Im Zuge der Entwicklung von zunehmender kultureller Vielfalt in deutschen Klassenzimmern wird in Zukunft auch das Berufskolleg vor neue Herausforderungen gestellt. Es ist erwiesen, dass in Deutschland eine ungleiche Bildungsteilhabe und Bildungsbenachteiligung von Schülern mit Migrationshintergrund existiert.
Dabei spielen nicht allein die institutionelle Diskriminierung, sondern vielmehr auch bestimmte Ungleichheitseffekte im interaktiven Schulkontext und durch Lehrkräfte eine bedeutende Rolle. Denn stereotypisches Denken kann einen Einfluss auf die Verhaltensweise und die Beurteilung einer Person gegenüber einem Mitglied aus einer anderen sozialen Gruppe haben. So haben empirische Forschungen eine Stereotypisierung und damit Benachteiligung von Schülern durch ihre Lehrer feststellen können (Glock & Krolak-Schwerdt, 2013; Glock, Krolak-Schwerdt, Klapproth & Boehmer, 2013; van den Bergh, Denessen, Hornstra, Voeten & Holland 2010).
Diesbezügliche Erkenntnisse im Bereich des Berufskollegs und zur genannten Zielgruppe sind nicht vorhanden und damit ein weißer Fleck in der Forschungslandschaft. Die ohnehin wenig erforschte Schulform des Berufskollegs in Deutschland wirft diesbezüglich etliche Fragen auf. Existieren in Berufskollegs stereotypische Denkmuster oder Konzepte seitens der Lehrkräfte gegenüber Migrantenschülern? Welche Assoziationen verbinden Lehrkräfte mit jener Zielgruppe im schulischen Kontext? Gibt es einen Unterschied zu deutschen Schülern am Berufskolleg? Im Rahmen dieser Forschungsarbeit sollen Erkenntnisse zu den aufgeworfenen Fragen gewonnen werden. Mit Hilfe des Free Association Paradigms wird methodisch der Frage nachgegangen, welche Merkmale Lehrer am Berufskolleg in Bezug zu Schülern mit Migrationshintergrund an ihrer Schulform verbinden.
Zu Beginn dieser Arbeit findet der Einbezug des theoretischen Hintergrundes in Bezug zur Entstehung, Aufrechterhaltung und zu den Funktionen von Stereotypen statt. Zudem wird ein Einblick zum aktuellen Stand der Forschung im Bereich der Stereotypie im schulischen Kontext gegeben. Darauffolgend wird die Durchführung der eigenen Forschung näher erläutert und die Ergebnisse aus der Forschung im Bereich des Berufskollegs dargestellt. Die anschließende Diskussion befasst sich mit den wesentlichen Erkenntnissen und gibt Ausblicke auf zukünftige Forschungsvorhaben.
Inhaltsverzeichnis
Abbildungs- und Tabellenvereichnis
1. Einleitung
2. Theoretischer Hintergrund
2.1 Stereotypen
2.1.1 Modelle kognitiver Repräsentation
2.1.1.1 Schema
2.1.1.2 Assoziative Netzwerke
2.2 Entstehung von Stereotypen
2.3 Stereotypen – ihre Aufrechterhaltung
2.4 Stereotypen – ihre funktionalen Aufgaben
2.5 Empirische Erkenntnisse zum Stereotypenbegriff in der Schule
3. Empirischer Teil
3.1 Stichprobe
3.2 Erhebungsinstrument
3.3 Durchführung
4. Ergebnisse
5. Diskussion und Ausblick
6. Zusammenfassung
Literaturverzeichnis
Abbildungs- und Tabellenverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Beispiel für das Schema ´Geschäftsfrau´
Abbildung 2: Darstellung einer Konzeptausbreitung innerhalb eines assoziativen Netzwerkes
Abbildung 3: Beispiel einer assoziativen Struktur eines verhaltensbezogenen Eigenschaftskonzeptes
1. Einleitung
Im Euro-Himmel sind:
Engländer die Polizisten, Franzosen die Köche,
Deutsche die Ingenieure, Schweizer die Banker,
Italiener die Liebhaber
In der Euro-Hölle sind:
Deutsche die Polizisten, Engländer die Köche,
Italiener die Ingenieure, Franzosen die Banker und
Schweizer die Liebhaber
(Middeke & Murdsheva, 2008, S. 227)
Middeke und Murdsheva (2008) bedienen sich hier des Gebrauchs des typisierenden Denkens als humorvoller Methode zum Unterrichtseinstieg und als didaktischem Schachzug einer kritischen Reflexion zum Thema Stereotypen im Klassenunterricht. Denn stereotypisches Denken betrifft weite Bereiche unseres alltäglichen Lebens.
Im Zuge der Entwicklung von zunehmender kultureller Vielfalt in deutschen Klassenzimmern, wird auch in Zukunft das Berufskolleg vor neue Herausforderungen gestellt. Laut dem Mikrozensus 2013 waren knapp 3,5 Millionen der Migranten Kinder und Jugendliche im schulpflichtigen Alter (Destatis, 2013)– und damit eine mögliche Zielgruppe für die Schulform des Berufskollegs.
Es ist erwiesen, dass in Deutschland eine ungleiche Bildungsteilhabe und Bildungsbenachteiligung von Schülern[1] mit Migrationshintergrund existiert (Schwarz & Weishaupt, 2013). Dabei spielen nicht allein die institutionelle Diskriminierung, sondern vielmehr auch bestimmte Ungleichheitseffekte im interaktiven Schulkontext und u. a. durch Lehrkräfte eine bedeutende Rolle (Gomolla, 2010). Denn stereotypisches Denken kann einen Einfluss auf die Verhaltensweise und die Beurteilung einer Person gegenüber einem Mitglied aus einer anderen sozialen Gruppe haben. So haben empirische Forschungen eine Stereotypisierung und damit Benachteiligung von Schülern durch ihre Lehrer feststellen können (Glock & Krolak-Schwerdt, 2013; Glock, Krolak-Schwerdt, Klapproth & Boehmer, 2013; van den Bergh, Denessen, Hornstra, Voeten & Holland 2010).
Diesbezügliche Erkenntnisse im Bereich des Berufskollegs und zur genannten Zielgruppe sind nicht vorhanden und damit ein weißer Fleck in der Forschungslandschaft. Die ohnehin wenig erforschte Schulform des Berufskollegs in Deutschland wirft diesbezüglich etliche Fragen auf. Existieren in Berufskollegs stereotypische Denkmuster oder Konzepte seitens der Lehrkräfte gegenüber Migrantenschülern? Welche Assoziationen verbinden Lehrkräfte mit jener Zielgruppe im schulischen Kontext? Gibt es einen Unterschied zu deutschen Schülern am Berufskolleg? Im Rahmen dieser Forschungsarbeit sollen Erkenntnisse zu den aufgeworfenen Fragen gewonnen werden. Mit Hilfe des Free Association Paradigms wird methodisch der Frage nachgegangen, welche Merkmale Lehrer[2] am Berufskolleg in Bezug zu Schülern mit Migrationshintergrund an ihrer Schulform verbinden.
Zu Beginn dieser Arbeit findet der Einbezug des theoretischen Hintergrundes in Bezug zur Entstehung, Aufrechterhaltung und zu den Funktionen von Stereotypen statt. Zudem wird ein Einblick zum aktuellen Stand der Forschung im Bereich der Stereotypie im schulischen Kontext gegeben. Darauffolgend wird die Durchführung der eigenen Forschung näher erläutert und die Ergebnisse aus der Forschung im Bereich des Berufskollegs dargestellt. Die anschließende Diskussion befasst sich mit den wesentlichen Erkenntnissen und gibt Ausblicke auf zukünftige Forschungsvorhaben.
2. Theoretischer Hintergrund
2.1 Stereotypen
Der Begriff des Stereotyps wird seit mehreren Jahrzehnten von Wissenschaftlern immer wieder unterschiedlich und auf vielfältige Weise definiert (Hilton & Hippel, 1996; Nelson, 2002). Selbst im Alltag und auch in der wissenschaftlichen Literatur kommt man oft zu keiner genauen Abgrenzung zwischen diversen Begriffen des Stereotyps, des Vorurteils oder des Klischees (Herzog, 2006).
Der Begriff Stereotyp wurde vom Journalisten Walter Lippmann (1922) in die Sozialwissenschaft übertragen und beschreibt die Tendenz von Leuten mit ähnlichen Ansichten über gemeinsame oder ähnliche Eigenschaften über andere Personen (Nelson, 2002). In der früheren Zeit wurden Stereotypen als ein fester Eindruck gesehen, meist in Bezug zu einer tendenziell negativen, überspitzten und völlig unberechtigten Überzeugung gegenüber einer sozialen Gruppe (Allport, 1954; Brigham, 1971; Hinton, 2000; Katz & Braly, 1935; Schaff, 1980). Einige Wissenschaftler betonen jedoch, dass nicht nur negative, sondern auch positive Stereotypen existieren (Allport, 1954; Schneider, 1996).
In Bezug zur Definition eines Stereotypes findet gibt es in der Wissenschaft keinen Konsens. Nach Greenwald und Banaji (1993, S. 14) sind Stereotypen „… a socially shared set of beliefs about traits that are characteristics of members of a social category “. Hilton und Hippel (1996) unterstützen die Aussage mit der Annahme des persönlichen Glaubens an bestimmte Charakteristika, Eigenschaften und Verhaltensweisen von Mitgliedern einer bestimmten Gruppe. Smith (1998) wiederum betont die Aussage, dass ein Stereotyp vielmehr eine mentale Repräsentation ist. Es ist mehr ein Ergebnis aus der Beziehung einer zwischenmenschlichen Interaktion und einer im Subjekt bereits vorhandenen Wissensstruktur, und damit auch verknüpft mit dem Erinnerungsvermögen des Individuums. Folglich geht es um das Verstehen und die soziale Wahrnehmung über uns und unsere Umwelt und darum, wie unsere Denkprozesse unser Urteilen und Handeln im sozialen Kontext beeinflussen, was in der Wissenschaft auch als soziale Kognition bekannt ist (Greenwald & Banaji, 1995; Pendry, 2014). Die soziale Kognition umfasst auch die Stereotypenforschung. Dort haben sich im Laufe der Jahrzehnte unterschiedliche Modelle herausgebildet, um die kognitive, mentale Repräsentation eines Stereotyps zu erklären.
2.1.1 Modelle kognitiver Repräsentation
Es gibt unterschiedliche Auffassungen über die Darstellung von Stereotypen. Einerseits führen diverse Modelle zu Repräsentation von Stereotypen zu unterschiedlichen Annahmen in Bezug zu seiner Entstehung, Anwendung oder Aufrechterhaltung, andererseits sind Annahmen über die Darstellungen abhängig von der jeweils aktuellen Forschung (Hilton & Hippel, 1996). Neben einer Vielzahl von diversen Forschungsansätzen zur Darstellung von Stereotypen haben sich nach Smith (1998) insbesondere zwei bekannte und in der Psychologie oft benutzte Modelle bewährt: das Schema-Modell und das Modell des Assoziativen Netzwerkes.
2.1.1.1 Schema
Die Schema-Theorie basiert auf dem bereits vorherrschenden Wissen, Erinnerungen und Erfahrungen (Smith 1998). Stangor und Schaller (1996) definieren Schemata als abstrakte Wissensstrukturen, welche die Besonderheiten und relevanten Attribute eines vorhandenen Konzeptes widerspiegeln. Als eine bedingte Ordnung von vergangenen Erfahrungen und Eindrücken, welche unter dem Einfluss einwirkender Stimuli unser aktuelles Denken und Handeln beeinflussen, präzisiert Schaff (1980). Nach Fiske und Taylor (1991) hat ein Schema einen bedeutsamen Einfluss auf die Art, wie wir neue Informationen interpretieren, wie wir uns an alte Informationen erinnern oder auch Rückschlüsse auf andere Personen anhand vorhandener Erinnerungen zulassen. Damit werden Schemata nicht nur aus eigenen Erinnerungen heraus geprägt, sondern vielmehr auch durch das weitergegebene Wissen anderer Personen oder auch durch zugrundeliegende Generalisierungen beeinflusst (Smith 1998). Die Auswirkung auf die bewusste Erinnerungsleistung eines bestimmten Schemas wird dabei meist als Rückgriff von bereits gedächtnisgestützen Schemata begründet (ebd.). Beim Urteilen wird damit auf ein bestimmtes Schema zurückgegriffen, um eine aktuelle situative Handlung zu werten. Hierbei spielen auch sogenannte “Priming-Effekte“ eine bedeutende Rolle (Higgins, Roles & Jones, 1977). Das Priming ist dabei eine unbewusste Aktivierung von bereits vorhandenen kognitiven Wissensstrukturen, welche durch einen Reiz, den sogenannten „prime“, ausgelöst wird und Einfluss auf die nachfolgende Verarbeitung und Beurteilung von Personen haben kann (Higgins, Roles & Jones, 1977; Pendry, 2014).
Die Schematheorie zur wissenschaftlichen Erklärung von stereotypischen Informationsverarbeitung stößt allerdings vermehrt auf Kritik. Insbesondere liegt unter anderem eine fehlende validierte Messung von Stereotypen zugrunde (Stangor & Schaller, 1996). Zudem betont Smith (1998), dass ein Schema nicht mehr als ein kleines Stück eines Assoziativen Netzwerkes zu verstehen ist und damit nur ein Puzzleteil eines Ganzen darstellt. Weitere Kritik erfährt die Schema-Theorie darin, dass es sich ausschließlich um einen „ Top-Down “-Prozess handelt, indem von der schematischen Gestalt auf die jeweiligen darunterliegenden Komponenten geschlossen wird (Smith, 1998, S. 403).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Beispiel für das Schema ´Geschäftsfrau´ (Pendry, 2014, S. 117).
In Anbetracht der hier dargelegten kritischen Würdigung scheint eine Betrachtung des in der Wissenschaft dominanten und oft genutzten zweiten, alternativen Modells – das der Assoziativen Netzwerke – für eine differenziertere Anschauung über mentale Informations-verarbeitung von wesentlicher Bedeutung zu sein.
2.1.1.2 Assoziative Netzwerke
Die Theorie des Assoziativen Netzwerkes erklärt den Ansatz kognitiver Repräsentation im Hinblick einer Verknüpfung von bestimmten Eigenschaften oder Eindrücken zu einer sozialen Gruppe (Smith, 1998). Bereits kognitiv vorhandene Informationen oder Attribute über eine bestimmte Person oder Personengruppe bilden Konzepte, welche in dem hier erwähnten Modell repräsentativ als Knoten interpretiert werden. Die Knoten werden untereinander mittels Assoziationen verknüpft, die dann ein Netzwerk bilden und das Ergebnis eines kognitiven Prozesses sind. Diese Verknüpfungen fügen sämtliche Konzepte bzw. Knoten, welche entweder präexistierende oder neu formierte Auffassungen sein können, zusammen und bilden letztlich eine Einheit, welche den Stereotypen darstellt (ebd.). Die zu den jeweiligen Stereotypen zugehörige Knoten, und damit enthaltene Konzepte in Form von bestimmten Informationen, können sich entweder in deren Ordnungssystem durch vermehrte Aktivierung bestimmter Verknüpfungen weiter verfestigen, damit auch zu einer Verstärkung bestimmter Assoziationen führen und sich auf weitere verbundene Konzepte ausbreiten (ebd.). Sie können allerdings auch im Falle mangelnder Aktivierung und Kontinuität schwächer werden oder Assoziationen gar ganz verschwinden (ebd.). Je mehr Verknüpfungen zwischen bestimmten Knoten verlaufen, desto stärker findet der semantische Inhalt dieses Knotens Anwendung im Gesamtkonzept des Stereotyps (ebd.). Somit werden durch oft wiederholte Assoziationen bestimmte Netzwerkbahnen innerhalb des Gesamtnetzwerkes gestärkt, welche wiederum bestimmte Auffassungen (Knoten) untereinander aktivieren und intensivieren. Dies hat folglich eine große Einwirkung auf das Gesamtbild jener stereotypischen Gruppe. Kurzum, je häufiger bestimmte Assoziationen mit vorhandenen Informationen über ein stereotypisches Gesamtbild in der Praxis bestätigt werden, umso stärker wirkt sich dieser in der Ausprägung des jeweiligen Stereotyps aus.
[...]
[1] Zur Vereinfachung wurde im Folgenden auf eine geschlechtsspezifische Nennung von Schülerinnen verzichtet.
[2] Zur Vereinfachung wurde im Folgenden auf eine geschlechtsspezifische Nennung von Lehrerinnen verzichtet.