Europäisches und Internationales Arbeitsrecht im Rahmen von Personalökonomik und Personalcontrolling
Zusammenfassung
Häufiger versteht man jedoch unter dem Europäischen Arbeitsrecht die arbeitsrechtlichen Regelungen des primären und sekundären Rechts der Europäischen Gemeinschaft. Das Arbeitsrecht ist damit nicht allein stehend zu betrachten, sondern es folgt den Primärzielen der Europäischen Gemeinschaft, nämlich der Absicht, zu einer Verbesserung und Angleichung der Lebens- und Arbeitsbedingungen beizutragen, aber auch die Arbeitnehmerfreizügigkeit innerhalb der Gemeinschaft zu gewährleisten.
Zu unterscheiden vom Europäischen Arbeitsrecht ist das Internationale Arbeitsrecht. Darunter versteht man zum einen das Kollisionsrecht, also diejenigen nationalstaatlichen Regelungen, die bestimmen, welchen Staates Rechtsordnung auf ein bestimmtes Arbeitsverhältnis Anwendung findet, zum anderen das Arbeitsrecht, das seinen Ursprung in den Regelungen der Internationalen Arbeitsorganisation hat. Diese hat ihren Sitz in Genf und ist die älteste Unterorganisation der UNO. Wichtigste Aufgabe der IAO ist die Schaffung international gültiger und zur Anwendung und Anwendung empfohlener Arbeits- und Sozialrechtsnormen. Ziel dieser ist es die Arbeits- und Lebensbedingungen der abhängig Beschäftigten zu verbessern und zu schützen.
Grundsätzlich zeichnen sich Internationale Rechtsnormen dadurch aus, dass sie grundsätzlich nur Staaten oder andere Rechtsträger des internationalen Rechts inhaltlich binden. Im Gegensatz dazu tritt der einzelnen Bürger als eigene Rechtsperson im internationalen Arbeitsrecht grundsätzlich nicht auf.
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis
Europäisches Arbeitsrecht und Internationales Recht C. Kuhny, M. Henschelchen
1 Europäisches Arbeitsrecht
1.1 Begriff
1.2 Entstehung
1.3 Abgrenzung zum Internationalen Arbeitsrecht
1.4 Europäische Rechtsnormen und ihre Rechtswirkungen
1.5 Rechtssetzung der Gemeinschaft - Voraussetzung
1.6 Rechtssetzung der Gemeinschaft - Verfahren
1.7 Rolle der Sozialpartner
1.8 Verfahren der Rechtssetzung in der Sozialpolitik
1.9 Was kann die EU arbeitsrechtlich regeln?
2 Arbeitnehmerfreizügigkeit
2.1 Zielsetzung
2.2 Gewährleistungsbereiche
2.3 Anwendungsbereich der Arbeitnehmerfreizügigkeit
2.4 Das Recht auf Teilnahme am Arbeitsmarkt
2.5 Das Diskriminierungsverbot
2.6 Das Beschränkungsverbot
3 Diskriminierungsschutz
3.1 Diskriminierungsverbote
3.2 Begriff der Benachteiligung
3.3 Geschlechtsdiskriminierung
3.4 Die Antidiskriminierungsrichtlinien 2000/43/EG und 2000/78/EG
3.4.1 Rasse / Ethnie
3.4.2 Behinderung
3.4.3 Religion
3.4.4 Alter
4 Prekäre Arbeitsverhältnisse
4.1 Begrifflichkeit
4.2 Teilzeitarbeit
4.3 Befristete Beschäftigung
4.4 Leiharbeit
5 Betriebsübergang
5.1 Begrifflichkeit
5.2 Identitätswahrung
5.3 Neuer Betriebsinhaber
5.4 Rechtsfolgen eines Betriebsübergangs
5.4.1 Arbeitnehmerschutz
5.4.2 Kündigungsverbot
5.4.3 Widerspruchsrecht und Unterrichtung des Arbeitnehmers
5.5 Kollektivrechtliche Ebene
5.5.1 Interessenausgleich
5.5.2 Erhalt der Rechtsstellung und der Funktion der Arbeitnehmervertretung
5.5.3 Information und Konsultation der Arbeitnehmervertreter
5.6 Besonderheiten im Insolvenzverfahren
6 Schutz bei Massenentlassungen
6.1 Begriff der Entlassung
6.2 Kontext des deutschen Kündigungsschutzrechts und andere Beteiligungsrechte des Betriebsrats
7 Arbeitszeit
7.1 Anwendungsbereich
7.2 Arbeitszeit
7.3 Abgrenzung
7.3.1 Wöchentliche Höchstarbeitszeit
7.3.2 Ruhezeit
7.3.3 Ruhepause
7.3.4 Jahresurlaub
7.4 Nacht- und Schichtarbeit
8 Nachweiß von Arbeitsbedingungen
8.1 Anwendungsbereich
8.2 Regelungsinhalt
8.3 Informationsmöglichkeiten des Arbeitgebers
9 Arbeitnehmerentsendung
9.1 Gewährleistung durch Grundfreiheiten, insbesondere Art. 49 EG
9.2 Herkunftsland und Arbeitsortprinzip
9.2.1 Begrifflichkeiten
9.2.2 Vor- und Nachteile
9.3 Regeln für alle Arten von Entsendungen
9.3.1 Arbeitnehmerbegriff
9.3.2 Erfasste Sachverhalte
10 Kollektives Arbeitsrecht der EU
10.1 Regelungen zum Kollektiven Arbeitsrecht
10.2 Kein Europäisches Tarifvertrags- und Arbeitskampfrecht
10.3 Europäische Betriebsräte
10.3.1 Anwendungsbereich
10.3.2 Reichweite des EBR
10.4 Mitbestimmung in der Societas Europaea
10.5 Richtlinie zur Information und Konsultation 2002/14/EG
10.5.1 Zielsetzung
10.5.2 Anwendungsbereich
11 Internationales Arbeitsrecht
11.1 Arbeitsvertragsstatut bei grenzüberschreitenden Arbeitsverhältnissen
11.1.1 Grundtypen der arbeitsvertraglichen Gestaltung
11.1.2 Arbeitsvertragsstatut
11.2 Gerichtsstand
11.3 Kollektives Arbeitsrecht
12 Resümee
Literatur
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Vorschlagsverfahren, graphische Darstellung
Abbildung 2: Mitentscheidungsverfahren - Phase 1
Abbildung 3: Mitentscheidungsverfahren - Phase 2
Abbildung 4: Rechtssetzung der EU-Institutionen und der Sozialpartner nach Art. 154 AEU
Abbildung 5: Diskriminierungsverbote im Europäischen Recht
Abbildung 6: Kollektives Arbeitsrecht der EU
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1 Europäisches Arbeitsrecht
1.1 Begriff
Unter dem Begriff des „Europäischen Arbeitsrechts“ kann man Verschiedenes verstehen. Zum einen kann man auf das Arbeitsrecht der einzelnen europäischen Staaten verweisen, das sich national recht unterschiedlich entwickelt hat. Zum anderen auf Bereiche in denen weitgehende Übereinstimmung besteht. Diese Bereiche des Arbeitsrechts sind dann nicht mehr nur einzelstaatlich zu betrachten, sondern als die Entstehung eines gemeinschaftlichen Arbeitsrechts. Häufiger versteht man jedoch unter dem Europäischen Arbeitsrecht die arbeitsrechtlichen Regelungen des primären und sekundären Rechts der Europäischen Gemeinschaft. Das Arbeitsrecht ist damit nicht allein stehend zu betrachten sondern es folgt den Primärzielen der Europäischen Gemeinschaft nämlich der Absicht, zu einer Verbesserung und Angleichung der Lebens- und Arbeitsbedingungen beizutragen (Artikel 151 AEUV [Ex-Artikel 136 EGV]), aber auch die Arbeitnehmerfreizügigkeit innerhalb der Gemeinschaft zu gewährleisten (Artikel 45 AEUV [Ex-Artikel 39 EGV]).1
1.2 Entstehung
Für die Ausformung des Europäischen Arbeitsrechts sind weitestgehend die einzelstaatlichen Vorschriften Vorbild und trotz der anfangs zögerlichen Entwicklungen auf Europäischer Ebene gab es erste Regelungen bereits vor den Gründungsverträgen. So sah schon die Verfassung des IAO von 1919 in Art. 41 vor „Männer und Frauen für eine Arbeit von gleichem Wert gleichen Lohn zu bezahlen“. In den drei Gründungsverträgen der Europäischen Gemeinschaft (EGKS-, EURATOM- und EWG-Vertrag) ging es vorwiegend um die Harmonisierung wirtschaftlicher Bedingungen. So enthielt der EGKS-Vertrag nur wenige Aspekte der aktiven Arbeitsmartpolitik und Integration der Sozialpartner. Zum einen sollte die Behörde einer eventuellen Verminderung des Arbeitskräftebedarfs mit aktiver Förderung der produktiven Wiederbeschäftigung begegnen und unvermeidbare Arbeitsplatzverluste durch Abfindungen ausgleichen (Art. 56 EGKS-V). Zum zweiten war der Behörde ein beratender Ausschuss beigeordnet, der mit Vertretern der Erzeuger, der Arbeitnehmer, der Verbraucher und der Händler besetzt war (Art. 18 EGKS-V). Diese Integration der Sozialpartner wird heute als Grundlage des sozialen Dialogs begriffen. Drittens war die Behörde ermächtigt, bei Lohnsenkungen zur Erringung von Wettbewerbsvorteilen in den Markt einzugreifen (Art. 68 EGKS-V).1 Der EURATOMVertrag hatte ebenfalls im Bezug auf Soziale Belange nur wenige Regelungen, unter anderem zur Sicherheit und zum Gesundheitsschutz der Arbeitskräfte. Allerdings führte dies noch nicht zu einer aktiven Arbeitsmarktpolitik. Wichtigere Regelungen enthielt der EWGVertrag, die auch heute noch einen zentralen Bestandteil des Europäischen Arbeitsrechts bilden. Art. 49 EWG sicherte die Freizügigkeit der Arbeitnehmer und Art. 119 EWG-V enthielt den Gleichbehandlungsgrundsatz der den Grundsatz des gleichen Entgelts für Frauen und Männer festschrieb. Diese Grundsätze sind auch heute noch in den Artikeln 45 AEUV (ex-Artikel 39 EGV) und 157 AEUV (ex-Artikel 141 EGV) zu finden. In den 70er Jahren kam dann in der Gemeinschaft verstärkt das Bewusstsein auf, neben der wirtschaftlichen Harmonisierung auch einheitliche europäische Sozialstandards zu schaffen. Es folgten wichtige Richtlinien insbesondere zur Gleichbehandlung, zum technischen Arbeitsschutz, zu Anhörungsinformationspflichten bei Massenentlassungen, zur Wahrung von Ansprüchen bei Betriebsübergängen und zum Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers. Ende der 70er bis Ende 80er Jahre stagnierte jedoch die Entwicklung. Grund war die Krise des Arbeitsmarktes und der Wirtschaft. In allen Mitgliedstaaten der EWG stieg die Arbeitslosigkeit an oder verharrte auf hohem Niveau. Es setzte sich nun die Meinung durch die Krise sei auch auf die „Überregulierung“ des Arbeitsmarktes zurück zu führen und es folgte eine Philosophie der Deregulierung und Flexibilisierung.[3] In dieser Phase scheiterten schließlich zahlreiche sozialpolitische Richtlinienvorschläge. Aufschwung setzte dann wieder durch den Maastrichter Vertrag, in dem das Protokoll über die Sozialpolitik enthalten war, ein. Darin wurden weitgehende Rechtssetzungskompetenzen für die Schaffung Europäischen Arbeitsrechts festgeschrieben. Die Regeln wurden jedoch erst im Vertrag von Amsterdam als Art. 137 ff. EG in den EG-Vertrag eingeführt. Die Sozialpolitik gilt gem. Art. 151 AEUV nun als Aufgabe der Gemeinschaft, die dementsprechend mit weiteren Legislativkompetenzen ausgestattet wurde. Neben Art. 137, heute Artikel 153 AEUV ist Artikel 19 AEUV (ex-Artikel 13 EG) zu nennen, der der Gemeinschaft die Kompetenz für eine umfassende Antidiskriminierungslegislation verleiht. Konkretisiert wurden diese Regelungsbereiche entsprechend durch die Betriebsübergangsrichtlinie und die Massenentlassungsrichtlinie (RL 98/59/EG mit der Neufassung RL 2001/23/EG und RL 98/50/EG). Daneben wuchs das Kerngebiet des Europäischen Arbeitsrechts, das Gleichbehandlungsrecht, zu einem fast eigenständigen Rechtsgebiet heran. Bereits 2000 wurde mit zwei auf Art. 13 EG gegründeten Richtlinien zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung ungeachtet der Rasse und des ethnischen Ursprungs (RL 2000/43/EG) und ungeachtet des Alters, der Religion, der Behinderung, der sexuellen Orientierung und der Weltanschauung (RL 2000/78/EG) ein multidimensionales Gleichstellungsrecht geschaffen. Ebenfalls Fortschritte gelangen auf dem Gebiet des Arbeitsrechts: Die RL 2002/14/EG zielt auf eine Harmonisierung der betrieblichen Rechte der Arbeitnehmer auf Information und Konsultation. In jüngerer Zeit enthielt das Europäische Arbeitsrecht weitere Impulse mit weiteren Regelungen zur Teilzeitarbeit, befristeter Arbeitsverträge, Informations- und Konsultationspflichten in Unternehmen und über die Arbeitsbedingungen von Leiharbeitern. Um die zukünftige Entwicklung nicht stagnieren zu lassen hat die Kommission ein Grünbuch vorgelegt „Ein modernes Arbeitsrecht für die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts“ in dem Fragen ausgebreitet werden um die Diskussion über ein zukunftsfähigeres Arbeitsrecht in Gang zu setzen.
1.3 Abgrenzung zum Internationalen Arbeitsrecht
Zu unterscheiden vom Europäischen Arbeitsrecht ist das Internationale Arbeitsrecht. Darunter versteht man zum einen das Kollisionsrecht, also diejenigen nationalstaatlichen Regelungen, die bestimmen, welchen Staates Rechtsordnung auf ein bestimmtes Arbeits- verhältnis Anwendung findet zum anderen das Arbeitsrecht, das seinen Ursprung in den Regelungen der Internationalen Arbeitsorganisation hat. Diese hat ihren Sitz in Genf und ist die älteste Unterorganisation der UNO. Wichtigste Aufgabe der IAO ist die Schaffung international gültiger und zur Anwendung und Anwendung empfohlener Arbeits- und Sozialrechtsnormen. Ziel dieser ist es die Arbeits- und Lebensbedingungen der abhängig Beschäftigten zu verbessern und zu schützen. Grundsätzlich zeichnen sich Internationale Rechtsnormen dadurch aus das sie grundsätzlich nur Staaten oder andere Rechtsträger des internationalen Rechts inhaltlich binden. Im Gegensatz dazu tritt der einzelnen Bürger als eigene Rechtsperson im internationalen Arbeitsrecht grundsätzlich nicht auf.[4]
1.4 Europäische Rechtsnormen und ihre Rechtswirkungen
Die EG wurde durch einen völkerrechtlichen Vertrag gegründet, entsprechend sind Rechtsquellen des Gemeinschaftsrechts zuerst diejenigen, die das Statut des Internationalen Gerichtshofes (IGH) als Rechtsquellen des Völkerrechts nennt. Neben dem Vertrag über die europäische Union (EUV oder EU-Vertrag) gilt der Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union als einer der Gründungsverträge. Gemeinsam bilden sie die primärrechtliche Grundlage des politischen Systems der EU und sind formal völkerrechtliche Verträge zwischen den Mitgliedsstaaten. Der Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union löst seit dem 1. Dezember den EG-Vertrag ab und ist ein Recht erzeugender Vertrag mit weitgehenden Rechtssetzungsbefugnissen der Gemeinschaftsorgane. Grob zu unterscheiden ist zunächst Primär und Sekundärrecht. Als primäres Gemeinschaftsrecht wird die Gesamtheit aller Rechtsregeln bezeichnet, die von den Mitgliedsstaaten der Europäischen Gemeinschaft zur Konstituierung und Ausgestaltung der Gemeinschaft geschaffen worden sind. Das Primärrecht besteht damit vor allem aus den Gründungsverträgen der Europäischen Gemeinschaft und dem Unionsvertrag und ist unmittelbar aus der Völkerrechtsordnung legitimiert. Es ist somit einem „Verfassungsrecht“ der EU gleichzusetzen, also dem Recht, aus dem die Europäische Union geschaffen ist, nicht welches sie schafft. Letzteres also das Recht, das sich aus dem Primärrecht ableitet, wird als Sekundärrecht bezeichnet. Primärrecht und Sekundärrecht stehen in einem hierarchischen Verhältnis: Das Sekundärrecht wird am Primärrecht gemessen, soweit es damit unvereinbar ist, kann es vom EuGH aufgehoben werden (Artikel 264 AEUV [(ex-Artikel 231 EG]). Zum Primärrecht gehören gem. Art. 38 Statut IGH Vertragsrecht, Gewohnheitsrecht und allgemeine Rechtsgrundsätze. Das Vertragsrecht umfasst die Gemeinschaftsverträge, d.h. den EU Vertrag, den AEU Vertrag sowie andere gemeinschaftsrechtliche Abkommen der Mitgliedstaaten. Der AEU Vertrag enthält materielle als auch Kompetenznormen mit arbeitsrechtlicher Relevanz. So:
- Art. 45 AEUV normiert das Recht auf Freizügigkeit, das den Beschäftigten gegenüber den Mitgliedstaaten und auch gegenüber privaten Arbeitgebern das Recht verleiht ebenso wie Inländer behandelt zu werden.
- Art. 151 AEUV enthält die sozialpolitischen Grundsatznormen der Gemeinschaft
- Art. 157 AEUV garantiert das Recht auf gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit unabhängig vom Geschlecht.
Das für das Arbeitrecht ebenfalls relevante EU-Wirtschaftsrecht ist vor allem vom europäischen Binnenmarktrecht geprägt, für das folgende Grundfreiheiten entscheidend sind:
- Artikel 34 AEUV (ex. 28 EG), 35 AEUV (ex. 29 EG) Freiheit des Warenverkehrs
- Art. 49 AEUV (ex. 43 EG) Niederlassungsfreiheit
- Art. 56 AEUV (ex. 49 EG) Dienstleistungsfreiheit
- Art. 63 AEUV (ex. 56 EG) Kapitalverkehrsfreiheit
Gemeinschaftsgewohnheitsrecht spielt als Rechtsquelle keine große Rolle. Denkbar ist dieses z.B. wenn durch das Handeln der Gemeinschaftsorgane und der Mitgliedstaaten aufgrund „ständiger Übung“ Rechtsüberzeugung gebildet wird. Allgemeine Rechtsgrundsätze haben dagegen in allen Rechtsgebieten erhebliche Bedeutung. Für das Gemeinschaftsrecht entwickelt sie der EuGH unter Rückgriff auf die vergleichende Methode des Gemeinschaftsrechts. Auch Normen des Völkerrechts, zu deren Einhaltung sich die Mehrheit der Mitgliedstaaten verpflichtet hat, gehören zu den maßgeblichen Rechtsüberzeugungen.[5]
Das europäische Sekundärrecht besteht aus Verordnungen, Richtlinien, Empfehlungen und Stellungnahmen. Die beiden wichtigsten Rechtsformen sind dabei die Verordnungen und deutlich häufiger die Richtlinien. Die Verordnung ist die stärkste Form der europäischen Rechtssetzung. Sie wirkt unmittelbar gegenüber den Bürgern der Mitgliedsstaaten. Ihre Rechtswirkung unterscheidet sich nicht von der nationalen Rechts. Deshalb unterliegt der Erlass von Verordnungen strengen Voraussetzungen und wird weit weniger gebraucht. Richtlinien unterliegen geringeren Voraussetzungen und räumen dem Bürger grundsätzlich keine Rechtsposition ein, sondern verpflichten nur die Mitgliedsstaaten Rechtspositionen zu schaffen. Ein Arbeitnehmer kann sich daher nicht gegenüber seinem privaten Arbeitgeber auf die Bestimmung der Richtlinie berufen. Dennoch können soweit Auslegungsspielraum besteht auch Richtlinien durch die richtlinienkonforme Auslegung sich durch Richterrecht auf sämtliche Rechtbeziehungen auswirken.[6] Hinsichtlich der Wahl der Mittel zur Umsetzung der Richtlinie sind die Mitgliedstaaten frei. Damit entspricht die Handlungsform der Richtlinie dem Grundsatz der Subsidiarität, weil der größere Entscheidungsspielraum bei den Mitgliedstaaten bleibt.
Obwohl keine formale Rechtsquelle, spielt auch die Rechtssprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) eine wesentliche Rolle im Europäischen Arbeitsrecht. Er sichert die Wahrung des Rechts bei der Auslegung und Anwendung des Vertrags und ist auch zur Rechtsfortbildung ermächtigt. Darüber hinaus stellt seine Rechtssprechung die Einheitlichkeit des Gemeinschaftsrechts bei dessen Anwendung in den Mitgliedstaaten sicher, indem jedes nationale Gericht zur Vorabentscheidung vorlegen kann, wenn dies zur Auslegung des Vertrages oder des abgeleiteten Gemeinschaftsrechts erforderlich ist. Die Vorabentscheidungen binden unmittelbar die verfahrensbeteiligten Gerichte und gebieten auch andere staatliche Organe, das nationale Recht unter voller Ausschöpfung vorhandener Regelungsspielräume so auszulegen, dass es mit dem Gemeinschaftsrecht in der EuGH vorgegebenen Auslegung übereinstimmt. Bereits 1989 wurde dem EuGH das Europäische Gericht erster Instanz (EuG oder EuG I) zur Seite gestellt, das für alle Klagen gegen Gemeinschaftsinstitutionen zuständig ist. Die Hauptaktivität des EuG liegt auf dem Gebiet des Wettbewerbs- und Beihilfenrechts. Aus arbeitsrechtlicher Sicht sind vor allem seine Entscheidungen über Klagen von Sozialpartnern im Zusammenhang mit der arbeitsrechtlichen Rechtssetzung interessant. Beide Gerichte sind fachlich für alle Angelegenheiten zuständig. Anders als auf nationaler Ebene gibt es daher auf Gemeinschaftsebene keine spezifische Arbeitsgerichtsbarkeit. Das Arbeitsrecht hat damit den gleichen Status wie andere Rechtsgebiete.[7]
1.5 Rechtssetzung der Gemeinschaft - Voraussetzung
Das Sekundärrecht der Gemeinschaft basiert auf dem Vertrag selbst. Als Recht erzeugender Vertrag gibt er der Gemeinschaft Rechtssetzungskompetenzen. Danach ist Sekundärrecht nur rechtmäßig, wenn die Gemeinschaftsorgane im Rahmen ihrer Kompetenzen gehandelt haben. (Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung) und der Rechtsakt nicht über das zur Erreichung der Ziele Erforderliche hinausgeht (Verhältnismäßigkeitsprinzip). In Bereichen in denen die Gemeinschaft keine ausschließliche Zuständigkeit hat, herrscht außerdem das Subsidiaritätsprinzip. Danach wird die Gemeinschaft nur tätig, sofern und soweit die Ziele der in Betracht gezogenen Maßnahmen auf der Ebene der Mitgliedstaaten nicht ausreichend erreicht werden können. Das Prinzip der Einzelermächtigung wird teilweise durch Art. 352 AEUV (ex-Artikel 308 EGV) durchbrochen, da der Rat auch ohne ausdrückliche Kompetenz im Vertrag einstimmig Rechtsakte auf Vorschlag der Kommission erlassen kann, soweit diese erforderlich sind, um im Rahmen des gemeinsamen Marktes eines der Ziele der Gemeinschaft zu erreichen. Diese Regelung ist jedoch sehr eng auszulegen.[8]
1.6 Rechtssetzung der Gemeinschaft - Verfahren
Das Verfahren der Rechtssetzung beginnt i.d.R. auf Initiative der Kommission. Der Vorschlag der Kommission kann vom Rat nur einstimmig abgeändert werden und die Kommission kann ihre Vorschläge jederzeit zurückziehen (Art. 293 AEUV [ex-Artikel 250 EGV]). Das älteste Rechtssetzungsverfahren ist das Vorschlagsverfahren es wird zum Beispiel bei Rechtsakten nach Art. 19 AEUV (ex-Artikel 13 EGV) zur Bekämpfung von Diskriminierung und Art. 115 AEUV (ex-Artikel 94 EGV) zur allgemeine Rechtsangleichung angewandt.[8]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 1: Vorschlagsverfahren, graphische Darstellung9
Im Vorschlagsverfahren beschließt der Rat auf Vorschlag der Kommission nach Anhörung des Europäischen Parlaments und ggf. weiterer Organe, im Arbeitsrecht häufig des Wirtschafts- und Sozialausschusses. Bei diesem Verfahren wird die demokratische Legitimation des Gemeinschaftsrechtsaktes nur durch die Rechtsentscheidung vermittelt. Es handelt sich um eine mittelbare demokratische Legitimation, da davon ausgegangen wird, die Vertreter der Mitgliedsstaaten im Rat seien grundsätzlich demokratisch über die nationalen Parlamente legitimiert. Mit dem Verfahren der Mitentscheidung nach Art. 294 AEUV, das durch den Vertrag von Amsterdam wesentlich effektiver und einfacher gemacht wurde, kann das Europäische Parlament (EP) durch zweimaligen Beschluss mit absoluter Mehrheit eine Kommissionsinitiative zu Fall bringen. Wenn das Parlament eine Abänderung des gemeinsamen Standpunktes des Rates vorschlägt, arbeitet ein Vermittlungsausschuss aus Vertretern des Rates und des Parlaments einen Kompromissvorschlag aus. Lehnt das Parlament diesen Vorschlag mit absoluter Mehrheit ab, ist die Kommissionsinitiative gescheitert. Die Kommission kann ihre Vorschläge in jedem Stadium zurückziehen oder ändern und so ein scheitern im Parlament oder Rat zuvorkommen. Das Verfahren zerfällt in zwei Phasen.10
Mitentscheidungsverfahren: Phase 1
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb.2: Mitentscheidungsverfahren - Phase 111
In der ersten Phase wird der Vorschlag der Kommission dem EP und dem Rat gleichzeitig zugeleitet. Das Parlament befasst sich in erster Lesung mit dem Vorschlag. Hat es keine Änderungsvorschläge kann der Rat den Vorschlag umgehend verabschieden. Hat es Änderungsvorschläge, befasst sich der Rat mit den Änderungsvorschlägen. Billigt er sie, so kann er den Vorschlag gleichzeitig verabschieden. Hat der Rat eigene oder über die des EP hinausgehende Änderungsvorschläge, so verabschiedet er zunächst einen gemeinsamen Standpunkt der den Rechtsakt mit den Änderungsvorschlägen beinhaltet. Dieser wird dem Parlament zur zweiten Lesung zugeleitet. Lehnt es den Vorschlag mit absoluter Mehrheit ab, so ist der Rechtsakt gescheitert. Fasst es keinen oder einen zustimmenden Beschluss, so ist er angenommen. Hat es weitere Änderungsvorschläge, so muss es diese mit absoluter Mehrheit verabschieden, damit das Verfahren in die zweite Phase geht. Hier befasst sich die Kommission mit dem Akt und schlägt ihn dem Rat zur Annahme oder Ablehnung vor. Der Rat kann einen Rechtsakt gegen die Empfehlung der Kommission annehmen, allerdings nur einstimmig. Lehnt der Rat die Änderungen des EP ab, so kommt es zum Vermittlungsverfahren. Das EP und der Rat müssen das Verhandlungsergebnis des Vermittlungsausschusses am Ende nochmals billigen. Beim Mittlungsverfahren sind die Rechtsakte sowohl über den Rat als auch über das Europäische Parlament, doppelt demokratisch legitimiert. Die Bürgerinnen und Bürger der eventuell überstimmten Verfahren sind durch die Beteiligung des EP repräsentiert. Das Mitentscheidungsverfahren ist heute das am häufigsten angewandte Verfahren der Rechtssetzung.12
Mitentscheidungsverfahren: Phase 2
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb.3: Mitentscheidungsverfahren - Phase 213
1.7 Rolle der Sozialpartner
Gemäß Art. 154 Abs. 1 AEUV hat die Kommission die Aufgabe die Anhörung der Sozialpartner auf Gemeinschaftsebene zu fördern und erlässt alle zweckdienlichen Maßnahmen, um den Dialog zwischen den Sozialpartnern zu erleichtern. Dazu hört die Kommission vor Unterbreitung von Vorschlägen im Bereich der Sozialpolitik die Sozialpartner. Diese können neben der Stellungnahme die Durchführung eines Verfahrens nach Art. 155 AEUV beantragen mit dem Ziel eine Rahmenvereinbarung, in der Fragen des Europäischen Arbeitsrechts, ähnlich einer Richtlinie geregelt werden, abzuschließen. Die Vereinbarungen selbst schaffen jedoch keine Rechtsnormen. Sie bedürfen der Umsetzung. Diese kann entweder nach Art. 155 Abs. 2 AEUV nach den jeweiligen Verfahren und Gepflogenheiten der Sozialpartner der Mitgliedsstaaten erfolgen oder im Bereich des Art. 153 AEUV auf gemeinsamen Antrag der Unterzeichnerparteien, durch einen Beschluss des Rates auf Vorschlag der Kommission, da hier die EG Gesetzgebungskompetenz hat. Nach der ersten Alternative wirkt die gemäß Art. 155 Abs. 2 AEUV geschlossene schuldrechtliche Vereinbarung zwischen den Sozialpartnern auf Gemeinschaftsebene nicht unmittelbar, sondern die europäischen Sozialpartner sind darauf angewiesen, dass ihre Vorgabe von den nationalen Tarifgemeinschaften oder Mitgliedsstaaten durchgeführt wird. Vereinbarungen, die nach Art. 155 Abs. 2 durchgeführt werden, dienen daher lediglich der Koordinierung der Tarifvertragsabschlüsse in den Mitgliedsstaaten. Ihnen kommt der Charakter eines gentlement’s agreement zu. In der zweiten Alternative wird die Vereinbarung durch einen Beschluss des Rates auf Vorschlag der Kommission durchgeführt. Unklar ist die Rechtsnatur eines solchen „Beschlusses“. Einer letzten Auffassung zufolge muss dieser nach Systematik, Sinn und Zweck Richtliniencharakter haben. Dies dürfte auch in unter Bezugnahme auf Art. 153 AEUV für den Regelfall zutreffen und entspricht der bisherigen Praxis.14
1.8 Verfahren der Rechtssetzung in der Sozialpolitik
Neben den erwähnten Verfahren gibt es für im Bereich der Sozialpolitik ein anderes Rechtssetzungsverfahren. Dieses soll den Europäischen Sozialpartnern weitgehende Einflussund Initiativmöglichkeiten sichern. Nach Art. 154 AEUV hat die Kommission die Sozialpartner zweimal durch Anhörung zu beteiligen. Zunächst in der Frage, ob eine bestimmte Angelegenheit auf Gemeinschaftsebene geregelt werden soll und später zum konkreten Regelungsvorschlag. Die Sozialpartner können in beiden Stadien das Verfahren an sich ziehen und selbst eine Sozialpartnervereinbarung mit einem Regelungsvorschlag entwickeln oder auch von vornherein die Initiative ergreifen und eine Vereinbarung abschließen. Diese kann sowohl autonom als auch durch Ratsbeschluss durchgeführt werden. Mit dem zusätzlichen Initiativrecht der Sozialpartner, haben diese mehr Möglichkeiten als das Parlament das nur die Kommission auffordern kann, eine Gesetztgebungsinitiative zu ergreifen. Wenn die Sozialpartner eine Vereinbarung über eine Richtlinie treffen und beantragen, diese durch Ratsentscheidung umzusetzen, werden die Rechte des Parlaments weiter verkürzt. An die Stelle Verfahrens der Mitentscheidung tritt die Entscheidung des Rates ohne jede Parlamentsbeteiligung. Der Rat entscheidet dann entweder mit qualifizierter Mehrheit oder einstimmig - je nach Regelungsgegenstand.
[...]
1 Vgl. G./Thüssing, Grundrisse des Rechts, Europäisches Arbeitsrecht, München: C. H. Beck, Nomos 2008, S. 1-3
2 Vgl. D./Schiek, Europäisches Arbeitsrecht, Rahmen des Arbeitsrechts der Europäischen Union Oldenburg/Leeds: 3. Aufl. Nomos, 2007, S. 58-65
3 Vgl. D./Schiek, Europäisches Arbeitsrecht, Rahmen des Arbeitsrechts der Europäischen Union Oldenburg/Leeds: 3. Aufl. Nomos, 2007, S. 58-65
4 Vgl. W./Schmeisser, D./Krimphove, Internationale Personalwirtschaft und Internationales Arbeitsrecht, München: Oldenbourg Wissenschaftsverlag, 2010, S. 329
5 Vgl. D./Schiek, Europäisches Arbeitsrecht, Rahmen des Arbeitsrechts der Europäischen Union Oldenburg/Leeds: 3. Aufl. Nomos, 2007, S. 74
6 Vgl. G./Thüssing, Grundrisse des Rechts, Europäisches Arbeitsrecht, München: C. H. Beck, Nomos 2008, S. 1-3
7 B./ Wägenbaur: EuGH VerfO. Satzung und Verfahrensordnungen EuGH/EuG. Kommentar. C.H. Beck, München 2008
8 Vgl. D./Schiek, Europäisches Arbeitsrecht, Rahmen des Arbeitsrechts der Europäischen Union Oldenburg/Leeds: 3. Aufl. Nomos, 2007, S. 78-80
9 Vgl. D./Schiek, Europäisches Arbeitsrecht, Rahmen des Arbeitsrechts der Europäischen Union Oldenburg/Leeds: 3. Aufl. Nomos, 2007, S. 81
10 Vgl. D./Schiek, Europäisches Arbeitsrecht, Rahmen des Arbeitsrechts der Europäischen Union Oldenburg/Leeds: 3. Aufl. Nomos, 2007, S. 80-82
11 Vgl. D./Schiek, Europäisches Arbeitsrecht, Rahmen des Arbeitsrechts der Europäischen Union Oldenburg/Leeds: 3. Aufl. Nomos, 2007, S. 82
12 Vgl. D./Schiek, Europäisches Arbeitsrecht, Rahmen des Arbeitsrechts der Europäischen Union Oldenburg/Leeds: 3. Aufl. Nomos, 2007, S. 81-83
13 Vgl. D./Schiek, Europäisches Arbeitsrecht, Rahmen des Arbeitsrechts der Europäischen Union Oldenburg/Leeds: 3. Aufl. Nomos, 2007, S. 83
14 Vgl. G./Thüssing, Grundrisse des Rechts, Europäisches Arbeitsrecht, München: C. H. Beck, Nomos 2008, S. 29