Gegenstand vorliegender Hausarbeit ist eine Untersuchung des Gedichtes "Sie, und nicht Wir, An La Rochefoucauld" von Friedrich Gottlieb Klopstock. Im Fokus der Textinterpretation stehen hierbei die Untersuchung der in der Elegie gewählten Anspielungen auf historische Begebenheiten bzw. die Einbettung in den politisch-philosophischen Kontext und das Herausarbeiten der Grundhaltung zur Französischen Revolution, wie sie in dem Gedicht zum Ausdruck kommt.
Die Elegie lässt sich als ein Kristallisationspunkt anfänglicher Begeisterung für die Französische Revolution bei gleichzeitigem Missfallen über das Ausbleiben entsprechender Umwälzungen in Deutschland verstehen. Es finden sich in diesem Gedicht die Leitmotive eines demokratisch gesinnten Patriotismus, des Willens zu Eröffnung eines Blickes auf welthistorisch bedeutsame Prozesse für die Deutschen, einer antifeudalen Grundhaltung bei gleichzeitiger religiöser Verwurzelung, und einer Ausbreitung der Thematik der zur Not auch gewaltsamen Erkämpfung von bürgerlicher Freiheit und Sicherung von Frieden wieder.
Zunächst soll eine Einordnung des Gedichtes in den historischen Kontext der Französischen Revolution erfolgen. Darauf folgend findet eine Untersuchung der Form der Elegie statt, die näher beleuchtet werden soll.
Schließlich wird – an den Sinnabschnitten des Gedichtes orientiert – der elegische Stoff näher untersucht, wobei immer wieder Bezüge zu den zuvor dargelegten historischen Zusammenhängen hergestellt werden. Beginnend mit den einleitenden Versen über den Blick auf das Vaterland bis hin zur (vergeblichen) Bemühung um einen versöhnlichen und tröstenden Ausblick wird hierbei versucht sowohl textimmanente Aspekte zu be-leuchten, als auch die Hintergründe der Autorfigur näher zu ergründen, um ein möglichst umfassendes Bild des Gedichtes zu erhalten.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Historischer Kontext
3. Zur Form
4. Die ersten drei Distichen: Einführung
5. Blick auf das Vaterland
6. Blick auf Religion und Reformation
7. Ein letzter Trost?
8. Zusammenfassung
9. Anhang
1. Einleitung
Auch ahndeten schon manchesmal helle Köpfe in finstrer Zeit, welch' ein Schatz im Menschen verborgen liege, und zog ihn niemand sonst ans Tageslicht hervor, so thaten es doch gutmüthige Dichter und Philosophen.[1]
Gegenstand dieser Hausarbeit soll eine Untersuchung des Gedichtes "Sie, und nicht Wir. An La Rochefoucauld." von Friedrich Gottlieb Klopstock sein. Im Fokus der Textinterpretation stehen hierbei die Untersuchung der in der Elegie gewählten Anspielungen auf historische Begebenheiten bzw. die Einbettung in den politisch-philosophischen Kontext und das Herausarbeiten der Grundhaltung zur Französischen Revolution, wie sie in dem Gedicht zum Ausdruck kommt.
Die Elegie lässt sich als ein Kristallisationspunkt anfänglicher Begeisterung für die Französische Revolution bei gleichzeitigem Missfallen über das Ausbleiben entsprechender Umwälzungen in Deutschland verstehen. Es finden sich in diesem Gedicht die Leitmotive eines demokratisch gesinnten Patriotismus, des Willens zu Eröffnung eines Blickes auf welthistorisch bedeutsame Prozesse für die Deutschen, einer anti-feudalen Grundhaltung bei gleichzeitiger religiöser Verwurzelung, und einer Ausbreitung der Thematik der zur Not auch gewaltsamen Erkämpfung von bürgerlicher Freiheit und Sicherung von Frieden wieder.
Zunächst soll eine Einordnung des Gedichtes in den historischen Kontext der Französischen Revolution erfolgen. Darauf folgend findet eine Untersuchung der Form der Elegie statt, die näher beleuchtet werden soll.
Schließlich wird – an den Sinnabschnitten des Gedichtes orientiert – der elegische Stoff näher untersucht, wobei immer wieder Bezüge zu den zuvor dargelegten historischen Zusammenhängen hergestellt werden. Beginnend mit den einleitenden Versen über den Blick auf das Vaterland bis hin zur (vergeblichen) Bemühung um einen versöhnlichen und tröstenden Ausblick wird hierbei versucht sowohl textimmanente Aspekte zu beleuchten, als auch die Hintergründe der Autorfigur näher zu ergründen, um ein möglichst umfassendes Bild des Gedichtes zu erhalten.
2. Historischer Kontext
Im Folgenden soll eine kurze Einordnung des Gedichtes in den historischen Kontext der Französischen Revolution stattfinden. Grund hierfür ist, dass sich diese Form der Geschichtsdichtung nur verstehen und die Anspielungen nur sinnvoll einordnen lassen, wenn eine Klärung der historischen Begebenheiten stattgefunden hat. Hierbei soll lediglich eine Momentaufnahme des Standes der Französischen Revolution zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Gedichtes gegeben werden, und auch nur die Ereignisse in den Fokus genommen werden, auf die tatsächlich angespielt oder hingedeutet wird.
Die Elegie "Sie, und nicht Wir" stammt aus dem Jahr 1790 und lässt sich somit in die erste Phase der Französischen Revolution, die Zeit der "Constituante" von 1789-1791 einordnen. Es ist die Zeit der Hinwendung Frankreichs zu einer konstitutionellen Monarchie, die mit dem Aufbegehren unterschiedlicher Interessensgruppen gegen die Machtstrukturen des Absolutismus unter König Ludwig XVI. und einer Hungersnot begann.
Kennzeichnend waren die Überwindung eben dieser Herrschaftsform sowie feudalistischer Strukturen. Diese Zeit wird von gemäßigten fortschrittlichen Beobachtern als die Blütezeit der Französischen Revolution bewertet und ist der Moment, in dem auch im europäischen Ausland die einhelligste Begrüßung des Ereignisses stattfand.[2]
Zunächst berief König Ludwig XVI die Generalstände ein, die sich jeweils aus dem Adel, dem Klerus und dem dritten Stand zusammensetzten. Zu einer ersten revolutionären Handlung kam es hier am 17. Juni 1789, als die Angehörigen des Dritten Standes sich mit großer Mehrheit zur Nationalversammlung erklärten und mit einem darauf folgenden Anschluss des Klerus und schließlich auch des Adels nach dem Prinzip der Volkssouveränität die legislative Gewalt bildeten.[3]
Es folgte die Volksrevolution mit der berühmten Schlüsselszene des Sturms auf die Bastille am 14. Juni 1789.[4]
Am 22. Mai 1790 erklärte die Nationalversammlung den Verzicht Frankreichs auf zukünftige Eroberungskriege und die Achtung der Freiheit der Völker. Hierin kann man eine Verwirklichung der Ideale der Aufklärung sowie eine Kritik an der Machtpolitik der Staaten im Sinne eines friedlichen Interessensausgleiches sehen.[5]
Ein Kernstück der inhaltlichen Arbeit der Nationalversammlung war neben der im September 1791 bekanntgemachten Verfassung, die schon früher erfolgte Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte vom 26. August 1789, die stark von der amerikanischen Menschenrechtserklärung in der Unabhängigkeitserklärung vom 4. Juli 1776 beeinflusst wurde. In ihr wurden die Freiheit und Gleichheit aller Menschen zum Leitbild einer dann folgenden Grundrechterklärung.[6]
Im Hinblick auf den Umgang mit religiösen Fragen ist eine beginnende Glaubenskrise unter dem niedergehenden Ancièn Regime zu verzeichnen, für die, bedingt durch die neuen Werte der Aufklärung sowie eine Verarmung der Kleinbürger und unteren Schichten, "religiöse Gleichgültigkeit, Resozialisierung und Laizisierung“[7] kennzeichnend waren. Der hohe Klerus verweigerte eine Reform verkrusteter Strukturen, wie z.B. des Pfründewesens und lehnte eine stärkere Beteiligung der Laien sowie des niederen Klerus ab.[8] Mit der Französischen Revolution in ihrer ersten Phase entfaltete sich hierbei ein gewisser Reformdruck hin zur Entwicklung einer konstitutionellen Kirche, die von Reformern als eine Chance gesehen wurde, die Glaubenskrise zu überwinden und die Herrschaft eines entrückten hohen Klerus zu brechen.
Abschließend ist noch etwas zur Haltung des Adels in dieser Revolution zu sagen: Sind es doch auch ihre Privilegien, die neben denen des hohen Klerus zur Disposition stehen. Für sie ist ein "Umschlag der bisherigen aristokratischen Frivolität“[9] kennzeichnend, der sich zu einem Ton des Verständnisses und Mitleides entwickelte und eine Solidarisierung einiger Teile des Adels, insbesondere der jüngeren, mit dem dritten Stand beinhaltete. Als Bedingungsfaktoren werden hier in philosophischer Hinsicht die "humanitäre Richtung der Aufklärungsphilosophie“[10] und die "Sentimentalität der Zeit“[11] angegeben. Mit Letzterem könnte auf die aufkommende Strömung der Empfindsamkeit auch in der Literatur angespielt worden sein.
3. Zur Form
Auch wenn Form- und Inhaltsaspekte untrennbar miteinander verbunden sind und sich wechselseitig beeinflussen und bedingen, bedarf es doch einer gesonderten Betrachtung der im vorliegenden Gedicht gewählten Form. Dies liegt darin begründet, dass unabhängig von einzelnen Aspekten, an denen sich jeweils die Wirkung der Form festmachen lässt, ein Gesamtüberblick über die Wahl der Gedichtart und des Versmaßes von Interesse ist.
Bei dem Gedicht Klopstocks "Sie, und nicht Wir" handelt es sich um eine Elegie, die entsprechend in elegischen Distichen verfasst ist, die sich aus jeweils einem Hexamter (sechshebiger Jambus) und einem darauf folgenden Pentameter (fünfhebiger Jambus) zusammensetzen. Diese Form wird durchgängig in der gesamten Elegie streng eingehalten. Vorweggenommen sei an dieser Stelle, dass Gegenstände der Trauer behandelt werden, es sich also um eine threnetische Elegie handelt.
Dass das "große politische Thema“[12] in Distichen verfasst ist, wird als "bemerkenswert“[13] angesehen: Hierin kann man eine Differenzierung des "monumentalen Stoffes“[14] sehen, der gewissermaßen eingefangen und gezähmt wird im komplexen Versmaß und Enjambements, also Versenden übergreifender Satzführung.[15]
Es ist also nicht nur das hochsprachliche Pathos der threnetischen Elegie, das dem Stoff seine Form gibt, sondern es kommt auch zum Ausdruck, dass die Gedanken zur Revolution gerade dem Geist einer systematischen Neuordnung folgen.
Der Rhythmus nimmt hierbei Bezug zu den Irrgängen, die Deutschland ertragen musste, und bildet ein "Erzittern“[16] ab, das sich in "schwergefügten, oft stockenden und gleichsam nach Atem ringenden Distichen“[17] widerspiegelt.
So sind bereits auf einer rein formalen Ebene die Schwere und Beschwertheit des Themas, die Formstrenge eines stetig steigenden und drängenden Metrums, eines zugrundeliegenden stockenden Rhythmus sowie die Bemühung um eine Strukturierung überbordender Emotionen und revolutionärer Umbrüche als Charakteristika des Gedichtes auszumachen, die so vielleicht nur in einer (threnetischen) Elegie ausgedrückt werden können.
4. Die ersten drei Distichen: Einführung
Im Folgenenden sollen die Verse des Gedichtes "Sie, und nicht Wir" von Klopstock abschnittsweise untersucht werden.
Der Titel kann hierbei als eine Essenz des elegischen Klagegestus verstanden werden, nimmt er doch vorweg, dass es eben "sie", die Franzosen und nicht "wir", die Deutschen waren, die im freiheitlichen Kampf ein ruhmreiches Vorbild sind. In der Opposition der Personalpronomen "sie" und "wir" liegt bereits eine patriotische Abgrenzung der Nationen, aber genauso Bewunderung für das Land Frankreich veranlagt.
Im Fokus einer ersten Untersuchung stehen die ersten sechs Verse, die wie noch näher zu zeigen sein wird, sich als die einleitenden und die Topoi und relevanten historischen Bezugsgrößen aufgreifenden Verse verstehen lassen.
Die ersten drei Distichen bilden eine Form der Heranführung an den Anlass, das Gedicht zu schreiben, nämlich den Beschluss der französischen Nationalversammlung vom 24. Mai 1790, keine Eroberungskriege mehr zu führen.[18]
Der Titelzusatz offenbart hierbei eine Widmung des Gedichtes an La Rochefoucauld, mit dem Klopstock in einem Briefwechsel stand. Die Briefe zeigen hierbei eine hohe Wertschätzung für La Rochefoucauld, der als einer der ersten adeligen Unterstützer der Französischen Revolution gilt.[19] Diese Widmung macht neben der Thematik der Freude über den Beschluss der Nationalversammlung auch deutlich, dass sich die Elegie in den größeren Kontext der ersten Phase der Französischen Revolution, der Hinwendung zur Schaffung einer konstitutionellen Monarchie einordnen lässt und somit als eine Art "Gruß an die Französische Revolution“[20] insgesamt verstanden werden kann.
Der "allusionsreiche Anfangstopos“[21] "Hätt' ich hundert Stimmen…" (V. 1) bildet den Auftakt der Elegie. Hierbei wird die postulierte "Unzulänglichkeit einer selbst hundertstimmigen Mixtur“[22], "Galliens Freiheit" (V. 1) zu feiern, betont.
Diese Anspielungen können sich auf ein protestantisches Kirchenlied ("O dass ich tausend Zungen hätte"), beziehen.[23] In ihm wird der Wunsch beschrieben, tausend Zungen zu haben, die nur dem Lobpreis Gottes gewidmet wären und im Wetteifer miteinander Loblieder auf den Schöpfer anstimmen würden.
Ebenso kann sich dieser erste Versteil auch auf einen Vergil-Text beziehen:
non, mihi si linguae centum sint oraque centum,
ferrea vox, omnis scelerum comprendere formas,
omnia poenarum percurrere nomina possim.[24]
Dieser Abschnitt aus der Aeneis beschreibt den Besuch der Unterwelt durch Aeneas, dem es der Anblick der Vielzahl der durch die Götter gestraften Frevler unmöglich erscheinen lässt, ihr Leid und ihre Vergehen auch mit "hundert Zungen" ("lingua centum sint oraque centum") wiederzugeben.
Der Anfangstopos kann somit in zwei Richtungen verstanden werden, die eine grundlegende Einstellung zu den revolutionären Umwälzungen in Frankreich im Kontrast zu den Geschehnissen in Deutschland verdeutlichen: zum einen besteht die Absicht, wie im Kirchenlied metaphorisch ausgeführt in den höchsten Tönen ein unsagbar freudiges Ereignis zu feiern. Es mangelt aber an der Möglichkeit, dieser unbeschreiblichen Größe des Schöpfergottes bzw. im vorliegenden Gedicht des Ereignisses auch nur ansatzweise gerecht zu werden und Ausdruck zu verleihen. Letzterer Aspekt leitet zu einer Art der Trauer über, die bereits in der Form euphorischer Begrüßung aufgrund der Begrenztheit des Ausdrucksvermögens veranlagt ist. Verstärkt wird dieser Aspekt, wenn man der zweiten in der Literatur erwähnten Anspielung folgt, nämlich der Szene des Besuches des Aeneas in der Unterwelt: hier wird deutlich, dass es Vergehen oder vielmehr Qualen sind, deren Vielzahl und Intensität man schlichtweg nicht in Worte fassen kann. Das Anfangstopos kann also als eine Art kondensierte Fassung der scheinbar paradoxen Grundhaltung des gesamten Gedichtes verstanden werden, dass gerade die Begrüßung, eines freudigen Ereignisses im fremden Land wegen des Ausbleibens entsprechender Veränderungen im eigenen Land zu einem Anlass großer Trauer wird. So wird das Feiern der Freiheit "Galliens" (V. 1) zu einer wenigstens mit Ambivalenzen besetzten Angelegenheit.
Widersprüchliche Wertungen in den stets nur sehr kompakt umrissenen Interpretationsansätzen zur Elegie finden sich insbesondere in dem Punkt, wie genau dieser hier zu Tage tretende Grundimpetus zu werten ist. So wird einerseits der appellative Charakter, dem leuchtenden Beispiel Frankreichs zu folgen in Verbindung mit einer Haltung der Trauer deutlich, dass nicht das eigene Vaterland Europa insgesamt die Freiheit bringen konnte.[25] An anderer Stelle wird hingegen ein stärkerer Akzent auf das "Glück über die Erfüllung politischer Hoffnung für die Menschheit" gesetzt[26], das letztlich doch überwiege. In Hinblick auf die lyrische Form der Elegie, die hier als threnetische Elegie Gegenstände der Klage thematisiert (s. o.), lässt sich hier wohl eher annehmen, dass die Lesart einer größeren Trauer angemessen ist. Aus dem Befund, es überwiege die Freude über das für die Menschheit insgesamt Erreichte, lässt sich aber mitnehmen, dass sich über deutschen Patriotismus hinaus auch eine Grundhaltung einer ausgeprägten kosmopolitischen Hinwendung zu übernationalen Idealen identifizieren lässt. Beide Überlegungen sind im Folgenden noch näher zu belegen.
Der zweite Vers führt hierbei die gerade dargestellten Anspielungen zu Ende, indem festgehalten wird, dass der Ton nicht "erreichend[…]" sei, den eine göttliche Stimme singen könnte. Hier wird also vom lyrischen Ich unabhängig festgehalten, dass auch eine göttliche Stimme nur unzureichend das freudige Ereignis besingen könne.
Darauf folgend (V. 3/4) findet zunächst eine Allusion auf die "heilsamen Gesetze und Einrichtungen der ersten Nationalversammlung“[27] in Form einer Exclamatio statt: "[w]as vollbringet sie nicht!" (V. 3). Der Ausruf gibt der Euphorie über das durch die erste Nationalversammlung erreichte besonders starken Ausdruck und wird in einer darauf folgenden Exclamtio auf das Verbot des Angriffskrieges (s. o.) spezifiziert, was für den "jeden Eroberer hassenden Klopstock eine faszinierende Nachricht“[28] war.
In diesem zweiten Ausruf („So gar das gräßlichste aller/Ungeheuer, der Krieg wird an die Kette gelegt!“ V. 3/4) findet eine Personifikation des Krieges als Ungeheuer statt, die dessen schreckliche Auswirkungen besonders greifbar vor Augen führt und dem Krieg eine Art Eigendynamik verleiht, dessen ungezügelte Macht es zu bändigen gilt. Dieses sprachliche Bild wird weiterentwickelt, indem ausgeführt wird, wie der Krieg durch den Beschluss der Nationalversammlung an die Kette gelegt ist, also seine unbändigen, zerstörerischen Kräfte durch einen Akt der Gesetzgebung eingefangen und gebändigt wurden. Das Zeilenenjambement unterstreicht hierbei die enge Zusammengehörigkeit der Grauen des Krieges und dessen Bändigung.
Dieses "emphatische […], akustisch hochbetonte […] Bild“[29] findet seine Fortsetzung in einem vergleichenden Parallelismus, der darauf folgend antithetisch abgelöst wird. Cerberus, der nach antiker Mystik dreiköpfige Wächterhund der Unterwelt ist und somit eine Figur des vielfachen Schreckens, wird in einer parallelistischen Struktur mit dem bereits zuvor als Ungeheuer personifizierten Krieg verglichen. Dieser hat nicht nur drei Rachen wie Cerberus, sondern "tausend" (V. 5). Es wird zuerst eine bekannte mythologische Ungeheuergestalt eingeführt und daraufhin der Krieg mit ihr in eine enge Beziehung gesetzt. Dieser übertrifft noch die gängige Vorstellung eines großen Ungeheuers rein quantitativ durch die Anzahl der Rachen bzw. Mäuler. In dieser Hyperbolik, die auch der Introduktion einen leicht redundanten Charakter gibt, der für Nachdruck sorgt, liegt nicht nur die Beschreibung der Grausamkeit der Schrecken des Krieges, sondern es wird vor diesem Hintergrund geschildert, wie großartig die vollbrachte Leistung der Nationalversammlung durch ihren Beschluss ist Angriffskriege zu unterlassen, "heulen" doch alle durch die Göttin [der Freiheit] am Fesselgeklirr.
[...]
[1] Klopstock, Friedrich Gottlieb: Meine Meinung über die Revolution. 1796. In: Stammen, Theo. Eberle, Friedrich (Hrsg.): Deutschland und die Französische Revolution 1789-1806. Darmstadt: WBG-Verlag 1989. S. 346.
[2] Vgl. Schulin, Ernst: Die Französische Revolution. 2. Auflage. München: Beck-Verlag 1989. S. 111.
[3] Vgl. Kuhn, Axel: Die Französische Revolution. 6. Auflage Stuttgart: Reclam-Verlag 2011. S. 65.
[4] Vgl. Kuhn: Französische Revolution, S. 67.
[5] Vgl. Wagner, Michael: Revolutionskriege und revolutionäre Außenpolitik. In: Reichardt, Rolf (Hrsg.): Die Französische Revolution. Würzburg: Ploetz-Verlag 1988. S. 115-116.
[6] Vgl. Schulin: Französische Revolution, S. 73 ff.
[7] Schleich, Eva: Kirche, Klerus und Religion. Die Kirchengeschichte der Revolution im Meinungsstreit. In: Reichardt, Rolf (Hrsg.): Die Französische Revolution. Würzburg: Ploetz-Verlag 1988. S. 172-185. S. 176.
[8] Vgl. Schleich: Kirche, S. 177.
[9] Schulin: Französische Revolution, S. 71.
[10] Schulin: Französische Revolution, S. 72.
[11] Ebd.
[12] Müller, Joachim: Wirklichkeit und Klassik. Beiträge zur deutschen Literaturgeschichte von Lessing bis Heine. Speyer: Dobbeck-Verlag 1957. S. 66.
[13] Ebd.
[14] Ebd.
[15] Vgl. ebd.
[16] Müller: Wirklichkeit, S. 68.
[17] Ebd.
[18] Vgl. Molzan, Alfred: Klopstocks Revolutionsoden. In: Friedrich Gottlieb Klopstock. Werk und Wirkung. Hrsg. von Hans Georg Werner. Berlin: Akademie-Verlag 1978. S. 165.
[19] Gronemeyer, Horst (Hrsg.): Friedrich Gottlieb Klopstock. Werke und Briefe. Historisch Kritische Ausgabe. Berlin:Gruyter-Verlag 1999. S. 791.
[20] Kindt, Karl: Klopstock. Berlin: Wichern-Verlag 1941. S. 539.
[21] Strohschneider-Kohrs, Ingrid: Bilderlogik und Sprachintensität in Klopstocks paraenetischen Elegien der Spätzeit. In: Klopstock an der Grenze der Epochen. Hrsg. von Kevin Hilliard und Katrin Kohl. Berlin: Gruyter-Verlag 1995.
[22] Molzan, Alfred: Klopstocks Revolutionsoden. In: Friedrich Gottlieb Klopstock. Werk und Wirkung. Hrsg. Von Hans Georg Werner. Berlin: Akademie-Verlag 1978. S. 165.
[23] Vgl. ebd.
[24] Vgl. ebd.
[25] Schleiden, Karl August (Hrsg.): Friedrich Gottlieb Klopstock. Werke in einem Band. Darmstadt: WBG-Verlag 1962. S. 412.
[26] Kohl, Katrin: Friedrich Gottlieb Klopstock. Stuttgart: Metzler-Verlag 2000. S. 98.
[27] Vetterlein, C. F. R.: Klopstocks Oden und Elegien mit erklärenden Anmerkungen und einer Einleitung. Leipzig: Hartmann-Verlag 1828. 3. Bd. S. 114.
[28] Ott, Ulrich (Hrsg.): "O Freyheit! Silberton dem Ohre…". Französische Revolution und deutsche Literatur 1789-1799. Marbach: Deutsche Schillergesellschaft 1989. S. 148.
[29] Strohschneider: Bildlogik, S. 52.