber besonders
den Betrieben weitreichendere Kompetenzen. Trotzdem stagnierte Russlands
Wirtschaft. 1 Nolte 2003, S.166
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
1.1. Geschichtlicher Hintergrund
1.2. Transformation des Sozialismus zur Marktwirtschaft
1.3. Politische Unsicherheit
2. Definition und Theorie der Privatisierung
3. Die Akteure der Privatisierung
3.1. Die Ministerien
3.2. Die Direktoren
3.3. Belegschaft und Bevölkerung
4. Der Ablauf der Russischen Privatisierung
4.1. Die Privatisierungsgesetze von 1991
4.2. Die Rolle des Staates
4.3. Spontane Privatisierung
4.3.1. Spontane Privatisierung durch die Direktoren
4.3.2. Spontane Privatisierung durch die Betriebsleitung
4.3.3. Spontane Privatisierung der Branchenministerien
4.4. Die „kleine“ Privatisierung 1992
4.5. Die „große“ Privatisierung 1992 – 1994
4.6. Die Beteiligung der Bevölkerung mittels Voucherprivatisierung
4.7. Die Privatisierungsphase nach 1994
4.8. Privatisierungsprogramm bis 2006
5. Probleme und Folgen der Privatisierung
5.1. Allgemeines
5.2. Probleme und Folgen am Beispiel Yukos
5.2.1. Firmengeschichte
5.2.2. Umwandlung in ein Privatunternehmen
5.2.3. Aktuelle Firmenproblematik
5.2.4. Ein Ausblick in die Zukunft
6. Schlussfolgerungen
1. Einleitung
1.1. Geschichtlicher Hintergrund
Während des 1. Weltkrieges stellte sich bald heraus, dass das russische Reich mit seinen „Bauern in Uniform“ und großen Versorgungsproblemen, den modernen westlichen Heeren nicht gewachsen war. Innerhalb Russlands ging die landwirtschaftliche Produktion zurück und ein Verschleiß der Infrastruktur machte sich bemerkbar. All das führte 1917 zum Sturz des Zaren[1]. Durch eine 2. Revolution im November (Oktoberrevolution) unter Lenin wurde dann auch der provisorischen Regierung ein Ende gesetzt.
Mit diesem Schritt beginnt die 74 Jahre andauernde „Linksdiktatur“, obwohl der Bürgerkrieg 1918 bis 1921 das Land in ein wirtschaftliches und soziales Desaster stürzte. Als Lenin 1924 stirbt übernimmt Generalsekretär Stalin sein Amt. Taktik und Macht machten es ihm möglich, eine Politik der Industrialisierung durchzusetzen und dabei völlig auf die Konsumgüterproduktion zu vergessen. Daraufhin wurde die Landwirtschaft zwangskollektiviert, was für die Bauern einer Enteignung gleichkam und schlimme soziale Folgen hatte. Zur Stärkung der Schwer- und der Rüstungsindustrie beschloss man die ersten Fünfjahrespläne. Auch wenn Reformen, vor allem im sozialen Bereich, Russland nicht gänzlich unberührt ließen, standen Säuberungsaktionen und Geheimpolizei bis zum Tod Stalins 1953 ebenfalls an der Tagesordnung.
Der Nachfolger, Nikita Chruschtschow sollte die stalinistischen Strukturen auflösen, ohne die Planwirtschaft zu gefährden. Die Konkurrenz mit dem kapitalistischen Westen erforderte die Entwicklung neuer Technologien sowie eine Restrukturierung der Wirtschaft zur Wachstumssteigerung. Die Reformen wurden aber den Erwartungen von Staat und Gesellschaft nicht gerecht. Der Kalte Krieg machte es unmöglich die UdSSR außenpolitisch in ein besseres Licht zu rücken und so wurde Chruschtschow 1964 abgesetzt und von Leonid Berschnjew abgelöst. Dieser machte zwar einige Bemühungen seines Vorgängers rückgängig, verschaffte aber besonders den Betrieben weitreichendere Kompetenzen. Trotzdem stagnierte Russlands Wirtschaft.
1.2. Transformation des Sozialismus zur Marktwirtschaft
Nach dem Tod Breschnjews versuchte ab 1985 Michail Gorbatschow durch eine Strukturreform das Wirtschaftswachstum und die technische Entwicklung wieder anzukurbeln. Ziel der Reformen war es, die Teile der Wirtschaft, die der Kontrolle des Staates mehr und mehr entglitten, wieder in dessen Obhut zurückzuführen. Hierzu wurde den Staatsbetrieben insgesamt eine höhere Autonomie gewährt. Dieser Zeitraum ist unter dem Namen Perestroika in die Geschichte Russlands eingegangen[2].
Durch dieses Vorhaben, wurden aber die strukturellen Schwächen der Planwirtschaft offen gelegt. Eine Systemreform sollte die gesellschaftliche, bürgerliche Starre überwinden und neue Marktelemente durchgesetzt werden. (Harter 2003,S. 6)
1988 wurde ein auf 5 Jahre gewählter „Kongress der Volksdeputierten“ gebildet, aus dessen Mitte ein ständig tagender Oberster Sowjet hervorging. Durch die ebenfalls zu dieser Zeit von Gorbatschow propagierte Offenheit (Glasnost) wurde erstmals eine öffentliche, kritische Auseinandersetzung mit den Problemen des Landes möglich[3].
Dadurch zweifelte die Bevölkerung immer mehr am alten System der Zentralverwaltung und seinen Folgen. Gorbatschow hatte einen Prozess ins Rollen gebracht der schnell an Eigendynamik gewann und den Zusammenbruch des sowjetischen Staatsverbandes zur Folge hatte. Damit hatte die „wirkliche“ Transformation stattgefunden und eine Rückkehr zur alten Ordnung auf keinen Fall mehr möglich. Die negativen Auswirkungen dieser Entwicklung machen sich durch eine verstärkte Umverteilung des Reichtums, bedingt durch Inflation und Privatisierung bemerkbar, die die Gesellschaft regelrecht gespalten hat. Reiche gewinnen immer mehr an Geld und Einfluss während der Rest der Bevölkerung mit großen finanziellen Problemen zu kämpfen hat.
Diese wohlhabende Elite politischer Clans und namhafter Geschäftsleute hat großen Einfluss auf die derzeitigen Privatisierungsbestrebungen, was unmissverständlich klar macht, dass dies keine Transformation in eine marktwirtschaftliche Demokratie westlichen Vorbildes ist.
1.3. Politische Unsicherheiten
Genau dieses Umverteilungsproblem schafft großes Potential für politische Unsicherheit, obwohl doch gerade Stabilität die Ausgangsvoraussetzung für eine glaubwürdige und durchsetzbare Reformpolitik ist.
Die Ausarbeitung und Implementierung des Privatisierungsprogramms 1992 fand beispielsweise gleichzeitig mit einem großen politischen Machtkampf in Moskau statt. Politische und wirtschaftliche Reformen jeglicher Art wurden unterdrückt und die „radikalen“ wurden von den „gemäßigteren“ Reformern abgelöst. Ein Produktionseinbruch hatte immer höhere Inflationsraten zur Folge.
Aber auch der rechtliche Aspekt sollte nicht außer Acht gelassen werden; ist er doch für die Entstehung und Entwicklung von Verfügungsrechten von Bedeutung. Klar definierte Eigentumsrechte sind ebenso ein wichtiger Baustein einer funktionierenden Marktwirtschaft, wie es die oben erwähnte politische Stabilität ist. Die Spannungen zwischen formlosen Beschränkungen einerseits und Gesetzen und Verordnungen andererseits zeigt sich auch am großen Anteil der Schattenwirtschaft in Russland.
2. Definition und Theorie der Privatisierung
Privatisierung wird definiert als:
„die Veräußerung und Umwandlung öffentlichen Vermögens in Privateigentum. Privatisierung basiert auf der (wirtschaftsliberalen) Überzeugung, dass der Anteil des öffentlichen Sektors zugunsten der privaten Wirtschaft zurückgedrängt werden müsse. Privatisierung ist daher meistens mit weiteren Formen der Entstaatlichung, Deregulierung etc. und dem Abbau öffentlicher Verantwortung verbunden.“[4]
Anders gesagt, eine Umverteilung von Ressourcen und Macht in der Gesellschaft.[5] Die politische und ökonomische Elite versucht demnach ihre Interessen durchzusetzen und vergisst dabei nicht allzu selten auf Effizienz der Ressourcenallokation oder die Wohlfahrt zu achten. (vgl. auch „Unsicherheiten“)
Ziele, Anforderungen und Ergebnisse der osteuropäischen Privatisierung unterscheiden sich beträchtlich von jener Westeuropas: In den Transformationsstaaten bezieht man sich auf den Wandel der gesamten Wirtschaft. Man versucht, die Rahmenbedingungen einer Marktwirtschaft zu gestalten. In Westeuropa zielt man dem gegenüber auf schlichte Effizienzsteigerung durch die Entstaatlichung einzelner Unternehmen ab.
3. Die Akteure der Privatisierung
Die wichtigsten gesetzlichen Grundlagen zur Privatisierung wurden zwischen dem obersten Sowjet und dem Präsidenten im Jahr 1992 geschaffen. Damit das gesamte Programm nicht scheiterte, sah sich die Regierung genötigt Koalitionen einzugehen. Während die Reformer den Direktoren großzügige Vergünstigungen geben mussten, wurden z.B. die Ministerien kaum beachtet. Rückblickend ist heute zu erkennen, welche Gruppierungen es geschafft haben ihren Einfluss zu erhalten oder zu steigern, und welche Gruppierungen mit einem massiven Machtverlust konfrontiert wurden[6].
3.1. Die Ministerien
Die Wirtschaft der Sowjetunion war in ökonomische Gebiete geteilt. Diese unterstanden direkt den entsprechenden Branchenministerien. Während die Lenkung des Staatsapparates der territorialen Gliederung folgte, erfolgte die ökonomische Lenkung über die administrative Planungshierarchie. Das heißt, während die autonomen Kreise, Bezirke und Gebiete den Unionsrepubliken unterstanden, unterstanden alle Unternehmen ausschließlich den Ministerien. Diese dominierten alle Entscheidungen in den Industriezweigen. Die Republiken hatten nur im Agrarbereich ein minimales Mitbestimmungsrecht[7]. Es gab zwar unter Chruschtschow einen Versuch die Macht der Ministerien zugunsten einer Regionalplanung zu brechen, diese scheiterte allerdings. Weitere Versuche gab es nicht.
Die Ministerien waren entsprechend Ihrer Branche unterschiedlich mächtig. Zu den mächtigsten Branchen zählten das Militär, Brennstoff und Energie. Der Militärische-Industrie-Komplex teilte sich auf insgesamt neun Ministerien auf, der Brennstoff- und Energiekomplex auf vier Ministerien. Die Ministerien dieser Branchen wurden politisch stark gefördert und hatten daher auch schnellen und unkomplizierten Zugriff auf alle erforderlichen Ressourcen. Ebenfalls gefördert, wenn auch nicht so stark, wurden der Agrarkomplex und die Baustoffindustrie. Diese besaßen aufgrund ihrer Versorgungsfunktion eine privilegierte Stellung.
Andere Sektoren, wie die Zivilgüterproduktion (7 Ministerien), der Bergbau- und Metallurgiekomplex (2 Ministerien) sowie die Sektoren Chemie (3 Ministerien) und Maschinenbau (1 Ministerium) standen unter den Bedingungen des Mangels in beständigem Wettbewerb um Ressourcen. Für die Konsumgüterproduktion oder den Pharmaziebereich verantwortliche Ministerien konnten niemals relevanten Einfluss gewinnen. Das gleiche gilt für den Transport- und Kommunikationssektor[8].
Erst die Wirtschaftsreformen zur Zeit der Perestroika bewirkten, dass die Ministerien nach und nach an Einfluss verloren. Durch das Unternehmensgesetz 1987 und das Genossenschaftsgesetz 1988 wurden immer mehr Nutzungsrechte auf Unternehmen und Regionen übertragen. Das Management der Unternehmen begann sich aus der Hierarchie zu befreien und versuchte mit allen Mitteln, den Einfluss der Ministerien weiter zurückzudrängen. Endgültig kollabierten die Ministerien nachdem sie der Selbstfinanzierung unterworfen wurden und die politische Partei aus allen Entscheidungen verbannt wurde. Offiziell wurden die Branchenministerien Ende 1990 abgeschafft[9].
3.2. Die Direktoren
Während in der Zeit Stalins die Wirtschaft noch durch eine zentrale Verwaltung gekennzeichnet war, kam es danach zu einer Umwandlung in einen administrativen Markt, in dem das Management zunehmend an Einfluss gewann[10].
Diese Souveränität der Direktoren erhöhte sich noch durch die Reformen (1987-1989) der Perestrojka[11] . Die Reformen zielten auf eine Erweiterung der Rechte und Pflichten mittels erweiterter Selbstständigkeit. Der mittels der Reformen reduzierte Einfluss der administrativen Institutionen und die Vergrößerung der Autonomie der Unternehmen (und damit der Direktoren) zielte darauf ab die Macht der Branchenministerien zu brechen[12].
Nach dem Zusammenbruch der Branchenministerien 1990 fehlten daher etablierte alternative Kontrollmechanismen des Marktes[13].
Auch wenn jetzt die Belegschaft laut Gesetz zum Besitzer der Unternehmen erklärt wurde, lag die eigentliche Verfügungsgewalt des Unternehmens in der Hand der Direktoren. Dieser Tatsache sahen sich auch die Reformer 1992 ausgesetzt, als sie feststellten, dass nicht der Staat, sondern das Management de facto Eigentümer der großen Staatsunternehmen war. Einzig das Recht zum Verkauf des Unternehmens war beim Staat geblieben. Die Nutzung dieses Rechtes machte jedoch im sowjetischen System keinen Sinn und wurde daher kaum genutzt. Auch ein Verkauf während der Transformation zur Marktwirtschaft wäre ohne Berücksichtigung der Interessen der Direktoren kaum möglich gewesen, da diese den Prozess behindert hätten. Eine staatliche Kontrolle der Privatisierung wäre damit unmöglich geworden[14].
3.3. Die Belegschaft und die Bevölkerung
Bis 1991 spielten die Belegschaften keine Rolle bei der Lenkung und Kontrolle der Unternehmen. Auch die Erklärung der Belegschaft zum Betriebsbesitzer hatte hier dran nichts geändert. Die Regierung hielt auch weiterhin an einer Ein-Mann-Führung fest. Betriebsführer und Unterabteilungsleiter wurden jetzt allerdings von der Belegschaft auf einen gewissen Zeitraum gewählt. Über eine Vollversammlung erhielt die Belegschaft auch die Möglichkeit Einfluss auf wirtschaftliche und soziale Entwicklungspläne zu nehmen. Trotz dieser Rechte entwickelte sich keine organisierte Arbeiterbewegung. Zum Teil ist dies zurückzuführen auf die andauernde Bevormundung durch den Staat und die Betriebsdirektoren[15].
[...]
[1] Nolte 2003, S.166
[2] Kordasch 1997, S.21
[3] Kordasch 1997, S.19-20
[4] http://www.bpb.de 2004
[5] Winiecki 1992,S. 71
[6] Aslund 1995, S.237
[7] Najsul 1991, S.9
[8] Kordonsky 1995, S88-90
[9] Kordonsky 1995, S.92
[10] Najsul 1991, S.17
[11] Liebermann 1995, S7-33
[12] Hansgeorg 1990, S123-126
[13] Liebermann 1995, S 26-33
[14] Aslund 1995, S.240
[15] Maya 1997,S.33