Die westliche Reinkarnationslehre. Eine kritische Betrachtung aus der Sicht der katholischen Theologie
Zusammenfassung
Wo immer die Dogmatik zum Gegenstand des Streites unter Menschen gemacht wurde, kam es am Ende zu Gewalt und Blutvergießen. Aus diesem Grunde haben katholische Theologen (zumindest in ihrer überwiegenden Mehrheit) schon vor Jahrzehnten aufgehört, über Glaubensinhalte nach außen hin in Streit zu treten. Katholische Christen haben aus ihren Fehlern in der Vergangenheit bitter lernen müssen und ziehen nun den aufgeschlossenen Dialog einem erbitterten Disput vor. Das II. Vatikanische Konzil bekennt sich zu dieser Haltung mit folgenden Worten:
„Die katholische Kirche lehnt nichts von alledem ab, was in diesen Religionen wahr und heilig ist. Mit aufrichtigem Ernst betrachtet sie jene Handlungs- und Lebensweisen, jene Vorschriften und Lehren, die zwar in manchem von dem abweichen, was sie selber für wahr hält und lehrt, doch nicht selten einen Strahl jener Wahrheit erkennen lassen, die alle Menschen erleuchtet.[...] Deshalb mahnt sie ihre Söhne, dass sie mit Klugheit und Liebe, durch Gespräch und Zusammenarbeit mit den Bekennern anderer Religionen sowie durch ihr Zeugnis des christlichen Glaubens und Lebens jene geistlichen und sittlichen Güter und auch die sozial-kulturellen Werte, die sich bei ihnen finden, anerkennen, wahren und fördern.“ (Nostra aetate 2)
Es geht mir in diesem Beitrag also ausdrücklich um ein klares, positives Bekenntnis zum eigenen christlichen Glauben, der durch die Veränderungen in unserer Gesellschaft während der vergangenen Jahrzehnte in zunehmendem Maße angefragt wird. Leider ist dies besonders durch eine mittlerweile recht weit verbreitete religiöse Indifferenz auch unter jenen unserer Mitmenschen der Fall, die sich selbst der christlichen Religion im weitesten Sinne zugehörig fühlen.
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Gliederung:
1. Vorbemerkung
2. Reinkarnation – Eine Frage für die christliche Theologie?
3. Gründe für die theologische Unvereinbarkeit der Reinkarnationslehre mit dem christlichen Glauben
4. Abschließende Bemerkungen
5. Literaturangaben
1. Vorbemerkung
In diesem Beitrag[1] suche ich nicht die Konfrontation mit den Anhängern der Reinkarnationslehre, noch weniger geht es mir um dogmatische Rechthaberei oder eine herablassende Ablehnung des Glaubensgutes zweier Weltreligionen (nämlich des Hinduismus und des Buddhismus). Die katholische Theologie der Gegenwart bemüht sich aufrichtig um einen respektvollen und friedfertigen Dialog mit den verschiedenen Religionen, wie besonders der erst kürzlich heiliggesprochene Papst Johannes Paul II. wiederholt durch sein positives Beispiel gezeigt hat, um so ein friedvolles, von Toleranz und gegenseitigem Verständnis geprägtes Zusammenleben der Menschen in aller Welt, aber auch und gerade in unserer multikulturellen und –religiösen Gesellschaft zu ermöglichen.
Wo immer die Dogmatik zum Gegenstand des Streites unter Menschen gemacht wurde, kam es am Ende zu Gewalt und Blutvergießen. Aus diesem Grunde haben katholische Theologen (zumindest in ihrer überwiegenden Mehrheit) schon vor Jahrzehnten aufgehört, über Glaubensinhalte nach außen hin in Streit zu treten. Katholische Christen haben aus ihren Fehlern in der Vergangenheit bitter lernen müssen und ziehen nun den aufgeschlossenen Dialog einem erbitterten Disput vor. Das II. Vatikanische Konzil bekennt sich zu dieser Haltung mit folgenden Worten:
„ Die katholische Kirche lehnt nichts von alledem ab, was in diesen Religionen wahr und heilig ist. Mit aufrichtigem Ernst betrachtet sie jene Handlungs- und Lebensweisen, jene Vorschriften und Lehren, die zwar in manchem von dem abweichen, was sie selber für wahr hält und lehrt, doch nicht selten einen Strahl jener Wahrheit erkennen lassen, die alle Menschen erleuchtet.[...] Deshalb mahnt sie ihre Söhne, dass sie mit Klugheit und Liebe, durch Gespräch und Zusammenarbeit mit den Bekennern anderer Religionen sowie durch ihr Zeugnis des christlichen Glaubens und Lebens jene geistlichen und sittlichen Güter und auch die sozial-kulturellen Werte, die sich bei ihnen finden, anerkennen, wahren und fördern. “ (Nostra aetate 2)
Es geht mir in diesem Beitrag also ausdrücklich um ein klares, positives Bekenntnis zum eigenen christlichen Glauben, der durch die Veränderungen in unserer Gesellschaft während der vergangenen Jahrzehnte in zunehmendem Maße angefragt wird. Leider ist dies besonders durch eine mittlerweile recht weit verbreitete religiöse Indifferenz auch unter jenen unserer Mitmenschen der Fall, die sich selbst der christlichen Religion im weitesten Sinne zugehörig fühlen. So richtet sich meine Kritik auch bewusst nach innen und gegen eine westlich-synkretistische Ausformung der Reinkarnationslehre, welche versucht, das Glaubensgut östlicher Religionen mit christlichen Überzeugungen zu verschmelzen.
2. Reinkarnation – Eine Frage für die christliche Theologie?
Immer wieder taucht die Wanderlegende auf, es habe im frühen Christentum Vertreter einer Reinkarnationslehre gegeben, die aber dann von der offiziellen kirchlichen Theologie zurückgewiesen wurde. Das widerspricht den historischen Tatsachen und lässt sich in keiner Weise anhand der Quellen belegen.
Es hat zur Zeit der Frühen bzw. der Alten Kirche nicht einen einzigen christlichen Theologen gegeben, der in irgendeiner Weise eine Wiederverkörperung Verstorbener angenommen hätte – eine solche These würde angesichts der apostolischen Glaubensüberlieferung in der Alten Kirche auch gar keinen Sinn ergeben. Vielmehr waren die damaligen Theologen damit beschäftigt, mit aller Kraft die Gnosis abzuwehren, eine vielgestaltige, synkretistische spätantike Religionsbewegung, die den Platonismus rezipierend u.a. von einer Reinkarnation der Toten ausgegangen war (als Beispiel sei hier der Manichäismus genannt, der bis ins 5./6. Jh. hinein eine echte Herausforderung, wenn nicht gar eine regelrechte Bedrohung für das noch junge Christentum und die sich allmählich formierende katholische Kirche war). Diese Reinkarnationslehre wurde niemals seitens der Kirchenväter bzw. der übrigen altkirchlichen Theologen als christliche Lehre betrachtet, nicht einmal als eine Häresie, die verurteilt hätte werden müssen. Sie galt immer schon als außerchristliche Überzeugung, und die Kirche hat niemals außerchristliche Lehren offiziell verurteilt. Warum sollte sie das auch tun?
Gelegentlich wird Origines als Vertreter einer Reinkarnationslehre angeführt. Er war ein Kirchenvater aus dem 3. Jh. unserer Zeitrechnung, dessen Bedeutung so groß war, dass die christlichen Theologen noch im 5. Jh. über seine Thesen stritten und Lehrverurteilungen ausgesprochen haben. Origines lehrte aber lediglich eine Präexistenz der Seelen, eine Vorstellung, welche von der damaligen Großkirche entschieden abgelehnt wurde.
Bedeutung gewinnt die Reinkarnationslehre erst in der gegenwärtigen theologischen Diskussion:
- Karl Rahner sieht in der Reinkarnationslehre einen möglichen Ansatz, um mit der problematischen Lehre des Zwischenzustandes der Seele (zwischen Tod und Auferstehung) besser klar zu kommen, quasi als Ersatz für das Purgatorium.
- Hans Küng fragt, ob die Reinkarnationslehre nicht genauso wie andere Lehren in der Theologiegeschichte (bspw. aus dem hellenistischen Kontext) in das christliche Lehr- und Glaubenssystem auf dem Weg zur Weltökumene der Religionen integriert werden könne.
- Michael von Brück sieht im Rahmen des Dialoges mit den östlichen Religionen in der Reinkarnationslehre einen Lösungsansatz für das Theodizee-Problem, und als Erklärungsmodell für die „Irrationalität des Universums“.
Aus biblisch-historischer, sowie aus systematisch-theologischer Perspektive kann und darf keinem dieser drei Ansätze zugestimmt werden. Auf die einzelnen Gründe hierfür gehe ich im nachfolgenden Abschnitt genauer ein.
Bei allen gravierenden Differenzen erkennt die katholische Theologie dennoch Gemeinsamkeiten zwischen der östlichen Reinkarnationslehre und dem christlichen Glauben:
- Beiden Glaubenssystemen ist eine Hoffnung über den Tod hinaus und gegen eine rein materialistische Weltanschauung zueigen.
- Ebenso teilen wir die Überzeugung, dass menschliches Handeln Konsequenzen selbst über den Tod hinaus hat.
- Gegenüber einem Fatalismus wird die sittliche Verantwortung des Menschen für das eigene Leben und seine Vollendung betont.
- Wir glauben gemeinsam an eine Verflechtung des individuellen Lebens mit der vergangenen Menschheitsgeschichte.
- Außerdem teilen wir den Glauben an eine sittliche Läuterung des Menschen, die mit dem Tod nicht einfach beendet ist, sondern den Menschen seiner Vollendung entgegenführt.
Doch überwiegen am Ende die Unterschiede zwischen den beiden Weltanschauungen, aus diesem Grund lassen sich die beiden religiösen Vollendungsvorstellungen des Menschen im bzw. nach dem Tode unmöglich theologisch konsistent miteinander verbinden.
3. Gründe für die theologische Unvereinbarkeit der Reinkarnationslehre mit dem christlichen Glauben
Ein paar klärende Worte vorab, bevor hier auf die einzelnen Gründe für die Unvereinbarkeit der beiden genannten Weltanschauungen eingegangen wird:
Es ist für die theologische Reflexion unerheblich, ob es tatsächlich eine Reihe von Christen gibt, die die Reinkarnationslehre mit ihrem persönlichen Glauben vereinbaren können bzw. diese in ihre Glaubensvorstellungen eingeflochten haben. Es gibt in unserer Gesellschaft ja auch eine Reihe von Menschen, welche beispielsweise die Lehre von der Dreieinigkeit ablehnen, oder nicht an die Gottheit und Menschwerdung Christi, oder an die Auferstehung nach seinem Tod am Kreuz glauben, sich aber trotzdem als Christen bezeichnen.
Für die katholische Kirche steht jedoch fest, dass Christsein nicht (nur) eine Sache der persönlichen Selbstzuschreibung ist, sondern entscheidend von der Teilhabe an der christlichen Glaubens- und Traditionsgemeinschaft abhängt. Auch, wenn eine solche Auffassung in unserer betont toleranten und pluralistischen, zugleich aber auch leider eher gleich-gültigen (!) und indifferenten Gesellschaft unpopulär ist. Und diese kirchlich verfasste Gemeinschaft verkündet ohne jeden Zweifel und von ihren Ursprüngen an, d.h. von ihren jüdischen Wurzeln und ihrem biblischen Auferstehungsglauben her, tradiert von den Aposteln und deren Nachfolgern, und festgeschrieben in dem für alle großen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften gültigen und verbindlichen christlichen Glaubensbekenntnis, die zweifelsfreie Unvereinbarkeit einer Wiederverkörperungslehre jeglicher Provenienz mit ihren Grundüberzeugungen. Der christliche Glaube hat eben nun einmal sein eigenes, unverwechselbares und unverwässerbares Profil.
Es gilt auch nicht der leider oft (und offenbar unreflektiert) vorgetragene Einwand, dass die Reinkarnationslehre niemals vom kirchlichen Lehramt abgelehnt und als irrig eingestuft worden ist. Noch einmal: Außerchristliche Überzeugungen brauchen vom kirchlichen Lehramt weder beurteilt noch verurteilt zu werden, es sei denn, sie werden als christliche Lehren oder als mit ihnen vereinbar ausgegeben.
Die Hintergründe für die Unvereinbarkeit der beiden Weltanschauungen sind folgende:
- Der christliche Schöpfungsglaube. Alles, was in der Welt existiert, ist Schöpfung, als solche von Gott gewollt und ins Sein gerufen. Das gilt insbesondere für die menschliche Seele, die deshalb nicht als in irgendeiner Weise „göttlich“ angesehen werden kann. Ihre Unsterblichkeit empfängt die Seele von Gott her, sie kommt ihr nicht aufgrund ihrer Natur zu. Unsere Seelen waren niemals Bestandteil Gottes und müssen daher auch nicht zu ihm zurückkehren, um sich wieder mit ihm zu vereinen, wie es einige dualistische Weltanschauungen vor allem gnostischer Provenienz vermitteln.
Die uns verheißene Unsterblichkeit ist eine geschenkte, die ihren Ursprung in Gottes tiefer, bedingungsloser, uns fest zugesagter und dadurch unverlierbarer Liebe hat. Wir sind unsterblich, weil Gott uns in unserer Personalität und Individualität als ganz konkretes "Du" unsterblich liebt und von Grund auf zutiefst bejaht. Unsere Seele ist hierbei das „Ansprech- und Antwortorgan“ des Menschen für Gott, mit dem wir Gottes Zuwendung an uns empfangen und erwidern können. Das macht uns für Gott liebens- und bejahenswert, nicht aber ein göttlicher Ursprung unserer Seele.
Hiermit haben wir einen unüberbrückbaren Unterschied zu jeder Form einer Reinkarnationslehre, nämlich das genuin christliche Gottes- und Menschenbild.
- Vollendung und Vergebung. Von einigen Anhängern der Wiedergeburtslehre wird behauptet, dass diese Lehre ein adäquater Ersatz für die katholische Lehre vom Purgatorium („Fegfeuer“) sei und nebenbei das Problem vom „Zwischenzustand“ des Menschen zwischen Tod und Auferstehung lösen könne. Dies lehnt die römisch-katholische Theologie in Übereinstimmung mit der orthodoxen und der protestantischen Theolgie entschieden ab, auch wenn einzelne Theologen aus diesen Kirchen bzw. kirchlichen Gemeinschaften Thesen solcher Art äußern.
Der christliche Glaube nimmt dieses Leben, die individuelle Lebensgeschichte jedes Menschen und alle seine Entscheidungen bis zu seinem Tod als einmalige Chance zutiefst ernst. Unser Glaube vertraut darauf, dass Gott uns in unserem Tod annimmt, und zwar so, wie wir sind und uns entwickelt haben – unser ganzes bis dahin „gelebtes Leben“ und auch unsere persönliche Schuld, die wir auf uns geladen haben. Und wir glauben, dass die letztendliche, „ultimative“ Begegnung mit Gottes Barmherzigkeit und Liebe nach unserem Sterben eine verwandelnde, läuternde Wirkung hat.
[...]
[1] Leicht überarbeitete und aktualisierte Fassung eines Vortrags vom 12.01.2002 auf der XLVI. Wochenendtagung des philosophischen Instituts der RWTH Aachen unter Prof. Dr. V. Berning mit dem Titel: „Über die Seele III: Weltseele – Seelenwanderung – Parapsychologie“ im Arnold Janssen Kloster Wahlwiller/NL.